Arabien (Einführungsdossier), Felix Arabia

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B. 3) Islam — der gemein­same Glaube der Ara­bis­chen Völk­er:
Um es noch ein­mal deut­lich zu sagen: der Islam ist nicht auf die ara­bis­che Welt beschränkt. Die gesamte türkischsprachige Welt, die Pers­er und deren Sprachver­wandte bis tief nach Indi­en hinein, und auch Südostasiens Malaien (Indone­sien, Malaysia) haben sich zum Islam bekehrt. 
Den­noch — bei wohl keinem anderen Volk hat der Islam eine solche Dynamik entwick­elt wie bei den Arabern. Die Aus­bre­itung des Islam ist mit ara­bis­chen Eroberungszü­gen und der Aus­bre­itung des ara­bis­chen Han­del­snet­zes ein­her gegan­gen, und auch, wenn es — z.B. in Ägypten — noch starke christliche Min­der­heit­en (z.B. Kopten) gibt: Ara­bisch und Islam — das ist eine einzi­gar­tige Sym­biose von Sprache und Reli­gion, die dadurch gefördert wurde, dass der Koran über Jahrhun­derte hin nur in sein­er ara­bis­chen Ursprache ver­bre­it­et wurde. 
Dabei sind die Mus­lime schon lange keine ein­heitliche Glaubens­ge­mein­schaft mehr.

Auf­s­pal­tung des Islam — Schi­iten, Sun­niten …
An dieser Stelle wird es Zeit, über die ver­schiede­nen Strö­mungen des Islam zu bericht­en. Schließlich hat­te Sal­adin als Anhänger der sun­ni­tis­chen Rich­tung des Islam eine schi­itis­che Dynas­tie in Ägypten been­det — als Auswirkung eines inner­is­lamis­chen Rich­tungsstre­ites um die zumin­d­est geistliche Führung in der Nach­folge des Propheten. Die Fatimi­den waren Sieben­er Schi­iten oder Ismaeliten. Sie sahen in Ismael, einem der Söhne des sech­sten Imam ihren Erlöser.Letztendlich standen sich die Nachkom­men Alis, des Schwieder­sohn des Propheten — und damit die Nachkom­men Mohammeds auf der einen Seite und die Nachkom­men Abbas, des Onkels des Propheten, in der Frage der geisti­gen Führerschaft gegenüber. 

Es würde zu weit führen, hier alle islamis­chen Glauben­srich­tun­gen aus­führlich zu erörtern. 
Um aber dem Ein­druck eines fanatisierten Islam etwas ent­ge­gen zu stellen, sollen hier die wichtig­sten islamis­che Glauben­srich­tun­gen genan­nt werden:

a) Sun­niten:
Die abba­sidis­chen Kalifen als religiöse Führer (auch im nominell weit­er­hin beste­hen­den abba­sidis­chen Kali­fat nach der Machtüber­nahme durch die türkischen Seld­schuken) und ihre Wür­den­träger (die Sun­niten) bes­timmten vor allem für die zen­trale ara­bis­che Welt, aber auch für die in Bag­dad herrschen­den türkischen Seld­schuken, welche Teile der vom Propheten hin­ter­lasse­nen religiösen Schrift­stücke als heiliges Buch (Koran) zu gel­ten hat­ten und wie sie zu inter­pretieren seien. Diese Schriften des Koran und die über­liefer­ten Hand­lungsweisen des Propheten (sun­na) bilde­ten nach und nach einen eige­nen islamis­chen Zweig, die Grund­lage ein­er ein­heitlichen sun­ni­tis­chen Glauben­srich­tung. Unter den Abbasi­den ent­stand so der Sun­nis­mus, die Haup­trich­tung des Islam. 
Da sich die Herrschaft der Kalifen aber nicht mehr auf die ganze islamis­che Welt erstreck­te, ent­standen ver­schiedene Abarten, die soge­nan­nten “Rechtss­chulen”, die sich in der Geset­ze­sausle­gung unter­schei­den.
Im Sun­nis­mus regeln vier ver­schiedene Rechtss­chulen das Gesellschafts- und Fam­i­lien­leben: der Han­i­fis­mus, der Malik­ismus, der Schafi­is­mus und der Hanbalismus. 

Der sun­ni­tis­che Islam im türkischen Zen­tralasien fol­gt der hanafi­tis­chen Rechtss­chule. Dieser Zweig des Islam wurde von Abu Han­i­fa (699 — 767) begrün­det. Er zeich­net sich vor allem durch Tol­er­anz und Aufgeschlossen­heit gegenüber anderen Reli­gio­nen aus.

b) Schi­iten:
Mit ihrem Anspruch auf religiös begrün­dete Führerschaft set­zten sich die Abbasi­den zunehmend in Geg­n­er­schaft zu einem anderen Zweig der Fam­i­lie Mohammeds — den Nachkom­men Alis, und damit den Schi­iten. Die Anhänger des Schi­is­mus sind die Ver­fechter ein­er erblichen Nach­folge (Kali­fat) in der Leitung (Ima­mat) der islamis­chen Gesellschaft, die bei den Nachkom­men des Propheten bleiben soll. Vor den Ver­fol­gun­gen durch die Anhänger der abba­sidis­chen Kalifen zogen sich die Anhänger Alis in die Sumpfge­bi­ete südlich Bag­dads und an den Rand­bere­ich der Abba­sidis­chen Herrschafts­ge­bi­ete zurück. Schi­iten leben auch heute noch vor allem im südlichen Irak, dem Libanon, in Bahrein und im Jemen und außer­halb der ara­bis­chen Welt im Iran — und die herrschende Dynas­tie in Marokko leit­et ihren Mach­tanspruch auch aus der Nachkom­men­schaft vom Propheten Mohammed ab.

Zugle­ich mit der entschwinden­den Macht der Kalifen und der poli­tis­chen Selb­ständigkeit von ehe­ma­li­gen Prov­inzen ent­standen auch ver­schiedene lokale Abarten des Islam, vor allem unter den Schi­iten, deren Anhänger die Abbasi­den-Kalifen als “Usurpa­toren” beze­ich­nen. Unter dem Schi­iten gibt es daher auch die meis­ten islamis­chen Glauben­srich­tun­gen. Saiditen, Ismailiten, Ale­viten oder Drusen, um nur einige zu nen­nen.
Das Schi­itis­che Schis­ma ent­stand aus — man möchte sagen — dynas­tis­chen Erb­stre­it­igkeit­en. Eine der Nach­fahren Alis, der Imam Dscha’­far as-Sadiq starb erst fünf Jahre nach seinem ältesten Sohn Isma’il (+ 760), so dass dessen Brud­er Musa al-Kaz­im (+ 799) von der Mehrheit der Schi­iten als Nach­fol­ger anerkan­nt wurde. 

Eine Min­der­heit sah dage­gen Isma’il unwider­ru­flich als Nach­fol­ger bes­timmt, so dass dessen Sohn Mohammed die Nach­folge des Iman hätte antreten müssen. Aus diesen — von den Abbe­sidis­chen Kalifen “in den Unter­grund” ver­drängten — Anhängern Isma’ils und Mohammeds auf das Ima­mat ent­stand wohl zunächst eine “Geheimor­gan­i­sa­tion” im Bere­ich der südi­rakischen Sümpfe, in Chuzis­tan und im süd­west­lichen Iran. Bei den Ismaeliten oder Sieben­er-Schi­iten han­delt es sich dem­nach um eine der Min­der­heits­grup­pierun­gen des Schi­is­mus. Sie sind nach Ismael benan­nt, dem Sohn des sech­sten Imam der Schi­iten, den sie als siebten und let­zten Imam betra­cht­en, der in der Ver­bor­gen­heit lebt, bis er eines Tages wiederkehrt. Ismaeliten beze­ich­nen sich selb­st als eine Sek­te des Islams. 
Eine der ismaelitschen Grup­pen set­zte sich im Osten des Maghreb fest und begrün­dete dort die Dynas­tie der Fatimi­den, die bis zu den Kreuz­zü­gen und der Machtüber­nahme durch “Sul­tan Sal­adin” die Geschicke Ägyptens bes­timmte.
Nach dem Mon­golen­sturm im 13. Jahrhun­dert ver­streute sich die Gemeinde von Nordafri­ka und Nordi­ran bis nach Chi­na und Indi­en. Die Imame resi­dierten bis um 1830 in Per­sien, wo sie vom Schah den Fürsten­ti­tel “Aga Khan” erhiel­ten. 
Die Islamis­ten sind heute vor allem durch “den Aga Khan” — das geistige Ober­haupt der Ismaeliten — aus der “Regen­bo­gen­presse” bekan­nt. Das spir­ituelle Ober­haupt der Ismaeliten, ein­er schi­itis­chen Split­terge­meinde von heute weltweit 17 bis 20 Mil­lio­nen Gläu­bi­gen, ist ein lib­eraler Vor­denker, der selb­st­be­wusst sowohl an seine Har­vard-Erziehung als auch an den Koran anknüpft. Neben­bei ist der Aga Khan ein Lebe­mann und find­i­ger Unternehmer Dieser Mann hat eine Stiftung, mit der er ver­sucht, die Men­schen in der Region mit dem Notwendig­sten zu ver­sor­gen und — sehr effek­tiv — “Hil­fe zur Selb­sthil­fe” zu leis­ten (laut Spiegel das weltweit größte pri­vate Entwick­lung­shil­fe-Net­zw­erk). Der Groß­vater des amtieren­den Imam begann im frühen 20. Jahrhun­dert, die Spenden sein­er Gläu­bi­gen nach­haltig in Uni­ver­sitäten, Schulen und Begabten­förderung zu investieren. 1937 wurde er Präsi­dent des Völker­bun­des und zog von Bom­bay nach Genf, wo heute das AKDN seinen Sitz hat und Karim Aga KhanIV. geboren wurde, der seit 1957 die Geschicke der Ismaeliten lenkt.
Etwas verkürzt aus­ge­drückt, kann man sagen, dass dies vielle­icht die lib­er­al­ste Rich­tung ist, die es im Islam gibt: Man macht aus sein­er religiösen Vorstel­lung kein Dog­ma.
Extern­er Link: DIE ZEIT — Ein Fürst träumt von Afghanistan — (http://ismaili.net)

Die Reli­gion der Drusen, aus der ismaelitis­chen Schia her­vorge­gan­gen, wurde 1010 vom ägyp­tis­chen Sul­tan al-Hakim Biamril­lah (bi Amril­lah) gegrün­det, der verkün­dete, dass Gott in ihm Fleisch gewor­den sei. Im Jahre 1021 fand die Herrschaft al-Hakims ihr Ende, da der Kalif nach Angaben der Drusen in die “Ver­bor­gen­heit” (“Ära der Enthül­lung”) entrückt wurde. Wahrschein­lich wurde er jedoch ermordet. Nach seinem Ver­schwinden schufen zwei extreme schi­itis­che Schrift­gelehrte, Hamza ibn-Ali und Mohammed al-Darazi, ein religiös-theosophis­ches Sys­tem, in dem der Kalif al-Hakim als direk­te Inkar­na­tion Gottes beze­ich­net wurde. Es wird angenom­men, dass der Name Drusen entwed­er von dem Gelehrten Darazi (die ara­bis­che Beze­ich­nung “Druz” bedeutet Anhänger des Darazi) oder von “daraza” (ara­bis­ches Wort für studieren, Studi­um der heili­gen Büch­er) abgeleit­et wird. Der Glaube der Drusen basiert auf der Ismaeli-Tra­di­tion inner­halb des Islam. Der Offizielle Name der Drusen lautet “Din al-Tawhid” (die Reli­gion der göt­tlichen Ein­heit). Den­noch weicht der dru­sis­che Glaube stark vom islamis­chen ab. In ihm mis­chen sich Ele­mente des Pla­ton­is­mus und Neu­pla­ton­is­mus mit denen der islamis­chen Ismaeliten. Für die Drusen ist Mohammed jedoch nicht ihr eigentlich­er Prophet, der Koran nicht die verbindliche Offen­barung. Auch der Glaube an die Selen­wan­derung ist mit dem Islam nicht vere­in­bar, er spielt in den Schriften der Drusen jedoch eine wichtige Rolle. Stirbt ein Men­sch, so tritt seine Seele sofort in einen Neuge­bore­nen über. Die Seele strebt nach Vol­lkom­men­heit, vol­lkommen­er Erken­nt­nis und Wahrheit und wan­dert so lange von Kör­p­er zu Kör­p­er, bis sie dieses Ziel erre­icht hat. Auf der höch­sten Ebene ange­langt, tren­nt sie sich dann vom Kör­p­er und vere­inigt sich mit dem Imam Hamza und mit al-Hakim. Die sieben heili­gen Büch­er der Drusen, al-Hik­ma (die Weisheit), erläutern diesen wichti­gen Punkt der See­len­wan­derung in aller Aus­führlichkeit. Vom offiziellen Islam wur­den die Drusen häu­fig als Abtrün­nige verfolgt. 

Die Entwick­lung im schi­itis­chen Ale­vis­mus wurde stark durch andere Kul­turen, Reli­gio­nen und Philoso­phien bee­in­flußt ( Zarathus­tra, Schaman­is­mus etc..). Das Wort “Ale­vi” bedeutet im Türkischen “Anhänger von Ali”. Nach dem Auf­s­tand der Turkme­nen (mit Unter­stützung ander­er Völk­er) gegen die seld­schuck­ische Zen­tral­macht in Konya und der Nieder­lage (1240) von Baba Ishak, der sich über­wiegend mit alevi­tisch gesin­nten Turkme­nen gegen das seld­schuck­ische Reich auflehnte, verteil­ten sich die über­leben­den Reli­gions­führer in ganz Ana­tolien. Das heutige Ale­vi­ten­tum ent­stand im Zeitraum von 13.–16. Jahrhun­dert in Ana­tolien. Das Ale­vi­ten­tum entwick­elte sich zur ein­er naturv­er- bun­de­nen, tol­er­an­ten, weltof­fe­nen, Beschei­den­heit und Näch­sten­liebe ausstrahlende Kon­fes­sion des Islam. Die Ale­viten lehnen die Schari­at (Geset­zeskodex im ortho­dox­en Islam ) und die Sun­na (Ver­hal­tens­for­men und ‑tech­niken im ortho­dox­en Islam ) ab und treten für Reli­gions­frei­heit, Men­schen-rechte, Gle­ich­berech­ti­gung der Frau in der Gesellschaft und Tren­nung von Staat und Reli­gion (Laizis­mus ), ein.
Die alevi­tisch-türkischen Stämme befan­den sich seit dem Vertre­tungsanspruch des sun­ni­tisch- islamis­chen Kali­fats (1514) im Kon­flikt mit der osman­is­chen Macht. Diese reagierte mehrfach darauf mit Mas­sak­ern und mit der Zwangsan­sied­lun­gen der bis dahin nomadis­chen Stämme und mit der Zwangsvertrei­bung alevi­tis­ch­er Fam­i­lien auf die heuti­gen Dör­fer. Als die türkische Repub­lik 1923 aus­gerufen wurde, unter­stützten die Ale­viten den Laizis­mus und hoffte auf die Gle­ich­stel­lung mit den Sun­niten. Nach der Änderung der Ver­fas­sung im Jahre 1924 wird in der Türkei als eine einzige Staat­sre­li­gion der sun­ni­tis­ch­er Islam im Gesetz ver­ankert und damit der Alevitismus Ver­fas­sungsrechtlich ver­boten. Die Reis­lamisierung der säku­lar­isierten Türkei brachte den Ale­viten ins­beson­dere nach 1950 neue Schwierigkeiten.

Diesen gewach­se­nen human­is­tis­chen islamis­chen Rich­tun­gen ste­ht eine streng fun­da­men­tal­isitsche Sichtweise gegenüber, wie sie vor allem von Bin Laden vertreten wird. Der Chef von al-Qai­da bedi­ent sich bei all seinen Äußerun­gen auss­chließlich religiös­er Bilder. So gibt es zahlre­iche Merk­male, die erlauben, al-Qai­da mit west­lichen Sek­ten zu ver­gle­ichen, zum Beispiel was ihre apoka­lyp­tis­che Ten­denz und ihre tod­brin­gende Dimen­sion bet­rifft.
Als — von den Wahabiten Sau­di Ara­bi­ens (vgl. Teil E Nr. 5.1.) geprägter — Anhänger des salafistis­chen Sun­nis­mus bezieht sich Bin Laden auch nicht auf die uneingeschränk­te Sol­i­dar­ität unter Mus­li­men. Er lässt — ent­ge­gen den Vorschriften des Koran — auch andere Mus­lime ermor­den, und er sucht auch keine Unter­stützung beim iranis­chen Regime, das zwar islamistisch, aber eben schi­itisch ist. Diese neue Form des radikalen Islamis­mus hat ihre Ursache gewiss im Scheit­ern ein­er Rei­he von poli­tis­chen wie ide­ol­o­gis­chen Konzepten: dem Ende der Dritte-Welt-Bewe­gung, dem Zusam­men­bruch des ara­bis­chen Sozial­is­mus, der Aus­sicht­slosigkeit des poli­tis­chen Islam. Eben­so spielt eine Rolle, dass die offiziellen religiösen Autoritäten in der ara­bis­chen Welt durch die jew­eils herrschen­den Regime “nation­al­isiert” wur­den (etwa in Sau­di-Ara­bi­en oder in Ägypten mit der Al-Azhar-Uni­ver­sität). Diese Form der Reli­giosität mün­det in eine apoka­lyp­tis­che Sichtweise, von der das Denken des Al-Qai­da-Führers völ­lig durch­drun­gen ist.

Extern­er Link: 
Grup­pierun­gen und Bewe­gun­gen im Islam — (www.theologie-links.de)