Hoffnung stirbt zuletzt: F‑35 des Marine Corps auf dem Prüfstand
Die USA haben Schulden. Abgesehen vom Zweiten Weltkrieg, so Matthias Nass in der ZEIT, »war Amerika seit Beginn der Haushaltsbilanzen im Jahr 1792 nie so hoch verschuldet wie heute«. Deshalb muss gespart werden, und weil die finanzielle Not so groß ist, müssen auch »heilige Kühe« wie das Pentagon ihr Scherflein dazu beitragen. So trat am 6. Januar dieses Jahres Verteidigungsminister Gates vor die Presse und legte sein Sparprogramm dar. Das Pentagon muss seine Etatplanung für die nächsten 5 Jahre um insgesamt 78 Milliarden Dollar kürzen. Dabei scheint das US Marine Corps (USMC) besondere Opfer bringen zu müssen. Zum einen, weil das Projekt EFV (Expeditionary Fighting Vehicle) ganz gestrichen und das Programm des F‑35B ganz besonders unter die Lupe genommen wird.
Dieser Artikel wird mit freundlicher Genehmigung der “MarineForum — Zeitschrift für maritime Fragen” veröffentlicht.
Foto: US Navy / Lockheed-Martin |
Die von Lockheed Martin entwickelte F‑35 »Lightning II« war als Sieger aus der »Joint Strike Fighter« – Ausschreibung hervorgegangen und ist eines der größten und anspruchsvollsten internationalen Waffenprojekte. Dabei handelt es sich um ein überschallschnelles Kampfflugzeug der fünften Generation mit modernster Avionik, das zudem über eine Tarnkappenfähigkeit (Stealth Technology) verfügt. Drei Versionen des Flugzeuges sind vorgesehen: F‑35A für die Luftwaffe, F‑35B für das Marine Corps und F‑35C für die Marine. Insgesamt sollen 2.457 Maschinen für die US-Streitkräfte beschafft werden. Dazu kommen noch einige Kunden aus dem Ausland. Zum Beispiel aus Großbritannien, Israel oder Italien.
Probleme gibt es reichlich
der neue Helm Quelle: USMC |
Allerdings gibt es ein paar Schwierigkeiten. Auf der einen Seite traten bei der Entwicklung und der Erprobung immer wieder Probleme auf, sodass sich das Rüstungsvorhaben weit hinter dem ursprünglichen Zeitplan befindet. Nach einer Meldung der Financial Times Deutschland zeigten sich beim Lebensdauertest nach nicht einmal zehn Prozent der geforderten Zeit Risse an der hinteren Flugzeugstruktur. Ferner wurde festgestellt, dass das für sämtliche drei Versionen vorgesehene Triebwerk F‑135 von Pratt & Whitney beim Einsatz des Nachbrenners sehr starke Vibrationen verursacht.
Auch beim Pilotenhelm soll es Schwierigkeiten geben, die bis jetzt nicht näher erläutert wurden. Dabei spielt dieser Helm eine bedeutsame Rolle, da sämtliche taktischen Anzeigen mit einem »Head-Up-Display« nicht auf die Cockpitscheibe, sondern direkt auf das Visier des Helms projiziert werden. Des Weiteren ist das Projekt F‑35 finanziell etwas aus dem Ruder gelaufen. So hat sich der ursprüngliche Stückpreis von mehr als 50 Mio. USD (einige Quellen sprechen von 69 Mio.) verdoppelt. Ein Flugzeug soll inzwischen 112 Mio. USD kosten.
Nach einer Meldung der Navy Times vom 29. November letzten Jahres ergeben sich für die Marineversion der F‑35 (F‑35C) weitere Ungereimtheiten, die nicht mit dem Flugzeug, sondern mit der Logistik zu tun haben. Natürlich haben die Flugzeugträger der Navy Ersatztriebwerke für ihre Flugzeuge an Bord (zurzeit sind dies 35 Ersatztriebwerke der Typen F404 und F414 für die Hornets und Super Hornets). Dennoch kann nicht ausgeschlossen werden, dass eventuell auf weitere Triebwerke zurückgegriffen werden muss, und die dann schnellstmöglich an Bord des Flugzeugträgers gelangen sollten.
Und da gibt es ein Problem. Denn obwohl das F‑135-Triebwerk für den Transport zu einem Flugzeugträger in fünf Teile zerlegt werden kann, so ist die Antriebseinheit (Power Module) in ihrem Container zu groß, um in eine C‑2 Greyhound (COD – Carrier onboard delivery) oder eine V‑22 Osprey zu passen. Dummerweise kann auch das 9.400 Pound (ca. 4.300 kg) schwere Triebwerksmodul wegen des hohen Gewichts nicht mithilfe eines High-Line-Manövers von einem Versorgungsschiff an einen Flugzeugträger übergeben werden. Allerdings ist es möglich, das Triebwerksteil als Außenlast von einer Osprey, welche die Marine nicht in ihrem Inventar hat (plant aber die Anschaffung von 48 Maschinen, u.a. für die logistische Flottenversorgung auf See. Osprey soll nach landläufiger Annahme die Greyhound-Maschinen ablösen), oder einem MH-53E Hubschrauber von einem Versorgungsschiff zu einem Träger zu transportieren (Vertical Replenishment).
Die Möglichkeit, die F‑35B der Marine mit dem F‑136–Triebwerk von General Electric/Rolls-Royce auszurüsten, stellt keine Alternative dar, da dieses Triebwerk ähnliche Dimensionen aufweist. Auch wenn dieses Problem zunächst einmal nur die Marine betrifft, so dürfte dies auch auf das Marine Corps zutreffen.
Bei seiner Pressekonferenz erklärte Verteidigungsminister Gates, dass die Entwicklung und Erprobung der F‑35A und F‑35C bisher weitgehend zufriedenstellend (»proceeding satisfactory«) verläuft. Das trifft nicht ganz den Kern der Angelegenheit, denn auch die für die Luftwaffe und die Marine vorgesehenen Versionen liegen erheblich hinter ihrem Zeitplan. Doch nur weil dieser für alle drei Ausführungen verschoben wurde und die ursprünglichen Leistungsparameter für die erste Erprobung herabgesetzt wurden, können die Projektarbeiten als zufrieden stellend bezeichnet werden.
Entscheidungen noch in der Schwebe
Wesentlich größere Probleme ergeben sich bei der für das Marine Corps vorgesehenen Version. Das ist nicht weiter verwunderlich, denn im Vergleich zu den für die Luftwaffe und die Marine vorgesehenen Varianten soll die F‑35B auch noch über Kurzstart- und Vertikallandeeigenschaften verfügen (STOVL – Short Take-Off and Vertical Landing). Dass da zusätzliche technische Hürden überwunden werden müssen, ist nicht weiter verwunderlich. Allein die Konstruktion eines Tarnkappenflugzeugs stellt die Ingenieure vor besondere Herausforderungen. Wenn das Flugzeug dann zusätzlich auch noch auf einer relativ kurzen Distanz starten und senkrecht landen soll, erfordert dies zusätzliche Technik (zum Beispiel das Lift-System von Rolls-Royce).
Die Lösung dieser Probleme kann, so führte Verteidigungsminister Gates aus, zu einem »Redesign« der Flugzeugstruktur und des Antriebs führen, sodass das Flugzeug nicht nur schwerer, sondern auch teurer werden könnte. Deshalb wird die STOVL-Variante einer zweijährigen Probezeit unterworfen. Sollte es in diesem Zeitraum nicht gelingen, das Projekt auf den richtigen Weg hinsichtlich seiner Leistungsfähigkeit, der Kosten und der zeitlichen Planung zu bringen, dann sollte es nach Gates Ansicht aufgegeben werden.
Ablösung für veraltende AV-8B Harrier II Foto: US Navy |
Für das Marine Corps wäre dies ein herber Schlag. Schließlich sollten mit der F‑35B der Senkrechtstarter AV-8B Harrier II, der sich seit 25 Jahren in Diensten der Marineinfanterie befindet, und die F/A‑18 Hornet ersetzt werden. Zudem hat das USMC am 2. April 2010 mit der Marine Fighter Attack Training Squadron 502 (VMFAT-501) die erste Ausbildungsstaffel für die F‑35B aufgestellt. Sollte die F‑35B letztlich aus finanziellen Gründen gestrichen werden, dann hat dies auch Auswirkungen auf die geplanten amphibischen Träger der AMERICA-Klasse.
Mit diesen Schiffen sollen die ab 1973 eingeführten Träger der TARAWA-Klasse abgelöst werden. Die erste Einheit (USS AMERICA/ LHA‑6) soll bereits 2013 in Dienst gestellt werden. Insgesamt vier Schiffe sollen gebaut und zusammen mit den acht amphibischen Trägern der WASP-Klasse in Dienst gehalten werden. Mit einer Verdrängung von 45.000 Tonnen sind diese Einheiten etwa 4.000 Tonnen schwerer als die WASP-Klasse und werden damit die größte amphibische Kriegsschiffklasse der Welt sein.
Ein wichtiger Bestandteil der auf der AMERICA-Klasse eingeschifften fliegenden Komponente ist die F‑35B. Neben zwölf MV-22 Osprey, acht AH-1Z-Kampfhubschraubern sowie jeweils vier CH-53K und vier UH-1Y-Hubschraubern sollen zehn F‑35B zu einem Standardverband gehören. Sollte das Projekt F‑35B vom Pentagon aufgegeben werden, dann könnte das Marine Corps bei ihren seegestützten Fliegerverbänden neben seinen Hubschraubern nur noch die Transportflugzeuge MV-22 einsetzen. Kampfflugzeuge würden dann auf den amphibischen Trägern nicht mehr zur Verfügung stehen. Es sei denn, das USMC entschließt sich, die veralteten AV-8B Harrier II noch weiter zu betreiben. Was nicht unbedingt anzunehmen ist – und auch nicht sinnvoll wäre.
Das Marine Corps steht also vor einem großen Problem, das nur dann zu lösen ist, wenn die Schwierigkeiten bei der F‑35B zu beseitigen sind und das Projekt wieder – wie Verteidigungsminister Gates sich ausdrückte – »back on track in terms of performance, cost and schedule« ist. Noch ist das Programm nicht verloren, auch wenn die Royal Navy inzwischen die F‑35B zugunsten der C‑Variante aufgegeben hat. Italien, das für seine Marine 22 und für seine Luftwaffe 40 Exemplare der F‑35B geordert hat, hat sich noch nicht endgültig entschieden.
In den nächsten zwei Jahren wird sich zeigen, ob das Flugzeug die in es gesetzten Hoffnungen erfüllen kann. Das USMC hat die Hoffnung noch nicht aufgegeben und ließ in der »Marine Corps Times« vom 17. Januar verkünden, dass mit der F‑35B im Zeitraum vom 5. bis zum 13. Januar insgesamt fünf erfolgreiche vertikale Landungen durchgeführt wurden. Vielleicht ist dies ja der erste Schritt »to get back on track«! Die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt.