Isolation im Kaukasus:
Es ist eine verrückte Welt: Armenien hat nur wenige Freunde in der Region — Georgien gehört dazu, aber auch der Iran und Russland. Diese Freunde sind wieder selbst zerstritten. Der Krieg zwischen Georgien und Russland ist einem “heißen Waffenstillstand” gewichen, trotzdem gehören beide zu den politischen Verbündeten der Armenier.
Verkracht und zutiefst zerstritten ist dagegen das Verhältnis zur Türkei und nach Aserbaidschan, obwohl die Armenier einen großen Teil ihrer Importgüter — über Georgien oder den Iran — aus genau diesen Länder erhalten. Die Beziehungen zur Türkei sind durch den von Armenien beklagten und von Istanbul nicht akzeptierte Genozid belastet, und natürlich durch denjüngsten Krieg mit Aserbaidschan.
Durch diese jüngsten Entwicklungen wurde Armenien zwischen der Türkei im Westen, Aserbaidschan im Osten und Georgien im Norden, das seine Interessen aus wirtschaftlichen Gründen eher mit diesen beiden Ländern abstimmt, geografisch fast vollständig von der übrigen Welt isoliert.
Die Beziehungen zwischen Ankara und Jerewan sind aufgrund des Völkermordes an den Armeniern 1915, den die Türkei bis heute bestreitet, traditionell belastet. Türken und die Stammesverwandten — die Aseris aus Aserbaidschan — sind den christlichen Armeniern zutiefst bedrohlich, was auch die NATO nicht unbedingt zum einladenden Partner macht.
Um das wirtschaftlich erschöpfte Armenien zur Aufgabe von Berg-Karabach zu zwingen, hat Ankara ein Handelsboykott verhängt. Die Grenze zwischen beiden Staaten ist seit 1992 geschlossen. “Ob Aseris oder Türken” — so schreibt die Süddeutsche Zeitung am 5. November 2005 — “für viele Armenier macht das keinen Unterschied. Sie erinnern sich an den Genozid der Osmanen an den Armeniern und verbinden dies mit dem Überlebenskampf in Karabach,”
Armeniens Präsident Robert Kotscharjan stammt aus Karabach. Er — und mit ihm die deutliche Mehrheit der Bevölkerung — will nie wieder zulassen, dass Karabach und der 1992 eroberte Landkorridor von Latschin wieder an Aserbaidschan fällt. In Karabach hofft man auf neue Grenzziehungen, die nach dem Muster des Balkan ein Vorbild für die verfahrene Situation im Süden des Kaukasus sein könnten — und damit auf die internationale Anerkennung eines Staatsgebietes, das neben Armenien eben auch Karabach umfassen soll.
Die Gebirgspiste, die Karabach mit Armenien verbindet, wurde durch Millionenspenden der armenischen Diaspora hergerichtet. Auf diese Diaspora und die Verbindungen, die von den Diaspora-Armenieren mit den westlichen Regierungen und der Wirtschaft des Westens geknüpft wurden, hofft die Armenische Regierung, die geographisch und wirtschaftlich ins Abseits gedrängt wurde.
In Stepanakert, der Hauptstadt der Hauptstadt der international nicht anerkannten 150.000 Einwohner-Republik Karabach hat der Fortschritt auch Einzug gehalten. Mit Geldern der Exil-Armenier wurde eine “Staatliche Universität” errichtet, ein prächtiges Parlamentsgebäude ist im Entstehen und die Straßen sind frisch geteert. Die niedrige Einkommenssteuer von 5 Prozent hat zu Investitionen — wie der Errichtung einer Diamantenschleiferei — aus Europa, Russland, Australien und den USA geführt. Nur 500 Höhenmeter weiter — im einstigen Kurort Schuschi — stehen die im Krieg ausgebrannten Mietskasernen und die Minarette einer verwüsteten Moschee. Hier haben aus Aserbaidschan vertriebenen Armenier eine neue Bleibe in der Trostlosigkeit gefunden. Eine Rückkehr nach Aserbaidschan können sich die Flüchlinge , die oft nur das eigene Leben retten konnten, nicht vorstellen — und auch die Rückkehr der aserischen Nachbarn wird nicht für möglich gehalten. Ob die für 2006 geplante Freihandelszone von Schuschi erfolgreich sein wird, steht noch in den Sternen.
Das internationalen Interessen an den großen Erdöl- und Erdgasvorkommen im Raume des Kaspischen Meeres — vor allem im Bereich Aserbaidschans — , die türkische Verbundenheit zum aserbaidschanischen Brudervolk und die nach wie vor zentrale geopolitische Bedeutung der ganzen Region führen eher zur Unterstützung der Aseris durch den Westen.
Diverse Vorschläge, den Konflikt zu beheben — bis hin zu Fragen des Gebietsaustausches — sind bei den Beteiligten nicht auf begeisterte Gegenliebe gestoßen. Schließlich würde ein solcher Gebietsaustausch auch wieder die Vertreibung und Umsiedlung vieler Bewohner nach sich ziehen, die sich plötzlich im “fremden Staatsgebiet” wiederfinden würden.
Georgien — das alte christliche kaukasische Brudervolk — mit dem seit dem 23. Oktober 2001 ein Freundschaftsvertrag besteht, hat zudem selbst Probleme mit separatistischen Bewegungen, durch welche die territoriale Integrität des Landes bedroht wird. Ein schmaler, gebirgiger Übergang zum Iran im Süden (bei Megri) bildet daher eine der wichtigsten Verbindung nach außen — wiewohl der theokratische Mullah-Staat Iran keinerlei kulturelle Anziehungskraft auf das uralte christliche Armenien ausübt.
Partnerschaft mit Russland:
Während die Integrität Georgiens und Aserbeidschans vom mächtigen russischen Nachbarn bedroht wird, ist Armenien durch diese beiden Pufferstaaten vom russischen Bären getrennt. Das orthodoxe Russland bietet sich daher als Partner im Kampf um die Unabhängigkeit und Stabilität des christlichen Landes an. Russland ist nach Deutschland und Griechenland der drittgrößte Investor für Armenien — und Russland will nach Aussage des russischen Regierungschefs Michail Fradkow von Ende Dezember 2006 noch mehr in die armenische Wirtschaft investieren. Dabei sind vor allem Projekte im Verkehrsbereich und womöglich auch im Bereich der Hochtechnologien angedacht.
Auch Armenien ist eher Russland-orientiert, im Gegensatz zu dem pro-westlichen Aserbaidschan und Georgien, die eine NATO-Mitgliedschaft anstreben. 90 % der armenischen Offiziere werden in Russland ausgebildet — und russische Waffen werden zu “Inlandspreisen” an den Verbündeten im Kaukasus geliefert, und in den strategisch wichtigen Grenzpunkten sind auch russische Offiziere präsent.
So sehr sich der Westen um Einfluss im Kaukasus bemüht, so sehr versucht Russland seinen Einfluss zu erhalten. Wichtigster Bündnispartner ist dabei Armenien selbst, das sich von feindlichen Nachbarn umstellt sieht. Russische Truppen patrouillieren an der Grenze zum NATO Land Türkei, das wiederum das “Bruderland” Aserbaidschan massiv unterstützt.
Armenien ist in das Luftverteidigungssystem der GUS-Länder integriert und hat darüber hinaus gemeinsame armenisch-russische Truppengruppierungen sowie einen gemeinsamen Gefechtsdienst mit russischen Truppen. Armenien begrüßt auch den Ausbau der russischen Stützpunkte im Lande — und verbindet dies mit dem Wunsch auf Lieferung modernster russischer Waffen, im Gegensatz zu anderen ehemaligen Sowjetrepubliken wie dem Nachbar Georgien, die den Einfluss Russlands immer mehr eindämmen wollen. Damit gerät eine Rückeroberung von Bergkarabach durch Aserbaidschan zwangsläufig zu einem Konflikt mit Russland, so dass Armenien seine Herrschaft in diesem Gebiet zunehmend stabilisieren kann. Fast 200 Panzer und zusätzlich rund 175 Schützenpanzer sowie über 150 Geschütze aus russicher Produktion stehen den Armeniern zur Verfügung, an einer “heißen Grenze”, an der von 2006 bis Mitte 2007 über 20 aserbaidschanische Soldaten gefallen sind — und eine gewaltige Radarstation mit der Russland den Luftraum bis weit in den Iran hinein überwacht.
Russland ist dabei kein selbstloser Verbündeter. Die Lieferungen Russlands müssen durch die Verkäufe der nationalen Ressourcen finanziert werden — so wurden staatliche Unternehmen (darunter ein Betrieb zur Herstellung von Industriecomputern) wie auch ein Heizkraftwerk an Russland verkauft, um Armenien die notwendige Versorgung zu sichern. Die fehlenden Investitionen Russlands wie auch die Schwierigkeiten, die durch das russische Embargo über Georgien (und damit die Transitroute zwischen Russland und Armenien) entstanden, lassen innerhalb Armeniens den Ruf zu einer Umorientierung immer deutlicher werden.
Langsame Annäherung an die USA:
Die USA besitzen ein offen erklärtes Interesse an einem Frieden in Berg-Karabach. Der Südkaukasus bildet den Hauptkorridor, durch den das Öl und das Gas aus den reichhaltigen Vorkommen im Kaspischen Meer und in Zentralasien nach Europa transportiert werden sollen.
Der Karabach-Konflikt zwingt schon jetzt die Planer der Pipeline von Baku zum türkischen Hafen Ceyhan, durch die der Hauptteil des Öls fließen wird, zu einem kostspieligen Umweg durch Georgien.
Auch Aserbaidschan, das durch die Blockade seiner Enklave Nachitschewan erhebliche Kosten tragen muss, hat zunehmend Interesse an einem friedlichen Ausgleich mit seinem Nachbarn Armenien. Dies kann dazu führen, dass der Konflikt um Armenien langsam austrocknet.
Allerdings ist dieser Nachbarstaat durch seine Ölvorkommen und die Möglichkeit, diesen Reichtum über die georgisch-türkische Pipeline in Devisen zu wandeln, inzwischen auch an Devisen reich geworden — und dieser Reichtum wird auch in der Anschaffung neuer Waffensysteme umgesetzt. Dazu kommt, dass Russland — auf dessen Hilfe Armenien angwiesen ist — das Engagement der USA im Kaukasus mit erheblichem Mißtrauen beäugt. Ein unbedachter Schritt könnte für die Armenier zu erheblichen Problemen führen.
Die Annäherung an die USA erfolgt daher “auf leisen Sohlen” (Spiegel, 20.08.2007). Einige amerikanische Offiziersausbilder waren im Kaukasus aktiv, Amerika hat von 1991 bis 2006 rund 1,5 Mrd. Dollar zur Verfügung gestellt und bis 2012 weitere 235 Mio. avisiert. Vor allem die armenische Exilgemeinde in den USA wirbt um eine Annäherung zwischen beiden Staaten — und unterstützt nicht nur die Angehörigen der Heimat sondern auch die armenische Opposition mit der einen oder anderen Spende.
Wirtschaftliches Interesse an der EU:
Trotz der Einbindung in die Militärstrukturen Russlands hat Armenien großes Interesse, die wirtschaftlichen Verbindungen zum Westen — insbesondere auch zum nahen Wirtschaftsgiganten EU — zu vertiefen. Im Rahmen des Projekts “Neue Nachbarschaft” wird auch die Wirtschaftsstruktur des Landes umgekrempelt. Armenien erhält rund 100 Millionen Euro durch die EU für die Moderniesierung der Infrastruktur und die weitere Unterstützung der armenischen Wirtschaftsreformen. Das Engagement der EU ist für Russland leichter tolerierbar — zumindest, solangt Russland sich selbst auch um eine gute Nachbarschaft, um ein gutes Verhältnis zuer EU bemüht.
Ein Ergebnis dieser Annäherung ist die Bereitschaft Armeniens, sich einer Eisenbahnverbindung von der Türkei nach Aserbaidschan anzuschließen. Damit wird auch Armenien an der “Wiederbelebebung der neuen Seidenstraße” teilhaben, die Europa über die Türkei und die zentralasiatischen Staaten mit China verbinden wird. Derzeit sind die Grenzen zwischen Armenien und der Türkei sowie Aserbaidschan allerdings hermetisch abgeriegelt. Wenn es der EU gelingt, die Türkei zur Grenzöffnung nach Armenien zu veranlassen wird ein erheblicher Anteil der Wirtschaftsprobleme, die durch die Isolation des Landes (lediglich die Grenzen zu Georgien und Iran sind geöffnet) verursacht sind, beseitigt. Ein umfassender Handelsvertrag zwischen Armenien und der EU würde der Türkei bei der Fortsetzung des Embargos gegen einen engen Partner der EU auch erhebliche Probleme bereiten, zumal die Türkei ja immer noch selbst Mitglied der EU werden möchte.
Aussöhnung mit der Türkei:
Trotz der historischen Belastung zeichnet sich langsam eine Aussöhnung mit der Türkei ab. Spekatkuläre Besuche von türkischen Politikern mündeten im August 2008 in eine von der Türkei unterbreitete Initiative zur Herstellung einer Plattform für Zusammenarbeit und Stabilität im Kaukasus. Ein praktisches Ergebnis dieser Bemühungen: nach ersten Gesprächen in Moskau sollte auf Initiative des türkischen Staatschefs Abdullah Gül das nächste Treffen der Präsidenten Aserbaidschans und Armeniens, bei dem es um eine Regelung des Karabach-Konflikts gehen wird, in Istanbul stattfinden (Quelle: RIA Novosti, 07.11.2008).
Externe Links:
laufend aktuelle Presserundschau: www.armenien.biz
Links:
- Armenien — (www.auswaertiges-amt.de)
- Der „Gordische Knoten” Kaukasiens — (www.deutsch-armenische-gesellschaft.de)
- Armenien — (www.bpb.de)