Osteuropa — Russland


Flagge Russland

 

Es mag manche über­raschen, daß Rus­s­land hier als “west­lich­er Staat” aufge­führt wird. Im klas­sichen Ver­ständ­nis zwis­chen “dem West­en” und “dem Osten” — der Rivaltität von NATO und Warschauer Pakt — war die Sow­je­tu­nion ja auch “der Geg­n­er” des Westens.
Tat­säch­lich sind “Warschauer Pakt” und “Sow­je­tu­nion” inzwis­chen “Ver­gan­gen­heit” — und in der multigloba­nen Welt, die diese Dual­ität der Ver­gan­gen­heit abgelöst hat, verbindet Rus­s­land sehr viel mehr mit “dem West­en”, als mit islamis­chen oder kon­fuzeanis­chen oder hin­duis­tis­chen­Staat­en.  Rus­s­land war schon immer ein (Rand-)Gebiet der europäis­chen Geschichte, es ist von europäis­chen Wurzeln geprägt, die von den Warägern bis zum Sozialkri­tik­er Karl Marx aus Tri­er reichen. Und rus­sis­che Klas­sik­er wie Pjotr Tschaikows­ki, Leo Tol­stoi und Fjodor Dos­to­jew­s­ki haben auch in Wes­teu­ropa ihre Anhänger gefunden.
 
Rus­s­land — das die riesige, men­schen­leere Land­fläche Sibiriens umfasst — empfind­et sich aber auch selb­st nicht als Teil (West-)Europas. Das wurde auch den let­zten Wes­teu­ropäern anlässlich der “Krim-Krise” Anfang 2014 deut­lich. Dazu vom rus­sis­chen Kul­tur­min­is­teri­um aus­gear­beit­eten Leitlin­ien lassen sich unter der Kern­these Rus­s­land ist nicht Europa zusam­men­fassen. Schon ein­lei­t­end stellt Präsi­dent Putin darin fest: “Unsere Bewe­gung nach vorn ist nicht möglich ohne eine geistige, kul­turelle und nationale Selb­st­bes­tim­mung. Anders kön­nen wir den äußeren und inneren Her­aus­forderun­gen nicht stand­hal­ten.”  und weit­er wird geschrieben:  “Rus­s­land (…) sollte als einzi­gar­tige und eigen­ständi­ge Zivil­i­sa­tion betra­chtet wer­den, die wed­er zum “West­en” (“Europa”) noch zum “Osten” neigt.” Die Suche nach ein­er eige­nen, post-sow­jetis­chen Iden­tität führt zur Stärkung der rus­sisch-ortho­dox­en Kirche,  und kaum ein Bauw­erk repräsen­tiert diese Stärkung bess­er als der Wieder­auf­bau der 1936 abge­broch­enen Kasan­er Kathe­drale auf dem Roten Platz im Herzen Moskaus, der 1993 abgeschlossen wurde. Aus­gerech­net Kasan — deren Ikone der Gottes­mut­ter von Kasan im Jahre 1612 dem rus­sis­chen Volk­sheer den Sieg über die pol­nisch-litauis­chen Besatzer Moskaus gebracht haben soll. So repräsen­tiert der “Rote Platz”  mit der Basil­ius-Kathe­drale, die als Dank für das Bezwin­gen der Tataren erbaut wor­den war, inzwis­chen wieder die eigen­ständi­ge Rolle Rus­s­lands — zwis­chen dem wes­teu­ropäis­chen Pol der “west­lichen Chris­ten­heit” und dem turk­tar­tarischen und islamis­chen Asien.
“Über 70 % der Russen betra­cht­en sich wed­er als Europäer noch als Asi­at­en — son­dern als Russen. Etwa die Häflte” - so der STERN im August 2008 — “sieht Europa als Gefahr für die Unab­hängigkeit und fast ein Drit­tel ist der Mei­n­ung, dass das Sys­tem west­lich­er Demokratie in Rus­s­land nicht funk­tion­ieren würde.” 
 

GESCHICHTE:
Rus­s­land ist ein Kind der “Rus”, der (zumeist schwedis­chen) Wikinger, die auf dem Weg nach Byzanz bzw. Kon­stan­tinopel das Reich von Kiew grün­de­ten. Unter dem Druck der mon­golis­ch­er Inva­sion ver­ließ ein Großteil der inzwis­chen zum ortho­dox­en Glauben bekehrten Elite das Gebi­et und wan­derte in ein kleines Fürsten­tum am Rande des mon­golis­chen Herrschafts­ge­bi­etes aus. Aus dieser Migra­tion ent­stand das rus­sis­che, von Moskau aus regierte Zaren­re­ich — für die Wes­teu­ropäer immer etwas am Rande Europas, am Rande der Welt gele­gen. Die Moskauer Fürsten kon­nten dabei von der mon­golis­chen Abgabe­struk­tur prof­i­tieren. Diese hat­ten die lokalen slaw­is­chen Fürsten­häuser — soweit sie koop­er­a­tions­bere­it waren — an der Macht belassen und ihnen die Ein­trei­bung von Abgaben über­lassen. Moskau erhielt in diesem Trib­ut­sys­tem eine her­aus­ra­gende Rolle. Die Mon­golen haben also let­z­tendlich den Großfürsten von Moskau die ersten Ansätze zur Entwick­lung ein­er eige­nen Macht gegeben. Als das mon­golis­che Reich zer­fiel nutzten die so gestärk­ten Moskauer, um nicht nur ihre Ober­herrschaft über die anderen rus­sis­chen Fürsten zu fes­ti­gen son­dern den Mon­golen — und deren Nach­fol­gern, den Tataren — immer mehr Herrschafts­ge­bi­ete abzunehmen.

Der Kreml von Moskau sym­bol­isiert den Mach­tanspruch, der seit der Zeit Iwan des Schreck­lichen von hier aus gegen die islamis­chen Gebi­ete Zen­tralasiens gel­tend gemacht wurde. Die Basil­ius-Kathe­drale, mit deren Bau Iwan der Schreck­liche den Sieg über das Tataren­re­ich von Kazan an der Wol­ga feierte, hat sieben Kup­peln — eine für jeden der tatarischen Khane, die Iwan der Schreck­liche nach seinem Sieg über die Tataren köpfen ließ. In der Krö­nungskirche der Zaren, der Maria-Him­melfahrt-Kirche, zeigt ein riesiges Fresko die rus­sis­che Erwartung zum “Jüng­sten Tag” — den Höl­len­sturz der duch Tur­ban und Krumm­sä­bel ken­ntlich gemacht­en Mus­lime, während den bär­ti­gen Russen der Weg ins Paradies offen steht.

Nach der Zer­schla­gung des Tataren­re­ich­es durch “Iwan den Schreck­lichen” — schon mit Waf­fen­tech­nolo­gie, die aus Europa importiert wurde — erfol­gte eine weit­ere West­o­ri­en­tierung des Zaren­re­ich­es durch “Peter den Großen”. Mit der Eroberung schwedis­ch­er Gebi­ete an der Ost­see und der Grün­dung von St. Peters­burg — dessen regel­recht mit den Hän­den der Arbeit­er aus dem Morast gegraben wur­den — sowie dem Auf­bau ein­er mod­er­nen Flotte erre­ichte diese Europaori­en­tierung eine bild­hafte Real­ität. Die dritte “große Zarin” in dieser Rei­hung — die aus Deutsch­land stam­mende Katha­ri­na die Große — set­zte den Auf­stieg Rus­s­lands und die Eroberung zen­tralasi­atis­ch­er Gebi­ete fort. Nach diesen drei Zaren war Rus­s­land in den Reigen der europäis­chen Großmächte aufgestiegen, selb­st eine Groß­macht, an deren Größe sich sog­ar Napoleon scheiterte.

Die Zaren nutzten also den Zer­fall des mon­golis­chen Wel­tre­ich­es, um ihrer­seits nach Osten vorzu­drin­gen — über den Ural hin­weg Sibirien zu erobern und zu besiedeln. Den Pelzhändlern fol­gten — wie im West­en der USA auch — Bauern und Handw­erk­er, vielfach aber nicht frei­willig son­dern deportiert. Sibirien war bere­its zur Zaren­zeit “das Straflager” für unbot­mäßige Adelige, die Irkut­sk am Baikal-See zum “Paris des Ostens” machten.

Die let­zte Arrondierung des rus­sis­chen Reich­es erfol­gte mit der Eingliederung der tuwinis­chen Repu­bik. Das am Ober­lauf des Jenis­sei lebende bud­dhis­tis­che Turk-Volk der Tuwinen hat­te sich 1917 unab­hängig erk­lärt. Mit der Anerken­nung des Staates (1926) durch die Sow­je­tu­nion begann aber auch die schrit­tweise Rück­führung in den Macht­bere­ich des Kreml — und die Ent­deck­ung von Uran-Vorkom­men besiegelte Ende 1944 auch die for­male Unab­hängigkeit des kleinen Staates. Danach bre­it­ete sich die Sow­je­tu­nion zwar weit­er aus — allerd­ings nach West­en auf ehe­mals baltisches, pol­nisch und deutsches Gebi­et, sowie im Osten auf japanis­che Inseln (finnis­che Gebi­ete waren bere­its im März 1940 abge­treten wor­den). Das Ende des Zweit­en Weltkrieges erlebte die Sow­je­tu­nion auf dem Höhep­unkt der ter­ri­to­ri­alen Macht. Das Ende des nach­fol­gen­den “Kalten Krieges” war mit der Unab­hängigkeit ein­er Rei­he von Staat­en aus dem Staats­ge­bi­et der Sow­je­tu­nion verbunden.

Die “Rus­sis­che Förder­a­tion” (kurz Rus­s­land) — der größte Nach­folges­taat der UdSSR (Union der Sozial­is­tis­chen Sow­je­tre­pub­liken) — ist auch heute noch der flächen­mäßig größte Staat der Erde, der rund 11 % der Land­fläche ein­nimmt und sich von der Ost­see und dem Schwarzen Meer bis zum Paz­i­fik und zur Beringstraße erstreckt. Der Ural (bis zu knapp 1900 m Höhe auf­steigend) gliedert Rus­s­land in einen europäis­chen- und den größeren asi­atis­chen Teil. 21 autonome Regio­nen und die Exklave Kalin­ingrad bilden zusam­men die Förderation.

Etwas über 80 % der Bevölkerung von über 140 Mil­lio­nen — von denen nur 20 % im asi­atis­chen Teil des Lan­des leben — sind eth­nis­che  Russen, darüber hin­aus leben seit der Auflö­sung der Sow­je­tu­nion rund 25 Mio. Russen in den Nach­folges­taat­en der UdSSR, die inzwis­chen vielfach wieder in die “rus­sis­che Heimat” zurück kehren. Neben der rus­sis­chen Sprache wer­den rund 100 weit­ere Sprachen — zum großen Teil der turk­tatarischen Sprach­gruppe zuge­hörend — gesprochen.

 

ORGANISATION:
Rus­s­land ist förder­al gegliedert. 21 autonome Repub­liken mit eige­nen Ver­fas­sun­gen (davon 13 Repub­liken mit eige­nen Präsi­den­ten), “Gebi­ete” (oblast) und “Keise” (kraj) sowie “autonome Bezirke” (okrug) unter einem Dach ergeben ins­ge­samt knapp 90 förderale Gebi­ete mit häuig gegen­sät­zlichen Inter­essen und eigen­er Rechtsetzungsbefugnis.