Ansprache des Inspekteurs der Marine bei der 57. Historisch Taktischen Tagung (HiTaTa) der Marine
Als ich letztes Jahr zur HiTaTa an dieser Stelle stand, wusste ich – wusste jeder von Ihnen – dass uns mit dem 60. Jahr des Bestehens der Deutschen Marine ein herausforderndes, in Teilen sogar schwieriges Jahr bevorstehen würde.
Dieser Artikel wird mit freundlicher Genehmigung der „MarineForum – Zeitschrift für maritime Fragen“ veröffentlicht.
Erneut sahen wir ein hohes Operationstempo auf uns zukommen. Gleichzeitig wussten wir: Mit der unaufhaltsam voranschreitenden Außerdienststellung der Fregatten F122, der Außerdienststellung der letzten Schnellboote und der Auflösung des 7. Schnellbootgeschwaders würde der Flottenbestand empfindlich kleiner werden, würden der Marine viele ihrer „Arbeitspferde“ fehlen. Und damit würde die Beanspruchung des verbleibenden Materials, vor allem aber unserer Besatzungen noch weiter zunehmen.
Und es war völlig klar, dass die Einführung der Soldatenarbeitszeit- verordnung (SAZV) uns vor vielfältige neue Herausforderungen stellen würde. Wir wussten, zumindest ahnten wir, was auf uns zukommen würde. Für weitere Überraschungen wäre tatsächlich auch kein Raum mehr geblieben: Die Marine würde im Jahr 2016 am Limit segeln, das war uns allen klar. Trotz oder gerade wegen unserer Sorgen, wie lange unsere Marine diese Beanspruchung noch aushalten kann, haben wir nicht einfach unser Leid geklagt, den Kopf nicht in den Sand gesteckt. Wir sind die Probleme und Herausforderungen des Jahres angegangen: Schritt für Schritt, Problem für Problem sind wir unaufgeregt und professionell zu Lösungen gekommen.
Einsicht in die Besonderheiten und Erfordernisse der Flotte wächst
In vielen Bereichen, dessen bin ich mir völlig bewusst, sind diese Lösungen unvollkommen – viele Lösungen liegen auch nicht allein in unserer Hand.
Bei der Soldatenarbeitszeitverordnung ist es uns gelungen, den Kern der Marine, die Seefahrt, von vorneherein als Ausnahmetatbestand zu verankern und inzwischen – nach einigen Anlaufschwierigkeiten – auch Hafenliegezeiten im Ausland in diesen Ausnahmetatbestand mit aufzunehmen. Dennoch bleibt der administrative Aufwand für die gesamte Marine zu hoch und herrscht unverändert zu viel Handlungsunsicherheit. Es zeichnet sich auch ab, dass einige Aufgaben, die aktuell im Grundbetrieb durchgeführt werden müssen, vom SAR-Dienst angefangen bis zur Durchführung von Allgemeinen Grundausbildungen, noch spezifischer Lösungen bedürfen.
Wenn ich letztes Jahr an gleicher Stelle aber noch davon sprach, dass die „SAZV unabänderlich“ sei, stelle ich heute fest: Trotz aller zu erwartenden Friktionen war es richtig, die SAZV einzuführen. Sie hat uns gezwungen, viel aufmerksamer auf unseren Umgang mit unserer wertvollsten Ressource – der Arbeitszeit unserer Männer und Frauen – zu achten. Ganz praktisch hat erst die SAZV uns dazu gebracht, seit Langem bekannte Probleme, wie beispielsweise die gerade für ohnehin knappes technisches Personal viel zu hohe Wachbelastung, drastisch zu reduzieren.
Was gerade noch für unmöglich gehalten wurde, was im vorletzten Jahr noch aus der Sicht vieler die Sicherheit und den Fortbestand der Flotte gefährdet hat, musste … und konnte plötzlich möglich gemacht werden, Anlaufschwierigkeiten inbegriffen. Die ersten Schritte zur Einrichtung des Seemannsheims in Wilhelmshaven mit der Bereitstellung der Ebkeriegekaserne für nicht unterkunftspflichtige Soldaten der Schiffe aus Fürsorgegründen – nicht etwa, weil ein Rechtsanspruch besteht – ließen dabei erkennen, dass auch außerhalb der Marine die Einsicht in die Besonderheiten und Erfordernisse der Flotte wächst.
Der für viele von uns natürlich auch emotional bitteren Außerdienststellung der Fregatten und Schnellboote stand – nach 5 Jahren mit dem lang ersehnten Abschluss der Fähigkeitsanpassung – die Rückkehr der „Mecklenburg-Vorpommern“ in den operativen Dienst gegenüber. Mit der Indienststellung von U36, dem zweiten Boot des zweiten Loses U212A, konnten wir sogar einen Neuzugang verbuchen.
Dennoch ist der Umfang der Flotte angesichts der Auftrags- und Instandsetzungslage unzureichend. Oftmals wird, hinter vorgehaltener Hand, in Blogs unter Pseudonym, gefordert, die Marine, der Inspekteur, müsse angesichts der Belastungen auch endlich einmal priorisieren, klarstellen, was nicht mehr geht.
Das tue ich. Ich habe bereits vor zwei Jahren die klare Priorisierung ausgesprochen: Einsätze, einsatzgleiche Verpflichtungen, Maßnahmen zur Nachwuchsgewinnung. Wir priorisieren und wir machen unmissverständlich deutlich, worauf wir verzichten müssen und welche Konsequenzen dies für die Marine hat.
Das heißt unter anderem: kein EAV (Einsatz- Ausbildungsverband) mehr. Das heißt auch, und auch aus meiner Sicht viel zu häufig: Für das Erreichen der unverändert angestrebten höchsten Einsatzbereitschaftsstufe bleibt nicht ausreichend Zeit und die Einheit muss mit einer Ausbildung in den Einsatz gehen, die sie eben für diesen Einsatz, aber zu nicht mehr in die Lage versetzt.
Dies sind schmerzliche Einschnitte: Sie betreffen unser Alleinstellungsmerkmal, die Befähigung zum Kampf, sie schränken die Attraktivität des Dienstes auf unseren Schiffen und Booten ein. Aber eines stelle ich unmissverständlich fest: Die Einsatzforderungen unserer politischen Führung müssen wir erfüllen, solange und soweit dies verantwortbar ist. Das ist der Kern unserer raison d’être – wir sind Soldaten, dafür sind wir da, unabhängig davon, welche Folgen wir daraus für die Fähigkeiten der Marine auf die weitere Sicht ableiten.
Unverändert große Sorgen machte uns im Jahr 2016 die Entwicklung des Personalbestandes unserer Marine oder besser, unserer Flotte. Denn tatsächlich ist der numerische Personalbestand in der Marine durchaus zufriedenstellend. Erst wenn ich ins Detail sehe, wenn ich von den aggregierten Zahlen auf die einzelnen Verbände, Schiffe und Boote sehe, wird das Problem deutlich – das brauche ich den meisten von Ihnen nicht zu erklären. Der gesamten Flotte fehlt das gleiche Personal und das heißt vor allem Unteroffiziere und Portepeeunteroffiziere (PUO) der technischen Verwendungsreihen. Jedes Fehl führt dabei direkt zu einer noch stärkeren Belastung der Verbleibenden. Springertum, fehlende Teamkohäsion in der Ausbildung, mangelnde Planbarkeit und damit – abnehmende Attraktivität der Seefahrt – drohen zu einer Abwärtsspirale zu werden.
Sicherheitspolitische Lage verspricht keine Atempause
Die Entwicklungen der sicherheitspolitischen Lage versprechen uns keine Atempause. China verfolgt weiterhin seine Gebietsansprüche im Pazifik konfrontativ und erzeugt zunehmend Unruhe bei seinen Nachbarn. Vielmehr aber stellt China damit auch global die Freiheit der Meere und das Prinzip friedlicher Konfliktbeilegung infrage – das geht auch uns unmittelbar an.
Russland hat zweifellos jedes Recht, seine Marine ins Mittelmeer zu entsenden. Der Einsatz des Flugzeugträgers „Kuznetsov“ im Rahmen der russischen Intervention in Syrien war aber genau wie der Einsatz moderner Landzielflugkörper als politisches und nicht sehr freundliches Statement an unsere Adresse gerichtet – und ist auch so angekommen.
Und die Sicherheitslage im so treffend genannten südlichen Krisenbogen hat nichts von ihrer Brisanz verloren und wird uns mit ihren Folgen, vor allem mit dem ungebrochenen Drang von Flüchtlingen und Migranten über das Mittelmeer, weiter beschäftigen. Sie alle stecken viel zu tief in den Planungsprozessen für das beginnende Jahr 2017, Sie wissen ebenso wie ich, dass nicht zu erwarten ist, dass das Operationstempo merklich nachlassen wird. Und die schrecklichen Ereignisse vom 19. Dezember in Berlin haben uns nachdrücklich gezeigt, dass wir Teil dieser unsicheren Welt sind und uns nicht einigeln können.
Und auch ist uns allen klar, dass weder neue Schiffe noch neue Besatzungen in unsere Stützpunkte gezaubert werden. Die Priorisierung hat also weiterhin Bestand und die Marine wird auch dieses Jahr, wird auch 2017 am Limit segeln: Die Talsohle ist noch nicht durchschritten.
Aber die Lage heute, hier bei der HiTaTa 2017, ist dennoch eine ganz andere als vor einem Jahr!
Prozess des Umdenkens
Im Rauschen der Informationsflut ist für viele untergegangen, dass die Verteidigungspolitik Deutschlands im Jahr 2016 eine Zäsur erfahren hat, die in eine Reihe zu stellen ist mit dem NATO-Doppelbeschluss und der Einforderung einer Friedensdividende nach der deutschen Wiedervereinigung.
In Reaktion auf Russlands völkerrechtswidrige Annexion der Krim, der russischen Intervention in der Ost-Ukraine und in Syrien und der Aggression islamistischen Terrors in Europa ist ein Prozess des Umdenkens in Gang gekommen, der im Bündnis zu den Beschlüssen von Warschau und in Deutschland zum Weißbuch geführt hat. Es wurde erkannt, dass die unterstellte 10-jährige Reaktionszeit zum Wiedererstarken unserer Verteidigungsbereitschaft nicht ausreicht – und dass vor allem leider wohl der Startpunkt der 10 Jahre verpasst worden war.
Das Weißbuch stellt die Landes- und Bündnisverteidigung gleichwertig neben das internationale Krisenmanagement, das uns aktuell in den Einsätzen im Mittelmeer und am Horn von Afrika bindet. Aber noch mehr: Erstmals wird die strategische Bedeutung der Seeverbindungswege und Deutschlands Verantwortung für die Freiheit der Meere klar herausgestellt – eine Forderung der Marine seit vielen Jahren.
Das heißt einerseits, dass unsere Ableitungen zu den drei strategischen Handlungsräumen der Marine – der Nordflanke, dem südlichen Krisenbogen und dem Indik – richtig waren und politisch bestätigt werden. Da heißt aber auch, dass das Aufgabenprofil gerade der Marine noch anspruchsvoller wird. Noch anspruchsvoller, wo wir doch schon so hart am Wind segeln?
Ja, aber dieses Umdenken erschöpft sich nicht in der Papierform großer Ansprüche. Erstmals seit 1990 wachsen deutsche Streitkräfte wieder! Die von der Ministerin eingeleiteten Trendwenden in den Bereichen Finanzen, Material und Personal – die auftragsgerechte Ausstattung der Bundeswehr – und das ausdrückliche Bekenntnis der Kanzlerin zum 2% Ziel der NATO als Zielmarke auch für Deutschland. Dies hätten wir uns vor einem Jahr noch nicht zu erhoffen gewagt, das ist in Europa einmalig!
Wir mögen noch immer ein Tal durchschreiten – aber anders als vor einem Jahr sehen wir jetzt den Weg aus dem Tal heraus!
Dass auch die Marine ganz besonders von diesen Trendwenden profitiert, ist der Lohn unseres Einsatzes, ist direktes Ergebnis Ihrer aller Leistungsfähigkeit, Belastbarkeit und auch Opferbereitschaft – Ihrer und die Ihrer Frauen und Männer!
Die Marine hat in schwierigsten Zeiten eben nicht jeden neuen Einsatz dazu genutzt, neue Wünsche zu formulieren und pressewirksam zu fordern und zu kritisieren. Die Marine hat professionell und ruhig, aber mit absoluter Zuverlässigkeit die ihr gestellten Aufträge ausgeführt und sich damit quer durch alle Fraktionen und auch in der Gesellschaft insgesamt große Anerkennung erworben. Und wir spüren diese Anerkennung, die Marine ist im Aufbruch!
Mit unzähligen und mühevollen Gesprächen über ein dreiviertel Jahr hinweg ist es uns gelungen – ich sprach es bereits kurz an – mit der Ebkeriegekaserne den nicht unterkunftspflichtigen Seefahrern in Wilhelmshaven eine erschwingliche militärische Unterkunft zu bieten. Die damit gezeigte Bereitschaft der politischen Leitung, auch jenseits eines Rechtsanspruchs aus Fürsorge zu helfen, ist Anerkennung des Alleinstellungsmerkmales und der besonderen Leistungen der Besatzungen unserer Flotte.
Wilhelmshaven gleicht mit den umfangreichen Neubauten für Unterkunfts- und Stabsgebäude einer Baustelle. Ich wünschte allerdings, ich könnte das gleiche von Eckernförde behaupten.
Das Material der Marine
Der Fähigkeitserhalt der MPA (Maritime Patrol Aircraft) ist bis 2035 sichergestellt. Die MKS180 (Mehrzweckkampfschiff 180) sind in der Ausschreibung; und trotz der Verzögerungen bei der Angebotserarbeitung wird weiterhin ein Vertragsschluss noch dieses Jahr angestrebt. Wir müssen alle gemeinsam dafür kämpfen, dass es nicht zu weiteren Verzögerungen kommt, und die Schiffe ab Mitte des nächsten Jahrzehnts auch wirklich zulaufen. Der Fähigkeitserhalt der Fregatten F123 ist bis dahin – und ich betone: bis dahin – gesichert.
Die „Baden-Württemberg“ absolviert – bislang durchaus erfolgreich und mit von ihrem Schiff begeisterten Besatzungen – ihren Funktionsnachweis, einschließlich des ersten Crewwechsels. Die Bedeutung der F125 – ich muss dies eigentlich nicht erneut betonen – liegt darin, dass wir erstmals ein Schiff in die Flotte übernehmen, das ganz gezielt auf unsere in die Zukunft gerichteten Betriebs- und Besatzungskonzepte ausgerichtet ist.
Und Anfang Dezember 2016 wurde erfolgreich der Erstflug des Sea Lion absolviert, der ab 2019 endlich den Sea King ablösen und ab 2023 ersetzen wird. Damit findet dann eine viel zu lange und schmerzhafte Entwicklung ihr Ende, in der auch die Marine keine glückliche Rolle gespielt hat. Aber damit es dazu kommt, liegt noch ein Allemannsmanöver vor uns: Der Zeitplan an sich ist bereits sehr ambitioniert. Gleichzeitig gilt es aber, den SAR-Betrieb (Search and Rescue) aufrecht und unsere betagten Seekönige in der Luft zu halten. Und ich bin froh, dass die Marine jetzt geschlossen hinter dem Sea Lion steht.
Das Personal der Marine
Mit der Trendwende Personal sind die festen Personalobergrenzen grundsätzlich aufgehoben. Das gibt uns die Möglichkeit, dort Dienstposten zu fordern, wo bislang nur von Reduzierung die Rede war: Mehrbesatzungen, Werftgruppen, Internationale Ausbildung am AZU (Ausbildungszentrum Uboote). Das ist keine Einladung zu Wünsch-Dir-was. Es ist aber die Chance, im Sinne der „aufgabengerechten Ausstattung“ mit guten Begründungen unterlegte Forderungen zu artikulieren und sich nicht mehr auf alle Zeiten mit dem Mangel abfinden zu müssen. Natürlich aber sind weitere Dienstposten nur Dienstposten und wir müssen das Personal finden, dass zur Marine will und zu uns passt.
Die Einstellungszahlen an der Marineschule werden 2017 auf über 300 steigen und die Schulen der Marine – auch und vor allem die MTS (Marinetechnikschule) – sind gut gefüllt. Gemeinsam gehen wir mit der zentralen Nachwuchsgewinnung der Bundeswehr neue und erfolgreiche Wege, um junge Menschen für die Marine zu begeistern.
Erstmals waren mit der Personalwerbemaßnahme „Die Rekruten“ Wasser, BGA (Bord- und Gefechtsanzug) und graue Schiffe zu sehen. „Die Rekruten“ ist binnen kürzester Zeit zum erfolgreichsten You Tube-Channel überhaupt geworden und hat dazu geführt, dass sich Millionen Menschen mit dem Dienst in der Marine auseinandergesetzt haben. Mal schauen, ob und wie sich dies auf die Bewerberzahlen auswirken wird.
Und dann ist da natürlich das zweite Los K130. Allein daraus ließe sich eine HiTaTa- Rede spinnen. Diese Schiffe soll die Marine bekommen – wohlgemerkt über die 130 Mrd. € der Trendwende Finanzen hinaus –, weil sie ihren Auftrag erfüllt und an den richtigen Stellen, mit dem richtigen Ton und zur richtigen Zeit auf die Preisschilder hinweist.
Jetzt dürfen wir nicht gleich selbst wieder in Frage stellen, ob es uns gelingen wird, diese neuen Einheiten zu besetzen. Das tun andere ohnehin. Ich sehe es so: Diese Schiffe werden eben nicht die Besetzungsnot verstärken, sondern sie werden es uns ermöglichen, wieder Reserven zu schaffen und uns auch wieder stärker um den vernachlässigten Raum der Nordflanke zu kümmern. Sie werden uns helfen, die Abwärtsspirale zu durchbrechen. Wir werden diese Schiffe schnell in Fahrt bringen müssen.
Deswegen brauchen wir eben auch das zweite Los und nicht noch eine Kleinserie von fünf Schiffen, die dann wieder Anlaufschwierigkeiten und Kinderkrankheiten haben. Ausbildung, Instandsetzung, Logistik und Einsatz sind mit einem zweiten Los K130 besser und effizienter zu bewältigen. Die K130 ist ein gutes Schiff, das sich in den vergangenen Jahren bewährt hat!
Die Marine ist im Aufbruch!
Aufbruch bedeutet aber auch, nicht immer zu wissen, was der nächste Schritt sein wird. Aufbruch bedeutet Unsicherheit. Nach über 25 Jahren Schrumpfen müssen wir das Wachsen erst wieder lernen. Die Vorschriftenlandschaft, die auf Papier gebannte Bundeswehr, wird absehbar die nächsten Jahre mit der Entwicklung der Realität nicht standhalten können.
Das verlangt gerade Ihnen, den Führern der Marine, mehr ab, und hier knüpfe ich an das an, was der StvInspM und BefhFlotte (Stellvertreter Inspekteur der Marine und Befehlshaber der Flotte und Unterstützungskräfte) gerade von Ihnen gefordert hat. Führen heißt auch, Vorgaben kritisch zu hinterfragen, führen heißt – im Sinne des Auftrags – voranzugehen, auch wenn es keine Handlungsanweisung gibt – dieses Handeln dann aber auch persönlich zu verantworten.
Vor einem Jahr habe ich zu verschiedenen Anlässen gesagt: Empören Sie sich, wenn Ihnen etwas nicht gefällt! Beim Empören darf es aber nicht bleiben.
Erkennen Sie Handlungsbedarf – wohlgemerkt Handlungsbedarf in Ihrem Zuständigkeitsbereich. Artikulieren Sie, wenn Ihre Möglichkeiten zur Abhilfe nicht ausreichen. Beteiligen Sie sich mit Ihrer Expertise leidenschaftlich an der Diskussion um die beste Lösung – aber vertreten Sie dann bitte auch die entschiedene Lösung mit all Ihrer Kraft, selbst dann, wenn Sie eigentlich die Faust in der Tasche ballen wollten. Das verstehe ich unter Loyalität, das verlange ich von Ihnen.
Nehmen Sie Unzulänglichkeiten nicht einfach hin – sehen Sie aber bitte auch nicht überall nur die Unzulänglichkeit! So befreiend es manchmal ist, in die Klage über die Mühsal der Welt einzustimmen. Geholfen hat es noch nie. Und natürlich ist es immer spannend, sich gegenseitig mit scharfer Kritik an den unhaltbaren Zuständen und den Unzulänglichkeiten der Lösungsversuche zu übertreffen. Aber das macht alles nur noch schlimmer.
Ja, wir können kritisieren, dass „Die Rekruten“ für uns, die wir teils seit Jahrzehnten in unserer Marine dienen, nicht seriös sind. Aber der Wurm muss dem Fisch schmecken – und betonen wir doch, dass erstmals getan wird, was wir immer gefordert haben: modern für die Marine zu werben.
Ja, viele haben – im guten Glauben, der Marine damit zu helfen – kritisiert, ein 2. Los K130 wäre nicht die modernste am Markt verfügbare Technologie. Aber statt in diese Kritik einzustimmen, sollten wir darauf verweisen, dass „modernste Technologie“ leider selten gleich in See bestanden hat, dass ein neues Design und die immer zu erwartenden Kinderkrankheiten nur die Einführung verzögern würden. Dass wir dann die Schiffe viel zu spät bekommen würden, und dies gleichzeitig mit dem Zulaufen der MKS180 – was weder die Marine, noch die Beschaffungsorganisation und auch nicht die Industrie leisten könnten.
Und ja, die Ebkeriegekaserne ist natürlich beileibe kein Hotelstandard – das ist eine Fregatte 122 aber auch nicht. Wir können kritisieren, das sei für einen Meister Mitte Dreißig doch wohl kaum attraktiv. Wir können aber auch herausstellen, dass es gelungen ist, die Wachstärken zu reduzieren, ohne diesen Meister zu zwingen, sich am Markt für viel Geld eine Wohnung zu mieten, die er dann wegen der Seefahrt kaum bewohnt.
Lassen Sie uns alle mehr über das reden, was gelingt und weniger über das, was uns zu 100% noch fehlt. Das muss insbesondere auch unsere Außenkommunikation bestimmen. Dann fühlen wir uns nicht nur besser. Dann erscheint es vor allem auch für die, die noch nicht bei uns sind, lohnenswerter und attraktiver, zur Marine zu stoßen. Keiner kann besser für die Marine werben, als wir selbst. Vieles liegt hier in unserer Hand. Die drei angesprochenen Trendwenden stehen für Aufbruch, den es nun zu unterfüttern gilt. Dabei müssen wir aber auch akzeptieren, dass eine Organisation von der Größe der Bundeswehr und unsere Marine Zeit brauchen werden für die große Kursänderung. Das ist, als ob man einen Supertanker wenden will. Wir werden vermutlich an der einen oder anderen Stelle noch mal zurückziehen, weil wir es nicht in einem Schwung schaffen.
Auch werden Standardruderlagen nicht immer ausreichen. Es wird Zeit und einen langen Atem brauchen – von der Politik, aber auch von uns. Wenn wir über Attraktivität reden, dann müssen wir noch besser lernen, Vielfalt und Unterschiede zu akzeptieren.
Was für den Familienvater attraktiv ist, ist für den jungen und noch ungebundenen Soldaten noch lange nicht attraktiv. Der eine begrüßt die Freizeit, die ihm die SAZV bringt. Der andere beklagt die finanziellen Einbußen, weil die Wachbelastung reduziert wird. Wir müssen diese Vielfalt nicht nur aushalten, wir müssen sie gemeinsam gestalten. Wir müssen akzeptieren, dass es keinen einzig richtigen Weg geben kann, um diesen Prozess zu durchlaufen. Der Wille und die Fähigkeit, zu gestalten, das ist der Grund, warum wir Offiziere sind.
Der Aufbruch erfordert, dass wir ihn gemeinsam angehen
Seien es die Vorschriften, die wir anfassen müssen, weil sie nicht mehr in unsere Zeit passen, seien es Verfahren, die nicht mehr zur Zielsetzung passen, sei es die Soll-Org (Soll-Organisation). die nicht zum in die Zukunft gerichteten Einsatz- und Ausbildungsprofil passt. Wir alle müssen den Anspruch haben, über die Grenzen, die wir uns in den allermeisten Fällen, vermutlich irgendwann aus guten Gründen, selbst gesetzt haben, hinauszugehen und die Grenzen neu zu definieren. Es darf nicht passieren, dass wir wieder erst von außen gezwungen werden müssen zu handeln. Den nächsten „Gamechange“ müssen wir vorausdenken – und vorwegnehmen.
Die demografische Entwicklung in Deutschland und der soziale Wandel in der Informationsgesellschaft sind von uns nicht zu beeinflussen. Der Wettbewerb um qualifiziertes Personal wird noch zunehmen. Wir können nun die Zahl offener Stellen beklagen – oder wir können die Marine des Jahres 2040 bereits jetzt vorausdenken. Angefangen von der Konzeption unserer künftigen Kampfschiffe, über unsere Ausbildungslandschaft bis hin zu der Art, wie wir bereits heute unsere Schiffe besetzen und betreiben.
Diesen Aufbruch müssen wir kommunizieren. Ohne über Probleme und Sorgen hinwegzugehen oder diese schön zu reden, aber mit dem Willen, Lösungen anzuerkennen und zu würdigen. Wir dürfen nicht nachlassen, in unserer Kompetenz für die beste Lösung zu kämpfen und diese dann auch loyal zu vertreten.
Unsere Männer und Frauen müssen im Bilde sein, über das, was in und mit der Marine geschieht. Daher appelliere ich an Sie: Sprechen Sie miteinander und sprechen Sie vor allem mit Ihrem unterstellten Bereich! Information ist wichtig und richtig, ohne angemessene Kommunikation greift sie aber möglicherweise zu kurz. Vieles ist deutlich einfacher zu ertragen, wenn man weiß, wohin der Weg führen wird, und es ist unsere Aufgabe, diesen Weg aufzuzeigen und zu erklären. Beziehen Sie Position, lassen Sie Fragen und Kritik zu und erklären Sie – das ist meine Erwartungshaltung an Sie!
Damit der Aufbruch unserer Marine gelingt, müssen wir uns den Elan, das Engagement, die Disziplin und Haltung, die die Grundlage für diesen Aufbruch geschaffen haben, erhalten – trotz aller Belastungen und Widrigkeiten mit dem Blick nach vorn, der uns jetzt eröffnet wurde!
Ohne Ihre Hingabe wären die neuen Entwicklungen undenkbar. Ich danke Ihnen für Ihre Arbeit und wünsche uns viel Fortune bei allem, was in diesem Jahr vor uns steht. Vor allem danke ich Ihnen allen für das Vertrauen und die Loyalität, die Sie mir entgegenbringen. Ich bin davon überzeugt: Die Fundamente unserer Marine sind solide, gemeinsam werden wir darauf die Zukunft der Marine aufbauen.
Zum Schluss gilt mein besonderer Dank dem Befehlshaber der Flotte für eine hervorragend organisierte und anregende 57. HiTaTa. Ich danke insbesondere den Vortragenden, aber auch den Mentoren und allen helfenden Händen im Hintergrund für die investierte Arbeit „neben der Arbeit“ – eine bessere Bestätigung für meine Zuversicht für die Zukunft der Marine als diese HiTaTa kann ich mir nicht wünschen.
Wir bekennen uns zu unserer Geschichte
Und damit möchte ich auch meinen Dank an die MOV/MOH (Marine-Offizier-Vereinigung e.V./Marine-Offizier-Hilfe e.V.) verbinden für die Stiftung der Büste von Admiral Johannesson, den Begründer der Historisch Taktischen Tagung. Wie passend.
Die Umgestaltung der Aula, in der diese Büste ihren Platz finden wird, steht für genau das: für unseren Aufbruch, mit Zuversicht, Tatkraft und Kameradschaft und einer offen und leidenschaftlich geführten Diskussion. Wie es eben unsere Art in der Marine ist.
Vor genau zwei Jahren, anlässlich der Hi- TaTa 2015 in Warnemünde, habe ich den Auftrag zur Neuausrichtung unserer Aula gegeben und zur breiten Diskussion dazu eingeladen. Die außerordentliche Resonanz dieser Diskussion, ob mit Wortbeiträgen oder Spenden, zeugt davon, wie wichtig uns allen dieser geschichtsträchtige Raum unserer Alma Mater ist. Das klare Votum, wie in unsere Aula unsere Geschichte, die Geschichte der Marine eines freien und demokratischen Deutschlands, eingebracht werden sollte, zeugt davon, dass es mündige Staatsbürger sind, die das Offizierskorps der Deutschen Marine bilden.
Wir machen es uns nicht einfach. Wir sparen Sperriges, Belastendes und Belastetes nicht aus. Wir bekennen uns zu unserer Geschichte und setzen uns kritisch mit ihr auseinander. Nur so werden wir dem Anspruch an einen militärischen Führer und eines Staatsbürgers in Uniform gerecht. Ich freue mich, dass wir, dank der Unterstützung der MOV/MOH, nun diesem kritischen Geist eines mündigen Offizierskorps mit der Aufstellung der Büste Admiral Johannessons in der Aula der Offiziersschule der Deutschen Marine Ausdruck verleihen können. Ein Jahr nach meiner Entscheidung, genau hier an diesem Ort, für die neue Gestaltung kommt damit diese Phase der Erneuerung unserer Aula zu einem Abschluss.
Und wir brechen nun gemeinsam auf in ein neues Jahr – und in eine neue Phase der Entwicklung unserer Marine. Vor allem aber: Arbeiten Sie weiter so erfolgreich für unsere Marine.