Exkurs: die Krim
Von der Größe eines kleinen Landes mit einer Fläche von 26.100 km² und knapp 2 Millionen Einwohnern bildet die Krim fast eine Enklave im Schwarzen Meer. Die Halbinsel Krim ist im südlichen Teil sehr gebirgig. Die Berge sind ein Verkehrshindernis und auch eine Klimascheide. Südlich des Krimgebirges an der Schwarzmeerküste herrscht ein mediterranes Klima. Südfrüchte und Wein (Krimsekt) werden landwirtschaftlich angebaut, die Strände entwickeln sich zunehmend zu einem Urlaubsgebiet vor allem für Russen.
Über die Jahrtausend hin war die — nur über eine schmale Landzunge mit dem Festland verbundene — Halbinsel im Schwarzen Meer das Rückzugsgebiet viele Völker die in den ukrainischen Steppen von anderen Völkern verdrängt worden waren. Die Krimgoten (3. bis 17./18. Jhdt. möglicherweise in den von Katharina der Großen ins Land geholten “Krimdeutschen” aufgegangen), und die Krimtataren (seit dem 13. Jhdt.) sind bei uns wohl die bekanntesten dieser “Restvölker”, wobei die Krimtataren mit etwa 10 % der Einwohner einen gleich großen Bevölkerungsteil wie die Ukrainer an der Krim-Bevölkerung halten.
Heute bilden vor allem die 1,5 Mio. Russen unter den knapp 2 Mio. Bewohnern ein Problem für die Ukraine. Rund 150.000 dieser ethnischen Russen haben neben den ukrainischen Pässen auch noch russische Ausweise in den Taschen. Eine Untersuchung des Kiewer Rasumkow-Instituts hat noch 2007 ergeben, dass sich jeweils etwas über 30 % der Bevölkerung als “russisch” ode “sowjetisch” bezeichnen.
Wie kam es zu dieser Problematik?
Seit der Verdrängung der Osmanen (Khanat der Krimtataren) im 18. Jhdt. war die Krim russisches Staatsgebiet. Fast ein Jahr lang hielten die russischen Soldaten während des Krimkriegs von 1855 in Sewastopol den überlegenen Streitkräften von Briten, Franzosen und Türken stand. Auch die Armeen Hitlers mussten sich 1941 über 250 Tage hin eine blutige Staat mit den sowjetischen Truppen liefern, um Sewastopol zu erobern.Das Urlaubsgebiet der zaristischen Adeligen und der sowjetischen Arbeiter- und Parteielite hat sich tief als “Land der Sehnsucht” in die russische Gedankenwelt eingeprägt.
Die Krim gehört erst seit 1954 zur Ukraine. Der sowjetische KP-Vorsitzende Nikita Chrustschow verschenkte das Gebiet der Krim zum 300. Jahrestag der ukrainisch-russischen Union an Kiew. Seinerzeit war diese Zuodnung eine mehr oder weniger uninteressante Geste. Russland und die Ukraine waren beide Bestandteil der Sowjetunion — und die Unterordnung unter Moskau blieb im gemeinsamen Staat weiterhin stark und erhalten, zumal Sewastopol, der Hauptstützpunkt der russicehn Schwarzmeerflotte und Hauptarbeitgeber des Gebietes, ohnehin weier unter direkter Moskauer Verwaltung blieb.
Nach dem Zerfall der Sowjetunion fand sich die Mehrheit der Russen plötzlich in einer unabhängigen Ukraine wieder, in der starke Bevölkerungsteile eine westlich orientierte Politik befürworteten. Der von Russlands Präsident Jelzin 1997 mit der Ukraine geschlossene Freundschaftsvertrag, der auch die bestehenden Grenzziehungen bestätigte, wurde von den ethnischen Russen als Verrat empfunden. Dazu kommt eine ungeschickte “Ukrainisierungspolitik” aus Kiew. Die Krim hat zwar innerhalb der Ukraine den Status einer Autonome Republik (ukrain. Автономна Республіка Крим/Awtonomna Respublika Krym, krimtatarisch Qırım Muhtar Cumhuriyeti), aber — so ein Teil der russischen Bevölkerung — die damit verbundenen Rechte etwa zur Verwendung der russischen Sprache und in finanziellen Angelegenheiten würden von Kiew unterlaufen.
Die Basis Sewastopol und die russische Schwarzmeerflotte wurden darüber hinaus zu ständigen Streitpunkten zwischen den beiden Staaten. Zuerst bereitete die Aufteilung der Schwarzmeerflotte Probleme, und dann empfand (und empfindet) die westlich orientierte Ukraine den russischen Flottenstützpunkt als “Stachel im eigenen Hoheitsgebiet”. Die gesamten Hafenanlagen gehören zum russischen Stützpunkt. Die Liegeplätze der ukrainischen Flottille sind nur mit der Fähre zu erreichen. Derzeit ist der Bestand der russischen Flottenbasis noch bis 2017 vertraglich abgesichert.
Obwohl Russland jährlich rund 100 Mio. $ Miete zahlt, und die Schwarzmeerflotte der größte Arbeitgeber in der Stadt ist, lässt Kiew kaum eine Gelegenheit aus, der russischen Flotte Beschwernisse aufzuerlegen. Kiew war besonders darüber erbost, dass Schiffe der Schwarzmeerflotte im August 2008 von Sewastopol aus Kurs auf die georgische Küste genommen haben, um in den Krieg am Kaukasus einzugreifen. Ukraines Präsident Viktor Juschtschenko verfügte daraufhin Beschränkungen für Fahrten der russischen Kriegsschiffe. Russiche Kriegsschiffe, die am Krieg gegen Georgien beteiligt waren, sollten nicht mehr in ukrainisches Hoheitsgebiet einlaufen dürfen. Russland betrachtet die Beschränkungen als Verstoß gegen die Abkommen über die Stationierung der Schwarzmeerflotte in der Ukraine.Am 24. August 2008 — dem Jahrestag der ukrainischen Unabhängigkeitserklärung von 1991 — liefen die am Georgienkrieg beteiligten Schiffe der Schwarzmeerflotte unter dem Jubel der Stadtbevölkerung wieder in Sewastopol ein.
Russische Politiker wiederum — wie Moskaus Bürgermeister Juri Luschkow — stellen öffentlich die Zugehörigkeit der Krim zur Ukraine in Frage. Auch die Äusserngen von Diplomaten — so des russischen NATO-Botschafters Rogosin, die Krim werde “sich erheben”, wenn die Ukraine der NATO beitrete, werden in Kiew als Provokation, Drohung und Hegemonialstreben des russischen Nachbarn empfunden.
Die Bemühungen Kiews um einen NATO-Beitritt — und das Einlaufen von NATO-Schiffen wie des US-Küstenwachschiffes (Coast-Guard) “Dallas” kurz nach dem Kaukasus-Kreig 2008 mit Georgien — wird von den russischen, russophonen Bewohnern Sewastopols und der Krim dagegen als Provokation empfunden. Und dass die Schwarzmeerflotte dann auf Seite der russischen Bevölkerung in eine “blutige Konfrontation” eingreifen würde, wird von russischen Nationalisten in Sewastopol nicht nur hinter vorgehaltener Hand kolportiert.
Die Beziehungen zwischen den beiden Volksgruppen, den Ukrainern und den Russen, sind daher sehr angespannt.
Anfang 2014 eskalierte die Situation: Nach Massenprotesten in Kiew und der Flucht des ukrainischen Präsidenten Viktor Janukowitsch nach Russland besetzten russische “Patrioten” (westliche Journalisten sprechen von gut geführten russischen Elitesoldaten ohne Hoheitsabzeichen) die öffentlichen Gebäude und die ukrainischen Stützpunkte auf der Halbinsel, ohne dass sich die ukrainischen Soldaten zur Wehr setzen durften. Nach einer Abstimmung (16. März)erklärte sich die Krim zunächst selbstständig. Zwei Tage danach besiegelte Russlands Präsident Putin den „Anschluss“ der Krim.
Siehe auch unser Dossier zu Russland
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