Brasiliens Sicherheitspolitik ist durch drei historisch gewachsene Antriebskräfte charakterisiert worden:
Erstens bemüht sich das riesige Land, die dünn besiedelten Gebiete im Landesinneren wirksam zu kontrollieren;
Zweitens will Brasilien in Südamerika eine wirtschaftliche und militärische Führungsrolle übernehmen;
Drittens will Brasilien durch seine gestiegenen internationalen Verflechtungen ein wichtiger Global Player werden.
Militärisches Potential:
Dem trägt auch der Militärhaushalt Rechnung. Brasilien hat seine Ausgaben für 2008 gegenüber 2007 mehr als verdoppelt. Neben kräftigen Gehaltserhöhungen soll der Mittelzuwachs insbesondere für eine bessere Ausrüstung der Streitkräfte genutzt werden. Brasilien ist allerdings militärisch — was die Zahl seiner Streitkräfte im Verhältnis zu der riesigen Fläche des Landes und etwa einen Vergleich des größten Staates Südamerikas mit dem größten Staat Nordamerikas betrifft — eher als “Zwerg” zu bezeichnen. Das liegt möglicherweise auch an dem Misstrauen, das die demokratisch gewählten politischen Führer den Militärs entgegen bringen — hat doch schließlich über Jahrzehnte hin eine Militärjunta (wie in den meisten Staaten Südamerikas) jede demokratische Entwicklung unterdrückt.
Brasilien hat aber auch keine Feinde. Die größten Nachbarstaaten — also Argentinien und Venezuela — sind politisch und militärisch Verbündete.
Die Streitkräfte der “Cono sur” und “Mercosur”- Staaten Südamerikas üben seit Ende der achtziger Jahre immer regelmäßiger miteinander, stimmen sich immer mehr ab — auch mit politischer Rückendeckung der linksorientierten Regierungen — und es dürfte inzwischen keinen Zweifel mehr geben, dass eine “Bedrohung von aussen” (wer auch immer eine solche durchführen sollte) zur gegenseitigen Militärhilfe führen würde.
So hat das Großmanöver der Luftwaffen — Cruzex 2004 — im Jahr 2004 rund 75 Flugzeuge zusammen geführt. Als Gast war die Armèe de l’Air dabei, was auch in der Zusammensetzung der Manövertruppen eine steigende Distanzierung vom Nordamerikanischen Nachbarn deutlich macht.
Brasiliens Luftwaffe:
Als wichtigste Truppeneinheit Brasiliens dürfte wohl die Luftwaffe zu bezeichnen sein, schließlich hat Brasilien nicht nur eine riesige Landfläche sondern auch den großen Seeraum vor seinen Küsten zu überwachen. Diese Bedeutung spiegelt auch die moderne Ausstattung der seit 22. Mai 1941 als “FORCA AEREA BRASILEIRA” (FAB) bezeichneten Luftwaffe wieder, die bereits seit Jahren die mit Abstand größte und am besten ausgestattete Luftwaffe der Region ist. Über 80.000 Personen — davon knapp 10 % zivile Angestellte — und etwa 700 Flugzeuge stehen im aktiven Dienst der FAB, die offiziell am 20. Januar 1941 als Forca Aéra Nacional gegründet wurde. Bereis vorher hatten brasilianische Piloten ein weitmaschiges Liniennetz für Post- und Kurierflüge aufgebaut. Ausgehend von der Route zwischen Rio de Janeiro und Sao Paulo (12. Juni 1931) wurden bald Minas Gerais (30. November 1931) und ab 1936 Assuncion (Paraguay) in das Transportnetz aufgenommen.
Wichtigste Aufgabe der neu gegründeten Luftwaffe war denn auch die Errichtung von Militärflugplätzen entlang der Küste mit Belem und Fortaleza sowie Recife (Oktober 1941) und der Base Aèra de Natal (im März 1942). Vor allem die USA beteiligten sich aktiv am Ausbau der brasilianischen Stützpunkte sowie der Ausbildung von Piloten und Wartungspersonal, da der Nordosten Brasiliens als Zwischenstation auf der Luftroute zwischen Nordamerika und dem afrikanischen Kriegsschauplatz von zunehmender Bedeutung wurde. Im Austausch gegen wichtige Rohstoffe wurde so die brasilianische Luftwaffe zur stärksten Luftstreitmacht Brasiliens — die mit mehreren Staffeln sogar Einsätze im europäischen Kriegsschauplatz (Norditalien) flog. Auch während des “Kalten Krieges” gehörten die USA zu den wichtigsten Lieferanten für Brasiliens Luftwaffe, die sich aber auch europäischer Lieferungen bediente.
Neben dem Einsatz von US- und Europäischen Mustern (Mirage, F‑5 E) geht Brasilien zunehmend dazu über, sich eigener Flugzeuge aus seiner modernen und leistungsfähigen nationalen Flugzeugindustrie zu bedienen. Der Brasilianische Flugzeugproduzent Embraer hat sich nach der erfolgreichen Lizenzproduktion erfolgreich mit der Modifikation und Eigenentwicklung entsprechender Muster befasst und bietet inzwischen eine Palette von Flugzeugen an, die bis zu 120 Passagiere aufnehmen können. Zur Entwicklung eigener Modelle trägt auch die enge Verbindung zu Forschung und Entwicklung bei. So verfügt das brasilianische Institut für Technologie und Aeronautik über einen Forschungsstandort direkt neben den Produktionshallen und der Landebahn von Embraer.
Beispielhaft sind hier die Embrauer EMB-110 “Bandeirante” für (maritime) Aufklärungsmissionen und die leichte, luftbetankungsfähige AMX für Erdkampfeinsätze (als Doppelsitzer mit Aufklärungsbehältern) zu nennen.
Brasilien versucht offenbar, sich von US-Amerikanischen Lieferungen unabhängig zu machen. So werden derzeit (Frühjahr 2005) die Northrop F‑5 der Brasilianer einem Modernisierungsprogramm unterzogen — mit israelischer Avionik.
Infolge der Beschaffung von SU-30 durch den Nachbarn Venezuela (2006–2007) hat Brasilien auch wieder Beschaffungspläne für eine Modernisierung der eigenen Luftwaffe reaktiviert. Für 1,25 Mrd. $ sollten nach einer Meldung von Flight International (28.11.2006) bis 2008 rund 25 Flugzeuge beschafft werden, um 2 Squadrons in Zentral- und Nordbrasilien auszustatten. Die USA, Frankreich — und möglicherweise auch Russland — rechneten sich Chancen für die Lieferung dieser Jets aus. Tatsächlich ist Ende 2013 die Entscheidung für die schwedische Gripen gefallen. Das Flugzeug ist (dank eines einzigen Triebwerks) sowohl in der Herstellung wie im Unterhalt preiswerter als die Konkurrenz, einfach zu warten, und es kann auch von Behelfspisten oder Autobahnen, ja sogar von unbefestigten Pisten aus eingesetzt werden. Die Vereinbarung ermöglicht Brasilien zudem den Export der Flugzeuge in andere Länder Lateinamerikas und nach Afrika. Die brasilianische Gripen hätte damit potentielle Abnehmer zumindest in Argentinien, Bolivien, Venezuela, Guyana, Kolumbien, Paraguay, Peru, Suriname, Uruguay, Chile und Ecuador.
Ob das Angebot der Schweden, eine “Sea Gripen” zu entwickeln (die dann auch vom brasilianischen Träger aus einsatzbar wäre) realisiert wird, bleibt abzuwarten. Als einmotoriges Flugzeug besteht gerade in der sensiblen Startphase ein größeres Risiko beim Trägereinsatz.
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Interner Link:
Lateinamerika — AMX — Brasiliens erstes Kampfflugzeug Lateinamerika — AT 26 Xavante — Brasiliens Einstieg in den Flugzeugbau | |
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Brasiliens Marinestreitkräfte:
Brasilien hat sich schon früh um Unabhängigkeit von ausländischen Lieferungen bemüht. Eine der ersten modernen Beschaffungen war der Lizenzbau von 2 Kriegsschiffen der Vosper Thomycroft Modellreihe (“Niteroi”), die mit vier aus England gekauften Schiffen das Rückgrat der brasiliansischen Marine bildeten. Vier wurden speziell zur U‑Boot-Abwehr, zwei als Allweck-Schiffe ausgerüstet. Damit hatte Brasilien zugleich eine schlagkräftige Escort-Gruppe für den WW II — Flugzeugträgers MINAS GERAIS (brit. Colossus-Klasse).
Größte Einheit ist nunmehr ein ehemals französische Flugzeugträger, die ehemalige Clemenceau, die als NAe SAO PAULO vor einigen Jahren die rund 20.000 ts große Minas Gerais abgelöst hat.
Interner Link: Brasilien — Flugzeugträger und Marineluftwaffe
Mit diesem Träger macht Brasilien seine Ambitionen als regionale Großmacht im Südatlantik deutlich, so wie Indiens Träger die Vorherrschaft Indiens im indischen Ozean demonstrieren und sichern soll.
Beide Staaten zeigen beim Ausbau der eigenen Marinestreitkräfte deutlich Parallelen. Während Indien aber überwiegend sowjet-/russische Technik nutzte, konnte Brasilien auf europäische Hilfestellungen bauen, “bauen” im wortwörtlichen Sinne des Wortes:
Von den zunächst sechs Fregatten des britischen Mk 10 Entwurfes (NITEROI-Klasse) wurden zwei in Brasilien selbst gefertigt. 2008 wurden sechs Fregatten vom Typ FREMM (Frégate Multi-Mission bzw. d Fregata Multi-Missione) beauftragt, die im Marinearsenal von Rio de Janeiro gebaut werden sollen.
Eine Eigenentwicklung sind bereits die ursprünglich als Korvetten geplanten Fregatten der INHAUMA-Klasse (1.930 ts).
Die U‑Boot-Waffe beruht auf dem deutschen Typ 209/1400 (1,590 ts), von dem die brasilianische Marine bis 2004 vier Einheiten als TUPI-Klasse in Dienst gestellt hatte. Drei der TUPI waren mit HDW-Hilfe und deutschen Materialpaketen in Rio de Janeiro gebaut worden. Auf der Basis dieses Entwurfes hat Brasilien im April 2005 nach neun Jahren Bauzeit einen weiteren U‑Boot Neubau zu Wasser gelassen. Die TIKUNA weist allerdings zahlreiche von brasilianischen Ingenieuren eigens entwickelte Modifikationen auf und ist mit einer Verdrängung von getaucht 2.500 ts auch deutlich größer als die Vorgängerboote
Schon bald soll beim Arsenal de Marinha mit dem Bau von insgesamt fünf U‑Booten eines neuen Typs (S‑MB-10) begonnen werden. Zunächst ist dabei offenbar an die Unterstützung Frankreichs und die Lizenzproduktion von vier “SCORPNES” U‑Booten gedacht, bei deren Konstruktion auch Entwicklungen der aktuellen französischen Atom-U-Boote, wie z.B. die Stahllegierung des Rumpfes, genutzt wurden. Die Auslieferung soll ab 2016 erfolgen. Sämtliche U‑Boote werden, bis auf den vorderen Druckrumpf von Boot 1, in Brasilien bei der Itaguai Construcoes Navais Werft gebaut. Dafür wurde ein Joint Venture gegründet, an dem die DCNS (41 %) aus Frankreich und der brasilianischen Odebrecht (59 %) beteiligt sind. Zusätzlich wurde zu diesem Zweck auch eine strategische Verteidigungsvereinbarung zwischen Brasilien und Frankreich vereinbart: Frankreich wird beim Bau eines Marinestützpunktes und der U‑Boot-Marinewerft helfen.
Dazu wird immer wieder von Planungen zum Eigenbau eines nuklear getriebenen U‑Bootes berichtet, dessen Planungen 1996 nach gescheiterter Finanzierung eingestellt, aber im Jahre 2003 im Auftrag von brasilianische Präsident da Silva wieder aufgenommen worden waren. Der reiche Ölfund vor den Küsten führte offenbar dazu, den Wunsch auf ein eigenes Nuklear-U-Boot zu bekräftigen. Nach Meldung des “Standard” (Österreich) wolle das Verteidigungsministerium schon Anfang 2008 “einen Plan für den Bau eines derartigen Unterseeboots für rund 1,2 Milliarden Dollar (820 Millionen Euro) vorlegen.” Zudem liefert Frankreich im Umfang von 4,1 Milliarden Euro die Technik für das erste atomkraftbetriebene U‑Boot des Landes. Bisher ist aber nur vorgesehen, dass beide Länder den Rumpf des U‑Bootes gemeinsam bauen. Der Atomantrieb liegt in der Verantwortung der brasilianischen Marine. Die Entwicklung soll bis 2016 abgeschlossen sein.
diskutieren Sie mit: “Brasilianische Atom-U-Boote”
Brasiliens Marine hat ein riesiges Flusssystem zu überwachen. Mehr als zwei Drittel Brasiliens werden von den Flüssen Amazonas und Tocantins entwässert, etwa ein Fünftel vom Río de la Plata und der übrige Teil vom São Francisco und kleineren Strömen.
Kein Wunder also, dass Brasilien auch eine Flottille von Flusskampfschiffen und Patrouillenbooten betreibt und über beachtliche amphibische Kapazitäten verfügt.
Das brasilianische Marineinfanteriekorps (Carpo de Fuzileiros Navals) ist weltweit eine der größten Kampfeinheiten dieser Art, die zudem auch über Kampfpanzer (knapp 20 SK105 A2S, einer Variante des österreichischen A2 Kürassier *) verfügt. Wichtige äußere Unterscheidungsmerkmale gegenüber dem österreichischen Gegenstück sind das zusätzliche Browning M2 Maschinengewehr mit 300 Schuss an der Kommandantenkuppel und die Zusatzpanzerungen im Bereich der Turmfront.
*)
Der Kürassier wurde in größerer Anzahl auch nach Argentinien und Bolivien geliefert
Interner Link: Brasilien — Quo vadis Marinha do Brasil?, Lateinamerika — Brasilien — Flugzeugträger und Marineluftwaffe
Externer Link: Stiftung Wissenschaft und Politik, Berlin: “Seemacht Brasilien?”
Brasiliens Landstreitkräfte:
Größte Landfläche Südamerikas — aber mit etwas über 500 Kampfpanzern (zum Vergleich: Deutschland 850) — geradezu zurückhaltend, und noch vor Jahren überwiegend mit dem völlig veralteten US-Typ M 41 (Lizenzproduktion) ausgestattet ….
Aber immerhin mit dem hoffnungsfrohen Unterfangen operierend, mit dem EE-TI Osório **) ein eigenständiges KPz — Projekt erstellen zu können …. während Argentinien seine (mit deutscher Hilfe) speziell für Südamerika (Brücken geringer Tragkraft) entwickelten “Tanque Argentino Mediano” (TAM) — Kampfpanzer schon längst im Einsatz hatte.
**)
Mitte der 80er Jahre investierte die brasilianische Firma Engesa ca. 100 Millionen US-Dollar in die Entwicklung des Osório.
Der Panzer war voll computerisiert und besaß modernste Waffensysteme. Der Prototyp des EE-T2 hatte eine britische Kaliber105 mm Zugrohrkanone.
Der Panzer ging allerdings nie in Produktion — der Konkurs der Rüstungsfirmen Engesa und Avibràs bedeutete vielmehr das “aus” für die brasilianische Panzerproduktion.
Erst spät begann Brasilien mit dem Ausbau eigener Heeresflieger, obwohl der Hubschrauber in den weitgehend unerschlossenen Gebieten des Landesinneren das ideale Transport- und Kampfmittel darstellt, und Professor Henrich Focke in Brasilien einen kleinen zweisitzigen Hubschrauber entwickelt hatte. Weniger als 10 Kampf- und 40 Transporthubschrauber (auch russischer Herkunft, die Hind wird als AH‑2 bezeichnet) sind denn auch heute noch ein mageres Mittel, um die unzugänglichen Gebiete im Landesinneren effektiv kontrollieren zu können.
Zum Vergleich: Belgien kann mit 36 Kampf- und 25 Transporthubschraubern eine Hubschrauberflotte aufweisen, die der Brasiliens überlegen ist — und die USA (gleiche Fläche) verfügen alleine bei den Landstreitkräften über mehrere Tausend Hubschrauber, 8.000 Kampfpanzer, zusätzlich über 500 Hubschrauber bei den Seestreitkräften und 400 Kampfpanzer bei den Marines. Die EADS-Tochter Eurocopter und deren brasilianischen Sparte Helibras haben aber für 1,9 Milliarden Euro den Auftrag zum Bau von 50 Militärhubschraubern vom Typ EC-725 erhalten., die ab 2010 ausgeliefert werden sollen. Die Marineversion wird mit norwegischen Penguin anti-ship missiles ausgestattet.
Interner Link: Lateinamerika — Brasiliens Hubschrauberproduktion
Diese dürren Zahlen zeigen, dass Brasilien keine territorialen Auseinandersetzungen mit benachbarten Staaten fürchtet, sie zeigen aber auch, wo Brasilien weiter investieren wird, wenn sich die Notwendigkeit für eine entsprechende Aufrüstung ergeben würde.
Interner Link: The Brazilian Defense Industry – Market Opportunities and Entry Strategies, Analyses and Forecasts to 2016
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Diskutieren Sie mit - www.defence-forum.net:
Südamerikas Luftwaffen und Südamerikas Marinen heute und in der Zukunft
Streitkräfte und Rüstungsindustrie von Brasilien Nuklearprogramm der Marine Brasiliens
Strebt Brasilien die Atombombe an?
Fragen und Antworten: Brasilianischer Flugzeugträger?
Externe Links:
- Botschaft Brasiliens: www.brasilianische-botschaft.de
- Auswärtiges Amt Deutschland: www.auswaertiges-amt.de
- Brasilien.de Reiseservice
- SPIEGEL-Jahrbuch: www.spiegel.de
- Landeskundliche Informationsstelle: www.inwent.org
- Universität Kassel — AG Friedensforschung: www.uni-kassel.de