Rohstoffe:
Russlands Exportwachstum beruht derzeit vor allem auf der zunehmenden Lieferung wertvoller Rohstoffe. Russland ist weltweit der größte Erdgas- und der zweitgrößte Erdölexporteur. Alleine aus Sibirien kommen jährlich 750 Mio. Barrel Öl aus der Erde. Gigantische Reserven wie das Bovanko-Gasfeld auf der westsibirischen Jamal-Halbinsel (Erschließung ab 2011 vorgesehen) oder das Stockmann-Gasfeld im Nordmeer warten auf die Vermarktung. In den letzten zwanzig Jahren wurde in Russland das Filanowskoje-Vorkommen von Lukoil im nordkaspischen Raum entdeckt: Ende 2005 nahm die Gesellschaft 82 Millionen Tonnen Erdöl in die Bilanz auf, dann erhöhte sie die Vorräte auf 218 Millionen Tonnen. Der britische Ölförderer Timan Oil & Gas hat in Russland im Sommer 2008 das große Ölvorkommen Nischnetschutinskoje (Timan-Petschora-Region) mit geschätzten Vorräten von 100,1 Millionen Tonnen, die der geologischen Vorräte auf 272,9 Millionen Tonnen gemäß der russischen Klassifikation, entdeckt. Die nachgewiesenen und wahrscheinlichen Vorräte 1etragen 191,3 Millionen Barrel (25,5 Millionen Tonnen) nach der SPE-Klassifikation. Die Förderung auf dem Vorkommen Nischnetschutinskoje is aber sehr schwierig, denn bei einer Größe von 215 Quadratkilometer und einer Tiefe von 28 bis 150 Meter wird die Ölgewinnung sehr teuer, was sich nur bei hohen Absatzpreisen rentiert.
Dennoch lebt Russland bereits jetzt überweigend vom Öl- und Gasexport. 3.800 Milliarden Kubikmeter — am Jahreswechsel 2006/2007 zum Preis von 25,50 Dollar je 100 Kubikmeter nach Westeuropa verkauft — lassen bei steigenden Preisen ein stetig steigendes Exporteinkommen erwarten. Die Reserven sind so groß, dass neben Westeuropa auch noch Ostasien (aus den sibirischen Gasfeldern im Mündungsbereich des Ob) über teuere Pipelines versorgt werden können — und die Lieferung von verflüssigtem Gas nach Nordamerika vorgesehen ist. Sibirische Diamenten (über 35 Mio. Karat jährlich) bilden die größte Nachschubquelle der Märkte, Gold (4. Platz der weltweiten Förderländer, Platin, Uran, Nickel, Kobalt und Silber stecken in gewaltigen Mengen in russischer Erde.
Im Erdöl- und Erdgasbereich wie auch in der Veredelungsindustrie setzt Russland seit der Amtszeit Putins (also seit Anfang 2000) zunehmend auf die Bildung von (staatlich kontrollierten) Konzernen. Russlands Bodenschatz-Gesetz zählt die Vorkommen mit Vorräten von mehr als 70 Millionen Tonnen (C1+C2) zur Kategorie der strategischen Reserven, die gegen eine Kompensation (Entschädigung) nationalisert werden können. So wird dem russischen Aluminiumriesen Rusal der Weg geebnet, um den einheimischen Konkurrenten Sual und die Aluminiumsparte des Schweizer Rohstoffkonzerns Glencore zu übernehmen. Damit entsteht der größte weltweite Aluminiumproduzent (Quelle: “Wedomosti”: Fusion dreier Rohstofffirmen — größter Aluproduzent weltweit — (http://de.rian.ru) ). Neuerliche “Teilprivatisierungen” wie der Börsengang von Rosneft und neu austarierte Kooperationsverträge (wie dem Förderkonsortium von Sachalin II — s.u.) zeigen, dass Russland großen Wert darauf legt, Mehrheitseigner der strategisch wichtigten Rohstoffkonzerne zu bleiben — oder zu werden.
Einer der gewaltigen Wirtschaftskonzerne ist der Energieriese GAZPROM mit einem Börsenwert von 250 Mrd. $ (Stand 2006), der sich unter der wohlwollenden Führung der russischen Regierung — die strategischen Investitionsentscheidungen werden dem Vernehmen nach von Präsident Putin selbst getroffen — befindet. Anfang 2007 gehörten der stellvertretende Ministerpräsident Dmitrij Medenew, der Ex-Verteidigungsminister Sergej Iwanow und der Wirtschaftsminister German Gref und der Industrieminister Wiktor Christenko an. Kein Wunder also, dass sich der Staatskonzern (Russland besitzt mehr als 50 % der Aktien) als verlängerter Arm der russischen Regierung versteht.
Unter Übernahme der Ölfirma “SIBNEFT” des Milliardärs Abramowitsch hat sich Gazrpom zu einem gigantischen Gemischtwarenkonzern mit über 150 Tochterunternehmen entwickelt. Der Konzern beherrscht (Stand 2005) über 85 % der russischen Gasproduktion, 17 % Anteil an den weltweiten Gasreservern, fast 465.000 km Gaspipelines und 25 % der russischen Erdöl-Reserven. Gazprom verfügt in Russland über rund 20 Ölförder- und Handelsgesellschaft (u.a. Sibneft), ein Tankstellennetz (Sibneft AZS Service) und eine eigene Ölraffiniere (Sibneft Omsky NPZ), stellt Lastkraftwagen (Iveco Uralaz) und Fahrzeugzubehör (Reifen) her, hat einen eigenen Medien- und Kommunikationsbereich (Gazrpom-Media mit ehemals kritischen Zeitungen wie der Iswestija und der Tageszeitung Kommersant, die aufgekauft wurden), TV- und Radiosendern (NTW) sowie den Unternehmen Gazsvyas (Telekommunikaton) und Informhaz (info-Technologie). Wie es sich für einen Energieriesen gehört verfügt Gazprom über geologische und technologische Forschungsinstitut (5 Stück), stellt Gasherde und andere Haushaltsgeräte her (Gasmash), ist natürlich im Bau von Kraftwerken engagiert (Gazpromenergo) die es gleich selbst betreibt (2 Stromversorger) , verfügt über (derzeit 9) Bauunternehmen und Ingenieurbüros, die selbst gebauten Immobilien werden selbst verwertet (Wohnbauten, Hotelanlagen), 3 eigene Transportunternehmen und 2 Fluggesellschaften wickeln die Logistik des Konzerns ab und finanziert wird das ganze von rund 10 eigenen Banken, 8 Finanzierungs- und Beteiligungsgesellschaften und natürlich verfügt der Konzern dann auch über einen eigenen Pensionsfonds (Gazfund) und eine Versicherungsgesellschaft (Sogaz). Die Übernahme mancher Firmen verlief für westliche Verhältnisse etwas — suspekt — so war der Inhaber des bekannten TV-Senders NTW erst nach mehreren Tagen Untersuchungshaft bereit, den Sender an seinen Kreditgeber Gazprom zu verkaufen. Es bedurfte wohl keiner großen Überredungskünste, bis Gazprom den privaten Ölkonzern Sibneft des reichsten russischen Oligarchen, Abramowitsch übernehmen konnte. Der Staatskonzern (50,01 % der Aktien gehören dem russischen Staat, 32,59 % weiteren russischen Anteilseignern, 10 % der Bank of New York und 6,4 % der E.on Ruhrgas) streckt seine Fühler weiter aus: der russische Minenkonzern Suek (Kohle) wird mit Gazprom ein gemeinsames Tochterunternehmen gründen, auch um Russland, das derzeit noch 2/3 seiner Fördermengen selbst zu Billigstpreisen (Quelle) verkauft, einen Umstieg auf vermehrte Kohlennutzung und damit noch höheren Gasexport zu ermöglichen. Dies ist umso wichitger, als Russland — das ja seine Deviseneinnahmen im Wesentlichen auch dem Verkauf seiner fassilen Energieträger zu verdanken hat — trotz der Erschließung weiterer Vorräte mit sinkenden Gasförderungen rechnen muss. Russlands Wirtschaftsministerium hat seine Prognose für die Gasförderung für das Jahr 2010 von 722 auf 717 Milliarden Kubikmeter gesenkt (Quelle). Zugleich bemüht sich Russland, gemeinsam mit Katar und Saudi Arabien ein Erzeugerkartell für die Gasbranche zu bilden (Quelle), auch wenn auf dem Forum Erdgas exportierender Länder im April 2007 in Doha, der Hauptstadt Katars, (vorläufig noch) keine Abkommen zwischen Unternehmen zu erwarten sind (Quelle), das Forum soll vielmehr der Vorbereitung entsprechender Vereinbarungen dienen.
Dazu kommen Beteiligungen an gemeinsamen Unternehmen mit westlichen — vor allem europäischen — Partnern wie dem Gashändler Wingas (gemeinsam mit Wintershall, BASF), die u.a. die Ostsee-Pipeline zur Versorgung Norddeutschlands errichten werden. (Stand jeweils 2006)
Externer Link — Tagesschau:
Gazprom und die russischen Reserven
Gazprom — der Energiekonzern des Kreml
DER SPIEGEL (10/2007) — 05.03.2007 Titel: “Der Konzern des Zaren” ist nur komplett als E‑Paper zu kaufen.
Ein weiterer russischer Energieriese ist der Staatskonzern ROSNEFT, der 2004 den privaten Konkurrenten Yukos des in Sibirien inhaftierten Oligarchen Chodorkowski übernahm und damit zum zweitgrößten Anbieter auf dem Ölmarkt aufstieg, und mit Gazpromneft (ehem Sibneft) nun ein Drittel des Marktes kontrolliert. 2006 ist der Reingewinn der Ölgesellschaft Rosneft im Vergleich zu 2005 auf das 3,8‑fache auf 213,216 Milliarden Rubel (umgerechnet 6,1 Milliarden Euro) angewachsen. Allein von April bis Juni 2008 verdiente Rosneft umgerechnet knapp 3 Mrd. Euro — rund 150 Prozent mehr als im Vergleichszeitraum des Vorjahres. Den Umsatz verdoppelte der Konzern auf mehr als 14 Mrd. Euro.
Der größte privatwirtschaftliche Ölkonzern des Landes, der Branchenzweite LUKOIL, steigerte seinen Gewinn im zweiten Quartal 2008 um mehr als 60 Prozent auf rund 2,8 Mrd. Euro. Der Umsatz belief sich auf fast 22 Mrd. Euro.
Auch an BASHNEFT - einem der zehn größten Erdölproduzenten Russlands mit einer Tagesproduktion von 240.000 Fass Erdöl (rund 2,5 % der russischen Tagesproduktion) und modernen Raffinerien mit der doppelten Verarbeitungskapazität — konnte der russische Staat im Juli 2007 eine Kontrollmehrheit erwerben — zusammen mit einer handvoll weiterer baschkirischen Erdölunternehmen.
Nach dem Vorbild dieser erfolgreichen Energiekonzerne formiert sich derzeit ein neuer Bergbaukonzern.
Der russische Aluminumkonzern UC RUSAL, der sich zu 2/3 im Eigentum des Olligarchen Oleg Derpaska, zu 22 % von Wiktor Wechselberg und Partnern und zu 12 % im Eigentum des schweizer Rohstoffhändler Glencore befindet, und der Bunt- und Edelmetallproduzent NORILSK NICKEL haben im November 2007 begonnen, unter Mithilfe der Beteilungsgesellschaft Onexim des russischen Milliardärs Michail Prochow ihre Arbeit zu koordinieren. Rusal und Onexim haben im April 2008 zusammen 25 Prozent + 1 Aktie von Norilsk Nickel — dem weltweit größten Nickel- und Palladiumhersteller — erworben. Allerdings — auch das gibt es in Russland — gibt es Widerstand, hier von Seite des russischen Oligarchen Wladimir Protanin, der zum Zeitpunkt des Erwerbs wohl noch knapp 30 % der Norilsk-Aktien von Norilsk besitzt.
Automobilindustrie:
Mancher Leser wird sich wundern, dass wir in vielen Schwellenländern — in Brasilien, China und Indien — und auch hier in Russland einen besonderen Fokus auf die Automobilindustrie richten. Nun, das hat einen einfachen Grund: Mobilität gehört über alle gesellschaftlichen Strukturen hin zu den Grundwünschen der Menschen. Die Ausstattung mit privaten Kraftfahrzeugen sagt daher etwas aus über das finanzielle Einkommen der Bevölkerung — über Spitzenverdienste genauso wie über den Wohlstand einer mehr oder weniger breiten Mittelschicht, und: die Automobilindustrie hat — wie wir in Deutschland mit VW exemplarisch belegen können — einen gehörigen Antrieb für die wirtschaftliche Entwicklung eines Landes zur Folge. Ein starker Mittelstand fördert die Entstehung von Arbeitsplätzen in einem Kernbereich der Wirtschaft.
Russland ist im Westen vielfach noch als die Heimat des klassischen LADA bekannt, des Fiat-Nachbaus aus den sechziger- und siebziger Jahren, der von den Bändern des russischen Herstellers Awtowas rollt(e). Die “Autostadt an der Wolga”, in der seit Ende der 60er Jahre der FIAT in Lizenz produziert wird, heisst Togliatti — benannt nach einem Ex-Chef der KPI. Inzwischen ist in den Großstädten eine zunehmende Ausstattung mit moderneren Fahrzeugen zu beobachten. Dabei stammen nur noch etwa 40 % der verkauften Fahrzeuge von russischen Herstellern. Tatsächlich saugt der russische Markt die weiter entwickelten westlichen und ostasiatischen Modelle regelrecht auf. Über 20 Hersteller haben inzwischen eine eigene Produktion im Land aufgebaut. Neben dem US-Firmen wie dem Multi Ford und den Europäern (Renault) sind vor allem Koreaner und Chinesen — aber auch Indiens Tata entsprechend vertreten. Im Montagewerkes Avtotor (Kaliningrad) werden z.B. Fahrzeuge der Marken BMW, Cadillac und Hummer aber auch Chevrolet, Chery, Kia und Yuejin zusammenbaut. Wer vom russischen Automarkt profitieren will, der muss in Russland produzieren — Einfuhrsteuern und andere Erschwernisse belasten sonst die Konkurrenzfähigkeit Modelle, und der russiche Automarkt boomt. Das hat auch VW erkannt, das für eine Mrd. Euro ein Werk in Kaluga (bei Moskau) baut. Die anwachsende Mittelschicht verfügt immer mehr an Kaufkraft, während die Motorisierung noch Ende 2007 nur etwa einem Sechstel des Standes von Westeuropa entspricht.
General Motors (GM) hat seine Verkaufszahlen im 3. Quartal 2007 um 75 % steigern können — auf 250.000 Fahrzeuge im Jahr. GM plant den Verkauf auf 1 Mio. Fahrzeuge jährlich anzuheben — und möchte damit 1/4 des Neuwagengeschäfts abstauben, das für 2020 auf 4 Mio. Fahrzeuge prognostiziert wird. GM hat dabei seine Fühler nach Awtowas ausgestreckt, das selbst mit dem österreichischen Markenfabrikanten Magna Steyr ein gemeinsames Werk errichten will.
PSA Peugeot Citroen wird in Kaluga bei Moskau rund 300 Mio. Euro investieren, um dort ab 2010 jährlich zunächst 150.000 Fahrzeuge produzieren zu können — mit der Option, die Produktion später einmal zu verdoppeln. Gemeinsam mit Mitsubishi wird ab 2011 die Jahreskapazität von 160.000 Fahrzeugen der Typen Peugeot, Citroen und Mitsubishi angestrebt.
Volvo - ein weiterer Anbieter im “eher oberen Preissegment” — will sein russisches Autowerk im Januar 2009 eröffnen, allerdings sind hier schwere Nutzfahrzeuge das Ziel des Engagements mit einem Investitionsvolumen von etwa 100 Mio. Euro.Volvo hat bereits ein Gemeinschaftsunternehmen mit dem russischen Mischkonzern AFK Sistema — WTS-Selenograd, im dem im Jahr 2007 knapp 450 Volvo-Lastwagen gebaut wurden. In der neuen Fabrik in Kaluga bei Moskau sollen bis zu 10 000 Volvo- und etwa 5000 Renault-Lastwagen im Jahr montiert werden.
Tourismus:
Wie wir bereits dargelegt haben, braucht Russland eine kaufkräftige Mittelschicht, um sich von der Abhängigkeit des Rohstoff- und Rüstungssektors (siehe oben bzw. übernächste Seite) zu befreien. Die Entwicklung im Automobilsektor ist ein Indiz, wie sich die Mittelschicht entwickelt — die im Endeffekt maßgeblich für eine tragfähige Binnennachfrage ist.
Eine der Möglichkeiten, gezielt eine solche Mittelschicht zu stärken, ist der Tourismus. Dass Russland an der Entwicklung interessiert ist, zeigt das Bemühen um die olympischen Winterspiele, die 2014 in Sotschi (russ. Сочи) am Kaukasus geplant sind und eine auch touristisch interessante Infrastruktur schaffen werden. Russland hat aber auch weitere Regionen im Blick. Mit 45 Regionalprogrammen sollen insbesondere der russische Nordkaukasus, das Altai-Gebiet, die Wolgaregion, das Gebiet um den Baikalsee und Karelien erschlossen werden. Die Zahl der “Binnentouristen” soll von 30 Mio. (2009) bis 2015 um 50 % auf 45 Mio. angehoben werden. Am Ostufer des Baikalsees ist ein Yachtclub mit Luxushotels und Vergnügungszentren geplant, und auch an Langlaufloipen und andere Wintervergnüggungen ist im “sibirischen Kühlschrank” gedacht. Dabei gehen die Überlegungen — die Zahl der täglichen Übernachtungen soll von 3.000 auf 10.000 mehr als verdreifacht werden — wohl mehr in Richtung China. Der Baikalsee als Pendant zu Macao — eine Spielhölle für Besucher aus dem Norden Chinas?