Georgiens Wirtschaft:
Georgiens Wirtschaft steht im Schatten der Spannungen um Abchasien, Westmegrelien, Süd-Ossetien, das Pankisi-Tal und Swanetien. Wie fast überall in Gebirgsländern — in den einzelnen, durch Bergketten getrennten Landschaften haben sich Eigenheiten herausgebildet, die nach Unabhängigkeit von einer als fremd empfundenen Zentralmacht verlangen. Im Schatten dieser Spannungen — die sogar schon zu blutigen Bürgerkriegen geführt haben (s.o.) — kann sich kein Wirtschaftsklima entwickeln, das Investoren nötige Sicherheit für langfristige Prosperität verspricht.
Das Land verfügt kaum über eigene Rohstoffe — aber über faszinierende Naturlandschaften wie den Borjomi-Kharagauli-Nationalpark mit seinen Luchsen, Bären und Wölfen und phantastisch anmutende Kulturdenkmäler wie das im 12. Jahrhundert zunächst als Festung errichtete Höhlenkloster Wardzia. Bereits die Hauptstadt Tiflis verfügt mit der auf einem Hügel über der Stadt thronenden Festung Narikala (4. Jhdt.) und der aus dem 13. Jhdt. stammenden Metekhi-Kirche über einzigartige Kulturdenkmäler dieses uralten christlichen Gebirgslandes. Dennoch besuchen heute (2009) jährlich nur noch rund 10.000 Reisende diese — für einen schonenden Tourismus prädestinierte — Landschaft am Kaukasus. Im Jahre 2004 wurde der grandiose, 76000 ha große Nationalpark von nicht einmal 2000 Gästen besucht. Nur noch Batumi und Kobuleit am Schwarzen Meer hatten 2009 eine größere Menge von Besuchern — und auch die Hauptstdt Tiflis wies größere Gästezahlen aus.
Dabei war Georgen während der kommunistischen Aera eines der wichtigsten Urlaubsziele — die “Toskana der Sowjetunion”. Bis zu 4 Mio. Touristen jährlich brachten ihre Rubel in die Sowjetrepublik. Die Regierung versucht daran anzuknüpfen In Signagi — etwa 100 km östlich von Tiflis über dem malerischen Alasani-Tal ist ein ganzes Dorf mit Häusern aus dem 18. Jahrhundert frisch renoviert worden (Stand 2010). Private Investoren und die Staatskasse haben sich die Kosten geteilt — und Bars in versteckten Gassen, Gästehäuser, Hotels und Restaurants errichtet, die alleine zwischen April und Juni 2010 knapp 13.000 Besucher aus Georgien, den USA nd Westeuropa angezogen haben sollen. Sogar Gäste aus Aserbaidschan knüpfen wieder an die sowjetische Urlaubstradition an.
Wer Ruhe und Einsamkeit sucht, der ist in Georgien richtig. Georgien versucht daher, einen sanften Tourismus zu fördern, während die Abchasen — von russischen Streitkräften geschützt — an die sowjetische Tradition anknüpfen wollen, um Abchasien wieder zum “russischen Urlaubsparadies am schwarzen Meer” zu machen.
Europa investiert zunehmend in dem kleinen Land im Kaukasus. Die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung hat Georgien ab 2007 einen Kredit in Höhe von zehn Millionen Dollar für die Modernisierung des Wasserkraftwerkes Inguri gewährt. Zuvor hatte die EBWE 38 Millionen Dollar für die Modernisierung des Inguri-Kraftwerkes bereit gestellt, von denen 25 Millionen Dollar bereits in Anspruch genommen wurden. Im Mai 2006 hat die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung beschlossen, die Investitionen für Georgien von 85 auf 150 Millionen Euro im Jahr zu erhöhen. Die Bank finanziert in Georgien 64 Projekte mit einem Gesamtvolumen von fast 400 Millionen Euro (Stand Dezember 2006).
Ein völlig neues Investment ist die “Entdeckung”, dass sich Georgien ideal eignet, um russische Pipelines beim Import von Gas und Öl aus Zentralasien nach Europa zu vermeiden.
Die erste Pipeline — von Aserbaidschan über Georgien zum türkischen Mittelmeerhafen Ceyhan ist bereits in Betrieb, die Verlängerung über das kaspische Meer “in Arbeit”. Und schon wird an einer “Abzweigung” gearbeitet. Aserbaidschan, Georgien, die Ukraine und die EU-Mitglieder Polen und Litauen haben den Bau einer Ölpipeline vom georgischen Supsa über den Boden des Schwarzen Meeres zum ukrainischen Odessa vereinbart. Von dort kann über eine bestehende ukrainische Leitung Brody vor der polnischen Grenze erreicht werden, ein Lückenschluss bis Plock erlaubt dann den Öltransport bis Danzig — und ggf. weiter zur litauischen Hafenstadt Klaipeda. Damit würde die Abhängigkeit der Ukraine, Polens und Litauens von russischen Lieferungen — oder russischen Transfermöglichkeiten — beendet. Alle beteiligten Partner werben nun daraum, dass sich neben dem ölreichen Aserbaidschan auch zentralasiatische Staaten, insbesondere Kasachstan, an die Pipeline hängen. Mit der von der EU unterstützten Paralelltrasse “Nabucco” — das die Türkei einbindet und kaspisches Gas über Südosteuropa bis “vor die Tore Wiens” leiten soll — entsteht ein weiterer Energiestrang, der Europa über Georgien mit den Energiereichen Staaten im Süden Russlands verbindet.
Problematisch für Investoren ist aber die unklare Sicherheitslage. Abtrünnige, sezessionistische Provinzen, die vom “großen Nachbarn Russland” unterstützt werden — der wieder kein Interesse an einer von Russland unabhängigen Pipelineverbindung hat — stellen durch den drohenden Bürgerkrieg eine ständige Unsicherheit für Investitionen dar.