Ulrich Reineke
(Flottillenadmiral Ulrich Reineke ist Abteilungsleiter Planung im Marinekommando)
Besucher, die sich im Sommer 2017 dem Marinekommando in Rostock nähern, nehmen schon von Weitem Baukräne wahr. Eines der ehrgeizigsten Vorhaben der Deutschen Marine nimmt Gestalt an – das neue maritime Hauptquartier oder der German maritime Forces-Stab. Abkürzung: DEU MARFOR. Das Besondere: Alliierte und Partner werden eingeladen, sich an diesem Führungszentrum zu beteiligen, sodass es bei Bedarf durch Offiziere der Partnermarinen deutlich aufwachsen und dann zum Baltic Maritime Component Command werden soll. Dessen Aufstellung reiht sich in einen durch die Trendwenden ermöglichten Fähigkeitserhalt der deutschen Seestreitkräfte, die darüber hinaus in ihrer Anzahl und Qualität robuster werden.
Um dem Anspruch der Bundesrepublik Deutschland gerecht zu werden, braucht die Bundeswehr, wie es das Weißbuch formuliert, qualitativ hochwertige und moderne Fähigkeiten. Im Rahmen einer in den vergangenen Jahren erfolgten Analyse wurden diese Fähigkeiten identifiziert und planerische ausgestaltet. Für die Marine ist es besonders positiv, dass die damit einhergehende Schärfung des Fähigkeitsprofils durch die militärische Führung und die politische Leitung unterstützt wird. Das zukünftige Fähigkeitsprofil der Marine wird damit durch zwei wesentliche Faktoren bestimmt. Einerseits ist dies die politische Akzeptanz der NATO-Planungsziele durch die Bundesrepublik Deutschland. Das setzt den Rahmen. Innerhalb dieses Rahmens geht es andererseits darum, wirkungsvolle Schwerpunkte zu setzen.
Der erste Schwerpunkt der maritimen Fähigkeitsentwicklung ist die Befähigung zum Führen von Operationen auf der oberen taktischen Ebene. Dies ist ein erheblicher Fähigkeitsgewinn und absehbar das anspruchsvollste Projekt der Weiterentwicklung der maritimen Fähigkeiten der Bundeswehr. Am Standort des Marinekommandos in Rostock werden zukünftig zwei Führungseinrichtungen zur Verfügung stehen.
Das Maritime Operations Centre (MOC) der Deutschen Marine stellt die Überführung und gleichzeitige Modernisierung der bisher in Glücksburg bestehenden Führungseinrichtungen der Marine dar. Ein solches „Betriebszentrum“ ist notwendig, um der Betriebs- und Versorgungsverantwortung des Inspekteurs der Marine in seiner Verantwortung als Truppensteller für Einsätze und einsatzgleiche Verpflichtungen nachzukommen. Das MOC führt die Flotte rund um die Uhr und weltweit im Grundbetrieb, in ihren täglichen Seefahrten zur Ausbildung, im Transit und steuert u. a. logistische Leistungen. Darüber hinaus verfügt es bereits heute über eine DEU-POL-Führungszelle für U‑Boot- Operationen, leitet die Aktivitäten der Seeluftstreitkräfte und übernimmt Aufgaben in der nationalen Aufgabe „Suche und Rettung“ (SAR). Aufgrund der Stationierungsentscheidungen der Neuausrichtung der Bundeswehr erfolgt die Überführung nach Rostock mit der Fertigstellung der notwendigen Bauinfrastruktur und der Bereitstellung moderner Führungsunterstützung und IT.
Zusätzlich wird die Marine am Standort Rostock das Baltic Maritime Component Command (BMCC) aufbauen, das zur Mitte der kommenden Dekade seine volle Einsatzfähigkeit erreichen und die NATO Force Structure wirkungsvoll unterstützen wird. Diese Kraftanstrengung der Bundeswehr wird in der NATO ausdrücklich begrüßt. Nukleus des BMCC ist der zukünftige Kernstab DEU MARFOR. Dieser deutsche maritime Einsatzstab mit multinationaler Beteiligung befindet sich in der Aufstellung und leitet alle vorbereitenden Maßnahmen zur Aufstellung des BMCC.
Die Besonderheit des BMCC wird eine über die Führungsfähigkeit auf der oberen taktischen Ebene hinausgehende regionale Expertise sein. Die NATO ist sich bewusst, dass das Randmeer Ostsee einer besonderen Betrachtung bedarf. Vor dem Hintergrund, dass die Europäische Halbinsel fast überall von Randmeeren umgeben ist, ist dieses tiefe Wissen um den Einsatz im Randmeerbereich für das Bündnis und seine Partner besonders wertvoll. Von besonderem Vorteil ist darüber hinaus die räumliche Nähe zum in Kiel beheimateten NATO Centre of Excellence for Operations in Confined and Shallow Waters (COE CSW), mit dem es ein leistungsstarkes Kompetenzcluster bildet.
Ziel der Deutschen Marine ist es, wesentlich zu den von der NATO geforderten maritimen Fähigkeiten des Bündnisses beizutragen und relevante Beiträge zu liefern. Diese sind: Erhalt einer wirkungsvollen Fähigkeit im Unterwasserseekrieg, hochwertige Fähigkeiten in der maritimen Luftverteidigung und Teilhabe an der NATO-Raketenabwehr, Rahmennation U‑Boote und, in deutlicher zeitlicher Distanz, der Kern einer amphibischen Fähigkeit der Bundeswehr gemeinsam mit internationalen Partnern. Dies geht einher mit einem verstärkten regionalen Gestaltungswillen im Nordflankenraum, also den Gewässern des Nordatlantiks und der Ostsee.
Im Bereich des Unterwasserseekrieges ist die Marine auf dem Weg, die dreidimensionale Unterwasserortung und die Befähigung zur wirkungsvollen Bekämpfung von Unterseeboten aber auch Überwasserstreitkräften in die Zukunft zu tragen. Ein zukünftiger Verbund aus modernisierten Seefernaufklärern, einem auf die U‑Boot- Jagd ausgerichtetem Fregattenprogramm MKS 180, hochmodernen U‑Booten und einem leistungsfähigen Bordhubschrauber als Nachfolge des Sea Lynx sind die wirkungsvollen Bausteine. Diese Bausteine werden die multistatische Ortung von Unterwasserkontakten und deren Bekämpfung auf große Distanzen ermöglichen. Diese modernen Verfahren eröffnen ein hohes Kooperationspotenzial mit unseren Partnermarinen, insbesondere mit der US-Navy und in einer strategischen Partnerschaft mit Norwegen.
Die Beschaffung des MKS 180, die Nachfolgeplanung BHS Sea Lynx sowie der Ausbau der U‑Boot-Flotte ermöglichen diesen Schritt nach vorne. Damit verbunden ist der deutsche Anspruch auf eine Rolle als Rahmennation für konventionelle U‑Boot-Operationen. Eine leistungsfähige Industrie, U‑Boote als Schlüsseltechnologie, die strategische Partnerschaft mit Norwegen und der Erhalt der Befähigung zum Einsatz einer modernen Flotte moderner U‑Boote haben Sogwirkung und ermöglichen anderen Nationen die Anlehnung an Deutschland. Dazu erfolgen eine Verstärkung des 1. Ubootgeschwaders und die multinationale Ausrichtung des Ausbildungszentrum U‑Boote (AZU) in Eckernförde.
Der Erhalt der Befähigung zur wirkungsvollen Bekämpfung von Seeminen und die in diesem Bereich bereits bestehende enge regionale Zusammenarbeit ist der zweite wichtige Aspekt der Befähigung zur Unterwasserseekriegsführung. Die Anstrengungen der Marine gehen deutlich über die Nachfolgebeschaffung für die derzeitigen Einheiten hinaus. Ziel ist es, gemeinsam mit regionalen Partnernationen eine wirkungsvolle „MCM-Toolbox“ zu entwickeln. Dies ist die Zusammenstellung unterschiedlicher Fähigkeiten zur Bekämpfung von Seeminen zu einem kohärenten Kräftedispositiv, gemeinsame Beschaffung und Nutzung von Systemen sowie eine einheitliche Ausbildung. Der Standort Kiel mit den weiteren Dienststellen der Bundeswehr, dem im Aufbau befindlichen Einsatzausbildungszentrum Mine und den dort stationierten deutschen Einheiten kann zu einem regionalen Kompetenz- und Ausbildungszentrum aufgebaut werden.
Eine besonders anspruchsvolle Aufgabe liegt in der integrierten Luftverteidigung und Raketenabwehr. Mit mehreren Partnermarinen ist Deutschland Teil der internationalen MoU-Organisation des Maritime Theatre Missile Defence Forums. Dieses entwickelt zukünftige Fähigkeiten, technische Lösungen sowie Einsatzgrundsätze und ‑verfahren für seine Mitglieder. Deutschland ist nicht nur ein Gründungsmitglied, sondern hat in 2017 auch den einjährigen Vorsitz des Forums übernommen. Die mit den Fregatten der Klasse 124 bereits heute bestehenden herausragenden maritimen Fähigkeiten der Bundeswehr in der integrierten Luftverteidigung werden weiter ausgebaut. In der kommenden Dekade erfolgt die Fähigkeitserweiterung auf die Ortung ballistischer Flugkörper. Die Deutsche Marine wird diese Fähigkeiten, in maritimen Verbänden und streitkräftegemeinsam integriert, dauerhaft zur Verfügung stellen, weiter ausbauen und im multinationalen Verbund einbringen.
Der Aufbau einer amphibischen Fähigkeit der Bundeswehr mit eigenen Plattformen liegt am Ende des planerischen Betrachtungszeitraumes. Gleichzeitig bestehen Indikationen, dass solche Fähigkeiten in enger Zusammenarbeit mit der Königlich Niederländischen Marine aufgebaut werden können. Um einer solchen Vorgehensweise das erforderliche Momentum zu geben, wird bereits jetzt die Integration des Seebataillons der Deutschen Marine mit dem niederländischen Korps Mariniers vorangetrieben. Zurzeit erfolgen konzeptionelle Abstimmungen für diese Fähigkeiten zwischen den beiden Marinen, um rechtzeitig die Umsetzung einleiten zu können.
Die Deutsche Marine wird mit ihren Seekriegsmitteln für nationale und Bündnisaufgaben deutlich außerhalb der an Deutschland angrenzenden Seegebiete verfügbar sein. Dafür ist sie multinational interoperabel ausgelegt. Sie kann jederzeit und überall in maritime Kräftedispositive eingebunden werden. Dies beweist der Einsatzalltag der Deutschen Marine in den letzten Jahren eindrucksvoll. Im Bündnisrahmen unterstützt sie mögliche Joint Operations. Um ihre regionale Verantwortung im Nordflankenraum und in der Ostsee wahrnehmen zu können, sind geeignete Seekriegsmittel erforderlich.
Mit der Entscheidung zur Beschaffung von fünf weiteren Korvetten wird die Befähigung zur Randmeerkriegsführung entscheidend gestärkt und die Fähigkeit zur Präsenz und Zusammenarbeit mit Partnern in der Ostsee ausgebaut – und dies bei gleichzeitig hoher Einsatzbelastung in anderen Seegebieten. Die Gespräche der Marine mit den Partnern in der Ostsee im Rahmen der Baltic Commanders Conference zeigen auf, dass eine solche verstärkte Präsenz und Kooperationsfähigkeit von uns erwartet wird. Sie stärkt die gemeinsame Fähigkeit zur Abschreckung möglicher Bedrohungen.
Der für die nächste Dekade geplante konsequente Fähigkeitserhalt für die maritimen Fähigkeiten der Bundeswehr trägt den Forderungen der NATO, den Wünschen der Partner und insbesondere der regionalen Verantwortung der Deutschen Marine in diesem Bereich Rechnung. Er adressiert die anerkannten Fähigkeitsforderungen für die Ostsee, den Nordflankenraum und die Seegebiete des Atlantiks und des Mittelmeeres und ermöglicht darüber hinaus, auch den weltweiten Gestaltungsauftrag für die Freiheit und Sicherheit der Meere wahrzunehmen.
Die Aufstellung eines maritimen Hauptquartiers der oberen taktischen Ebene mit der Möglichkeit für andere Nationen, sich an die deutschen Seestreitkräfte anzulehnen, die Rolle der Deutschen Marine als Rahmennation für konventionelle U‑Boote, das Bereitstellen der besonderen regionalen Kompetenz in der Minenabwehr auch für Partnermarinen und die Kooperation im Bereich der gemeinsamen multinationalen Fähigkeitsentwicklung zeigen eindrucksvoll das Bestreben der Deutsche Marine, die Kooperation mit ihren Freunden und Partnern voranzutreiben.
Dieser Artikel wird mit freundlicher Genehmigung der „MarineForum – Zeitschrift für maritime Fragen“ veröffentlicht.