(Dr. Sybille Reinke de Buitrago arbeitet am Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg (IFSH) zu internationalen Beziehungen, Sicherheitspolitik und Friedens- und Konfliktforschung)
In den letzten Jahren ist eine erhöhte Aufmerksamkeit auf die Arktis zu beobachten. Der Hauptgrund dafür liegt im Klimawandel und den Veränderungen, die er erzeugt, sowie in den Aktionen verschiedener Staaten mit Blick auf ihre Interessen in der Region. So bringen die klimatischen Veränderungen neue Chancen zur Gewinnung wichtiger Ressourcen, neue und kürzere Handelsrouten für die Schifffahrt sowie Aktivitäten aller Art, inklusive des Tourismus in der Region.
Dieser Artikel wird mit freundlicher Genehmigung der „MarineForum – Zeitschrift für maritime Fragen“ veröffentlicht.
Allerdings werden von staatlicher Seite auch neue Gebietsansprüche gestellt, und der zukünftig leichtere Zugang zur Arktis wird von einigen Anrainerstaaten als klare Einschränkung ihrer Sicherheit betrachtet (Anrainerstaaten sind Dänemark, Kanada, Norwegen, Russland und die USA). Zusammen mit den neuen Möglichkeiten schafft der Klimawandel ein neues Destabilisierungspotenzial. So haben einige Anrainerstaaten die Bedeutung der Region in ihrer Sicherheits- und Verteidigungspolitik deutlich erhöht.
Auch Nicht-Anrainerstaaten, insbesondere China, erheben Ansprüche auf die Ressourcen in der Arktis; China untermauert dies mit militärischen Warnungen. Die Anrainerstaaten verfolgen immer stärker eine Politik zur Energiesicherung; einige modernisieren ihr Militär und rüsten auf. Ebenso ist der Ausbau arktis-relevanter Kapazitäten und Fähigkeiten zu beobachten. Dass die existierenden Kooperationen in der Arktis nicht als selbstverständlich oder krisenfest angesehen werden können, zeigt die Ukraine-Krise – sie hat aufgrund der Verschlechterungen mit Russland auch zum Ende einiger geplanter regionaler Kooperationsvorhaben geführt.
Von den Nicht-Anrainerstaaten artikuliert besonders China seine Interessen in der Arktis verstärkt, und es betreibt eine zunehmend aktive maritime Politik. Die weitere wirtschaftliche Entwicklung wird von chinesischer Seite aus in starker Abhängigkeit von einem sicheren Rohstoffzugang verstanden, und dies erfordert auch den Zugang über die Meere. Zudem ist China ein zunehmend globaler Akteur mit wachsendem Gewicht. Seit einiger Zeit definiert sich das Land als nah-arktischer Staat und unterstreicht so seine Interessen in der Region. Dieser Beitrag versucht, die arktis-relevanten Ambitionen, Interessen und Aktivitäten Chinas einzuordnen und darauf basierend den Handlungsbedarf im Umgang mit China in der Region sowie für eine stabile Arktis aufzuzeigen.
Chinas Ambitionen und Interessen in der Arktis
Obwohl kein Anrainer, definiert sich China seit einigen Jahren als nah-arktischer Staat mit wachsenden Interessen dort. Seit 2013 ist das Land Beobachter im Arktischen Rat (AR); ein Beobachterstatus ermöglicht das Engagement für bestimmte Projekte im Rahmen der AR-Arbeitsgruppen. Zur Begründung seiner Interessen bringt die chinesische Regierung das Common-Good-Argument vor: So sei die Arktis als wichtige und Nutzen bringende Region für die Allgemeinheit anzusehen. China könne und dürfe nicht zusehen, wenn andere die Ressourcen unter sich aufteilen. Zudem haben schmelzende Polareiskappen globale Auswirkungen.
Der chinesischen Arctic and Antarctic Administration zufolge müsse China seinen politischen Einfluss auf die Arktis ausbauen. Bereits in 2008 hat die chinesische Führung den Ausschluss von Nicht- Anrainerstaaten zurückgewiesen, nachdem die Anrainerstaaten in der Ilulissat-Erklärung ihre Souveränität in der Arktis bekräftigt hatten. In 2009 haben chinesische Regierungsvertreter die Anrainerstaaten davor gewarnt, die Balance zwischen den eigenen nationalen Interessen und den Interessen der internationalen Gemeinschaft zu wahren: so hätte jedes Land der Welt die gleichen Rechte zur Nutzung arktischer Ressourcen. Zudem gab es wiederholt offizielle Äußerungen, Chinas Arktis-Interessen auch militärisch zu schützen. Das Interesse an einem kooperativen Vorgehen hat China ebenso artikuliert. Insgesamt häufen sich aber die Aussagen zum Willen, die Arktis- Interessen mit allen Mitteln durchzusetzen.
Für ein Verständnis chinesischer Ambitionen sind auch die offiziellen Aussagen der jüngsten Zeit zum nationalen Ziel einer Polarmacht und einer Seemacht relevant. Einschätzungen von Experten nach gibt es noch keine ausformulierte Arktis-Strategie, eine solche wird aber ausgearbeitet. China hebt im White Paper von 2015 nicht nur seine maritimen Interessen, sondern auch seine Rechte hervor. Betont wird die Bereitschaft, beide zu schützen und durchzusetzen und die dafür nötigen Fähigkeiten auszubauen.
Das Ziel einer Seemacht wird ebenfalls hervorgehoben. Zum Schutz der Interessen auf offener See soll daher eine multifunktionelle Marine aufgebaut werden, die auch mit maritimen Kampfeinheiten effizient agieren kann. Gestärkt werden sollen Mittel für strategische Abwehr, Gegenangriff und (gemeinsame) maritime Manöver und Operationen. In den Ozeanen sieht China einen signifikanten Handlungsraum zur Stärkung einer nachhaltigen Entwicklung.
Der Diskurs der chinesischen Regierung bezüglich der Arktis hat sich in den letzten Jahren eindeutig in Richtung einer stärkeren Positionierung vis-à-vis der Region verschoben. Interessen und Mittel zu ihrem Schutz werden deutlich artikuliert. Auch Chinas Warnungen an die Anrainerstaaten lassen aufmerken. Zusammen mit dem Ausbau von arktis-relevanten Kapazitäten, wie nachfolgend erläutert, sind sie ernst zu nehmen.
Chinas Aktivitäten in der Arktis
Nicht nur im maritimen Raum, sondern auch gezielt bezüglich der Arktis ist China zunehmend aktiv. Dies geschieht u.a. mit einer wachsenden Polarforschung, die sich auf die Gewinnung von Ressourcen richtet. Maritime Kapazitäten werden ausgebaut, deren weitere Stärkung ist geplant. So bauen chinesische Firmen gezielt Technologie und Wissen auf, um auf Wettbewerbsniveau in der Arktis operieren zu können. China gehört zu den größten Aufkäufern von internationalen Öl-Assets – davon sind einige auf die Arktis ausgerichtet. Regierungsaussagen nach soll die Region, neben anderen maritimen Räumen, Chinas wirtschaftlicher Entwicklung und globalem Machtstatus dienen.
In diesem Kontext werden die Modernisierung von Chinas Militär und das aggressive Vorgehen bei Territorialstreitigkeiten von anderen Staaten als bedrohliche Entwicklung wahrgenommen. So wird China z.B. von den USA immer wieder zur Einhaltung internationaler Normen und zu konstruktiven Beziehungen für eine stabile Region aufgerufen. Chinas militärische Aktivitäten und Intentionen seien nicht transparent und richteten sich gegen die USA, so auch mittels Anti- Access/Area-Denial (A2/AD)-Instrumenten. Chinas hoch entwickelte Luftabwehrsysteme können den Zugang zu maritimen Räumen und die Handlungsfreiheit anderer Staaten dort einschränken.
Gerade auch weil die indo-asiatisch-pazifische Region in ihrer Bedeutung zunimmt, sind die Entwicklungen in China mit Sorge zu betrachten; zunehmende und intensivere maritime Territorialstreitigkeiten und gestiegene Risiken für den maritimen Handel werden erwartet. Zwar trägt auch China mit Antipirateriemissionen etwas zur Sicherheit im Indischen und Pazifischen Ozean bei, doch führe der Ausbau der Marine und das aggressive Verhalten gegenüber souveränen Staaten zu Spannungen und Instabilität. In einem solchen Umfeld würden auch Fehleinschätzungen und Eskalation begünstigt.
Auch mit Blick auf bilaterale Kooperationen ist China zunehmend aktiv, jedoch auch bezüglich Militärmanöver. Diese werden vermehrt mit Russland durchgeführt. Weitere wachsende Kooperationspartner sind Island oder Finnland. Experten sehen für China mehr Gewinn durch ein kooperatives Verhalten als durch Konfrontation. Ein konfrontatives Vorgehen gegenüber Arktis-Anrainern könnte sich auch negativ auf die chinesische Position im Südchinesischen Meer auswirken. Bi- oder multilaterale Kooperationsabkommen, z.B. für den Ankauf von Energieressourcen, bieten dem Land hingegen wichtige Vorteile.
Von Bedeutung ist hierbei auch, dass zumindest einige Staaten in der Region China mehr und mehr als legitimen Akteur und Arktis- Stakeholder betrachten. So trägt China in den Bereichen von Transport, Handel, Ressourcennutzung und Umweltwissenschaft zur regionalen Entwicklung bei. Insbesondere mit Russland kooperiert China zunehmend, obwohl beide Länder in der Arktis auch Konkurrenten sind.
Zusätzlich ist eine strategische Angleichung bezüglich der Arktis zu beobachten, aber auch eine gegen die USA gerichtete Sicherheitspartnerschaft. Während manche eine aktuelle Bedrohung der Sicherheit in der Arktis durch China anzweifeln, trotz des wachsenden Einflusses auf Arktisfragen und zunehmende Bedeutung als Seemacht, sehen andere aufgrund der chinesischen Ambitionen und des aggressiven Ansatzes eine Schwächung der regionalen Sicherheit.
Welcher Handlungsbedarf ergibt sich vis-à-vis China und für eine stabile Arktis?
Mit dem Ausbau eigener Handlungsräume und Einflusssphären stärkt China seine Position auch mit Blick auf die Arktis. Dies wird mit entsprechenden Aussagen zu Chinas Interessen und zum Willen, diese militärisch zu schützen, begleitet. Damit besteht durchaus Grund zur Sorge zum weiteren chinesischen Vorgehen bezüglich der Arktis sowie der Auswirkungen auf die Stabilität der Region. Auch konstruierte Bedrohungen haben negative Auswirkungen, wenn sie eine geopolitische (Neu-)Ordnung in der Region befördern.
Eine Art neuer Kalter Krieg in der Arktis ist recht unwahrscheinlich, jedoch verweisen die Entwicklungen auf ein gestiegenes Destabilisierungspotenzial. China ist ein wachsender Akteur auch in der Arktis und stellt eine zunehmende Herausforderung in der Region dar.
Um Spannungen und drohenden Instabilitäten entgegenzuwirken, bedarf es einer verbesserten Kooperation mit und Einbindung von China in arktis-relevanten Fragen. Das schließt eine Anerkennung der geostrategischen Bedeutung der Arktis mit ein. Zudem braucht es einen Dialog zur Tatsache existierender wirtschaftlicher Interessen auch von Nicht-Anrainerstaaten.
Aufgrund der globalen und regionalen Bedeutung Chinas sind die chinesischen Interessen sowie die Kapazitäten zur Durchsetzung dieser zu berücksichtigen. Zusammen mit verstärkten Maßnahmen für Dialog und Vertrauensbildung, so auch im Rahmen des AR und seiner Arbeitsgruppen, braucht es Wege zur stärkeren Einbindung Chinas in bestehende arktis-relevante Norm- und Regelwerke. In den Bereichen, wo China beitragen kann, wie z.B. mit Technologie, kann es eine größere Rolle und Verantwortung übernehmen. Auf der anderen Seite kann auch der Ausbau der Kooperation zwischen den Arktis-Anrainerstaaten stabilisierend wirken. Für den Fall von Eskalationen bedarf es Frühwarnindikatoren und eine verbesserte Krisenkommunikation, sodass schnell und deeskalierend reagiert werden kann.