E) Arabien heute:
Die 22 Staaten der Arabischen Liga haben in etwa so viele Einwohner wie die 50 Gliedstaaten der Vereinigten Staaten von Amerika (USA). Aber trotz der reichen Ölstaaten am Golf und der Wirtschaftskrise der USA: die summarische Wirtschaftskraft aller arabischen Länder erreicht bei Weitem nicht annähernd die Potenz der USA. Reichtum und Armut sind zudem sehr viel ungleicher verteilt. “Habenichtse” und “reiche Protzer” — die arabische Welt ist tief gespalten zwischen Armutsstaaten und den Öl- und Gasbesitzern, die vielfach im Geld schwimmen. Auch politisch war — und ist — die arabische Welt mit nahezu allen Regierungsformen gesegnet. Klassische Monarchien, halbwegs funktionierende Demokratien und auch Abwandlungen sozialistischer Ein-Parteien-Herrschaften (die sich vielfach bei genauerem Hinsehen als Ein-Personen-Diktaturen erweisen) sind vertreten.
Die Öl- und Gasbesitzer sind dabei, ihre Wirtschaften für die Zeit nach dem Ölboom vorzubereiten. Ein zentrales Thema — mit dem sich die “reichen Protzer” mit den “armen Schluckern” die Hände reichen, ist dabei die Nutzung von Atomenergie, mit deren Hilfe sich auch Meerwasserentsalzungsanlagen betreiben lassen. Der Gollfkooperationsrat und Ägypten haben den klaren Wunsch nach Atomkraftwerken bereits geäussert. Algerien, dem Jemen, Jordanien, Marokko, Libyen und Syrien werden entsprechende Ambitionen nachgesagt. Dabei ist im Kontext zu den Entwicklungen in Nachbarstaaten ein auf- und abschwellendes Interesse zu beobachten. Die israelische Atombombe (seit den sechziger Jahren wird Israel der Atomwaffenbesitz zugeschrieben) steht gleichlaufend zu einem ägyptischen Forschungsprogramm, das erst nach dem Friedensvertrag mit Israel und dem Tschernobyl-Gau beendet wurde. Die seit Anfang dieses Jahrtausends immer stärker in den Vordergrund tretenden atomaren Ambitionen Irans gehen einher mit den offiziellen Erklärungen des Golfkooperationsrats und Ägyptens, die Nuklearenergie nutzen zu wollen. Diese Synchronität der Ereignisse hat die Süddeutsche Zeitung bereits zu einem Kommentar (Nuklearer Rüstungswettlauf, 01.11.2007) veranlasst, der die Vermutung äussert, dass hinter dem Ausbau der Atomenergie auch militärische Absichten stecken könnten.
Die arabische Welt ist heute zutiefst frustriert. Wer heute als Araber die Situation der arabischen Staaten insgesamt analysiert, der sieht die Ehre der arabischen Welt mit Füßen getreten — und “Ehre”, “Ansehen” — das ist eine der wichtigsten ethischen Werte einer Gesellschaft, die nach wir vor in vielem dem Ethos der Beduinenwelt verbunden ist. Seit der Kolonialzeit, in der — dem osmanischen Reich nachfolgend — europäische Mächte die Herrschaft an sich gerissen haben, hat kein arabischer Staat mehr den Glanz historischer Epochen erreicht.
Im Gegenteil: Arabien lebt mit einer schwärenden Wunde, einer israelischen Macht im Herzen des Nahen Ostens, in Jerusalem, einer der Heiligsten Stätten des Islam, die sich mit Rückendeckung der letzten Supermacht der Erde in der offenen Vertreibung und Unterdrückung der dort heimischen Palästinenser üben kann, ohne dass es den arabischen Staaten — angefangen vom bevölkerungsreichen Ägypten bis hin zu den Dollar-Milliardären am Golf — auch nur im Ansatz gelingt, den Brüdern in Palästina Erleichterung oder Hilfe zu verschaffen.
Selbst die vereinigten, hochgerüsteten Armeen Ägyptens, Jordaniens und Syriens haben gegen Israel nichts ausrichten können — ja sogar massive Gebietsverluste erlitten, wobei in den Grenzziehungen der arabischen Staaten bis heute noch die Kolonialmächte präsent sind, die arabische Gebiete ohne Rücksicht auf gewachsene Verbindungen zerteilten.
Dazu suchen die Menschen in den meisten arabischen Staaten auch nach wirtschaftlicher Perspektive. 15 % der arbeitsfähigen Bevölkerung der arabischen Länder — rund 12 Millionen — waren zur Jahrtausendwende arbeitslos. Aufgrund der demographischen Entwicklung steigt die Zahl der Arbeitslosen vor allem bei der Jugend weiter an. Es ist ein unruhiges Heer an Unzufriedenen, eine Reservearmee für Extremisten, die da heran wächst. Ein “Mittelstand”, der in Europa und den USA die wirtschaftliche und politische Entwicklung trägt, ist kaum vorhanden. In den reichen Ölstaaten genauso wie in den armen Regionen, die von den Brosamen der Ölfürsten leben müssen, bereichern sich erst einmal die Herrscher und ihre Familien.
Der Irak — bis zum Krieg gegen die Perser mit einem überaus prosperierenden Mittelstand gesegnet — ist an Saddam Hussein zugrunde gegangen. Libyens Gaddafi — ein anderer Ausnahmeherrscher, der nicht in die eigenen Taschen wirtschaftet — behält sich auch vor, über die Verteilung der (künftig wohl wieder höher sprudelnden) Öleinnahmen für das Volk zu entscheiden; andere Herrscher mögen guten Willen haben, alleine: wo keine Öleinnahmen sind, gibt es auch kaum etwas zu verteilen, um der Bevölkerung eine wirtschaftliche Perspektive bieten zu können.
Teufelskreis — Armut und Kinder (das demographische Problem):
Dabei leiden die arabischen Staaten vor allem an einem Problem: der demographischen Entwicklung! Wenn der Zuwachs der Wirtschaftskraft durch das Bevölkerungswachstum überholt wird, gibt es nicht mehr – sondern weniger zu verteilen. So wie es scheint hat lediglich Tunesien es geschafft, das Wirtschaftswachstum höher als den Bevölkerungszuwachs zu halten.
Ägypten – mit einer Bevölkerung von 80 Millionen in das Jahr 2007 gestartet – wächst im Durchschnitt alle 10 Monate um 1 Million Einwohner. Bis 2050 wird die Bevölkerung aller Voraussicht nach auf 126 Millionen Menschen anwachsen. Dieses Bevölkerungswachstum ist dazu vor allem den ohnehin schon armen Familien zu verdanken. Die „relativ wohlhabende“ Minderheit von 20 Millionen Menschen, die sich keine tagtäglichen existentiellen Sorgen machen muss, wächst kaum. Die Unterschicht von (derzeit) 60 Millionen wird nach UN-Schätzung dagegen bis Mitte des Jahrhunderts um gut 60 % steigen. Ägypten hat also – beispielhaft – das Problem, einer zunehmenden Zahl von jungen Menschen eine Perspektive bieten zu müssen. Wenn das nicht geschieht, dann ist absehbar dass diese Jugend „ohne Zukunftsperspektive“ in extremistische Positionen abdriftet, so ähnlich wie das in Deutschland nach der Weltwirtschaftskrise (zwischen den beiden Weltkriegen) auch der Fall war.
Tatsächlich scheint die Anzahl der Jungen Menschen an der Bevölkerung auch mit der Gewaltbereitschaft der “Gesellschaft ohne Zukunftsperspektive” einherzugehen:
Gazastreifen: 48 % junge Bevölkerung
Westjordanland: 42 % junge Bevölkerung
Irak: 39 % junge Bevölkerung
Saudi-Arabien: 38 % junge Bevölkerung (die meisten Terroristen des 11. Sept. waren Saudis)
Syrien: 37 % junge Bevölkerung
Jordanien, Libyen: 33 % junge Bevölkerung
Marokko: 31 % junge Bevölkerung
Nach einer These des Sozialwissenschaftlers Gunnar Heinsohn (Bremen) ist ein Anteil von 30 % unter 15jährigen ein Grenzwert, bei dessen Überschreitung die Gefahr von Extremismus und Terrorismus — bis hin zu Selbstmordanschlägen — deutlich zunimmt. Der Jemen, die Palästinensichen Gebiete, aber auch Saudi Arabien, Syrien, Libyen, Jordanien und Ägypten liegen deutlich über diese Schwelle. Algerien (27,2 %) und der Libanon (26,2 %) erreichen die Schwelle der “youth bulge”-Gesellschaft knapp. Tunesien (24,0 %) — ein wirtschaftlich realtiv stabiles arabisches Land — liegt deutlich unter der genannten Schwelle. Zum Vergleich: Pakistan (36,9 %) weist ebenso eine Überschreitung der Schwelle auf, die Türkei (24,9 %) und der Iran (23,2 %) liegen dagegen deutlich unter dem von Heinsohn definierten Grenzwert.
Konkret ergibt sich für einzelne arabischen Länder folgende Zusammenstellung:
Land | Bevölkerung 2007 | davon unter 15 Jahren | Bevölkerung 2050 |
Ägypten | 80,3 Mio. | 32,2 % | 127,4 Mio. |
Algerien | 33,3 Mio. | 27,2 % | 48,7 Mio. |
Irak | 27,5 Mio. | 39,4 % | 57,9 Mio. |
Jemen | 22,2 Mio. | 46,3 % | 84,4 Mio. |
Jordanien | 6,1 Mio. | 33,0 % | 10,2 Mio. |
Libanon | 3,9 Mio. | 26,2 % | 4,9 Mio. |
Libyen | 6,0 Mio. | 33,4 % | 9,2 Mio. |
Marokko | 33,8 Mio. | 31,0 % | 47,1 Mio. |
Palästina | 4,0 Mio. | 44,3 % | 11,1 Mio. |
Saudi-Arabien | 27,6 Mio. | 38,2 % | 54,7 Mio. |
Syrien | 19,3 Mio. | 36,5 % | 34,1 Mio. |
Tunesien | 10,3 Mio. | 24,0 % | 12,9 Mio. |
Ist es ein Wunder, dass Araber Trost und Heil in der glorreichen Vergangenheit suchen? Es ist ein fruchtbares Feld, in dem “Allahs falschen Propheten” ein bereitwilliges Publikum finden, die eine neue Blüte nicht in der Übernahme westlicher Werte wie Demokratie sehen, sondern in der Besinnung auf die historischen Wurzeln, auf die Kraft des Islam und auf die Scharia als das dem Islam gemäße Rechtssystem. Hier wird eine umfassende gesellschaftliche Ordnung propagiert, eine “heile Welt”, und was in westlichen Augen despektierlich als “mittelalterlich” bezeichnet wird hat mit genau derselben Bezeichnung plötzlich aus arabischer Sicht einen ungeheuren Reiz: war nicht das Mittelalter die hohe Zeit der arabischen Welt? Die Religion des Islam bietet mehr als spirituelle Erbauung, sie bietet ein komplettes sozioökonomisches, sozialpolitisches und auch juristisches Programm — eine heile Welt auch diesseits der religiösen Ebene. Aus der Sicht der Islamisten wird zugleich die Peinlichkeit der Kolonialgrenzen überwunden, denn die Islamisten erkennen nur eine Nation: die islamische Gemeinde, in der alle Muslime über alle staatlichen Grenzen hinweg vereint sind. Marcel Pott, lange Jahre als Journalist und Publizist in arabischen Staaten tätig und einer der besten westlichen Kenner der arabischen Welt beschreibt die Situation so:
(Quelle Allahs falsche Propheten — (www.amazon.de)
“Den Erfolg der Islamisten haben sich die arabischen Herrscher selbst zuzuschreiben. Sie haben ihn geradezu provoziert, indem sie demokratische Bürgerrechte unterdrückten und so jeden politischen Reifeprozeß in ihren Ländern verhinderten. Mit der Folge, dass sich an den traditionellen Stammes- und Feudalstrukturen nur wenig geändert hat. Wer aus bestimmten Kreisen oder aus gewissen Familien stammt, ist faktisch immun, wenn er ein öffentliches Amt ausübt. Selbst wenn er als Minister Gelder veruntreut oder durch Nachlässigkeit und Unvermögen großen Schaden anrichtet. Der zu Lasten der Bevölkerung geht, wird er nicht zur Rechenschaft gezogen. So verhält es sich übrigens in allen politischen Systemen der arabischen Welt. .…”
Die innere und äußere Schwäche der arabischen Staaten ist also zugleich der Ansatzpunkt für die Islamisierung der arabischen Welt. Der Islam wird zum Ansatz gegen korrupte Regime, gegen westlichen Imperialismus, jüdische Staatengründung und sämtliche Probleme, die zur Frustration und Paralysierung des arabischen Nationalstolzes geführt haben.
Wenn man sich dieser unterschwelligen Gemeinsamkeit bewußt wird, die der arabischen Welt von Marokko bis zum Irak, von Syrien bis zum Jemen eigen ist, dann wird man die Aggressionen gegen den Westen und die zunehmende Tendenz zur radikalen Islamisierung leichter verstehen, die sich in der gesamten arabischen Welt — trotz aller regionalen Unterschiede — immer mehr ausbreiten.
Heute lassen sich die Arabischen Staaten wirtschaftsgeographisch in mehrere regionale Gruppen aufteilen, die jeweils vor gemeinsamen Problemen stehen und sich — das scheint bemerkenswert — auch auf dieser regionalen Ebene organisieren.
1979 — das Ende der “Ummat el-arabiya”?
Gamal abdek Nasser — der Reis vom Nil — gilt als wortgewaltiger Förderer einer mächtigen arabischen Nation, die alle arabischen Völker zwischen dem Atlantik und dem Arabischen (Persischen) Golf umfassen sollte. Die politische Zusammenarbeit und das Zusammenwachsen sollte über die Arabische Liga erfolgen.
Mit der Zerschlagung der arabischen Armeen im 5‑Tage-Krieg von 1967, spätestens aber mit dem Jahr 1979 scheint dieses Idealbild endgültig zu einer Utopie geworden zu sein.
- Mt der islamischen Revolution im Iran wurde eine Glaubensrichtung des Islam, der Schiismus, gestärkt, was Autonomiebestrebungen in den schiitisch-arabischen Ländern am Golf. im Jemen und im Libanon verstärkte.
- Im November 1979 erstürmten fanatisierte sunnitische Muslime die wichtigsten Heiligen Stätten des Islam, um ein Fanal gegen die verschwenderische saudische Prinzenklique und deren Zusammenarbeit mit dem “Satan Amerika” zu setzen — eine Besetzung, die nur mit französischen und jordanischen Elitetruppen beendet werden konnte — , was zu einer Fundamentalisierung des Hauses Saud führte,
- und der nur einen Monat später erfolgte sowjetische Einmarsch in Afghanistan verlagerte das Interesse der Welt — auch der islamischen .- in die Region des Hindukusch, wo sich bald Saudi Arabien und US-Amerikaner bei der Aufrüstung der gegen die sowjetische Besatzung kämpfenden Taliban zu übertreffen versuchten.
Diese Ereignisse dürften prägend für die Radikalisierung eines Osama bin-Laden gewesen sein, dessen überwiegend saudische Anhänger mit 9–11 ein Fanal des wahabitischen Fanatismus setzten. Sie waren aber nicht nur prägend für wenige fanatisierte Wirrköpfe. Tatsächlich ist mir seither die vermehrte Unterstützung radikaler fundamentalistischer Imame durch Saudi-Arabien bewusst geworden, eine Unterstützung, die sich wohl im Irak wie auch in Ägypten in einer Teilung der sunnitisch-arabischen Welt mit dem Erstarken fundamentaler Gruppen (Salafisten) deutliche Folgen zeigt.
Arabellion 2011:
Ausgehend von Tunesien hat 2011 eine Welle von Revolten von Marokko bis zum Jemen die arabische Welt erschüttert. Zunächst protestierte die unzufriedene und arbeitslose, aber gut gebildete und vernetzte Jugend ob der Schikanen staatlicher und korrupter Institutionen, der sich aber immer mehr Menschen anschlossen — bis eine breite Bevölkerungsbasis “auf der Straße war”.
Allerdings hat die Revolte in den unterschiedlichen arabischen Staaten auch einen unterschiedlichen Verlauf genommen.
In Marokko kanalisierte der König die Unruhen und nahm ihnen durch eine frühe Änderung der politischen Regeln die Spitze.
In Tunesien stellte sich die Militär auf die Seite der Bevölkerung — und schob den Präsidenten schnell nach Saudi Arabien ab. Die nachfolgendne Wahlen wurden von den am besten organisierten mäßig islamischen Kräften gewonnen.
In Libyen spaltete sich die Armee an den traditionellen Bruchlinien, die zwischen dem östlichen und dem westlichen Landesteil verlaufen und nicht nur die historischen Grenzen des osmanischen Reiches, sondern auch den Siedlungsbereich unterschiedlicher Stämme markieren. In einer gemeinsamen Aktion von NATO und Mitgliedsstaaten der arabischen Liga wurde der zunäcsht unterlegenen Revolte zum Sieg verholfen. Vom 19. März bis zum 31. Oktober haben NATO-Flugzeuge (untersützt von Katar und den VAR) über 26.000 Einsätze über Libyen geflogen. In einer sehr weit ausgedehnten Interpretation des vorangegangenen UN-Beschlusses waren zunächst die USA mit 184 Tomahawk-Marschflugkörpern und B‑2-Bombern daran gegangen, die libysche Flugabwehr zu eleminieren. Danach war der Weg bereitet, um mit knapp 10.000 Angriffsoperationen — vor allem durch Frankreich, Großbritannien, aber auch Italien, Belgien und Kanada die regierungsgtreuen Truppen zu attackieren.
In Ägypten stellte sich das Militär — zunäcsht zögernd — auf die Seite der Demonstranten, um dann aber selbst (nach dem Vorbild der früheren Türkei) die Macht zu übernehmen. Auch hier haben die gut organisierten Muslimbrüder die anberaumten Wahlen vor den neu gegründeten liberalen Parteien für sich entschieden.
In Syrien scheint sich die Entwicklung Libyens zu wiederholen. Mitglieder der Streitkräfte desertieren und bilden eine eigene Sreitkraft, deren Ziel “der Schutz der Zivilbevölkerung” vor den regierungstreuen Truppen des Präsidenten Assad ist.
Im Jemen scheint sich der Konflikt zwischen den einzelnen Stämmen abzuspielen. Arabische Staaten haben auf Seite der Demonstranten Parteil ergriffen und drängen den Präsidenten mit siplomatischen Mitteln zum Rückzug. Wie sich die Entwicklung dort weiter vollziehen wird, st fraglich.
In Bahrain dagegen wurde der Protest durch die zuhilfe gerufenen Streitkräfte aus dem Nachbarland Saudi Arabien niedergeschlagen. Und auch in den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAR) gelang es den demonstrierenden Teilen der Bevölkerung nicht, Polizei oder Streitkräfte auf die eigene Seite zu ziehen.
Wann gelingt ein Umsturz?
Damit spiegelt die Entwicklung der arabischen Länder einen generellen Trend wieder. Eine Revolution, ein Umsturz, wird erst dann erfolgreich, wenn sich Polizei und / oder Streitkräfte auf die Seite der Demonstranten schlagen, zumindest Teile zu den Demonstranten überlaufen. Je mehr Waffen dann auf die Seite der Revolutionäre kommen, desto eher gelingt ein Umsturz.
Insofern sollte der Blick der Korrespondenten und Redakteure der Medien nicht auf die (medienwirksamen) Massendemonstrationen gerichtet sein, sondern auf die Polizisten und Soldaten, die auf diese Demonstranten stoßen.
Wie geht es weiter?
Zunächst einmal zeigen die bisherigen Beispiele, dass ein Sieg der “Arabellion” nicht in jedem Land zu erwarten ist. Klar ist, dass vor allem die Jugendlichen und Studenten nach demokratischen Regularien rufen. Klar ist aber auch, dass bei demokratischen Wahlen nicht unbedingt liberale Kräfte die Oberhand behalten. Die bisherigen Ergebnisse von Wahlen in den arabischen Ländern zeigen, dass (moderate) islamische Kräfte aus solchen Wahlen gestärkt hervor gehen. Dies kann durchaus damit zusammen hängen, dass diese Kräfte im Volk als Opposition gegen auokratische Herrscher verankert sind — schließlich wurde die Unterdrückung demokratischer Entwicklungen auch immer mit dem “Kampf gegen islamistische Kräfte” begründet. Tatsächlich ist auch feststellbar, dass die islamisch geprägten Parteien vielfach über Wohlfahrtsorganisaitonen (wie die ägyptischen Muslimbrüder) gut organisiert sind, und von daher eine wesentliche bessere Ausgangsposition haben als neu gegründete liberale Parteieln.
Radikale islamistische Gruppierungen waren bisher in keinem Fall tatsächlich Auslöser der Revolutionen. Aber es würde verwundern, wenn radikale Islamisten nicht versuchen würden, die “Arabellion” zu nützen um in den unzweifelhaft damit zusammen hängenden Wirren die Entwicklung zu steuern. Tatsache ist leider auch, dass Saudi Arabien seine immensen Öleinnahmen nützt, um wahabitische Eiferer zu finanzieren. Ob es diesen radikalen Predigern gelingen wird, die traditionellen einheimischen theologischen Fakultäten zu unterwandern ist schwer zu sagen. In Ägypten sind die radikalen Salafisten nach den Mulsimbrüdern als stärkste Kraft aus den Wahlen hervor gegangen. Allerdings ist nach meiner Einschätzung der Einfluss der dogmatischen Kräfte eher gering.
Aber selbst dort, wo die Arabellion scheitert wird sich in den kommenden Jahrzehnten die Frucht der Arabellion zeigen. Die arabischen Länder werden demokratischer werden — ob über Umstürze oder über Reformen, die den Regenten abgetrotzt werden. Die erfolgreichen Demokratisierungen werden als Vorbilder für andere arabischen Staaten dienen — so wie die Türkei im gesamten Nahen Osten ein zumindest unbewusst wahrgenommenes Vorbild ist. Massenmedien wie Al Djazeera werden dazu beitragen, dass sich demokratisches Gedankengut verbreitet. Dabei wird sich auch der arabische Islam verändern — in der Konkordanz zwischen dem religösen Anspruch, das Leben umfassend zu regulieren und dem liberal-demokratischen Gedankengut, das von den jungen Studenten in die Gesellschaft eingebracht wird.