“Das Imperium kehrt zurück
mit seiner Panzer-Politik in Georgien hat Russland den Westen kalt erwischt. Erstmals seit Sowjetzeiten zeigt der Kreml militärisch wieder ein Sebstbewusstsein, das die Welt zuletzt nur von den Ölbaronen kannte. .…”
(stern, 21.08.2008)
Putin sieht die Streitkräfte und Rüstungsindustrie des Landes wohl als essentiell für seinen Wunsch, Russland als Nachfolgestaat der Sowjetunion zur alten Größe zurück zu führen — Russland als Großmacht mit den USA und Widerpart der westlichen Führungsmacht auf der anderen, gegenüber liegenden Seite der Arktis.
RÜSTUNGSINDUSTRIE:
Die russische Rüstungsindustrie ist tatsächlich ein weiterer Devisenbringer, die mit robusten und preiswerten, aber hochwertigen Rüstungsgütern gerade in den asiatischen Schwellenländern — Indien und China — enorme Geschäfte abwickeln kann. Die von der Preishausse im Ölmarkt profitierenden Länder — von Algerien über Kasachstan und Malaysia bis Venezuela — vervollständigen das Klientel der russischen Waffenkunden. Dazu kommt nach den Jahren der Rezession inzwischen wieder Geld aus Russlands Staatskasse. Diese ist aufgrund der Exporterlöse insbesondere für Erdöl und Gas gut gefüllt. Russland konnte es sich leisten, im Jahr 2006 so viel in die Rüstung zu stecken wie noch nie seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion — fast 25 % mehr als im Vorjahr 2005. Die Rüstungsindustrie hat Aufträge in einem Volumen von 11 Mrd. Euro abgewickelt — mit steigender Tendenz. Alleine 2007 wurde für 23 Mrd. € ein enormes Auftragsvolumen aufgehäuft. Im März 2008 gab der Erste Vizepremier und Ex-Verteidigungsminister Russlands, Sergej Iwanow, dazu bekannt, bis 2010 solle die Waffenproduktion um ein Drittel und bis zum Jahr 2015 solle die Produktion von konventionellen Waffen sogar auf das 2,2‑fache steigern.
Russland hat sich ein ehrgeiziges Programm vorgenommen und will nach den USA und der EU weltweit zum drittgrößten Flugzeugbauer der Welt werden und hat sich dafür ein ehrgeiziges Investitionsprogramm von über 250 Mrd. $ vorgenommen. Alleine von 2008 bis 2016 sollen Rüstungsgüter im Wert von rund 145 Mrd. € beschafft werden. Die Produktion von Militärflugzeugen — bis 2006 rund 88 % des russischen Flugzeugbaues — soll um das Viereinhalbfache, der Ausstoß von Zivilflugzeugen sogar um das 27-fache steigen, so daß bis 2025 der Militärflugzeugbau einen Anteil von einem Drittel der russischen Flugzeugproduktion erreichen soll. Im Jahr 2025 soll die russische Flugzeugindustrie jährlich 300 Passagier- und je 100 Transport- und Militärflugzeuge herstellen und gut 10 % des zivilen Weltmarktes abdecken.
Auch hier findet eine vom Staat gesteuerte Konzernbildung statt. So wurden die größten russischen Kampf- und Zivilflugzeugbauer (Irkut, Mig, Suchoi, Iljuschin und Tupulew) 2006 in der staatlich kontrollierten OAK-Holding zusammengeführt, die von Alexej Fjodorow, einem Absolventen einer amerikanischen Wirtschaftsakademie geführt wird.
Die derzeit hergestellten zivilen Flugzeuge — Iljuschin-96, Tupolew 204 und 214 und Suchois Superjet 100 (ein Regionalflugzeug mit maximal knapp 100 Plätzen) — stehen aber zur Zeit noch nicht in einer bevorzugten Wettbewerbsposition. OAK — der neue russische Flugzeugbaukonzern — will mit der Modernisierung der Iljuschin IL-96 und der Tupolew Tu-204 zwei bewährte Muster aufmöbeln. Dies wird sicher für die russischen Luftfahrtlinien von Interesse, die einmal mit diesen Mustern Erfahrung haben — und die zum anderen auch noch aus politischen Gründen gehalten sind, russische Produkte zu erwerben. Es bleibt abzuwarten, ob Russland darüber hinaus auch auf dem heiß umkämpften internationalen Markt “punkten” kann. Von Russlands neuem Regionalflugzeug, der Superjet 100 sind im April 2007 erst 71 Maschinen bestellt (800 Bestellungen sollen bis zum Jahr 2024 folgen) — Brasilien mit seinem Konkurrenzprodukt Embraer 190 kann dagegen über 360 Bestellungen aufweisen, und auch der kanadische Hersteller Bombardier (38 Bestellungen der CRJ 1000) sowie Chinas auf den Markt drängender ACAC ARJ 21–700 (35 Bestellungen) machen den Russen den Markt streitig. Dabei rechnet sich Russland vor allem auf dem europäischen Markt Chancen aus. Das französisch russische Joint-Venture zur Triebwerkspoduktion und eine Beteiligung von Alenia Aeronautica (Italien) sollen dazu den Weg ebnen. Auch das neueste Projekt der Russen — der “MS-21” (ein Kurz- und Mittelstreckenflugzeug für 150 +/- 20 Plätze) würde in Konkurrenz zum Airbus A 320 und Boeings 737 treten.
International wettbewerbsfähig sind dagegen die Militärflugzeuge von Suchoi und MiG. Vor allem China und Indien, aber auch andere Staaten in Asien und Afrika gehören zu den Dauerkunden russischer Technik, und mit südamerikanischen Ländern dringt die russische Flugzeugindustrie auch in den “Hinterhof” der USA vor. Im Jahr 2008 stieg der russiche Waffenexport insgesamt um 800 Millionen US-Dollar auf mehr als 8,35 Milliarden Dollar. Der große Umfang der Waffenlieferungen konnte im Jahr 2008 vor allem dank den Großverträgen über die Lieferung von Su-30-Jägern beibehalten werden. In diesem Jahr sind beinahe 40 Flugzeuge dieses Typs geliefert worden, acht bis zehn Su-30MKA-Maschinen an Algerien, sechs Su-30MKM an Malaysia, bis zu sechzehn Su-30MKI samt Bewaffnungssätzen für die Lizenzproduktion nach Indien, acht Su-30MK2V an Venezuela und zwei Su-30MK2 an Indonesien.
Koordiniert wird Russlands Militärindustrie — die neben dem Fugzeugbauer OAK auch dem Raketenbauer Almas-Antei, den Hubschrauberlieferanten Oboroprom, die Stahlschmiede Russbetsstal, die Panzerschmiede Uralwagonsawod, den Fahrzeughersteller Avtovaz und diverse Werften umfasst — vom staatlichen Rüstungsexporteuer Rosoboronexport. Rosoboronexport koordiniert nicht nur die Arbeit der verschiedenen Rüstungsfirmen, sondern schließt diese über Beteiligungen zu einem gewaltigen Rüstungskonzern zusammen. So hat Rosoboronexport die entscheidende Mehrheit beim Titan-Hersteller VSMPO Avisma am Ural. Dabei sind auch westliche Hersteller im Boot: EADS ist mit 10 % am Suchoi-Lieferanten Irkut beteiligt und Alenia (Italien) will bei Russlands zivilen Flugzeugbauern einsteigen. Sagem und Thales (Frankreich) bestücken Indiens Suchoi-Kampfflugzeuge mit Steuerungselektronik. Oboroprom will ebenfalls mit EADS kooperieren und von der europäischen Rotortechnologie profitieren — während im Gegenzug das know how der Russen für den geplanten europäischen Schwerlast-Hubschrauber eingebracht würde. Auch bei Titan-Legierungen sind die Russen unschlagbar — und inzwischen Lieferanten für Airbus und Boeing.
Mit ehrgeizigen Rüstungsprojekten hat das Land am Ende der Amtszeit von Präsident Putin erneut den Anspruch erhoben, als Großmacht im internationalen Konzern mit zu spielen. Manöver der Marine und Flugpatroullien über Atlantik, Arktis und Pazifik sollen Russlands “Eingreifmöglichkeit” in einem weit vorgeschobenen Bereich vor Russlands Grenzen demonstrieren — und Russlands Armee soll für Einsätze in der Arktis “fit gemacht” werden. Mehr als symbolische Aktivitäten — wie etwa das “hissen” der russischen Flagge auf dem Grund des Polarmeeres — wurden aber bisher selten erreicht.
Als Zeichen für die neue Stärke soll das im Februar 2008 neu in Dienst gestellte Atom-U-Boot Jurij Dolgorukij dienen. Das Boot der neu geschaffenen Boreij-Klasse kann 100 Tage getaucht bleiben und mit 16 Atomraketen bestückt werden — hat aber den militärischen Wert eines Vergnügungsdampfers. Die Atomraketen vom Typ Bulawa‑M sind nämlich nicht einsatzbereit — und werden dies wohl erst lange nach Indienststellung des U‑Bootes werden.
Insgesamt erscheint die Investition in die russische Rüstungsindustrie überzogen. Auch wenn Russland inzwischen (wieder) technologische Spitzenprodukte herstellt: die Investitionen dort gehen zu Lasten der zivilen Wirtschaft. Eine Nischenbranche wie die Rüstungsindustrie kann und wird niemals eine breite Entwicklung der Volkswirtschaft vorantreiben. Die Fokussierung auf eine Nischenbranche führt also zur Austrocknung der anderen Wirtschaftsbereiche. Das kann langfristig nur dazu führen, dass die Wirtschaft zurück bleibt — und irgendwann einmal unter der Konkurrenz anderer Länder zusammen bricht, oder ein isoliertes Dasein in der Globalisierung fristet.
Der eigene russische Militäretat erreicht zwar auch nur einen Bruchteil der Aufwändungen der USA, die sich allerdings auch mit ihren globalen Aktivitäten “zu verschlucken” scheinen.
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