Dieser Artikel wird mit freundlicher Genehmigung der “MarineForum — Zeitschrift für maritime Fragen” veröffentlicht.
US-NAVY UND ARMY BESCHAFFEN GEMEINSAM SCHNELLE TRANSPORTKATAMARANE
Von Sidney E. Dean
(Sidney E. Dean berichtet für das MarineForum regelmäßig zu Ereignissen und Entwicklungen in den USA)
Die US-Navy und die US-Army wollen vorerst zehn schnelle taktische Transportschiffe gemeinsam beschaffen. Die Beschaffungsentscheidung für das Joint High Speed Vehicle (JHSV) Programm fiel im November 2008. Den Zuschlag erhielt Austal USA, amerikanische Tochterfirma des australischen Schiffsbauers Austal.
JHSV soll Truppen, Fahrzeuge, Ausrüstung und Nachschub innerhalb einer Einsatzregion verlegen. Es soll für ein breites Spektrum der Einsätze verwendet werden, darunter:
- Transport von Truppen und Ausrüstung unter Kriegsbedingungen;
- Friedenszeitliche Logistikaufgaben;
- Humanitäre Einsätze und Katastrophenhilfe;
- Unterstützung von Spezialkräften.
JHSV ist vor allem auf die Anforderungen der irregulären Kriegsführung sowie der Partnerschaftspflege in Regionen mit unterentwickelter Infrastruktur ausgerichtet. Seit Beginn der weltweiten Terrorbekämpfungseinsätze wächst die Bedeutung kleiner, schnell reagierender Eingreiftruppen, die weltweit in entfernten Gegenden zum Einsatz kommen, erklärt Robert Work vom pentagonnahen Forschungsinstitut Center for Strategic and Budgetary Assessments. JHSV ergänzt diese Truppen perfekt, sagt der Marinespezialist Work. Es kann einerseits Kampftruppen und Ausrüstung befördern; anderseits kann es im Rahmen der Partnerschafts- und Ausbildungsprogramme mit örtlichen Sicherheitskräften in der Dritten Welt eingesetzt werden. Auch im Rahmen der Piratenbekämpfung könnte JHSV sinnvoll als schnelles Transportschiff für Einsatzkräfte sowie als schwimmende Einsatzzentrale Verwendung finden. »JHSV kann [auch] als Mutterschiff eines Flusskampfgeschwaders dienen, die Einsatzmannschaften und ihre Boote beherbergen und von einem Einsatzort zum anderen transportieren«, sagt Work.
Seit 2001 testeten verschiedene Teilstreitkräfte (TSK) den Einsatz geleaster Transportschiffe – zumeist Varianten ziviler Fähren – für die schnelle Seeverlegung von Truppen und Ausrüstung über taktische Distanzen. Diese Schiffe wurden auch für weitere Verwendungen erprobt, u.a. für Minenbekämpfung oder als Mutterschiff für Spezialkräfte im Persischen Golf.
HSV‑2 SWIFT Bildquelle: US Navy |
Diese Schiffe erhielten die jeweiligen Bezeichnungen High Speed Vessel (HSV) X1 (»Joint Venture«, Hersteller Bollinger/Incat, Anwender US-Navy & Army), HSV 2 (»Swift«, Bollinger/Incat, US-Navy), Theater Support Vessel (TSV) 1X (»Spearhead«, Bollinger/ Incat, Army) und HSV 4676 (»WestPac Express«, Austal, US-Marine Corps). Die längste Erfahrung haben die Streitkräfte mit WestPac Express; die Katamaranfähre ist seit 2001 ununterbrochen bei der auf Okinawa stationierten US-Marineinfanterie im Einsatz.
Die verschiedenen Hochgeschwindigkeitskatamarane erwiesen sich als flexibel und leistungsfähig. Als typisches Beispiel gilt der Einsatz von »Joint Venture« und »Spearhead« 2003 im Persischen Golf, vorbereitend auf die Irakinvasion. Beide Schiffe verlegten u.a. gemeinsam ein Feldjägerbataillon samt Personal und Fahrzeugen von Djibouti nach Kuwait. Der Auftrag wurde binnen 60 Stunden durchgeführt; ein gewöhnliches Logistikschiff hätte lediglich die Fahrzeuge und Ausrüstung transportiert und hätte für die Fahrt zehn Tage gebraucht.
Neuer Entwurf für optimale Leistung
Für die JHSV-Ausschreibung entwarf Austal eine neue Katamaranfähre auf der Grundlage von WestPac Express, unter Berücksichtigung positiver Aspekte der anderen getesteten Hochgeschwindigkeitsfahrzeuge. Auch das neue Schiff beruht (bis auf die militärische Führungs‑, Kommunikations- und Flugleitelektronik) auf handelsüblicher Technologie. Der aus Aluminiumlegierung gefertigte quadratische Rumpf wird nicht gegen Beschuss gehärtet. Bis auf Montagepunkte für Maschinengewehre an den vier Außenpunkten bleibt das Schiff unbewaffnet.
JHSV Bildquelle: Austal |
Der Antrieb erfolgt durch vier MTU 20V8000M71L Dieselmotoren, die das unbeladene Schiff auf 43 Knoten Höchstfahrt bringen. Die Überführungsreichweite beträgt 5.600 Seemeilen. Die Einsatzreichweite ist abhängig von der Beladung und der Fahrtgeschwindigkeit. Bei voller Beladung und 35 Knoten Fahrt kann JHSV ein 1.200sm entferntes Ziel erreichen; bei geringerer Beladung oder Fahrt sind entsprechend entferntere Ziele möglich. Für das Manövrieren in seichten Gewässern und Häfen verwendet JHSV vier Wartsila WLD 1400 SR Wasserjets.
Der Bug des Katamarans ist so ausgelegt, zusätzlichen Auftrieb bei hohem Wellengang zu gewährleisten. Die weit auseinander stehenden Unterwassertragflügel unter dem Bug reduzieren in Verbindung mit den unterhalb der Wasserjets angebrachten computergesteuerten Trimmregler (so genannte »Interceptors«) das Stampfen und Rollen. Die problemlose Fahrt ist bis Seestärke 3 möglich; überstehen soll JHSV bis zu Seegangstärke 7.
Das achtern gelegene Helikopterdeck ermöglicht den Tag und Nacht-/ Allwetterbetrieb eines Hubschraubers bis zur Größe der CH-53.Abseits des Helikopterdecks gibt es geschützten Stellraum für einen zweiten Hubschrauber der H‑60 Größe sowie eine Flugleitzentrale mit Ausblick auf das Flugdeck.
JHSV hat eine 41-köpfige Mannschaft. Die Crew auf Army Schiffen wird aus Soldaten bestehen (so genannten Craft Masters mit Qualifizierung zur Führung von Logistikbooten); die Navy Einheiten werden durch eine zivile Crew geführt. Die Navigationsbrücke – der höchste Punkt des Schiffs – ist für eine dreiköpfige Crew ausgelegt. Beiderseits der Brücke sind Brückenflügel angebracht, um sicheres Andocken/-legen zu gewährleisten. In der vorderen Hälfte des Schiffs befinden sich die Crew- und Passagierräume, inklusive Kombüse und Speisesaal (48 Plätze), Aufenthaltsraum und Sanitätsraum.
JHSV kann bis zu 635 Tonnen Nutzlast aufnehmen. Der in der hinteren Schiffshälfte gelegene interne Nutzlastraum hat über 1.800 qm durchgehende Fläche und 4,75Meter Höhe. Hier können Ausrüstungen jeglicher Art inklusive Container und Frachtpaletten, Fahrzeuge inklusive schwerer Kampfpanzer sowie Boote und unbemannte Unterwasserfahrzeuge untergebracht werden. Kraftfahrzeugen und Panzern steht bis zu 26 Metern Wendekreis zur Verfügung.
Geschlossene Kompanieverlegung
JHSV ist ausgerichtet, zusätzlich zur Crew 104 Soldaten für bis zu zwei Wochen ohne Unterbrechung auf See einzuschiffen. So viele feste Unterkünfte (mit Kojen und Duschräumen) sind ständig verfügbar und ermöglichen die Verwendung von JHSV u.a. als »Mutterschiff« für Minenräum- oder Spezialkräfte. Weitere Unterkünfte für 46 Passagiere können provisorisch eingerichtet werden. Dies ermöglicht es JHSV, beispielsweise eine komplette Infanteriekompanie samt Fahrzeugen und Ausrüstung geschlossen zu verlegen oder auch tagelang einsatzbereit auf See zu halten.
Für kürzere Fahrten von bis zu drei Tagen hat das Schiff zusätzlich 312 in Reihen montierte Passagiersitze, ähnlich den Passagiersitzen in Flugzeugen. Die Sitze lassen sich zum Schlafen zurücklehnen. Die Passagiere können auch aufstehen und umhergehen.
Der geringe Tiefgang von circa 3,8 Metern ermöglicht es, auch kleine, unausgebaute oder beschädigte Häfen anzulaufen. Heckrampe und Kran machen JHSV unabhängig von Verladevorrichtungen des Hafens. Die steuerbord am Heck befindliche ausfahrbare Rampe kann mit bis zu 45 Grad Gefälle oder Steigung direkt an der Kaimauer andocken. Über diese Rampe können Fahrzeuge bis zum schweren Abrams M1A2 Kampfpanzer mit eigener Kraft das Schiff verlassen oder an Bord fahren (Ro/Ro). Das Schiff hat backbord am Heck ebenfalls einen ausfahrbaren Hebekran für das Be- und Entladen von Fracht sowie für das Aussetzen und Bergen von Booten und unbemannten Unterwasserfahrzeugen auf See.
Zehn Schiffe als Untergrenze?
Das gemeinschaftliche Beschaffungsprogramm wird für beide TSK durch die Schiffsentwicklungsdienststelle der Navy (Program Executive Office Ship) geleitet. Sinn dieses Arrangements ist es, die Expertise der Navy auf dem Bereich Schiffsbeschaffung auf Effizienz steigernder Weise zugunsten mehrerer TSK einzusetzen. Die gemeinsame Beschaffung eines einheitlichen Schiffstyps reduziert auch die Programmkosten. Die Schiffe sollen allerdings nicht gemeinschaftlich betrieben werden. Je fünf Einheiten werden der Army und der Navy überlassen. Jede TSK ist für Betrieb und Wartung ihrer JHSV sowie für die Ausbildung der Mannschaft selbst verantwortlich. Die TSK bezahlen ihre JHSV auch aus ihren jeweiligen eigenen Beschaffungsetats.
Die Herstellung erfolgt auf der Austal Werft in Mobile (Alabama). Bislang wurden drei Einheiten fest in Auftrag gegeben. Der Bau der ersten Einheit (JHSV 1 »Fortitude«) soll im Herbst 2009 beginnen; Auslieferung ist für 2011 geplant. Wenn – wie vorgesehen – alle zehn Schiffe beschafft werden, hätte der Auftrag einen Gesamtwert von mehr als 1,6 Milliarden Dollar. Sämtliche Beschaffungsoptionen sollen voraussichtlich zwischen 2009 und 2013 ausgeübt werden, wodurch die Auslieferung des letzten Schiffs 2015 erfolgen dürfte.
Robert Work ist der Überzeugung, dass letztendlich mehr als zehn JHSV beschafft werden. »Ich glaube, zehn ist die Untergrenze. Dieses Fahrzeug hat eine strahlende Zukunft«, erklärt er. Er lobt das im Vergleich zu taktischen Transportflugzeugen günstige Kostenverhältnis zwischen Beschaffung und Nutzlastkapazität: »Wir bezahlen 60 Millionen Dollar für eine C‑130, die 20 bis 25 Tonnen befördert. JHSV befördert [die dreißigfache Nutzlast] – was die Kosten pro Tonne betrifft, ist das ziemlich günstig«.