Dieser Artikel wird mit freundlicher Genehmigung der „MarineForum – Zeitschrift für maritime Fragen“ veröffentlicht.
NAH-/MITTELOST
Die militärische/sicherheitspolitische Lage im Nahen-/Mittleren Osten bleibt vom Bürgerkrieg in Syrien und von der Bekämpfung des islamistischen Terrors in Irak, Syrien und Libyen bestimmt, aber auch der andauernde Bürgerkrieg im Jemen weckt immer wieder mal Aufmerksamkeit.
Im Jemen blieb eine einseitig von der saudi-arabisch geführten Koalition erklärte 48-stündige Feuerpause wirkungslos. Die Houthi-Rebellen ignorierten sie; Beobachter zählten mehr als 500 Zwischenfälle. Koalitions-Hubschrauber und Seestreitkräfte fingen im südlichen Roten Meer zwei weitere kleine Boote ab, die von einer vorgelagerten Insel Waffen, Munition und Fernmeldegeräte für die Houthi an die jemenitische Küste bei Salif schmuggeln wollten.
KAMPF GEGEN DEN ISLAMISTISCHEN TERROR (Fortschreibung)
Bei der Bekämpfung des islamistischen Terrors (IS, ISIS, ISIL, Daesh, al-Nusra, Al-Kaida) bleibt eine international übergreifende Koalition weiterhin Fernziel. Noch zu viele Eigeninteressen einzelner Staaten sowie die Spaltung zwischen Schiiten und Sunniten bestimmen die Entwicklung. Dennoch wird der IS in Syrien und im Irak, wo die Offensive auf Mosul fortdauert, zunehmend auch aus Kerngebieten seines „Kalifats“ zurückgedrängt.
Syrien – Irak: US-geführte Koalition („Operation Inherent Resolve“)
Eine US-geführte multinationale Koalition setzt mit Operation „Inherent Resolve“ Luftschläge gegen islamistische Terrorgruppen im Irak und in Syrien fort. Ziele sind Kommandozentren (vor allem auch Führungspersonen), Stützpunkte, Depots und von Islamisten kontrollierte Öl-Anlagen, daneben aber auch logistische Straßentransporte und Gruppen verlegender Kämpfer, die im Irak auf den Flüssen Euphrat und Tigris vor allem auch Boote nutzen. Viele Angriffe dienen der direkten Unterstützung (Close Air Support) irakischer Bodentruppen oder kurdischer Milizen — aktuell vor allem bei der aktuellen Offensive zur Rückeroberung von Mosul. Zum Einsatz kommen seegestützt von Flugzeugträgern oder landgestützt von Flugplätzen der Golfstaaten, Jordaniens und der Türkei operierende Kampfflugzeuge der Streitkräfte zahlreicher Staaten. Die britische Royal Air Force nutzt ihre Basis in Akrotiri (Zypern).
Der US-Flugzeugträger „Eisenhower“ setzt weiterhin aus einer Position im zentralen bis nordwestlichen Persischen Golf seine Kampfflugzeuge gegen IS-Ziele in Irak und Ost-/Nord-Syrien ein. Zu Thanksgiving besuchte US Marineminister Ray Mabus den Flugzeugträger in See.
Auch der amphibische Träger „Wasp“ der US Navy operiert in Gewässern um die Arabische Halbinsel. Ob die „Wasp“ ihre mitgeführten Kampfflugzeuge AV-8B Harrier des US Marine Corps in die Offensive bei Mosul einbringen soll, bleibt vorerst offen. Vorerst gibt es keine Meldungen über ein geplantes oder schon erfolgtes Einlaufen in den Persischen Golf.
Auf dem Weg in die Golfregion ist die „Makin Island“ Amphibious Ready Group (ARG) mit dem amphibischen Träger „Makin Island“ und den Docklandungsschiffen „Somerset“ und „Comstock“. Nach Überquerung des Pazifiks führen die Schiffe zurzeit in Südostasien noch Besuche und Übungen mit Partnermarinen durch. Die „Makin Island“ ARG soll wahrscheinlich die „Wasp“ ARG ablösen, so dass diese kurz vor Weihnachten in den Heimathafen Norfolk zurückkehren kann.
Vermutlich vor dem Hintergrund der Offensive bei Mosul (Irak) wurde der ursprünglich nur bis Ende Oktober geplante Einsatz der „Groupe Aeronaval“ (GAN) der französischen Marine im östlichen Mittelmeer bis Mitte Dezember verlängert. Aus einer Position südlich Zyperns setzt der Flugzeugträger „Charles de Gaulle“seine Jagdbomber Rafale gegen Ziele im Irak ein. ‘La Fayette’ (Foto: US Navy)Eine offizielle Statistik nennt für die abgelaufene Woche etwa 70 Einsätze, die überwiegende Mehrzahl (56) als „armed reconnaissance“, d.h. bewaffnet aber ohne konkrete Zielvorgaben (der Pilot entscheidet ad hoc über Bekämpfung eines während des Fluges erkannten Zieles. Neun vorgeplante „Strike Missions“ wurden gegen IS bei Mosul geflogen. Zu eventueller Koordinierung oder Konflikten mit zeitgleichem Einsatzflugbetrieb vom in der Nähe operierenden russischen Flugzeugträger „Admiral Kuznetsov“ (s.u.) gibt es weiterhin keine Meldungen.
Zur GAN gehören zurzeit neben dem Flugzeugträger noch der Zerstörer „Forbin“, die Fregatte „Jean de Vienne“, die Fregatte „La Fayette“ (hat in der abgelaufenen Woche den Zerstörer „Chevalkier Paul“ abgelöst), ein U‑Boot der RUBIS-Klasse sowie der Versorger „Marne“.
Der britische Hubschrauberträger „Ocean“ soll sich Anfang Dezember im Persischen Golf der Anti-IS-Operation „Inherent Resolve“ anschließen und dann sogar für drei Monate die Aufgaben des Flaggschiffes der von der 5. US-Flotte/US-CentCom geführten Task Force 50 (TF50) wahrnehmen.
Der Hubschrauberträger kann zwar selbst keine Kampfflugzeuge einsetzen, aber die Einsätze landgestützt operierender Koalitionsflugzeuge koordinieren. Erstmals soll damit ein britischer Offizier Befehlshaber der TF50 werden. Das zuvor mit der „Ocean“ gemeinsam um die Arabische Halbinsel operierende Docklandungsschiff „Bulwark“ ist ins Mittelmeer abgelaufen.
Syrien: Russland
Russland nimmt zwar auch den IS und al-Nusra ins Visier, macht aber weiterhin keinen Unterschied zwischen Islamisten und Milizen der syrischen Opposition, die gleichermaßen als “Terroristen” gelten. Nach wie vor erfolgen viele russische Luftangriffe in direkter Unterstützung des syrischen Regimes in Regionen, in denen islamistische Milizen nicht aktiv sind.
Libyen:
US-Operation „Odyssey Lightning“
Die seegestützten Aufgaben der „auf Bitten der international anerkannten libyschen Regierung der nationalen Einheit“ vor Libyen durchgeführten anti-IS-Operation „Odyssey Lightning“ werden zurzeit vom US-Docklandungsschiff „San Antonio“ wahrgenommen. Die „San Antonio“ bietet Kampfhubschraubern Super Cobra des US Marine Corps eine gute Plattform, den bei Sirte am Boden gegen IS kämpfenden libyschen Streitkräften und regierungstreuen Milizen „Close Air Support“ zu geben und die Islamisten auch in engen, verwinkelten Stadtteilen effektiv zu bekämpfen.
Neben diesen seegestützten Operationen setzt die US Air Force auch bewaffnete Drohnen vom italienischen Marinefliegerhorst Sigonella (Sizilien) ein. Unbewaffnete US-Aufklärungsdrohnen fliegen von einer „in Tunesien eingerichteten Basis“.
BÜRGERKRIEG IN SYRIEN (Fortschreibung russische Intervention)
Die Konfliktparteien im Lande sind ebenso wie ausländische Mächte und Religionsgruppen (Schiiten/Sunniten) weiterhin unfähig, teils auch unwillig, einen „gemeinsamen Nenner“ zu einer politischen Lösung zu finden.
Russland und die USA blockieren unter gegenseitigen Schuldzuweisungen jede Entscheidung des UN Sicherheitsrates. Das syrische Assad-Regime setzt nicht zuletzt im Bewusstsein tatkräftiger russischer Unterstützung weiterhin auf eine militärische Lösung. Der aktuelle Einsatz der russischen Flugzeugträger-Kampfgruppe dürfte diese Haltung noch verstärken.
Maritime Aspekte
Mit dem Nordflottenverband um den Flugzeugträger „Admiral Kuznetsov“, den Einheiten des Ständigen Mittelmeergeschwaders, kurzfristig aus dem Schwarzmeer verlegten Schiffen sowie im Transport militärischer Güter nach Syrien eingesetzten Landungsschiffen und Frachtern unterstützt die russische Marine zurzeit mit bis zu 20 Kampf- und Hilfsschiffen das syrische Regime im Bürgerkrieg.
Neben dem zum Nordflottenverband gehörenden FK-Kreuzer „Petr Velikiy“ (modernste Flugabwehrsysteme) und den U‑Jagdzerstörern „Severomorsk“ und „Vitse-Admiral Kulakov“ (lief zwischenzeitlich Limassol, Zypern, zur Nachversorgung an) haben sich der Zerstörer „Smetliviy“ und die Fregatte „Admiral Grigorovich“ der Schwarzmeerflotte dem Flugzeugträger angeschlossen. Der Zerstörer „Vitse-Admiral Kulakov“ fand mit einer positiven Meldung den Weg in die Medien, als er am 24. November südlich von Kreta einem mit Motorschaden in See treibenden ukrainischen Fischereifahrzeug half. Der Zerstörer schleppte das Fahrzeug zu einem sicheren Ankerplatz vor der griechischen Insel Gavdos und benachrichtigte die griechische Küstenwache, die sich dann weiter um den Havaristen kümmerte.
Auch die Kampfeinheiten des routinemäßig zwischen Zypern und der syrischen Küste operierenden Ständigen Mittelmeergeschwaders (MedSqn) — die Fregatte „Pytliviy“ und der Minensucher „Ivan Golubets“ (beide Schwarzmeerflotte) — sind in die Sicherung der Flugzeugträgeroperationen eingebunden. Die FK-Korvette „Mirazh“ (NANUCHKA-Klasse) ist dagegen nach gut sechs Wochen Einsatz im Mittelmeer am 20. November ins Schwarze Meer zurückgekehrt.
Medien/Internet-Blogs zufolge sollen auch drei nukleargetriebene U‑Boote (zwei AKULA, ein OSCAR-II) den russischen Verband begleiten. Aus offenen Quellen lässt sich die Präsenz von U‑Booten allerdings auch nach inzwischen mehreren Wochen nicht verifizieren.
Die logistische Komponente besteht aus zum Nordflottenverband gehörenden zwei Bergeschleppern und drei Tankern/Versorgern, darunter auch ein Spezialtanker zur bedarfsweisen Auffüllung der Dampfsysteme der Antriebsanlagen des Flugzeugträgers und des Kreuzers mit speziellem Speisewasser (Destillat). Zusätzlich hat die Schwarzmeerflotte die Flottentanker/-versorger „Ivan Bubnov“ und „Iman“ ins Mittelmeer verlegt.
In der EU gibt es zunehmenden Unmut über die regelmäßige Zwischenversorgung der das syrische Regime im Bürgerkrieg direkt unterstützenden russischen Marine in Limassol (Zypern). Nachdem vor gut einer Woche der zum Nordflottenverband gehörende Tanker „Dubna“ seine Tanks dort auffüllen konnte, gibt es glaubhafte Berichte, nach denen mindestens ein weiterer „unter russischer Flagge fahrender“ (ziviler oder militärischer?) Tanker in Zypern Flugzeugkraftstoff gebunkert – und dann nach Syrien transportiert hat. Nun ist Zypern EU-Mitglied, und für Syrien bestimmter Flugzeugkraftstoff fällt unter das vor zwei Jahren verhängte EU-Embargo. In der EU wächst denn auch politischer Druck auf Zypern, russischen Tankern künftig eine Kraftstoffübernahme zu verweigern.
Der Flugzeugträger „Admiral Kuznetsov“ setzt unterdessen den Einsatzflugbetrieb mit eingeschifften Kampfflugzeugen (zehn Su-33 Flanker und vier Mig-29 Fulcrum‑D) fort. Nach den vom 15.–17. November durchgeführten und öffentlichkeitswirksam dargestellten „koordinierten Luftschlägen“ (gemeinsam mit strategischen Bombern und von See geschossenen Marschflugkörpern) werden die Flugoperationen der „Admiral Kuznetsov“ in den größeren russischen Medien allerdings nicht mehr thematisiert, und auch der Generalstab schweigt sich aus. Dies könnte darauf hindeuten, dass die Einsatzrate so gering ist, dass sie Propagandazwecken eher schädlich wäre.
Internet-Blogs berichten dagegen ausführlich über die Ursache für den Absturz (14. November) eines Mig-29 Kampfflugzeuges der „Admiral Kuznetsov“. Offizielle Meldungen sprechen von einem „schlagartigen Ausfall beider Triebwerke“. Dieser soll nun angeblich nicht durch einen technischen Fehler, sondern durch Kraftstoffmangel verursacht worden sein.
Eine auf dem Flugzeugträger landende Mig-29 habe eines der Fangseile der Landefanganlage zerrissen. Das unmittelbar nachfolgende Flugzeug habe durchstarten müssen und sei dann angewiesen worden, zu kreisen, bis ein neues Fangseil installiert sei. Dies habe aber deutlich länger als geplant gedauert, so dass der wartenden Mig-29 schließlich der Kraftstoff ausgegangen und sie ins Meer gestürzt sei. Sollte diese Darstellung stimmen, werden Verantwortliche an Bord der „Admiral Kuznetsov“ sicher „hochnotpeinliche“ Fragen beantworten müssen, warum die Maschine nicht auf die russische Luftwaffenbasis bei Latakia (Syrien) umgeleitet wurde.
Der Einsatz der „Admiral Kuznetsov“ wird noch bis mindestens Ende Dezember dauern. Zumindest hat Russland bis dahin für jede Woche mehrere Tage geltende Warngebiete (für militärischen Flugbetrieb und Raketenstarts) im östlichen Mittelmeer erklärt. Operativ werden allerdings weder die Kampfflugzeuge der „Admiral Kuznetsov“ noch einige wenige von Kriegsschiffen geschossene Marschflugkörper die Lage in Syrien beeinflussen. Vom Flugzeugträger sind durchschnittlich etwa nur fünf Einsätze pro Tag zu erwarten. Dies sind deutlich weniger als die Einsätze der russischen Luftwaffe von ihrer vorgeschobenen Basis bei Latakia, wobei die Trägerkampfflugzeuge wegen der beim Start über die Bugrampe auftretenden Belastungen auch noch erheblich weniger Waffen tragen können als landgestützte Kampfflugzeuge.
Die eigentliche Bedeutung des Mittelmeereinsatzes liegt darin, dass er überhaupt stattfindet. Erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg greift Russlands Marine in außerheimischen Gewässern von See her aktiv in einen bewaffneten Konflikt ein – eine Tatsache, die auch der russische Verteidigungsminister Shoigu nachdrücklich betont hat. Erstmals überhaupt demonstriert Russland nicht nur vorhandene Fähigkeiten, sondern auch den Willen zu heimatferner „Power Projection From-the-Sea“. Dies ist ganz sicher auch Ausdruck eines unter Präsident Putin wachsenden neuen (militärischen) Selbstbewusstseins mit Anspruch auf Anerkennung als „auf Augenhöhe mit den USA“ global operierende Supermacht. Dass die seegestützten Operationen vor Syrien praktisch bedrohungsfrei unter quasi Friedens-Testbedingungen stattfinden, ist dabei nebensächlich. So ganz nebenbei findet die russische Marine im Syrienkonflikt auch einmalige Möglichkeiten, neue Waffensysteme und operative Konzepte (TSK-übergreifende Kooperation) in einem realen Einsatzumfeld zu erproben und — nicht zuletzt mit Blick auf mögliche Rüstungsexporte – ihre Wirksamkeit zu demonstrieren.
Für Russland scheint es auch keine Rolle zu spielen, dass Verlegung und Einsatz des Verbandes um die technologisch veraltete „Admiral Kuznetsov“ die Marine vor erhebliche logistische Probleme stellen könnten. Abgesehen vom syrischen Tartus (mit nur begrenzten Kapazitäten) verfügt sie im gesamten Mittelmeerraum über keinerlei eigene logistische Basis, ja der Vertrag von Montreux würde dem Flugzeugträger sogar ein Einlaufen ins Schwarzmeer zu einer eventuell notwendig werdenden Werftinstandsetzung verbieten. Schon bei früheren Mittelmeerfahrten der „Admiral Kuznetsov“ war man so nach technischen Problemen gezwungen zu „improvisieren“.
Mit Frachtumschlag im russischen Schwarzmeerhafen Noworossiysk (Anbindung an das russische Eisenbahnnetz), dauert die auch als „Syrian Express“ bezeichnete Lieferung von Rüstungsgütern nach Syrien und Nachschub der dort eingesetzten russischen Truppen unvermindert an, scheint sich in den letzten Wochen sogar noch zu intensivieren. Fast täglich passieren Landungsschiffe der russischen Marine (auch der Nordflotte und der Baltischen Flotte) oder speziell für diese Transporte gebraucht in der Türkei gekaufte und als Hilfsschiffe in die russische Marine integrierte, ex-zivile Frachtschiffe den Bosporus süd- oder nordlaufend. Anfang November hatte Russlands Verteidigungsminister Shoigu erklärt, täglich würden auf dem See- und Luftweg etwa 2.000 t Fracht in Syrien eintreffen; überwiegend handele es sich dabei um „humanitäre Hilfsgüter“.
PIRATERIE
Am 23. November hat die NATO ihre vor dem Horn von Afrika durchgeführte Anti-Piraterie Operation „Ocean Shield“ formell beendet.
2008 hatte die NATO mit ihren Ständigen Einsatzverbänden SNMG‑1 und SNMG‑2 begonnen, den internationalen Seeverkehr durch den Golf von Aden und im Arabischen Meer vor somalischen Piraten zu schützen. Die Operationen „Allied Provider“ und „Allied Protector“ mündeten im August 2009 in die offiziell von Nordatlantikrat beschlossene Operation „Ocean Shield“. SNMG‑1 und SNMG‑2 stellten weiterhin die vor dem Horn von Afrika operierenden Einheiten.
Im Juni 2014 beschlossen die NATO-Verteidigungsminister zwar eine Verlängerung der Operation bis Ende 2016, aber noch im gleichen Jahr fuhr die NATO ihre Präsenz vor Somalia deutlich zurück. Die Ukraine-Krise und zunehmende Migration erforderten neue Prioritäten im Mittelmeer; immer weniger NATO-Partner konnten noch Schiffe für das Horn von Afrika abstellen, und dort war die Piraterie inzwischen auch signifikant zurückgegangen, de facto kaum noch existent.
Ende 2014 wurde „Ocean Shield“ weitgehend eingefroren. Die Führungsstruktur blieb vorerst noch erhalten, und immer wieder mal nutzte die NATO die Region passierende NATO-Einheiten für eine vorübergehende Aktivierung. Nun ist aber endgültig Schluss. Zuletzt hatte die Dänemark für „Ocean Shield“ ein Aufklärungsflugzeug auf den Seychellen stationiert.
Während Piraterie am Horn von Afrika zurzeit kaum noch eine Rolle spielt, sind Piraten in anderen Teilen der Welt weiterhin aktiv. Allein im westafrikanischen Golf von Guinea wurden in der abgelaufenen Woche vier Überfälle auf in See fahrende Schiffe gemeldet. Zunächst war am 19. November ein Konvoy von Offshore-Versorgungsfahrzeugen Ziel eines Angriffes, der durch ein begleitendes Sicherungsboot abgewehrt wurde. Die gleichen Piraten griffen daraufhin das Containerschiff „Maersk Cotonou“ an, waren aber auch hier nicht erfolgreich. Vier Tage später konnten Piraten 60 sm vor dem Nigerdelta den Produktentanker „Eliana“ entern und nach kurzem Feuergefecht mit einem eingeschifften Sicherheitsteam auch etwa zwei lang Stunden besetzen; während sich die Besatzung in einem sicheren Raum verbarrikadiert hatte, raubten die Verbrecher einige Wertsachen. Wenig später griffen die vermutlich gleichen Piraten den in der Nähe fahrenden Bohrinselversorger „Kendrick“ an, kamen hier aber offenbar nicht zum Zuge.
In Südostasien überfielen Piraten vermutlich der philippinischen islamistischen Terrorgruppe Abu Sayyaf am 20. November in der Sulu See mit dem 180.000 BRT großen Massengutfrachter „Kumiai Shagang“ erstmals ein großes Handelsschiff, konnten dieses aber nicht entern.
Bisher hatten sie es fast ausschließlich auf kleinere Fahrzeuge oder Kohle-Schleppzüge abgesehen. Ob sich hier ein neuer „Modus Operandi“ abzeichnet oder der Frachter nur zufällig ihren Weg kreuzte, bleibt abzuwarten.
ESTLAND
Marinebefehlshaber KptzS Sten Sepper ist am 23. November von seinem Amt zurückgetreten.
Auslöser für den Schritt ist die Aufdeckung einer Schmuggelaktion. Zollbeamte hatten bei einer routinemäßigen Kontrolle an Bord des Minenjagdbootes „Sakala“, das in der Ostsee gerade mit NATO-Einheiten geübt hatte, 56 undeklarierte Stangen Zigaretten und etwa 1.000 l alkoholische Getränke entdeckt. Weitere Details zu der Affäre, insbesondere zu möglichen Schuldigen, wurden nicht veröffentlicht. Die Staatsanwaltschaft hat Ermittlungen aufgenommen.
Zunächst musste der Kommandant der „Sakala“ seinen Posten räumen. Er wurde an Land an die Marineschule versetzt. Nachdem der Verteidigungsminister den öffentlich bekannt gewordenen Vorfall als „inakzeptabel“ bezeichnet hatte, übernahm der Marinechef „die volle Verantwortung“ und reichte sein Rücktrittsgesuch ein.
KptzS Sepper war 1993 in die estnische Marine eingetreten. Nach diversen Verwendungen (u.a.) an Bord von Minenabwehreinheiten, als Kommandeur des gemeinsamen Geschwaders Baltron der baltischen Marinen und an Land in operativen Stäben sowie an der Verteidigungsakademie war er als erster ausschließlich im unabhängigen Estland „gewachsener“ Offizier im Juli 2012 an die Spitze der Marine berufen worden. Ein Nachfolger im Amt wurde noch nicht benannt.
GROSSBRITANNIEN
Ab Ende 2018 sollen — sofern die Planung nicht noch „nachgebessert“ wird — die Kampfeinheiten der Royal Navy ohne Seeziel-FK auskommen.
Dass die 1984 beschafften und damit mehr als 30 Jahre alten Seeziel-FK Harpoon Block 1C das Ende ihrer Lagerfähigkeit/Einsetzbarkeit erreichen, ist schon länger bekannt. Zuletzt hatte 2014 eine formelle Ausschreibung zur Wartung der Flugkörper noch einmal deren „Out-of-Service Date 2018“ bestätigt. Auch die zunehmend notwendig gewordene Verwendung von aus alten, ausgemusterten Fregatten TYPE 22 ausgebauten Systemteilen dürfte keinen Zweifel daran gelassen haben, dass die Tage von Harpoon Block 1C gezählt sind. Dennoch wurde offenbar entweder kein Vorhaben zu ihrem Ersatz in die Marineplanung eingebracht, oder aber eine Forderung der Marine ignoriert. Der Verteidigungshaushalt weist wenigstens keinerlei Mittel für neue Seeziel-FK aus.
So werden nach aktuellem Sachstand die zurzeit noch auf allen Fregatten TYPE 23 und drei Zerstörern der DARING-Klasse (TYPE 45) installierten Harpoon ohne Nachfolger bleiben. Überdies wird schon ab März 2017 im Zuge der Ablösung alter Bordhubschrauber Lynx Mk8 durch neue Wildcat auch auf die von den Lynx einsetzbaren, luftgestützten Seeziel-FK Sea Skua verzichtet. Hier soll es allerdings „nur“ eine gut dreijährige Fähigkeitslücke geben, denn ab etwa 2020 sollen die neuen Wildcat-Hubschrauber mit neuen „abstandsfähigen“ (zur Reichweite gibt es noch keine Angaben) Seeziel-FK Sea Venom bestückt werden.
Ausgerechnet die global operierende Royal Navywird so nicht mehr über die weltweit bei fast allen Marinen vorhandene Fähigkeit zur Bekämpfung gegnerischer Schiffe über Sichtweite hinaus verfügen. Als Hauptwaffensystem verbleiben ihren Kampfschiffen die 114-mm-Buggeschütze mit Gefechtsreichweite von etwas mehr als 25km. Ein wesentlicher Teil der Offensivfähigkeiten geht damit verloren. Da tröstet nur wenig, dass modernste Flugabwehrsysteme den Schiffen zumindest eine effektive Verteidigung gegen Beschuss mit Seeziel-FK erlauben sollen.
Die Nachricht — vor allem aber auch ihre Bestätigung durch das Verteidigungsministerium — hat in fast allen britischen Medien einen Sturm der Entrüstung ausgelöst. Süffisante Kommentare sprechen von künftigen Fähigkeiten ähnlich denen des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Die Royal Navy finde sich nun im Vergleich mit internationalen Marinen „zahnlos am untersten Ende“; „Britannia no longer rules the waves“.
Ob es sich bei der ersatzlosen Ausphasung der alten Harpoon Block 1C um ein bloßes Versehen oder eine noch von der Regierung Cameron unter Sparzwängen politisch verordnete, bewusste Maßnahme handelt, ist nicht klar. Man kann aber wohl davon ausgehen, dass die heftige öffentliche Kritik bei der neuen Regierung nicht ohne Wirkung bleiben wird. Die Royal Navy hält sich bedeckt und ließ nur lakonisch erklären, man „beobachte die Entwicklung“.
INDIEN
Die indische Marine hat ihren dritten Zerstörer der neuen KOLKATA-Klasse in Dienst gestellt.
Am 20. November wurde bei der Mazagon-Werft (MDL) in Mumbai auf der „Chennai“ die Seekriegsflagge gesetzt. Nach letzten Erprobungen soll das Schiff bei der Westflotte den operativen Dienst aufnehmen.
Die Indienststellung erfolgte mit vier Jahren Verspätung, denn wie bei fast allen Neubauten der indischen Marine wurde auch bei den neuen Zerstörern der ursprüngliche Zeitplan weit verfehlt. Typschiff „Kolkata“ sollte eigentlich schon 2007 in Dienst gestellt werden, aber erst 2014 und nach insgesamt 11 Jahren Bauzeit konnte MDL das Schiff an die Marine übergeben. Im Herbst 2015 folgte mit der „Kochi“ die Baunummer zwei und noch einmal ein Jahr später nun auch das dritte und letzte Schiff dieser Bauserie.
Die Bezeichnung „Projekt 15A“ zeigt die direkte Nachfolge der in den 1990-er Jahren ebenfalls bei MDL gebauten Zerstörer der DELHI-Klasse („Projekt 15“). „Kolkata“ und ihre Schwesterschiffe sind mit 164m und 7.200ts etwas größer als die Schiffe der DELHI-Klasse (163m, 6,800ts), verfügen aber über ausgeprägtere Stealth-Eigenschaften und reflektieren natürlich auch die technologische Entwicklung. Optisch wird dies u.a. durch ein APAR-Radar deutlich.
„Projekt 15A“ umfasst drei Schiffe, beinhaltete aber von Beginn an eine Option auf ein zweites Los. Diese Option wurde 2009 wahrgenommen. Die für diese Schiffe gewählte offizielle Bezeichnung „Projekt 15B“ (VISAKHAPATNAM-Klasse) lässt allerdings erkennen, dass sie eine weitere Evolution sind. Mit 165m und fast 8.000ts werden sie auch noch einmal etwas größer als die „Kolkata“ und sollen u.a. mit landzielfähigen Flugkörpern (neue Variante von Brahmos?) bestückt werden. Baubeginn sollte zunächst „direkt nach Lieferung des letzten Zerstörers Projekt 15A“ sein, aber angesichts der Verzögerungen in diesem Vorhaben wurde das erste Schiff dann doch schon früher auf Kiel gelegt. Die „Visakhapatnam“ lief im April 2015 bei MDL vom Stapel und soll 2018 geliefert werden. Auch ein zweiter Projekt-15B-Zerstörer ist bereits zu Wasser. Unklar ist noch, wie viele Einheiten das zweite Los umfassen soll. Die Rede ist mal von drei, dann wieder von vier oder gar bis zu sechs Schiffen, die der indischen Marine bis 2024 zulaufen sollen.
USA
Die Kampfschiff-Neubauten der US Navy kommen nicht aus den Negativ-Schlagzeilen heraus.
Wie auch schon an dieser Stelle dargestellt, waren fünf der bisher acht in Dienst gestellten Littoral Combat Ships beider Typen von Ausfällen ihrer Antriebsanlagen betroffen. Fast immer war dabei „Seewasser-Eintritt in Motoren“ die Ursache. Nur einen Monat vor seiner Indienststellung hatte auch der neue Zerstörer „Zumwalt“ Erprobungen abbrechen müssen, nachdem in Generatoren zur Stromerzeugung für den „all-electric“-Antrieb Seewasser gefunden wurde. Nun findet sich der modernste, futuristischste — und auch teuerste — Zerstörer der US Navy erneut in den Medien.
Auf der Überführungsfahrt der „Zumwalt“ von der Atlantikküste zu ihrem künftigen Heimatstandort San Diego fiel bei der Passage des Panamakanals erneut die Antriebsanlage aus, und wieder einmal ist von „Wassereintritt in einen der Hauptmotoren zur Stromerzeugung für den all-electric-Antrieb“ die Rede. Der Zerstörer musste von Schleppern auf den Haken genommen und durch den Kanal bis in die frühere Rodman Naval Station der US Navy gezogen werden. Nach erster Befundung hieß es, das Schiff sei „unfit to continue voyage without repairs“. Wie lange die Instandsetzung dauern soll, ist noch nicht abschließend klar; die US Navy erklärte nichtssagend, man werde „den Zeitplan flexibel gestalten“. Einige Quellen sprechen von „mindestens zehn Tagen“.
Die Häufung praktisch indentischer technischer Havarien auf verschiedenen Typen neuer Kampfschiffe lässt auf mögliche „grundlegende Defizite“ bei der Qualitätssicherung in Zulieferbetrieben für die Antriebsanlagen von Neubauten der US Navy schließen und dürfte der Marineführung so sicher noch gehörige Kopfschmerzen bereiten. Medien reagieren inzwischen nicht nur kritisch, sondern zunehmend auch mit süffisanten bis satirischen Kommentaren.