Dieser Artikel wird mit freundlicher Genehmigung der „MarineForum – Zeitschrift für maritime Fragen“ veröffentlicht.
Interview Chefredakteur MarineForum mit der Bundesministerin der Verteidigung, Dr. Ursula von der Leyen, anlässlich ihres Besuchs an der Marine-Schule Mürwik zur Vereidigung der Crew VII/2016 am 5. August 2016.
Frau Ministerin, die Bundeswehr und damit auch die Marine sieht sich deutlichen Veränderungen der sicherheitspolitischen Situation in Europa gegenüber und hat zum selben Zeitpunkt neue Herausforderungen, z.B. bei der Gewinnung von qualifiziertem Personal zu bestehen. Wo sehen Sie den wichtigsten Anpassungsbedarf bei der Deutschen Marine?
Die Deutsche Marine ist zurzeit enorm gefordert. Das gilt für Schiffe und Material, aber besonders für die Soldatinnen und Soldaten, die häufiger und länger von ihren Lieben getrennt sind als früher. Dennoch spüre ich in meinen Gesprächen, dass die Frauen und Männern der Marine hochprofessionell und mit viel Freude bei der Sache sind. Als Arbeitgeber schulden wir diesen Menschen ein Maximum an Planbarkeit und Verlässlichkeit.
Es ist gut, dass die Marine einige innovative Konzepte entwickelt hat, die insbesondere den Männern und Frauen auf See den Job erleichtern sollen. Zum Beispiel wird die neue Fregatte vom Typ F125 mehr als nur eine Besatzung haben. Das Schiff kann länger im Einsatzgebiet bleiben, während die Besatzungen ein- und ausgeflogen werden. Endlose Leerfahrten ohne großen Mehrwert für Übung und Ausbildung fallen weg. Zugleich können wir unsere hochmodernen Schiffe viel effizienter für die wichtigen Aufgaben nutzen.
Die EU-geführte Operation Atalanta am Horn von Afrika hat dort – auch mit Hilfe deutscher Schiffe und Flugzeuge – erfolgreich Piratenangriffe gegen Handelsschiffe verhindert. Anfang August wird die Fregatte „Bayern“ ihren Einsatz bei der EU NAVFOR am Horn von Afrika beenden, und erstmals seit Beginn der Operation ist für sie keine Ablösung durch ein anderes Schiff der Deutschen Marine geplant. Können Sie hier etwas zu den Planungen in Ihrem Ministerium sagen, wenn die EU diese Operation fortführen wird?
Deutschland hat viel für Atalanta geleistet. Die Marine war seit 2008 nahezu lückenlos mit mindestens einem Schiff an der Operation beteiligt und hat sie zuletzt auf See geführt. Eines unserer Seefernaufklärungsflugzeuge wird ab Mitte September die Operation unterstützen. Darüber hinaus beteiligen wir uns durchgehend mit Personal in den Hauptquartieren sowie mit einer Logistikeinheit in Dschibuti. Derzeit wird die Mission seitens der Europäischen Union weiterentwickelt. Natürlich geht es auch darum, die Anzahl der beteiligten Einheiten der aktuellen Sicherheitslage anzupassen. Die derzeit weitgehend stabile Situation macht einen weiteren Rückbau des Engagements wahrscheinlich.
Die Durchführungsbestimmungen zur Europäischen Arbeitszeit Verordnung (AZV) hat die Dienstpläne – nicht nur der seegehenden Einheiten – teilweise heftig durcheinandergewirbelt. In Wilhelmshaven wird über die Einrichtung eines „Seemannsheimes“ für die betroffenen Bordangehörigen nachgedacht. Frau Ministerin, wirkt die Einführung der AZV – zumindest für einen Übergangszeitraum – nicht kontraproduktiv für das Attraktivitätsprogramm der Streitkräfte zur Gewinnung von Personal und ist die Soldatenarbeitszeitverordnung wirklich so strikt? Welche Möglichkeiten bestehen in der Truppe, bei Bedarf / in Ausnahmefällen und in „sinnvoller Gestaltung“ von ihr abzuweichen?
Natürlich gibt es bei einem solchen Großvorhaben immer eine Startphase, in der es ruckelt. Das ist völlig normal. Trotzdem ist eine Sache klar: Unsere Soldatinnen und Soldaten haben wie jeder andere ein Leben außerhalb der Kasernen und genauso einen Anspruch auf Gesundheitsschutz wie die zivilen Angestellten der Bundeswehr. Wir müssen mit ihrer Lebens- und Arbeitszeit verantwortungsvoll umgehen und dürfen nicht damit aasen. Wir sind bei Weitem nicht die einzigen Streitkräfte, die diesen Weg gehen. Viele andere Armeen unserer europäischen Partner haben die EU-Arbeitszeitrichtlinie bereits erfolgreich umgesetzt. Im Bereich der Marine hat die Einführung der Arbeitszeitrichtlinie bereits zu mehr Transparenz geführt. Viel kostbare Zeit unserer Marinesoldaten sollte nicht für das Bewachen von Schiffen im Hafen verbraucht werden, sondern besser für originäre Marineaufgaben. Soweit das möglich ist, sollten wir die Schiffe elektronisch überwachen und uns zusätzlich um Unterkünfte für die Besatzungen an Land bemühen. Die Vorgesetzten sind gefordert, ihre Spielräume bei den neuen Arbeitszeitregeln auszunutzen. Im Herbst wollen wir die Erfahrungen zur Umsetzung der EU-Arbeitszeitrichtlinie analysieren, um gegebenenfalls noch Dinge anzupassen oder klarer zu regeln.
Hauptauftrag der Operation Sophia ist die Festsetzung von Schleppern und – nach erweitertem Mandat – die Unterbindung von Waffenschmuggel nach Libyen. Natürlich werden dabei auch alle in See angetroffenen Flüchtlinge/Migranten aufgenommen und in einen sicheren Hafen gebracht. Die Schiffe der EU NAVFORMED dürfen aber dazu nicht in libysche Hoheitsgewässer einfahren, und zugleich ist bekannt, dass die Schlepper diese fast nie verlassen, ja ihre Boote (inzwischen überwiegend „Einweg-Schlauchboote“) schon an der Küste allein in See schicken. Ist das Operationsziel allein von internationalen Gewässern überhaupt erreichbar und wie viele Schlepper konnten bei der nun schon 10 Monate dauernden Operation Sophia tatsächlich in See festgenommen werden?
Die EU geht bei der Operation Sophia in Stufen vor. Derzeit ist Sophia – mit Ausnahme von Seenotrettungsfällen – auf die Hohe See begrenzt. Wir werden nun in einem weiteren Schritt die Mission ausweiten und dort die libysche Küstenwache ausbilden, die dann die eigene Küste besser schützen soll. Deutschland wird sich mit Personal beteiligen. Sophia ist aber nur ein Baustein, um die Ursachen von Flucht und Migration zu bekämpfen. Seit Beginn der Operation konnten fast 90 mutmaßliche Schleuser an die zuständigen italienischen Behörden übergeben werden. Dass unsere Soldatinnen und Soldaten beinahe täglich schiffbrüchige Männer, Frauen und Kinder vor dem Ertrinken retten, ist ein unschätzbarer humanitärer Beitrag, der in der Bevölkerung hoch anerkannt wird. Ich werde überall darauf angesprochen. Ich weiß, wie belastend die Rettungsaktionen für die eingesetzten Männer und Frauen der Marine sein können. Ich bin ihnen sehr dankbar für diese großartige Leistung.
Im Herbst plant die französische Marine zur Bekämpfung des IS einen weiteren Einsatz ihrer Groupe Aeronaval mit dem Flugzeugträger „Charles de Gaulle“ im Persischen Golf. Beim letzten Einsatz im Frühjahr dieses Jahres war die deutsche Fregatte „Augsburg“ in den französischen Verband integriert. Wird die Deutsche Marine auch bei diesem nächsten Einsatz der „Charles de Gaulle“ wieder an der Operation teilnehmen?
Wir werden uns auf Bitten Frankreichs ab September erneut mit der Fregatte „Augsburg“ am französischen Flugzeugträgerverband „Charles de Gaulle“ beteiligen. Die Deutsche Marine ist Teil des Kampfes gegen die Terrormiliz IS. Und wir sehen immer mehr Erfolge gegen diesen Gegner. Der IS ist mittlerweile in seinen Stammländern Irak und Syrien deutlich geschwächt und verliert immer mehr Gebiet. Auch in Libyen kommt er stark unter Druck. Es zahlt sich aus, dass die internationale Gemeinschaft entschlossen gegen diesen brutalen Gegner vorgeht.