Heutige Probleme:
Während also eine protektionistische Handelspolitik die wirtschaftliche Entwicklung der Maghreb-Staaten behindert gewährt die EU gleichzeitig großzügig finanzielle Zuwendungen, von 1978 bis 1996 etwa 1,7 Milliarden Euro aus EU-Haushaltmitteln. Dazu kommen weitere 2 Milliarden Euro Kredite, die von der Europäischen Investitionsbank zur Sanierung und Liberalisierung der Maghreb-Wirtschaft gewährt werden. Damit wird aber vor allem die Konzentration von landwirtschaftlichen Großbetrieben gefördert und unterstützt – was zur Destabilisierung der Landwirtschaft führt, die bisher den größten Teil der Bevölkerung ernährt hat, und damit zur Landflucht und zum Anwachsen der Stadtbevölkerung beiträgt. Dieses „Stadtproletariat“ findet – trotz guter Ausbildung bis hin zu Universitätsabschlüssen – keine Arbeitsplätze.
Der nur in Ansätzen vorhandene industrielle Sektor, der durch die Handelspolitik der EU in seiner Entwicklung behindert wird, ist nicht in der Lage, die zunehmende Stadtbevölkerung aufzunehmen. Die Arbeitslosigkeit aller Maghreb-Staaten soll – so haben Experten berechnet – im Durchschnitt etwa 25 % betragen, wobei vor allem die Jugendlichen (mit einer Arbeitslosenquote von etwa 60 %) betroffen sind – und dementsprechend radikalisiert werden.
Da die Versuche einer Industrialisierung nach „sozialistischen Muster“ gescheitert sind bemüht sich die Regierung Algeriens um die Privatisierung von Schlüsselbereichen der Wirtschaft vorsehen, wie z.B. der Energie oder des Bergbaus. Diese Umstrukturierung kann nicht ohne Folgen bleiben – unwirtschaftlich arbeitende Betriebe müssen rationalisiert oder geschlossen werden. Hieraus entwickelte sich ein regelrechter „Klassenkampf“ zwischen Arbeiterschaft und Regierung. Die Gewerkschaft UGTA organisierte mehrfach Massenproteste mit UGTA-Transparenten wie: “Nein zum Ausverkauf”, “Nein zu den Privatisierungen”, “Nein zur Liquidierung”. Millionen ArbeitnehmerInnen in Algerien folgten 1988 dem Aufruf der UGTA und traten in den Streik. Im Süden streikten die Ölarbeiter massenhaft. Die Schwerindustrie stand still: Bergbau, Metall- und Stahlindustrie. Die Textil- und Agrarindustrie sowie der öffentliche Dienst (v.a. Finanzämter) waren ebenfalls an der Bewegung beteiligt. Nach Presseangaben betrug die Streikbeteiligung 82%! Ein ganzes Land war im Ausstand. Darauf reagierten die Machthaber mit der Verhaftung Tausender. Zum schrecklichen Bürgerkrieg kam es schließlich, als sich die algerische Regierung weigerte, den Sieg der Islamischen Heilsfront (FIS) bei der Parlamentswahl von 1992 anzuerkennen.
Dazu kamen 2001 und 2002 massive Proteste der Berber oder Kabylen, die sich von der arabischen Regierung unterdrückt sehen. Im Klima solcher Massenproteste können keine wirtschaftlichen Investitionen gedeihen. Die algerische Wirtschaft leidet an Korruption, fehlendem Unternehmergeist und dem Widerstand der Arbeiterschaft.
Migration nach Europa:
Ein Ausgleich und damit zugleich weiterer großer „Wirtschaftsfaktor“ und Devisenbringer sind die Gastarbeiter, die vor allem aus Algerien in das alte Kolonialland — nach Frankreich — kommen. Der Exodus der Algerienfranzosen nach dem verlorenen Kolonialkrieg hat sich fast nahtlos in ein Ventil des überlasteten Arbeitsmarktes umgewandelt. Nach Kenntnis der OECD (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) leben bereits heute rund 4,5 Millionen Maghreb-Bürger legal in der EU.
Darüber hinaus wird vor allem über die Meerenge von Gibraltar die illegale Überwindung der Schengener Außengrenzen versucht. Jede Nacht startet eine Flottille von kleinen Schiffen bis hin zu Schlauchbooten, um quer durch die stark befahrene Schifffahrtsstraße und gegen hohe Bug- und Heckwellen sowie eine gefährliche Strömung das „gelobte Land“ zu erreichen.
Die spanische Küstenwache versucht, den Strom zu unterbinden. Inzwischen ist auch die Bundesmarine – vorgeblich zum Schutz vor Terroristen – mit ständigen Patrouillen im Seegebiet aktiv. Dennoch gehören Schiffbrüchige, die an die Küsten Spaniens gespült werden, zu den fast schon täglichen Meldungen der lokalen Presse.
Illegale Emigration nach Europa, die Entführung von Sahara-Touristen – das sind wohl Auswirkungen einer zunehmend prekärer werdenden Wirtschaftslage, die sich wohl auch in einer Stärkung islamischer Fundamentalisten auswirken.
Terrorismus und Destabilisierung
Fünf Jahre nach den Anschlägen von Casablanca (Mai 2003), drei Jahre nach den Zugattentaten vom 11. März 2004 in Madrid (die Haupttäter kamen aus Marokko und Algerien) und zwei Jahre nach den Anschlägen von London erschütterten im März und April 2007 nahezu zeitgleich Bombenanschläge in Algerien und Marokko, in Algier und Casablanca (11. März), die Öffentlichkeit. Dabei gewann der Terror eine neue Qualität: während (mit Ausnahme von 1995 und 1996) die algerischen Islamisten keine Selbstmordattentate verübten wurden gleich drei Attentäter — alles Algerier — mit dieser Spezialität des Al Quaida-Terrors aus dem Irak aktiv. Nach den Afghanen — den algerischen Rückkehrern aus dem Kampf gegen die sowjetische Invasion — werden jetzt zunehmend Rückkehrer aus dem Irak zu einem Sicherheitsproblem in den Maghreb-Ländern. Ausgebildet und trainiert von Terror-Gruppen wie der Al Quaida wird der Terror um die “Befreiung der islamischen
Erde von Jerusalem bis nach Al Andalus” immer weiter nach Westen getragen.
Tatsächlich kooperieren die Islamisten der nordafrikanischen Staaten inzwischen wesentlich besser untereinander als das die jeweiligen Regierungen machen. Im September 2006 erklärte sich die algerische “Salafistische Gruppe für Predigt und Kampf” (GSPC) als “Al Quaida im islamischen Maghreb” und sucht seither zunehmend die Auseinandersetzung mit den Regierungen von Algerien, Marokko und Tunesien. So wurden die in Algerien ausgebildeten Kommandos zu Beginn des Jahres 2007 in gewaltsame Zusammenstöße in Tunesien verwickelt. Die Organisation kooperiert seitdem auch zunehmend mit der Gruppe “Marokkanische Gruppe islamischer Kämpfer” (GICM).
Bei den rekrutierten “Kämpfern” handelt es sich oft um junge, arbeitslose ‑Männer, ohne ausreichende Schulbildung, die aus den Elendsvierteln der Großstädte in eine hoffnungslose Zukunft entlassen werden. Ein erfolgreicher Kampf gegen den Terror muss diese Keimzelle austrocknen, er muss der Jugend des Maghreb eine reale Lebensperspektive eröffnen.
Die Maghreb-Staaten spielen für die Europäische Wirtschaft mit einem Handelsanteil von knapp 3 % des gesamten europäischen Handelsvolumens nur eine geringe Rolle, während die EU für diese Staaten der wichtigste Außenhandelspartner ist.
Es wäre zu fragen, ob etwas weniger Protektionismus der EU gegenüber der Maghreb-Union, etwas mehr faire und effektive Wirtschaftsförderung nicht mittel- und langfristig für den Europäischen Nachbarn kostengünstiger wäre, als ein zunehmend destabilisierter Krisenherd an der Südküste des Mittelmeeres, und damit einhergehend der Zwang, sich mit zunehmend teureren militärischen Mitteln abzuschotten.
Allerdings ist auch der Handel der arabischen Staaten untereinander nur sehr gering ausgeprägt. Die wirtschaftliche Integration würde ein erhebliches “mehr” zur Stabilisierung beitragen als jede Initiatiove aus den christlichen Ländern. Derzeit bieten diesbezüglich lediglich die reichen arabischen Ölländer “Grund zur Hoffnung”. Deren Investitionen tragen zu einem nicht unerheblichen Teil zum Wirtschaftswachstum bei.
Externe Links:
Monatsberichte zum Maghreb (pdf) — (www.hss.de)