Die wichtigsten Informationen im Überblick:
Regierungsform (Government Type): | Republik (Republic) | |
Hauptstadt (Capital): | Sarajevo | |
Einwohner (Population): | 4,112 Mio. | |
Fläche (qkm) (Area (sq.km): | 51.129 | |
Wehretat (Defence Budget): | 162 Mio. US-$ (2007) | |
BSP/Einwohner (GNP/Capita): | 1.310 US-$ | |
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Daten außer Wehretat dem Fischer Weltalmanach 2005 entnommen |
Bruttoinlandsprodukt (BIP) | |
Nach Kaufkraftparität | $29,89 Milliarden |
Reale Wachstums- /Steigerungsrate | 5,5% (2007) |
Pro Kopf (PPP) | $6.600 (2007) |
Nach Wirtschaftszweigen | Landwirtschaft 10,2% Industrie 23,9% Dienstleistung 66% (2006) |
Erwerbstätige Bevölkerung | |
1,026 Millionen (2001) | |
Nach Tätigkeit | Landwirtschaft: k.A. Industrie k.A. Dienstleistung k.A. |
Arbeitslosenquote | |
45,5% offizielle Rate; Graumarkt reduziert die Unterbeschäftigung auf 25–30% (2004) | |
Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze | |
25% (2004) |
Ehemals eine Republik Jugoslawiens ist B & H nun ein souveräner Staat mit etwa 4 Mio. Einwohnern. Noch zerrüttet vom Krieg, wird hier unter UN und NATO-Überwachung versucht, einen einheitlichen Staat aus einem Vielvölkergemisch zu bilden.
Bei der Erstellung dieses Dossiers bin ich in’s Grübeln geraten. Kann Bosnien — Herzegowina (B & H) ruhigen Gewissens wie das “EU-Protektorat Kosovo”, in dem sogar der Euro offizielles Zahlungsmittel ist, zu Osteueropa gezählt werden, wo doch noch weiter östlich die EU-Mitglieder Bulgarien und Rumänien liegen?
Ist die Trennlinie zwischen West- und Osteuropa, die mehr oder weniger entlang der Grenze zwischen mehrheitlich orthodoxem und mehrheitlich katholischem oder protestantischem Christentum gezogen wird, noch richtig? Diese Trennung versagt schon bei Rumänien und Bulgarien — und führt beim mehrheitlich muslimischen Bosnien-Herzegowina völlig in die Irre. Wird es nicht Zeit, auch Serbien, B & H sowie dem Kosovo, die in unterschiedlicher Intensität an die Türen der EU klopfen und ringsum von EU-Mitgliedern umgeben sind, auch zu Westeuropa zu zählen?
Geographisch liegt B & H unzweifelhaft im Herzen des Balkan und damit in Europa, genauso wie Istanbul mit seinenfast 13 Mio. Einwohnern geographisch gesehen die größte Stadt Europas ist — gefolgt von Moskau (knapp 10,5 Mio.) und London (8,3 Mio). Einwohnern
Ethnisch sind die Bosniaken jedenfalls unzweifelhaft Südslawen, genauso wie insbesondere Bulgaren, Slowenen, Kroaten Mazedonier und Serben, aber kulturell? Andererseits — war B & H nicht über Jahrzehnte hin Bestandteil der österreichisch-ungarischen K u K Monarchie? Wenn nicht die Nachfolgestaaten der Donaumonarchie — Tschechien, die Slowakei, Österreich, Ungarn .… zu Mitteleuropa — und damit nicht zu Osteuropa — gezählt werden sollten, welche Staaten denn dann?
Aber genug der Irrungen und Zweifel, gehen wir die Sache an — von Anfang an:
Geschichte:
Unzweifelhaft gehörte der Balkan südlich der Donau zum römischen Reich, das sich zwischen Schottland und dem Nahen Osten erstreckte, aber nicht einmal den nördlichen und östlichen Teil Deutschlands umfasste.
Nach den Wirren der Völkerwanderung und der Reichsteilung von 395 verlief die Grenze zwischen (West)Rom und Ostrom (Byzanz) — und damit die Grenze zwischen West- und Ostkirche über den Balkan. Beide Staaten bemühten sich mehr oder weniger redlich, die eigenen Ansprüche in dem Gebiet aufrecht zu erhalten. Beide Regionen waren aber durch andere Entwicklungen in der jeweiligen Sphäre vom Balkan abgelenkt.
Für “Westrom” stand der Streit zwischen Papst und den (west-)römischen Kaisern sowie die Konflikte zwischen den westeuropäischen Häusern auf der Tagesordnung, zumal über Spanien der Islam machtvoll nach Europa vorstieß. Die türkischen “Hunnen” (Eigenbezeichnung der Hsiung-nu Hun bzw. Hunlar) etwa ab 450 und die ungarischen Steppenreiter, die sich ab 895 an der Ostgrenze Österreichs festgesetzt hatten, blockierten den westlichen Blick auf den Balkan.
Das Reich von Byzanz war dagegen mit dem Kampf gegen die Sassaniden und seit dem 7. Jahrhundert mit den Abwehrkämpfen gegen eine neu erstandene Macht ausgelastet — den muslimischen Arabern. Im Gegensatz zu seinem langjährigen Rivalen, dem Sassanidenreich, das trotz heftiger Gegenwehr 642/51 unterging, konnte sich das Oströmische bzw. Byzantinische Reich jedoch immerhin erfolgreich gegen eine vollständige islamische Eroberung verteidigen.
Dabei geriet der Balkan aber in den “Windschatten der Geschichte”. Slawische Wanderhirten besiedelten das Gebiet, das in westlichen Augen später — nach der Christianisierung der Ungarn — lediglich noch als Durchzugsgebiet für Kreuzritter von Bedeutung war. Der Balkan wurde als eigenständige Region nie “wirklich wahrgenommen”. Er war Grenzbereich — Durchzugsgebiet für die Heere der östlich, nördlich oder westlich angrenzenden Mächte.
Das änderte sich auch nicht, als die Osmanen — schon vor der Eroberung Konstantinopels — in Edirne, dem alten Adrianopel auf europäischem Boden Fuß fassten und von Südwesten her auf Mitteleuropa vorrückten.
Das im 6. und 7. Jahrhundert christianisierte Bosnieren wurde 1463 ein Teil des Osmanischen Reiches — und die Grenze zwischen den heutigen Staaten Kroatien und Bosnien spiegelt in Teilen immer noch den Verlauf der alten österreich-ungarischen Militärgrenze zum Osmanischen Reich wieder.
Sarajewo — der Name ist vom persisch-türkischen “Saray” (Palast, Amt) abgeleitet — wurde im 16. Jahrhundert zu einem Zentrum der osmanischen Bildung mit der 1537 errichteten Gazi-Husrev-Beg-Medresse (einer islamischen Hochschule) — und Zentrum der osmanischen Stadtkultur mit Märkten, Bädern, Brunnen, mit einer Vielzahl öffentlicher und kultureller Einrichtungen wie Bibiliotheken, die den enormen Vorsprung der islamischen Zivilisation vor den im Mittelalter verharrenden Westeuropa mit seinen Hexenverbrennungen dokumentierten. Die nach seinem Erbauer Hurev-Beg benannte Hauptmoschee, die alte Orthodoxe Kirche und die schräg gegenüber liegende Alte Synagoge zeugen heute noch von der religiösen Toleranz unter den islamischen Osmanen — zur selben Zeit wurde im “Augsburger Religionsfrieden” vom 25. September 1555 die individuelle Religionsfreiheit zugunsten des Herrscherprimats beschränkt — “cuius regio, eius religio”.
Als B & H im Jahre 1878 auf dem Berliner Kongress der österreichischen Verwaltung unterstellt wurde (obwohl formell noch Teil des Osmanischen Reiches), musste sich die K u K Monarchie mit einem blühenden, multireligiösen Gemeinwesen auseinander setzen. Das Ergebnis war zunächst eine Trennung von Staat und Kirche — die Lösung des bosnischen Islam von der Autorität des Sultan und Kalifen, und zugleich die Bildung eigener islamischer Institutionen und Strukturen unter der Patronage der österreichischen Kaiser. Das islamische “Millet-System”, das nichtmuslimischen religiösen Minderheiten eine eigenständige Selbstverwaltung gewährte, wurde mit umgekehrten Vorzeichen nun der islamischen Minderheit unter christlicher Herrschaft gewährt.
Als 1908 B & H. von Östererich-Ungarn annektiert wurde, war die Eingliederung der bosnischen Muslime in ein mitteleuropäisches Staatswesen abgeschlossen.
Das Ende des ersten Weltkrieges und die Zuordnung von Bosnien-Herzegowina zum “südslawischen Köngreich der Serben, Kroaten und Slowenen” führte zu einer zunehmenden Beendigung der islamischen Autonomie und verstärkter staatlicher Kontrolle der religiösen Institutionen. Diese Entwicklung verstärkte sich in der kommunistischen Aera nach dem zweiten Weltkrieg. Eine Umkehr der Entwicklung trat erst am Ende — kurz vor dem Zerfall des jugoslawischen Staates — ein.
Mit dem Zerfall Jugoslawiens wurde auch Bosnien-Herzegowina in einen massiven Bürgerkrieg verwickelt. Das Dayton-Abkommen von 1995 beendete diesen Krieg, fürhte jedoch zu einer dysfunktionalen Staatsverfassung mit einer ethnischen Kantonisierung des Landes. 3 Präsidenten, 14 Parlamenten und 180 Minister bilden einen “Wasserkopf” an staatlicher Bürokratisierung, der zwar einerseits dem ethnischen Ausgleich geschuldet ist — andererseis zu einer überbordenen Bürokratie mit hoher Korruption und gegenseitigen Blockaden der unterschiedlichen Regionen führt.
Die Entwicklung des bosnischen Islam:
Römsich-katholische Kirche, griechisch-katholische Kirche, serbisch-orhtodoxe Kirche, evangelische Kirche, Juden und Muslime erhielten schon in der K u K Monarchie den gleichberechtigten Status einer anerkannten Religion. Der bosnische Islam wurde “verkirchlicht” und konnte so institutionalisiert ein Partner gegenüber der staatlichen Autorität werden — mit der Beibehaltung etwa eines eigenen Schulwesens. Das Oberhaupt der bosnischen Muslime, der “Reisu-I-ulema” (Oberhaupt der Gelehrten) mit einem dem Erzbischof vergleichbaren Status wurde aufgrund eines von bosnischen Korangelehrten erstellten Dreivorschlages vom österreichischen Kaiser ernannt und dann vom “Shaikh ul-Islam” in Istanbul förmlich bestätigt. Damit war einerseits die Anerkennung durch die staatliche Autorität gewährleistet und andererseits die Anbindung an die muslimische Ummah gesichert.
Die Scharia-Gerichte wurden mit Kompetenz im Gebiet des Erb- und Familienrechts in die österreichische Justiz eingegliedert. Die islamischen Theologen der Universität von Sarajevo sind etwa seit 1880 zunehmend auch in westlichen Traditionen verwurzelt.
Die Eingliederung in das bereits genannte “südslawische Königreich” und die nach dem zweiten Weltkrieg gebildete jugoslawische Förderation mit ihrer kommunistiischen Ideologie führten zu einer weiten Säkularisation des Gebietes, die ab den 1970er Jahren durch eine “Re-Islamisierung” beendet wurde. In der Verfassung von 1974 wurden die bosnischen Muslime unter der Bezeichnung “Muslimani” als eigene ethnische Gruppe anerkannt.
Mit dem Zerfall Jugoslawiens im Bosnienkrieg (1992 — 1995) und dem Versagen der westeuropäsichen Schutztruppen (Srebenica) gerieten die bosnischen Muslime in eine beinahe aussichtslose Lage, den insbesondere islamischen Staaten wie Saudi Arabien die Möglichkeit zur Einflußnahme eröffneten.
Dennoch ist der Einfluß fundamentalistischer Strömungen eher als gering zu bezeichnen. Die “Fakultät an für islamische Studien” der Universität Sarajevo (Hochschulpatenschaften mit Erfurt und Tübingen) mit Professoren, die an verschiedenen europäischen Universitäten studierten, bildet die wichtigste islamische Hochschule auf dem Balkan. Die namhaften islamischen Theologen der Universität wie Husein Djozo, Enes Karic, Dzevad Hodzic und Adnan Silajdzic bemühen sich um eine Verbindung von Islam und westlicher Kultur. Gastdozenten der franziskanisch-theologischen Fakultät in Sarajevo tragen zu einem breiten theologischen Verständnis der dort ausgebildeten Imame bei.
Zwei “Islamische Religionspädagogische Akademien” in Bihac und Zenica mit Professoren aus Saudi-Arabien bringen einen eher geringen wahabitischen Einfluss.
Die “Deklaration europäischer Muslime” baut auf dieser Koexistenz auf und intendiert einen “Gesellschaftsvertrag”, der Treue zum Staat und zur Verfassung mit der Freiheit der Religionsausübung kombiniert.
Externer Link: Die islamische Gemeinde von Bosnien und Herzegowina http://www.rijaset.ba/en/
Wirtschaft:
Im Vergleich zu den meisten anderen Ländern in Europa liegt Bosnien und Herzegowina auf Grund der Kriegsfolgen noch weit zurück. Neben dem Aufbau einer funktionieren staatlichen Struktur ist daher auch der Wirtschaftsaufbau eines der wichtigsten Projekte der Regierung. Zwischen 2003 und 2008 wuchs das Land bei relativ tiefer Inflation um durchschnittlich 6% pro Jahr. Die Staatsschulden betrugen 2007 nur 39 % des BIP.
Trotz der Kriegszerstörungen trägt die Landwirtschaft nur etwas über 10 % zum BIP bei. Industrie (64 %) mit Stahl, Kohle, Eisenerz, Zink, Mangan, Bauxit, Fahrzeugmontage, Textilien, Tabakprodukte, Holzmöbel, Tank und Flugzeugmontage, Haushaltsgeräte, Ölraffinerien und Dienstleistungen (25 %) bilden die Hauptschwerpunkte der bosnischen Volkswirtschaft. Bosnien erzeugt insbesondere durch Wasserkraftanlagen mehr Energie (12,22 Milliarden kWh in 2005) als es selbst verbraucht (8,574 Milliarden kWh in 2005) und kann daher beträchtliche Energiemengen exportieren.
Grüßter Importpartner sind Kroatien mit 23,8%, Slowenien mit 15,8%, Deutschland mit 14,8%, Italien mit 11,4%, Österreich mit 6,6% und Ungarn mit 6,1%.
Externe Links: