Dieser Artikel wird mit freundlicher Genehmigung der “MarineForum — Zeitschrift für maritime Fragen” veröffentlicht.
Von Sidney E. Dean
Das amerikanische Experimentalboot STILETTO absolvierte in diesem Sommer seinen zweiten realen Einsatz in der Karibik. Primäraufgabe der aus Army, Navy und Coast Guard Personal bestehenden Mannschaft war die Bekämpfung des Drogenhandels.
Bereits im Sommer 2008 war STILETTO zehn Wochen lang im Großraum Kolumbien und Karibik eingesetzt, um die Eignung des Boots für den Anti-Drogeneinsatz zu testen. An Bord: neun Army Soldaten sowie ein auf das Entern schmuggelverdächtiger Schiffe spezialisiertes sechsköpfiges »Law Enforcement Detachment« (LEDet) der Coast Guard. Die Army Soldaten waren Logistiker mit Erfahrung in der Führung von Transportbooten. Der Übergang zum STILETTO erforderte – trotz der unterschiedlichen Konfiguration und der höheren Geschwindigkeit des neuen Bootes – nur einen dreiwöchigen Orientierungskurs, ehe die Crew von Norfolk (Virginia) Richtung Süden in See stach.
STILETTO (Foto: US Navy) |
Die Übungen mit den Sicherheitskräften Kolumbiens und anderen Behörden verliefen zur vollen Zufriedenheit. Auf der Rückfahrt im August 2008 geschah das Unerwartete: Vor der Küste Floridas wurden drei verdächtige Rennboote gesichtet, die sofort flüchteten. STILETTO nahm die Verfolgung eines der Boote auf. Nach einer zweistündigen Jagd flüchteten die Schmuggler in nur 80 Zentimeter tiefes Wasser zwischen Sandbänken und Riffen – wohin das Militärboot dank eines extrem geringen Tiefgangs prompt folgte und dem Schmuggler die Flucht abschnitt. Das an Bord befindliche LEDet nahm die Schmuggler fest und beschlagnahmte 800 Kilo Kokain.
Dieser Erfolg war möglich, weil STILETTO gezielt für Hochgeschwindigkeitseinsätze in den Littoralgewässern entwickelt wurde. Die vier Caterpillar C32 Motoren (je 1.232 Kw Leistung) bringen das Boot auf über 55 Knoten Maximalgeschwindigkeit; die Reisegeschwindigkeit von 40 Knoten ist noch bei Seegangsstärke 4 möglich. Der Tiefgang beträgt nur 0,75 Meter. Wasserstrahlantrieb kann wahlweise montiert werden, um das Auffahren auf den Strand zu ermöglichen.
Von dem flachen Oberdeck aus können UAV starten und landen. RHIB-Schnellboote der 11-Meter-Klasse sowie unbemannte Über- und Unterwasserfahrzeuge können intern geführt und über die Heckrampe ausgesetzt und geborgen werden. Das Aussetzen des voll besetzten RHIBs dauert nur 60 Sekunden und kann noch bei Seegangsstärke 4 erfolgen.
Äußerlich macht STILETTO seinem Namen wenig Ehre; die Besatzung bezeichnet das viereckige aber wendige Boot informell als »Fledermaus«.Mit 27 Meter Länge,12 Meter Breite und 5,6 Meter Höhe über Wasser ist STILETTO das größte Boot des US-Militärs, das vollständig aus Kohleverbundfasern und Epoxidharz gefertigt ist – diese Zusammensetzung bewirkt eine starke strukturelle Integrität bei gleichzeitiger Gewichtsminimierung (Leergewicht: 45 Tonnen). Allerdings ist der Rumpf weder radarabweisend noch kugelsicher. In dem 200 qm großen internen Laderaum des Schnellbootes können bis zu 20 Tonnen Nutzlasten untergebracht werden. Bei voller Beladung beträgt die Reichweite auch bei hoher Geschwindigkeit 500 Seemeilen.
Hochseetauglich ist das für Littoralgewässer ausgerichtete Boot allerdings nicht. Es gibt weder Kabinen noch Kombüse noch Frischwasseraufbereitung. Für die Fernverlegung kann STILETTO durch eine Frachtwinde auf das Deck eines Transportschiffes gehievt werden. Die Verlegungen nach Südamerika erfolgten hingegen unter eigener Kraft in 400 Meilen Tagesetappen entlang der Küste bzw. von Insel zu Insel.
Vielseitiges Konzeptfahrzeug
Gerade weil es auf die Anforderungen der Spezialkräfte ausgerichtet ist, besitzt das Boot ein breit gefächertes potenzielles Einsatzspektrum. Es ist im Grunde eine flexible Transportplattform, auf der – je nach den Einsatzanforderungen – Sensoren oder Waffen montiert bzw. Personal oder Fracht aufgenommen und schnell ans Ziel gebracht werden. Verschiedene Aufgaben wurden seit dem Stapellauf im Januar 2006 erfolgreich erprobt: u.a. Infiltration von SEAL-Kommandos, verdeckte Aufklärung, SAR und Minenräumeinsatz. Während der Trident Warrior Übungen 2006 und 2007 fungierte STILETTO sogar als Führungsschiff mit einem 40-köpfigen Stab an Bord (die »Normalbelegung « STILETTO besteht aus einer dreiköpfigen Crew sowie 12 Kommandosoldaten samt Ausrüstung).
STILETTO ist allerdings kein Prototyp im herkömmlichen Sinn, sondern eine Testplattform für Technologie und neue Einsatzkonzepte, insbesondere für irreguläre und asymmetrische Kriegsführung in den sogenannten »braunen Gewässern«, d.h. in den Littoralgewässern inklusive Brandungszonen und Flüssen. Das Boot gehört nicht zum Inventar der Navy; es ist direkt dem TSK-gemeinsamen Rapid Reaction Technology Office (RRTO) – einer mit Konzeptentwicklung und ‑erprobung beauftragten Dienststelle des Pentagons – zugeteilt.
Auf der Webseite der Dienststelle heißt es: RRTO »sponsert [auf STILETTO] Einsatzexperimente, um den militärischen Nutzen verschiedener Kombinationen von Konzepttechnologien zu erproben; ferner wird der militärische Nutzen der einzigartigen Fähigkeiten erprobt, die aus STILETTO Rumpfform, Geschwindigkeit, Heckwelle, Tiefgang, Konfigurationsflexibilität, Nutzlastquotienten, C4I Vernetzung und anderen Eigenschaften erwachsen. Indem wir der Industrie Gelegenheit geben, Hardware und Software an den ›elektronischen Kiel‹ anzuschließen, unterstützt und beschleunigt STILETTO die Entwicklung von Ausrüstung, Technologien und Konzepten, die anderen [militärischen] Teilbereichen auf den Gebieten C4I, Einsatzführung, Lagekenntnis, Networking und Einsatz von unbemannten Fahrzeugen zugute kommen.«