Dieser Artikel wird mit freundlicher Genehmigung der “MarineForum — Zeitschrift für maritime Fragen” veröffentlicht.
Norwegische Marine
Von bärtigen Nordmännern zur Aegis-Fregatte
Von Klaus Mommsen
(Klaus Mommsen ist in der Redaktion des MarineForum verantwortlich für die Berichterstattung zu ausländischen Marinen)
Nach möglichen Wurzeln der norwegischen Marine befragt, denkt man meist spontan an »bärtige Nordmänner«, die vor mehr als 1.000 Jahren mit ihren Drachenbooten aus den Fjorden des unwirtlichen Nordens bis weit nach Süden vorstoßen. Tatsächlich etabliert König Haakon der Gute auch bereits 955 so etwas wie eine Marine. In einem als Leidang bezeichneten »Wehrpflichtsystem« organisieren sich jeweils in den Sommermonaten zahlreiche Boote zu einer Küstenflotte, die zum einen die Heimatgewässer verteidigen soll, zum anderen aber auch selbst zu Raubzügen aufbricht.
Von der Unionsflotte zur NATO-Marine
Eine Marine nach heutigem Verständnis findet sich erst 500 Jahre später. In der Union mit Dänemark stellt König Hans 1509 eine gemeinsame Flotte auf, deren Offiziere und Mannschaften sich überwiegend aus Norwegern rekrutieren. Als gut 300 Jahre später die norwegisch-dänische Union endet, gründet Prinz Christian Frederik am 12. April 1814 eine erste autonome Königliche Norwegische Marine (RNoN), geleitet von einem Marineminister. In der folgenden Union mit Schweden behält Norwegen diese eigenständige Marine, verstärkt sie Ende des 19. Jahrhunderts sogar noch – um die Unabhängigkeit nach der sich abzeichnenden Trennung von Schweden (1905) zu verteidigen. So lässt man u.a. in England die Panzerschiffe EIDSVOLL und NORGE bauen. Die Schiffe werden vor Norwegen als »Küstenschutzschiffe« eingesetzt. Über die eigenen Küsten hinaus gehende Ambitionen hat man kaum.
Im Ersten Weltkrieg kann Norwegen noch Neutralität wahren, auch wenn die Marine sich schwer tut, diese gegen ständige Angriffe deutscher U‑Boote und Hilfskreuzer auf norwegische Handelsschiffe zu verteidigen. Im Zweiten Weltkrieg steht das Land dann aber auf verlorenem Posten. Für die RNoN beginnt der Krieg am 8. April 1940 mit dem Angriff eines deutschen Torpedobootes auf ein Küstenwachschiff. Heroisch stellen sich die zwei inzwischen mehr als 40 Jahre alten Panzerschiffe den Deutschen vor Narvik in den Weg – und werden versenkt. Küstenstellungen der Marine können im Oslofjord die deutschen Invasoren zwar noch hinhalten und am 9. April 1940 sogar den Kreuzer BLÜCHER versenken, die Besetzung Norwegens letztendlich aber nur um einige Tage verzögern.
Die königliche Familie flieht nach Großbritannien. 13 Einheiten der Marine können ihr ins Exil folgen und von hier den Kampf gegen die Deutschen fortsetzen, nehmen auch an der Landung der Alliierten in der Normandie teil. Als der Krieg endet, kehrt die »Exilmarine« in die Heimat zurück. Ihre Fahrzeuge, in norwegischen Häfen zurückgelassene Schiffe und Boote unterschiedlichster Typen und Klassen sowie einige übernommene britische und deutsche Einheiten bilden den Grundstock für die norwegische Nachkriegsmarine.
Die Erfahrungen des Zweiten Weltkrieges zeigen, dass Neutralität keine Garantie für die Wahrung der Souveränität sein kann. Zunächst sucht man Sicherheit in einer Skandinavischen Verteidigungsunion, aber diese kommt nicht zustande. Nur wenige Jahre nach Kriegsende intensiviert sich der Ost-West Konflikt, mündet in den Kalten Krieg. Zunehmend aggressivere Töne aus Moskau lassen erahnen, dass norwegischem Territorium im strategischen Konzept der Sowjetunion – als Sprungbrett von der Kola-Halbinsel in den Atlantik – eine wesentliche Rolle zukommt. »Finnlandisierung« kommt für die Norweger nicht in Frage, und die Entscheidung für einen Beitritt zur NATO (1949) ist schließlich nur logischer Schritt.
Dennoch bleibt man um ein nachbarschaftliches Verhältnis zum mächtigen Nachbarn Sowjetunion bemüht, macht auch einige Zugeständnisse. So dürfen ausländische Kriegsschiffe nicht permanent in norwegischen Häfen stationiert werden; es gibt keine NATO-Übungen in den nördlichsten Landesteilen östlich des 15. Längengrades, und Schiffe mit Kernwaffen an Bord dürfen Norwegen in Friedenszeiten nicht anlaufen.
Im Atlantischen Bündnis kommen Norwegen sofort Schlüsselfunktionen an der europäischen Nordflanke zu. Dabei ist klar, dass sich der Bündnisbeitrag nicht auf bloße Bereitstellung von Infrastruktur für die neuen Partner beschränken kann, sondern kollektive Verteidigung auch das Einbringen eigener Streitkräfte in die Allianz fordert. Vor allem von der Marine erwarten die NATO-Partner, dass sie die Flotten der Partner ergänzt. Den operativen Bedingungen an der zergliederten norwegischen Küste optimal angepasste Einheiten – vor allem kleine, schnelle Boote und Minenabwehrfahrzeuge – sollen helfen, auf den transatlantischen Nachschub zielende Vorstöße der sowjetischen Nordflotte zu unterbinden und daneben durch Wahrung der territorialen Integrität Norwegens dem Bündnis eine (infrastrukturelle) Basis für Operationen bis in die arktischen Räume schaffen und erhalten.
Neben der Flotte mit ihren Fregatten, Schnellbooten und Minensuchern sind auch eine Küstenwache und die Küstenartillerie Teil der neuen NATO-Marine. Letztere gehört in Norwegen schon traditionell zu den Marinestreitkräften. Die personell und materiell auf strategische Küstenabschnitte konzentrierte, mit kleinen Kampfbooten hochmobile Truppe soll (amphibische) Angreifer zwingen, entweder an strategisch unbedeutenden Punkten zu landen oder hohe Verluste in Kauf zu nehmen.
Zum Zeitpunkt des NATO-Beitritts sind nur wenige der nach dem Krieg übernommenen Schiffe und Boote noch wirklich geeignet, den geforderten Bündnisbeitrag zu erbringen. So manche Einheit wird ja auch nicht ohne Grund bei Kriegsende in einem norwegischen Hafen zurückgelassen; die meisten Fahrzeuge stehen kurz vor dem Ende ihrer Nutzbarkeit. Vor allem die USA helfen der neuen NATO-Marine, liefern schon Anfang der 50er Jahre eine Reihe von Motortorpedobooten und Minensuchern. Angesichts der sehr begrenzten eigenen Mittel – das Ölzeitalter hat für Norwegen noch nicht begonnen – wird die Hilfe natürlich begrüßt, aber schnell ist man auch bemüht, die Marinerüstung auf eigene Füße zu stellen. In einem ersten Nachkriegsprogramm werden in Mandal sechs kleine Schnellboote der RAPP-Klasse gebaut.