Heinz Dieter Jopp, KzS a.D, ist Technischer Direktor Institut für strategische Zukunftsanalyse der Carl Friedrich von Weizsäcker- Stiftung, Herausgeber „Maritime Sicherheit im 21. Jahrhundert”)
Dieser Artikel wird mit freundlicher Genehmigung der „MarineForum – Zeitschrift für maritime Fragen“ veröffentlicht.
Anders noch als Mitte der 1990er Jahre unter Präsident Clinton, wo Machtprojektion mittels Trägerkampfgruppen ein probates politisches Mittel zur Erzwingung von Wohlverhalten eines politischen Gegners war, muss dies 2017 auch angesichts technologischer und Waffensystemveränderungen in maritimen Konfliktregionen der Welt zunehmend hinterfragt werden. Der frühere SACEUR (Supreme Allied Commander Europe), Admiral Stavridis, spricht in einem Aufsatz in der Mai-Ausgabe der US-Naval Institute Proceedings von einem Übergang zu einem Zweiten Kalten Krieg, bei dem das östliche Mittelmeer die gefährlichste Region darstelle. Der dänische Verteidigungsminister betont im Mai die stärkere Bedeutung der Verteidigung der Ostsee und Polen verkündigt die Absicht der Beschaffung von eigenen neuen MPA. Was bedeuten diese Veränderungen für die Marinen und damit auch die Deutsche Marine?
Folgt man den Plänen zu einer 355 Schiffe Navy (US-Navy Program Guide 2017), so kann man diese mit „Von allem ein wenig mehr“ beschreiben. Das Congressional Budget Office (CBO) stellt im April 2017 fest, dass die bei der Umsetzung zu erwartenden Kosten und Personalschwierigkeiten bei der Navy keinen kurzfristigen Anstieg von Plattformen zulässt. Es wird von einem Zeitraum von 25–30 Jahren ausgegangen. In Großbritannien dürfte sich der Zulauf seiner beiden Träger gerade auch aus finanziellen Gründen weiter verzögern, ohne dass im Bündnis bisher der dann erforderliche Abzug der Überwasserkampfschiffe der Royal Navy zum Schutz der beiden Träger in Bündnisplanungen diskutiert wird.
Damit stellt sich die Frage nach den Prioritäten, aber auch den künftig benötigten Waffenplattformen; eine Frage für alle westlichen Marinen. Verteidigungsminister Mattis hat für die US-Navy einen Drei-Phasen Plan vorgegeben: 1. Einsatzbereitschaft, 2. Modernisierung und erst 3. neuer Zuschnitt der Navy, der auf viele westliche Marinen übertragen werden kann. Während die (Wieder)Herstellung der Einsatzbereitschaft selbstredend ist, stellen sich bei der Modernisierung allerdings mit Blick auf 2017 und die Zukunft einige, eher grundsätzliche Fragen, die Admiral James A. Winnefeld Jr, US-Navy (retired) unter dem Titel „Break out or Fail. If the U.S. military is to maintain its edge in capabilities, it must embrace new concepts with new technologies and take some risks“ in der Aprilausgabe der Proceedings darstellte.
Er warf unter anderem die Frage auf, ob die amerikanischen Konzepte zu einem A2AD (Anti-Access/Area-Denial) und die damit einhergehende Modernisierung nur den eigenen Vorstellungen einer künftigen Kriegsführung entsprechen, die beispielsweise mit den immer klarer zutage tretenden Vorstellungen der chinesischen und russischen Marine nicht in Einklang zu bringen sind. Elektronische Kriegsführung, Schwarmangriffe mit bewaffneten Drohnen und weitreichende ballistische Raketen sowie Cruise-Missiles zur Seezielbekämpfung sind einige Beispiele dazu. Dies gipfelt für Winnefeld in der bereits von Admiral Greenert (früherer CNO [Chief of Naval Operations] der US-Navy) bekannten Forderung nach innovativen Zuladungen und geänderter Bewaffnung für vorhandene und geplante neue Plattformen.
Und er stellt angesichts der bisher wenig erfolgreichen Entwicklungen der US-Navy zur Minenabwehr und ‑bekämpfung die ketzerische Frage: Was ist mit einer offensiven Minenkriegsführung? Moderne Technologien und Verbringungsmethoden würden der Navy recht preiswerte und Erfolg versprechende Optionen bieten, die Bewegungsfreiheit gegnerischer Seestreitkräfte regional räumlich und zeitlich deutlich zu begrenzen.
Was aber macht ein Kommandant, wenn er weiß, dass große Marinen wie die chinesische und russische Minen in ihrem Bestand haben, modernisieren und planen – wo immer möglich – diese einzusetzen? Oder bei einem Einsatz im Persischen Golf in dem Wissen, dass Iran die 1991er Golfkrieg Erfahrungen analysiert und in eigene, erfolgversprechende Pläne und Operationen umgesetzt hat? Bei dieser Frage bemüht der Autor (aus Verzweiflung?) Liddell Hart, der Anfang des Zwanzigsten Jahrhunderts gesagt hat: „The only thing harder than getting a new idea into the military mind is getting an old idea out“.
Und hier stellt sich für mich die Frage: Wie gut sind wir bei der Minenkriegsführung (noch) in Europa? Wer kennt denn bei den jüngeren Offizieren der Deutschen Marine noch Begriffe wie protektives, defensives oder offensives Minenlegen? Wer kennt die rechtlichen Zwänge und Begrenzungen? Wäre offensives Minenlegen in der Ostsee für NATO wie EU Partner eine aussichtsreiche Option, russischem A2AD Denken in der Region erfolgversprechend zu begegnen? Wie gut sind unsere Minensuch- und Minenkampfboote sowie technologische Fähigkeiten einschlägiger Rüstungsbetriebe zur Fortentwicklung von Minen? Wie gut sind unsere Bündnispartner? Könnte sich hier künftig eine engere Bündniszusammenarbeit der Ostsee-Anrainer und eine Unterstützung für die USA und ihre Navy ergeben? Könnte diese nicht ähnlich gestaltet werden wie das derzeitige Angebot der norwegischen Kongsberg zur Verwendung ihres NSM (Naval Strike Missile) an Bord amerikanischer Schiffe? Immerhin sind sie dort nun in die Endausscheidung gelangt.