“Mit seiner schieren Größe scheint das Riesenreich den Westen zu erdrücken. Tatsächlich hat Moskau aber seit dem Zerfall der Sowjetunion große Teile seines Einflussgebietes verloren. Gestützt auf seinen Rohstoffreichtum und seine gewaltigen Energievorräte kehrte Russland auf die Weltbühne zurück. …”
(STERN Nr. 35 vom 21.08.2008)
“Die verarbeitende Wirtschaft des Landes ist veraltet; hochtechnologische Produkte werden von anderen erfunden, hergestellt und verkauft. Das kann im internationalen Wettbewerb, aber vor allem mit Blick auf die politische Entwicklung gefärlich werden. Wenn die Preise für russisches Öl und Gas über einen längeren Zeitraum auf verhältnismäßig niedrigem Niveau bleiben, könnte der ungeschriebene Gesellschaftsvertrag ins Wanken gerae, der den in Russland herrschenden politisch freie Hand lässt, solange die Mehrheit der Russen einigermaßen erträglich lebt.”
(FAZ Nr. 173 vom 29.07.2010)
RUSSLANDS WIRTSCHAFT:
Waren die Zeiten nach dem Zerfall der Sowjetunion von einer tiefen Depression geprägt, so greift heute (2006) bei der Jugend Russlands ein z.T. aggresiver Patriotismus um sich. Russland “ist wieder wer”. Russland muss sich nicht mehr an den Westen oder China anbiedern, Russland hat an Selbstbewusstsein gewonnen und besinnt sich auf die eigenen Stärken, die im Wirtschaftsbereich der Explosion des Ölpreises folgen. Russland verfügt über 1/3 der globalen Erdgas- und Kohle sowie 12 % der weltweiten Erdölvorkommen.
Aufgrund der steigenden Öl- und Gaspreise konnte Russlands Wirtschaft seit 2001 bis 2006 im Schnitt jährlich zwischen 5 und 7 Prozent wachsen. Vom Jahr 2000 bis zum Ende 2007 hat sich das Pro-Kopf-Einkomen der Russen mehr als verdoppelt — im Schnitt. Dabei ist eine große Kluft zwischen den boomenden Zentren und dem vernachlässigten Land fest zu stellen. Die Vervierfachung der Ölpreise von 1998 bis 2006 hat Russland steigende Deviseneinnahmen und Reserven gebracht. Zum Jahresende 2006 sollte der “Spartopf” Russlands bereits ein Volumen von fast 300 Mrd. US-$ — (http://de.rian.ru) erreicht haben (ein Ziel, das erreicht worden ist), und die Förderung der Öl- und Gasressourcen wird kontinuierlich erhöht. Im März 2008 waren es bereits über 500 Mrd. $, die allerdings in Folge der globalen Wirtschafskrise bis zum Sommer 2010 auf etwa 470 Mrd. $ zusammen schrumpften. Die Abhängigkeit von Öl- und Gasexporten führte in Folge der weltweiten Finanzkrise 2008 — und des damit verbundenen Preisrückgangs für fossile Energien — zu einem BIP-Rückgang um 8 %. Russland hatte dennoch nach China und Japan die drittgrößten Devisenreserven der Welt — und zusätzlich ein “Sicherheitspolster” von 150 Mrd. $ Forderungen aus Erdölverkäufen.
Ein Teil der Deviseneinnahmen wird in einem Nationalen Wohlstandsfonds angelegt, der Anfang April 2008 bereits ein Volumen von knapp 33 Milliarden Dollar hatte. Nach Schätzungen der britischen Financial Times soll der Staatsfonds bis 2011 einen Umfang von 80 Milliarden Dollar erreichen und damit „voraussichtlich zu den zehn größten Fonds gehören“. Russland finanziert mit diesem Fonds auch Übernahmen westlicher Konzerne — zur Geldanlage, aber auch um Kooperationspartner und / oder westliches know how zu erwerben, so beim Kauf einer Minderheitsbeteiligung beim europäischen Luft- und Raumfahrtkonzern EADS durch die russische “Vneshtorgbank” (VTB). Im Jahr 2001 waren 500 Millionen Dollar in Beteiligungen russischer Firman in westlichen Unternehmen investiert — nur Jahre später, im Sommer 2008, waren bereits 24 Mrd. $ in westliche Unternehmensbeteiligungen geflossen. Dazu gehören auch gewaltige Investitionen in westliche Forschungsinstitute. Alleine zur Errichtung der weltweit leistungsfähigsten Röntgenanlage bei Hamburg hat Russland 240 Mio. Euro beigetragen. Russland hat Geld — und die immer größere Schicht der Wohlhabenden gibt dieses Geld auch freigiebig aus. Die Investitionen russischer Investoren im Tourismusbereich — von Sotschi bis Kitzbühel — gehören genauso dazu wie der Konsum im Lande. Alleine aus Deutschland importierte der aufstrebende Bär für rund 28 Mrd. Euro Waren (Stand: 2007). Und trotz dieser Investitionen und dem Abschmelzen während der globalen Finanzkrise 2009: im Sommer 2010, nachdem Russlands Wirtschaft wieder wächst, waren immer noch rund 125 MRd. $ inm Reserve- und Wohlstandsfonds des Landes gebunket.
Unter westlichen Beobachtern besteht zumeist auch Übereinstimmung darin, das Russland diese Geldströme vernünftig bewirtschaftet. Das Land hat seine Schulden bezahlt und verbucht gewaltige Haushaltsüberschüsse, die z.T. auch in einem Stabilisierungsfonds angelegt werden, der in der Höhe den Devisenreserven des Landes entsprechen soll.
Den Aufstieg Russlands spiegelt auch der Wechselkurs des russischen Rubel wieder. Seit dem niedrigsten Wechselkurs im Januar 2003 gewinnt der russische Rubel gegenüber dem US-$ ständig an Wert. Im Jahr 2007 hat der Rubel gegenüber dem “abschmierenden Dollar” eine — um die Inflationsrate bereinigte — Wertsteigerung von knapp 15 % erreicht. Mit dem Euro gehört der Rubel damit zu den stabilsten Währungen der Erde.
Allerdings ist Russland zu sehr von den Exporten fossiler Energien abhängig. Schon der Rückgang der Ölpreise auf 30,- US-$ (2008 — 2009) hat zu einem Einbruch des BIP um 8 % geführt. Eine weitere Reduzierung der Einnahmen — sei es durch sinkende Preise, sei es durch einen massiv verringerten Export — wäre ein Desaster für den russischen Staat.
2005 betrug das Bruttoinlandsprodukt (BIP) 755 Mrd. $, wovon 58 % aus Dienstleistungen, 37 % aus der Industrie und nur 5 % aus dem Agrarsektor erwirtschaftet wurden. Das BIP weist seit 2002 stabile, steigende Wachstumsraten von über 6 % jährlich auf. Im ersten Halbjahr 2006 wuchs das BIP gegenüber dem Vorjahreszeitraum um 6,7 %. Im ersten Halbjahr 2007 ist das BIP gegenüber dem Vorjahreszeitraum um 7,8 Prozent gestiegen. Für 2007 wird (Stand Oktober) ein Wirtschaftswachstum von insgesamt 7,3 % erwartet. Nach dem Einbruch des BIP im Jahre 2009 — um knapp 8 % in Folge der weltweiten Finanzkrise und der damit verbundenen niedrigen Rohstoffpreise — konnte bereits wieder im Jahr 2010 ein steigendes Wachstum erzielt werden (4,2 % im ersten Halbjahr).
Bis zum Jahr 2020 will Russland zu den fünf größten Wirtschaften der Welt hinzustoßen. Nach einer in der FAZ vom 23. März 2008 veröffentlichten Prognose des finnischen ETLA-Institutes wird sogar damit gerechnet, dass Russland bis zum Jahr 2050 ein BIP je Einwohner erreichen wird, das über 90 % der EU-15 Staaten entsprechen wird. Im Jahre 2000 hatte das russische BIP pro Einwohner nur 27 % des BIP pro Einwohner der EU-15 Gruppe erreicht. Während Russland im Jahre 2006 nur 10 % des gesamten BIP Europas produzierte — die EU-15 Länder kamen auf 73 % — wird danach der russische Anteil am gesamten europäischen BIP im Jahr 2050 schon 30 % betragen, während der Anteil der EU-15 Länder auf 56 % fallen wird.
Dieser Anstieg ist zwei Faktoren zuzuschreiben:
Steigenden Investitionen und einem erhöhten Konsum
Steigende Investitionen:
Der Öl- und Gasexport spült wieder Devisen in die russischen Staatskassen. Der Haushaltssaldo Russlands wuchs von einem Überschuss von über 3 % des BIP (2000 und 2001) auf über 8 % (2005 und 2006). Der Saldo ist vor allem aufgrund der Öleinnahmen im Plus. Ohne Erdöl hätte die Bilanz zwischen — 2 und minus 5 % geschwankt. Dies ermöglicht eine expansive Ausgabenpolitik der Regierung, die zunächst in den darbenden Sozialbereich — z.B. für die Pensionskassen — und nun in die Erneuerung der Infrastruktur und der Industrieanlagen investiert. Die Investitionen sind in den beiden ersten Quartalen 2007 im Vergleich zum gleichen Vorjahreszeitraum 2006 um 22,3 % gestiegen — mit weiter steigender Tendenz. Der Juni 2007 weist gegenüber dem Juni 2006 sogar ein Plus von 27,2 % aus. Prioritäten hat dabei der Ausbau von Autobahnen und Straßen. Bis 2010 sollen mehr als 4000 Kilometer neue Straßen entstehen. Bis 2017 will das Land nach Meldung des Wirtschafsblattes (Österreich) insgesamt eine Billion US-Dollar in die Infrastruktur investieren (Stand Oktober 2007).
Erhöhter Konsum:
Russland kann sich hohe reale Lohnerhöhungen leisten. Die Russen konsumieren wieder — vor allem preiswerte Billigprodukte aus China, aber auch Luxusgüter wie PKWs aus dem Westen (Japan und Europa) finden den Weg nach Russland — und reduzieren so den Überschuss der Zahlungsbilanz. Was durch erhöhte Rohstoffexporte eingenommen wird, wird zu einem nicht unerheblichen Teil für Konsumgüter wieder ausgegeben. Alleine Deutschland exportierte 2007 Waren für 28 Mrd. € nach Russland.
Ein Beispiel dafür ist der Kraftfahrzeugmarkt. Knapp 4 Mio. Neuzulassungen wurden 2008 erwartet — mehr als im “Autoland Deutschland”. Die Straßen von Wladiwostok nach Westen sind Schauplatz häufiger Fahrzeugtransporte, wo mit abenteuerlicher Verstauungstechnik gebrauchte Fahrzeuge aus Japan und Korea ins Landesinnere transportiert werden. Ein Ameisenheer von Privatleuten verdient sich mit diesem Geschäft den Lebensunterhalt. Dank der steigenden Einkommen ist der Absatzmarkt für PKWs von 2005 auf 2006 um knapp 20 % auf fast 2 Mio. Fahrzeuge gestiegen. 2008 waren es schon 3,8 Mio. Neuzulassungen — und das obwohl die “3‑Millionen-Schwelle” erst 2010 “geknackt” werden sollte. Die meisten davon (60 % Anteil) sind ausländische, also westliche Produktionen. Die “Weltmarken” haben inzwischen auch den russischen Markt entdeckt. Ford, Renault und Hyundai haben inzwischen mit der Montage im Land begonnen. Fiat, Nissan, PSA, Skoda, Toyota und VW werden demnächst folgen. VW ist in Kaluga mit einer Milliarde Euro dabei. Rund 4.500 deutsche Unternehmen in Russland bilden mit anderen westlichen Unternehmen das Gegengewicht zur den russischen Beteiligungen in Europa.
Dabei verfügt Russland durchaus über eine eigene Fahrzeugindustrie. In Togliatti läuft seit Jahren — mit Fiat-Kooperation — der legendäre Lada (ein Derivat des Fiat 124) vom Band des russischen Automobilherstellers Avtovaz (einer Tochter des russischen Rüstungskonzerns Rosoboronexport), mit einer Produktionsrate von 70.000 Fahrzeugen im Monat, davon rund 60.000 für den heimischen Markt. Der zweitgrößte russische Hersteller (Gaz) verfügt ebenfalls über “westliche Kontakte”. Rund 15 % der kanadischen Zulieferfirma Magna und 5 % des US-Herstellers General Motors befinden sich im Portfolio des Gaz-Eigentümers.
Russland ist mit Handys (knapp 120 Geräte auf 100 Einwohner) besser ausgestattet als manche EU-Staaten und der größte Mobilfunkmarkt Europas.
BRIC-Staaten:
Russland gehört zu den nach ihren Angangsbuchtstaben so genannten ” BRIC-Staaten” (Brasilien, Russland, Indien und China) die mehr als 40 Prozent der Weltbevölkerung repräsentieren und fast ein Drittel der Landmasse der Erde beherrschen. Diese Staaten werden vor allem auch von Investment-Bankern als kommende Wirtschaftsweltmächte gesehen. Fast entscheidender noch als diese pauschale Zusammenfassung zu einer aufsteigenden Staatengruppe ist die Tatsache, dass sich diese Staatengruppe auch ohne die etablieren Wirtschaftsmächte des Westen gegenseitig so gut ergänzt, dass der Aufstieg dieser Staaten unaufhaltsam erscheint. Russland und Brasilien gelten als Rohstofflieferanten, Russland und Indien als Inhaber von Spitzentechnologie — und China als “Werkbank”. Die wirtschaftliche Entwicklung in einem der Länder kommt durch ein “Kreislaufsystem” allen anderen zu Gute. Der Aufschwung Chinas befeuert die Rohstoffmärkte und verhilft damit Russland und Brasilien zu deutlich höheren Einkommen, was wiederum dazu führt, dass mehr Produkte aus der Werkbank für den heimischen Markt erworben werden können. Der Westen muss aufpassen, hier nicht “abgehängt” zu werden.
Der deutsche Bundesaussenminister hat (daher ?) im Jahr 2006 — vor Beginn der nachfolgenden EU-Präsidentschaft Deutschlands ein Konzept erarbeitet, das auf eine Integration der Volkswirtschaften Russlands und der EU ausgerichtet ist. Unter dem Motto “Wandel durch Verflechtung” — (www.eurasischesmagazin.de) soll eine möglichst enge „Verflechtung der Europäischen Union mit Russland“, eine neue „Energie- Partnerschaft“ und auf längere Sicht die Einrichtung einer „Freihandelszone“ zwischen EU und Russland, sowie die militärische Zusammenarbeit mit Moskau erreicht werden. Deutschland und Europa sollen „Modernisierungspartner“ Russlands werden, eine strategische Partnerschaft eingehen zur immer engeren Anbindung des Riesenreichs im Osten an die EU. Ziel scheint eine Art gegenseitiger Abhängigkeit zwischen Russland und der Europäischen Union zu sein, die nicht mehr rückgängig zu machen ist. Tatsächlich ergänzen sich gerade die EU und Russland in vielen Bereichen. Russland hat die Rohstoffe, die in Europa benötigt werden — und Europa kann selbst wieder Hilfestellung bei der Modernisierung des Riesenreiches gewähren, die für Russland erforderlich ist, wenn der Wirtschaftsaufschwung dauerhaft sein soll. Eine moderne Volkswirtschaft verlangt aber auch eine moderne Gesellschaft. Darin liegt wohl einer der Gründe, die Europa auch an der Modernisierung Russlands hat.
Wirtschaftsprobleme:
Russlands Wirtschaft ist durch eine schwere Hypothek belastet. Der zur Zarenzeit kaum industrialisierte Staat hat den Aufbau seiner Industrien in den Zeiten der sowjetischen Planwirtschaft geschultert. Dabei wurde in einem gigantischen bürokratischen System von der Landwirtschaft bis hin zur Stahl- und Energieerzeugung, zum Fahrzeug- und Computerbau vorgegeben, welche Anzahl von Produkten in der Wirtschaft hergestellt werden sollten. Dieses System hat über Jahrzehnte hin ganze Generationen von Russen geprägt — und die Eigenverantwortung und Entscheidung als Grundlage jeder modernen, aktiven Wirtschaftsgesellschaft gebremst, um nicht zu sagen verhindert. Noch Anfang 2008 meldete die russische Nachrichtenagentur RIA NOVOSTI, die Arbeitsproduktivität in der EU und den USA sei nach Mitteilung des russische Wirtschaftsministeriums in einzelnen Industriesparten 30 Mal höher als in Russland.
Nach dem Ende des Sowjet-Systems sind auch die plötzlich dem Wettbewerb ausgesetzten Konzerne ohne betriebs- und marktwirtschaftliche Grundkenntnisse reihenweise zusammen gebrochen, und mit diesen das gesamte Wirtschaftssystem des Landes. Rechtsunsicherheit und die grassierende Korruption — allen voran der “Familie” unter Präsident Jelzin — taten ein Übriges: “Glasnost” und “Perestroika” — zwei Schlagworte des vor allem im Westen beliebten Umbruchpolitikers Gorbatschow — sind aufgrund der Wirtschaftsentwicklung diskreditiert. Dabei hat Russland in weiten Teilen immer noch die Infrastruktur eines Entwicklungslandes. Hunderte entlegener Dörfer verfügen über keinen Stromanschluss, die Überlandstraßen erweisen sich außerhalb der Städte als Schlaglochpisten, und nur etwa drei Viertel aller Russen verfügen über ein eigenes Konto (Stand 2007).
Russland ist extrem von Öl- und Gasexporten abhängig. Die steigende Nachfrage aus Europa und China und die schon fast “automatisch” damit einhergehenden Preissteigerungen haben dem russischen Staat erlaubt, die Folgen der chaotischen Entwicklung der Jelzin-Aera in den Griff zu bekommen. Gleichzeitig wurde damit aber der Druck zu einer umfassenden Wirtschaftsreform entschärft. Damit ist und bleibt Russland extrem von der zyklischen Entwicklung der Rohstoffpreise auf dem globalen Markt abhängig. Um unabhängiger zu werden, müsste der Bestand privater Klein- und Mittelbetriebe erheblich verstärkt werden. Das verlangt die Unterstützung privaten Unternehmertums, also Entbürokratisierung, Deregeulierung, Privatisierung Wirtschaftsöffnungen. Das Gegenteil ist erfolgt. Unter Putin wurden die ineffizienten Staatskonzerne ausgebaut, und auch während der globalen Wirtschaftskrise 2009 hat Russlands Regierung mehr als 40 Mrd. Euro zur Stützung der großen Konzerne der Oligarchen und des Staates ausgegeben. Russland müsste stattdessen seine enormen Währungsreserven nutzen, um die Modernisierung sener Wirtschaft zu forcieren. Dann stellt sich aber auch die Frage, wie eine solche Entwicklung ohne gleichzeitige Liberalisierung, und einer damit verbundenen Stärkung der Demokratie und des Rechtsstaates erfolgen kann. Russlands politische Elite schaut da wohl mehr auf China, während westliche Regierungen ein “Glasnost 2” für erforderlich halten.
Der mit den steigenden Rohstoffpreisen einhergehende Wirtschaftsaufschwung Russlands zeigt die Lücken, die durch die jahrelange Untätigkeit nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion entstanden. Beispielhaft ist die Energieversorgung zu nennen. Das Boomland Russland braucht für die neu anlaufende Produktion Strom. Alleine Moskaus Energieversorger Mosenergo beziffert den Strombedarf zum Jahreswechsel 2007/2008 auf 18.400 Megawatt. Tatsächlich können die Kraftwerke in Moskau und Umgebung aber nicht einmal 18.000 Megawatt erzeugen. Damit bleibt eine Lücke von fast 500 Megawatt – die Leistung eines kleinen Kernkraftwerks. So brach dann auch im Winnter 2005/2006 die Stromversorgung zusammen. Privatkunden mussten durchgehend beliefert werden, um Todesfälle in den sonst eiskalten Wohnungen zu vermeiden — weshalb viele Industrieunternehmen die Produktion einstellen und die Mitarbeiter in Zwangsurlaub schicken mussten.
Dabei hat Russland auch noch demographische Probleme. Ein russischer Mann wird — so Jim O’Neill in seinem Buch “Die Märkte von morgen” — “im Durchschnitt nur 59 Jahre alt. Das sind 20 Jahre weniger als bei einem durchschnittlichen amerikanischen Mann”. Dem will die russische Regierung mit einer massiven Förderung der Geburtenrate entgegen wirken.
Investitionen im Atomstrom:
Es klingt Paradox — obwohl Russland mit seinen Erdöl- und Erdgasvorkommen zu den wichtigsten Energielieferanten Chinas und Europas zählt, wird — 25 Jahre nach Tschernobyl — auch in Russland intensiv am Ausbau der Atomstromerzeugung gearbeitet. Die Nuklearanergie soll von 15 % (2010) bis 2030 auf über 30 % verdoppeln. 26 neue Reaktoren sollen diesen Kraftakt bewerkstelligen. Die fossilen Vokommen sind zu wichtige Devisenbringer, um einen nennenswerten Anteil der Förderung selbst zur Energiegewinnung zu verstromen.
Dennoch wurde auch eine gute Ausgangslage für eine weitere wirtschaftliche Entwicklung geschaffen. Das Eisenbahnnetz umfasst 154.000 km, das Straßennetz wird mit 950.000 km Länge angegeben, wobei über 400.000 km ausschließlich für militärische oder industrielle Zwecke bestimmt sind. 630 Flughäfen und ein Netz von 100.00 km Wasserstraßen sowie ein relativ gut ausgebautes Schulsystem mit Universitäten, die in einzelnen Bereichen an den Spitzen der wissenschaftlichen Erkenntnisse stehen, vervollständigen den Nachlass der Sowjetzeit.
Daher ist es den Russen in relativ kurzer Zeit gelungen, einen Teil der Industrien — manchmal unter der Leitung von etwas suspekt wirkenden Oligarchen — zu Wirtschaftskonzernen zu entwickeln, die inzwischen auch im Westen zunehmend als Wirtschaftsfaktoren erkannt werden. Hierbei handelt es sich vor allem um Konzerne, die in Schlüsselbereichen der russischen Wirtschaft aufgestellt sind — im Rohstoff- und Rüstungsbereich.
Globale Finanzkrise 2008 — 2009:
Wie sehr Russlands Wirtschaft von den Rohstoffexporten abhängt zeigt die globale Finanzkrise 2008/2009. Der Nachfragerückgang fü fossile Energien führte zu einem massiven Preisrückgang für russiches Öl und Gas. Der Staatshaushalt, der mit einem Barrelpreis von 95 $ kalkuliert war, musste auf einer Basis von 41 $ neu erstellt werden.
Innerhalb eines Monats sind Russlands Gold- und Devisenreserven im Januar 2009 um 40,186 Milliarden Dollar bzw. um 9,4 Prozent auf 386,894 Milliarden Dollar geschrumpft. Im Jahr 2008 haben ausländische Investoren etwa 130 Mrd. $ aus Russland abgezogen. Grund hierfür war einerseits die von den Rohstoffpreisen abhängige russische Wirtschaft, zum anderen aber auch die Finanzmisere in den USA, die US-Banken zwang, Einlagen zur Finanzierung der $-Kredite auf dem Weltmarkt einzuholen — ein Grund für die global steigende Nachfrage nach US-$. Vom Herbst 2008 bis Januar 2009 wurde der Rubel durch die russisches Zentralbank in mehr als 20 Schritten um etwa 30 % abgewertett. 1998 wurde Russland durch Währungsspekulanten bereits einmal in die Zahlungsunfähigkeit getrieben. Gut zehn Jahre später haben Spekulanten entdeckt, dass es wieder lukrativ sein könnte, auf einen Wertverlust des Rubel zu wetten.
Externer Link:
Handelsblatt — “Russlands wichtigste Wirtschaftsdaten”: www.handelsblatt.com
Russland bemüht sich, in den strategisch wichtigen Industrien — Chiffriertechnik, Energieerzeugung, Flugzeugbau, Rohstoffproduktion, Rüstungs- und Weltraumtechnologie — die Staatskontrolle zu erhalten; ausländische Firmen dürfen Minderheitsbeteiligungen (unter 50 %) übernehmen, um auch Technologietransfer zu ermöglichen. Staatlich kontrollierte ausländische Unternehmen können in diesen Branchen sogar nur 25 % des Kapitals erwerben.
Andere Industriesektoren — etwa die Automobilindustrie — werden dagegen für ausländische Beteiligungen, die auch über 50 % liegen können, geöffnet.