Wirtschaft:
Badestände im Norden, Oliven- und Weingärten im Mittelteil und die Sahara im Süden – eigentlich wie geschaffen, um einem Land, das über lange („die schönsten“) Küsten am Mittelmeer und archäologische Kleinode bis hin zur phönizischen Kolonialstadt Karthago und malerische Altstädte verfügt, „Tourismus“ als „weiße Industrie“ zu verordnen.
Angeregt durch die Entwicklungshilfeprogramme besonders aus Deutschland investierten Privatanleger zunehmend im Tourismusgeschäft, während gleichzeitig der Ausbau der Infrastruktur mit den Erfordernissen Schritt hielt. Tunesien verfügt über eine ausgezeichnet ausgebildete und gebildete Jugend. Französisch ist praktisch zweite Landessprache — und französische und italienische Fernsehprogramme werden selbstverständlich zumindest im Norden des Landes problemlos empfangen. Darüber hinaus wird zumindest in den Hotelanlagen an der Küste ausreichend deutsch und englisch gesprochen, so dass sich auch der sprachunkundige Pauschalurlauber problemlos verständigen kann.
Tunesien hat – im Gegensatz zum Schnitt der Maghreb-Staaten – ein steigendes Pro-Kopf-Einkommen, das von 1969 (113 Dinar) bis 2002 auf rund 2.950 Dinar anstieg – was immerhin dem Gegenwert von über 2.100 Euro entspricht. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) wird mit 19,9 Milliarden US-$ angegeben, und mit einem Wachstum von 5 % ist die „goldene Schwelle“ erreicht, die das Wachstum der Bevölkerung übersteigt und damit steigenden Wohlstand ermöglicht. Dieses Wirtschaftswachstum wird vor allem durch Tourismus erreicht. Alleine Hammamet Yasmine verfügt derzeit (2006) über 25.000 Betten. Im Jahre 2005 standen insgesamt rund 230.000 Gästebetten in über 800 Hotelanlagen zur Verfügung. Von den in diesem Jahr gezählten 6 Mio. Touristen (größtenteils Pauschalreisende) waren etwa 10 % aus Deutschland. Weitere Hotelkomplexe — durchgehend im Stil der einheimischen Baukunst — entstehen an der Küste. Rund 17.000 Hotelbetten sollen in den nächsten Jahren hinzu kommen. Ausser den “nur-Badegästen” — die während ihres Aufenthalts den Hotelkomplex nicht verlassen müssen, und denen vielfach ein Unterhaltungsprogramm angeboten wird, das den Vergleich mit entsprechenden Anlagen in Frankreich oder Italien nicht zu scheuen braucht — sollen vermehrt Kultur‑, Sport‑, Wellness- und Saharatouristen sowie der “Ökotourismus” gefördert werden. Tunesien verfügt über eine durchaus fortschrittliche und für afrikanische Verhältnisse mehr als vorbildliche Umwelt- und Denkmalschutzgesetzgebung. Ein großer Teil der Abwässer im Großraum Tunis wird geklärt, neue Projekte benötigen eine umfangreiche Umweltschutzprüfung und die alten Stadtkerne, die Medinas, werden zunehmend liebevoller gepflegt und so erhalten. So wurde der Medina von Tunis das Prädikat eines “Weltkulturerbes” verliehen.
Tunesien ist nach Libyen, das seinen Reichtum aus den Ölvorkommen bezieht, das wohlhabendste Land Nordafrikas – es ist kein Entwicklungsland mehr, sondern darf sich zu den „Schwellenländern“ zählen, die „auf der Schwelle zur Industrialisierung“ stehen. Tunesien hofft, mit Hilfe der Europäischen Union auch den Sprung in die Klasse der Industrieländer zu schaffen. Dazu soll ein 1996 abgeschlossenes Freihandelsabkommen dienen (das erste, das die EU mit einem arabischen Land abgeschlossen hat), das innerhalb einer Frist von rund 10 Jahren in Kraft treten und die protektionistischen Handelshemmnisse der EU aufbrechen soll. In den Jahren 2000 bis 2007 wuchs das BIP des Landes um ingesamt knapp 50 %.
Weltbank und Internationaler Währungsfonds bescheinigen dem Staat, weiterhin auf dem richtigen Wege zu sein. Nach Meinung des “World Economic Forum” verfügt Tunesien über die wettbewerbsfähigste Volkswirtschaft Afrikas. Etwa 3/4 des Außenhandels werden mit Europa abgwickelt. Tunesien sieht sich als Europäisch-Arabisches Land, das eine Brückenkopffunktion zwischen Europa und Arabien anstrebt. Dennoch blieben die europäischen Investitionen in Tunesien erstaunlich zögerlich. Von 2000 bis 2007 ist — trotz deutlich höher steigender Wirtschaftskraft — nur eine um 20 % höhere Auslandsinvestition aus Europa zu vermelden.
Tunesien ist zudem als wichtiges Brückenland für Desertec ausersehen. In den Wüstenregionen im Süden sollen nicht nur Solarkraftwerke für den eigenen Bedarf entstehen. Das Gesamtkonzept, das über den ganzen Maghreb hin ein NEtz an Solar- und Windkraftwerken, Geothermie und Biomasse vorsieht, lebt auch von dem Gedanken, die übeschüssige Energie nach Europa zu exportieren. Und neben der Straße von Gibraltar wird die kurze Verbindung zwischen Tunesien und Sizilien einen wichtigen “Energietransportkorridor” aufnehmen, wenn das Projekt verwirklicht wird. Tatsächlich scheint die Umsetzung zu erfolgen. Nach einem Bericht der Süddeutschen Zeitung vom 21.06.2012 arbeitet “die Initiative” (nach Marokko) “in Algerien und Tunesien ebenfalls an ersten Projekten. “Die Industrie steht bereit, das Kapital steht bereit”
Vor allem die drei Flughäfen von Tunis, Monastir und Djerba sind die “Einflugschneisen” für die Touristen, die den Hauptteil der Fluggäste stellen und dort wieder überwiegend zu Pauschalreisenden zählen. Alle tunesischen Flughäfen können derzeit (2007) zusammen etwas über 10 Mio. Passagiere jährlich bewältigen. Zwischen Hammamet und Monastir — bei dem kleinen Ort Enfidha — soll ab 2008 ein neuer Flughafen errichtet werden, der ab 2038 alleine weitere 30 Millionen Fluggäste aufnehmen wird.
In Tunesien genießen Frauen Freiheiten, die in anderen arabischen Ländern – vor allem im islamisch-konservativen Saudi-Arabien – undenkbar wären. Schleierzwang oder gar Polygamie gehören der Vergangenheit an – während gleichzeitig den zunehmend emanzipierteren Frauen der Weg in das wirtschaftliche Erwerbsleben geöffnet wurde. Etwa ein Viertel aller Tunesierinnen sind inzwischen berufstätig. Frauen stellen rund die Hälfte der Studenten an den Hochschulen und der schulischen Lehrkräfte, etwa 40 % der Staatsbediensteten (darunter auch im polizeilichen Vollzugsdienst) und es gibt rund 5.000 Unternehmerinnen. Die Frauen sind selbstbewusst geworden – und dies stärkt die innere Widerstandskraft der tunesischen Bevölkerung gegen Bevormundung und Ausbeutung, wie sie in extremistischen Bewegungen anzutreffen sind.
Die für nordafrikanische Verhältnisse wohlhabende Mittelschicht des Landes umfasst etwa 2/3 der Bevölkerung, die Armutsquote liegt bei unter 5 %. Rund 80 % der Bevölkerung verfügen über eine eigene Wohnung, über eine Vorsorgeversicherung für Kranken- und Sozialfälle, und diese Mittelklasse kann durch fundamentalistischen Terror nur verlieren – dementsprechend sind islamische Fundamentalisten als politische Kraft weitgehend neutralisiert.
Zwischenzeitlich wurde Tunesien – trotz seiner nicht rosigen Ausgangslage – eines der stabilsten Länder in der Region, das mit einer starken Regierung versehen war, die mit (für eine Demokratie befremdlichen) über 90%igen Schein-Wahlergebnissen bestätigt wurde. Menschenrechtsgruppen sprechen denn auch von einem “politischen Klima der Angst” in Tunesien. Abweichende Meinungen würden sofort und brutal unterdrückt.
Diese „Einparteienherrschaft“ wird auch als „schwache Stelle“ Tunesiens bezeichnet. Auch politische Lockerungen seien nötig, um eine wirtschaftliche und gesellschaftliche Stagnation zu vermeiden und die Wettbewerbsfähigkeit zu sichern.
(FAZ, 11.08.2003:
„DAS MUSTERLÄNDLE DES MAGHREB
– Tunesien ist wirtschaftlich gut entwickelt, doch es mangelt an Demokratie -)
Tatsächlich sieht man immer mehr Frauen, die auf tunesischen Straßen das Kopftuch tragen — die Menschen, die sich politisch nicht betätigen können, suchen neue Orientierungen. Dabei treten radikale Prediger, die über die von Saudi Arabien finanzierten Satellitenkanäle predigen, immer mehr als religiöse Autoritäten auf. So erfasst der konservative Einfluss der Wahabiten, der auch einen Osama Bin Laden und seine Gefolgsleute hervor gebracht hat, zunehmend das einstige arabische Musterland. Die tunesische Regierung kann auf die gesellschaftlichen Probleme des Landes, die wirtschafltiche, politische und soziale Komponenten hat, nur mit Gefängnis und Folter reagieren. Seit 1989 durften sich keine unabhängigen Vereine gründen, die politsiche Opposition war “mundtod” gemacht, es gab keine unabhängigen Medien im Lande.
Bis 2010 saß die Regierung unter Präsident Ben Ali – der 1987 den zunehmend unter Demenz leidenden Präsidenten Bourgiba durch einen „medizinischen Coup“ entmachtete – fest „im Sattel“ und war auf dem Wege, auch in der Dauer der Amtszeit Bourgibas Nachfolge anzutreten.
Umso erstaunter war die Welt, als Anfang April ein Terroranschlag auf eine von Touristen gerne besuchte Synagoge den Traum von Stabilität, Ruhe und Ordnung ins Wanken brachte.
Terroranschläge:
Nach dem Anschlag vom 11. April 2002 auf der Insel Djerba, bei dem 20 Menschen, darunter 14 Deutsche, ihr Leben verloren und etwa 30 zum Teil sehr schwer verletzt wurden unternimmt die tunesische Regierung umfangreiche Anstrengungen, um Touristen vor dem Risiko terroristischer Anschläge zu schützen.
Dennoch hat die tunesische Wirtschaft – die bereits begonnen hatte, die internationalen Auswirkungen der Terroranschläge vom 11. September zu spüren – erhebliche Einschränkungen hinnehmen müssen.
Die westeuropäischen Touristen mieden das Land, das auch noch mit der neuen Konkurrenz der EU-Beitrittskandidaten aus Ost- und Mitteleuropa um Gäste und Urlauber wetteifern musste.
Sicherheitshinweise:
www.auswaertiges-amt.de