Westafrikas Königreiche vor der Kolonialisierung:
Die Staaten der Sahel-Zone:
Die Gebiete südlich der Sahara waren über Jahrhunderte hin von einheimischen Königreichen beherrscht.
Tekrur am unteren Senegal, Ghana zwischen Niger und Sengal, Songhay um Gao am Niger und Kanem nödlich des Tschad-Sees waren schon im 9. Jahrhundert und bis etwa 1200 die Endpunkte von Karawanenwegen, die einen intensiven Handelsaustausch zwischen Mittelmeer und den westafrikanischen Königreichen ermöglichten.
Jahrhunderte nach dem Siegeszug der Araber im Maghreb wurden diese Königreiche im 11. Jahrhundert islamisiert und (Timbuktu) zum Sitz einiger der ältesten islamischen Universitäten auf afrikanischem Boden.
Der älteste dieser Staaten war Ghana. Er entstand im 5. Jahrhundert n. Chr. im Gebiet des heutigen südöstlichen Mauretanien. Im 11. Jahrhundert machten die ghanaischen Armeen, die mit Eisenwaffen ausgerüstet waren, Ghana zum Beherrscher der Handelswege, die sich vom Gebiet des heutigen Marokko im Norden nach Süden bis in die Küstenwälder Westafrikas erstreckten. Berbernomaden der Sanhaja-Konföderation (im Inneren des heutigen Mauretanien) bildeten das Hauptbindeglied zwischen Ghana und dem Norden. Gegen Ende des 11. Jahrhunderts wurde Ghana von den Almoraviden, einer von Sanhaja-Berbern gegründeten, kriegerischen Glaubensbewegung, besiegt. Dadurch erlangten die Soso, ein Volk aus dem Fouta Djalon und frühere Vasallen Ganas, die Macht in diesem Gebiet. Sie wiederum wurden um das Jahr 1240 vom Volk von Mali erobert.
Mali wurde im 11. Jahrhundert von den Malinke gegründet. Mitte des 13. Jahrhunderts wurde das Staatsgebiet vom damaligen Herrscher Sundiata vergrößert. Seinen Höhepunkt erreichte Mali unter König Mansa Musa im 14. Jahrhundert. Das Königreich Mali erstreckte sich zwischen Gao und der Atlantik-.Küste, umfasste auch die Gebiete von Tekrur und Ghana und beherrschte damit Westafrika mit Ausnahme der südlichen Küsten und das gesamte Flußgebiet des Sambesi und des Niger Ober- und Mittellaufes. Das Reich zog seinen Reichtum aus mehreren Goldfeldern, aber auch aus der Versklavung verfeindeter Stämme, deren Angehörige an die arabischen Nachbarn im Norden verkauft wurden.
Songhai entstand schon im 9. Jahrhundert, erreichte seine größte Ausdehnung aber im 15.Jahrhundert. Unter der Regentschaft von Askia Mohammed wurde Timbuktu zum Zentrum islamischer Gelehrsamkeit im Sudan. Von diesem Reichtum angezogen, eroberten die Armeen des Al-Mansur aus Marokko im Jahr 1591 Gao, die Hauptstadt Songhais. Nach dem Zusammenbruch Songhais versuchten eine Reihe kleiner Königreiche — Macina (s.u. — Fulbe), Gonja, Ségou und Kaarta -, den Westsudan zu beherrschen, doch führte dies nur zu ständigen Konflikten und zum wirtschaftlichen Niedergang der Region.
Im 19. Jahrhundert blühten noch einmal die Bambara-Königreiche im Kaarta und in Ségou sowie das Peul-Reich von Macina auf, bevor am Ende dieses Jahrhunderts Frankreich das gesamte Gebiet beherrschte.
Die Vorstöße Marokkos waren nicht die einzigen Angriffe, deren sich diese Königreiche erwehren mussten:
Für das heutige Nigeria ist die Geschichte der nördlichen islamischen Emiratsstaaten von großer Relevanz, da ihre Strukturen von den britischen Kolonialherren später auch im Rahmen der “indirect rule” für ihre eigene Machtausübung benutzt worden sind.
Östlich von Songhai entstanden zwischen dem Niger und dem Tschadsee schon vor dem 10. Jahrhundert die Hausa-(Haussa-)Stadtstaaten (Biram, Daura, Katsina, Zaria, Kano, Rano und Gobir) und das Reich Kanem-Bornu.
Das Reich Kanem-Bornu bestand im 8. Jahrhundert aus lose zusammengefügten Staaten nördlich und östlich des Tschadsees. Zunächst herrschten dort die Zaghawa, Angehörige eines Nomadenvolkes, die im folgenden von den Saifawa abgelöst wurden, die von etwa 800 über 1000 Jahre hin regierten. Die neuen Herrscher bekannten sich etwa ab dem 11. Jahrhundert zum Islam, von wo sich der Islam im 13./14. Jahrhundert auf die Haussa-Staaten ausbreitete.
Gegen Ende des 14. Jahrhunderts zogen sie in die Bornu-Region, das ältere Kanem-Gebiet fiel an das Volk der Bulala aus dem Süden.
Ein weiterer “Dauerrivale” des Reiches von Songhai war im Südwesten das Reich der Mossi, deren Wanderung wohl durch den Druck von Kanem-Bornu ausgelöst worden war.
Nach mündlichen Überlieferungen drangen etwa um Mitte des 13. Jh. eine Gruppe von nichtislamischen Reiterkriegern, die Mossi, die ursprünglich aus dem Haussaland und dem Norden Kameruns stammten, aus dem Osten über den Niger in das Gebiet des nördlichen Ghana ein und von dort nach Norden bis zum zentralen Nigerbogen vor. Um das 14. Jh. entstand dort die ersten Mossi Reich, das allerdings dem Druck des erstarkenden Songhai-Reiches nicht gewachsen war. Im 15. Jahrhundert eroberten die Mossi das Flußgebiet des Weißen Volta in Burkina Faso. Wogodogo, heute Ouagadougou, wurde zum Zentrum ihrer Macht , danach entstanden noch weniger starke Königreiche wie Tenkodogo und Yatenga. 1896 wurde das Gebiet von Frankreich erobert.
Um die Mitte des 16. Jahrhunderts wanderten die Fulbe, ein nomadisches Hirtenvolk, langsam aus der Futa-Toro-Region im Senegal nach Osten und bekehrten dort viele Menschen zum Islam. Die Fulani (Ful, Fulbe) wurden vor allem am Anfang des 18. Jahrhunderts zu verfechtern einer radikalen Islamisierung.
Die Fulbe — ein im gesamten westafrikanischen Gebiet zwischen Mauretanien, Guinea und dem Tschad und Kamerun zu findendes Nomadenvolk, deren Sprache (Fulbe) sich zu einer “Interlingua” in Westafrika entwickelte — beherrschten selbst mehrere Staaten im Ghana und dem Senegal.
In den Hausa-Staaten führte ein muslimischer Gelehrter einen religiös begründeten Aufstand der Fulbe an, die zwischen 1804 und 1810 die Hausa-Staaten besiegten und neue Herrscherhäuser bildeten. Die Fulbe beherrschten um 1830 ein Reich, das sich über die gesamte Nordhälfte des heutigen Nigeria und den größten Teil Nordkameruns erstreckte und von Sokoto (Kalifat von Sokoto) aus verwaltet wurde.
Der Versuch, in Bornu einzudringen, scheiterte.
Ein weiterer theokratischer Staat wurde in Macina im Jahr 1818 von Seku Ahmadu, einem Fulbe, gegründet. Während seiner Herrschaft entstand ein Reich, das die gesamte Region am Niger von Djenne bis Timbuktu umfasste. Nach seinem Tod im Jahr 1844 übernahm sein Sohn die Macht, die 1862 an einen anderen muslimischen Reformer, Al-Hajj Umar, fiel. Er gründete vor seinem Tod im Jahr 1864 das riesige Reich Tukolor in der Region Senegambien.
Küstenreiche am Golf von Guinea:
Ab dem 15. Jahrhundert, als die westafrikanischen Gesellschaften durch den vordringenden Islam und Angriffe aus dem marokkanischen Norden erschüttert wurden, faßten europäische Kolonialmächte an den Küsten Fuß — und hier wiederholte sich das Drama des Sklavenhandels mit umgekehrtem Vorzeichen:
die Küstenstämme, die unter den Übergriffen aus dem Landesinneren gelitten hatten, zogen nun selbst aus und verhökerten die Angehörigen der Stämme und Völker des Binnenlandes als Sklaven an die Europäer. Dieser Menschenraub war so erfolgreich, dass ein Teil der afrikanischen Küste den Namen “Sklaven-Küste” erhielt. Die Küstenkönigreiche waren aktive Partner der Europäer im Sklavenhandel und die Beschaffung von Sklaven wuchs für sie zu einem wichtigen Wirtschaftszweig heran.
Die Temne wandern vor dem 15. Jahrhundert aus dem Fouta Djalon (im heutigen Guinea) ins Gebiet des späteren Sierra Leone ein. Das Volk besteht aus 25 Clans und erhält Mitte des 16. Jahrhunderts politische Gestalt. Es entwickelt sich ein umfangreicher Sklavenhandel zwischen den Engländern und den Temne.
Eines weiteres dieser Königreiche war das Königreich Abomey (später Dahomey), das heutige Benin, das 1570 erstmals urkundlich in einer Karte dargestellt wurde. Dahomey war berühmt wegen seiner straffen militärischen Organisation und wegen seines berüchtigten Amazonenheeres.
Afrikanische Königreiche im Süden Nigerias:
Vor Ankunft der Briten waren im Südwesten Nigerias vor allem die Königreiche Benin und Oyo von großer Relevanz, ersteres wird nicht zu Unrecht in der Literatur auch als Imperium bezeichnet.
Benin — überwiegend im heutigen Nigeria gelegen — war vom 13. bis zum 19. Jahrhundert ein unabhängiges Königreich der Edo, dessen erste Anfänge — als “Ableger” von Ife bis ins 10. Jahrhundert zurückgehen.
Ab etwa 1500 entwickelte sich Stadt Benin zum Zentrum des portugiesischen Sklavenhandels, an dem sich auch die Yoruba-Staaten maßgeblich beteiligen. (In den nächsten 350 Jahren verkaufen die an der Küste lebenden Stämme den Europäern für ihre Kolonien in Amerika zwischen zehn und fünfzehn Millionen Sklaven aus dem Hinterland.)
Die Yoruba sind schon seit etwa einem Jahrtausend im Südwesten Nigerias im Bundesstaat Oyo, sowie in Benin und Togo ansässig. Das Volk umfasst über 20 Millionen Menschen. Die Siedlungen der Yoruba beherbergten in den glanzvollen Zeiten ihrer kulturellen Blüte (14. Jahrhundert) bereits bis zu 100.000 Einwohner. Traditionell stand diesen Yorubastadten ein König, vor, der sich als sakraler Herrscher auf göttliche Abstammung berief.
Eine der ältesten Städte der Yoruba ist die Stadt Ife. Die Yoruba nehmen an, dass die Stadt der Geburtsplatz der Menschheit ist und betrachten Ife deshalb als heilige Stadt, in der sich der Sitz des geistlichen Oberhauptes der Yoruba (Oni) befindet. Archäologische Funde belegen, dass die Stadt bereits damals ein wichtiges Handelszentrum mit Metall verarbeitenden Industrien gewesen ist. Seit dem 13. Jh. sind herausragende Schnitz- und Bronzearbeiten belegt. Die Stadtstaaten bildeten Städteföderationen, unter denen vor allem Oyo und Ife im 11./12. Jahrhundert zu überregionaler Bedeutung aufstiegen.
Im 17. Jahrhundert gründeten die Yoruba in der Region zwischen dem heutigen Benin und dem Fluss Niger das Königreich Oyo. Die Geschichte Oyos, das vor Beginn der Kolonialisierung bereits nach einem Angriff der islamischen Fulbe in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in viele rivalisierende Stadtstaaten zerfiel, ist für das heutige politische Selbstverständnis der Yoruba in Nigeria von großer Bedeutung.
Im Südosten des heutigen Nigeria entstanden zeitgleich mit den Staaten der Yoruaba die Königreiche der Ibibio und der Igbo (Ibo), in einer Gegend, die man Alaigbo nennt. Der Name Igbo steht sowohl für die Sprache sowie auch für die Menschen. Da die Europäer keinen Unterschied zwischen den beiden Lauten “gb” und “b” heraushören konnten, wurde der Name der Sprache nun “Ibo” geschrieben. Bevor die Briten eintrafen, gab es auf dem Gebiet Biafras zahlreiche kleine Staaten des Ibo-Volkes. Das Ibo-Volk ist im 19. Jahrhundert überwiegend zu Christen missioniert worden. 1898 mußten sich die Ibo-Staaten dem Protektorat Großbrianniens unterwerfen.