Geographie und Geschichte:
Kolumbien ist der nördlichste der Andenstaaten des südamerikanischen Kontinents, ein Brückenstaat zwischen Pazifik, Karibischen Meer und dem Tiefland des Amazonas.
Das nach Kolumbus benannte Land hatte bereits in der vorkolumbianischen Zeit die Ansätze für eine eigene, lokale Hochkultur entwickelt. Zeitgleich mit den Inkas im Süden befanden sich Chibcha- und Muisca-Reiche in den kolumbianischen Anden auf dem Höchststand der Entwicklung. Das expandierende Reich der Inkas war dabei, sein Herrschaftsgebiet nach Norden auszudehnen — als die spanischen Abenteurer und Eroberer unter Pizarro in einem Handstreich ein zahlenmäßig weit überlegenes Inka-Heer durch die Gefangennahme des Inka-Fürsten lahm legten und die Macht in diesem vorkolumbianischen Andenstaat an sich rissen. Auf der Suche nach Gold durchstreiften die spanischen Konquistadoren auch die kolumbianischen Anden, die dem spanischen Kolonialreich eingegliedert wurden.
Im Süden schließen heute Ecuador und Peru an Kolumbien an, im Osten ist Brasilien und vor allem Venezuela ein inzwischen unbequemer Nachbar. Während die Gebiete des ehemaligen Inkareiches — von Bolivien über Peru bis Ecuador — von Indio-Aufständen erschüttert werden wird auch Kolumbien, einer der letzten offenen Verbündeten der USA, seit Jahrzehnten von einem Bürgerkrieg (FARC) gequält.
Marxistische Revolution im katholischen Südamerika?
In den Länderdossiers über Südamerika stoßen wir immer wieder auf linkspopulistische Staatsführungen, die mehr oder weniger offen einem “sozialistischen Ideal” nachhängen. Von Kuba über Venezuela, Brasilien, Uruguay bis Argentinien etabliert sich eine linke Bastion — und das in einem zutiefst vom Katholizismus geprägten Kontinent?
Gerade Kolumbien, in der die konservative Regierung einen teuren Bürgerkrieg gegen eine marxistische Guerillagruppe führt, bietet Anlass, einmal die Hintergründe dieser Bewegungen etwas zu durchleuchten. Schließlich ist “Medellin” auch die Geburtsstätte einer zutiefst Südamerikanischen Strömung in der katholischen Kirche — der “Theologie der Befreiung”.
Wir zitieren hier aus einem Text des Instituts für Theologie und Politik, das mit Organisationen wie “Globalisierung von unten” zusammen arbeitet und der “Theologie der Befreiung” nahe steht:
Quelle: www.itpol.de
“Das Jahr 1968 war — rückblickend betrachtet — ein wichtiges Jahr für die Kirche und die Theologie Lateinamerikas. Vom 24. August bis zum 6. September 1968 fand in der kolumbianischen Stadt Medellín die II. Generalversammlung des lateinamerikanischen Episkopats statt, das heißt, es trafen sich Delegierte der katholischen Kirche aus allen Ländern Lateinamerikas. in den Kirchen herrschte — global betrachtet — Aufbruchsstimmung: Im II. Vatikanischen Konzil (1962–1965) versuchte die katholische Kirche, Fenster und Türen zur Welt hin zu öffnen und produzierte — für die damalige Kirche — erstaunliche Aussagen über die Rolle der Laien, über soziales Engagement von Christen und das Aufbrechen verkrusteter kirchlicher Strukturen. Die Konferenz in Medellín 1968 hatte zunächst zum Ziel, die Ergebnisse und Aufbrüche des II. Vatikanischen Konzils für den lateinamerikanischen Kontext umzusetzen. Der wohl bekannteste Befreiungstheologe Gustavo Gutiérrez bemerkte dazu: “Das II. Vatikanische Konzil spricht von der Unterentwicklung der Völker unter dem Blickwinkel der entwickelten Länder, um diese an ihre Möglichkeiten und Verpflichtungen jenen gegenüber zu erinnern. Medellín dagegen versucht, das Problem von den armen Ländern aus anzugehen, und definiert sie deshalb als Völker, die einer neuen Spielart von Kolonialismus unterworfen sind. Das II. Vatikanum spricht von einer Kirche in der Welt und versucht bei der Beschreibung dieser Kirche, die bestehenden Konflikte zu mildern, Medellín indes bestätigt, daß die Welt, in der die lateinamerikanische Kirche präsent sein muß, sich in vollem revolutionären Prozeß befindet.” (Gustavo Gutiérrez: Theologie der Befreiung. Mainz, 10. Aufl. 1992, 191f.) Dieser “revolutionäre Prozeß” ist in vielen Texten und Berichten aus Lateinamerika unübersehbar. So schreibt ein kirchlicher Beobachter 1968 aus Uruguay: “Daß sich die Situation in mehreren lateinamerikanischen Ländern allmählich einem gefährlichen revolutionären Zustand nähert, dafür häufen sich die Symptome. Das schroffe Nebeneinander von permanentem Hunger, Arbeitslosigkeit, hoher Sterblichkeit auf Seiten breiter Volksschichten, die unter unmenschlichen Bedingungen leben müssen, und von unausgesuchtem Komfort, ja kaum vorstellbarem Pomp in der Lebensführung herrschender Kreise hat soviel Sprengstoff angehäuft, daß es, wenn einmal der Funke zündet, zur Explosion des ganzen Kontinents kommen könnte.” (Galo Martínez Arona: Lateinamerikanisches Dilemma. Die Christen und die Revolution, in: Orientierung 32 (1968), 93). Derselbe Autor sieht, daß eine Analyse der wirtschaftlichen Lage und ihre Erfahrungen der Ungerechtigkeit viele zu der Überzeugung führen, “es gebe nur mehr die Möglichkeit, das eiserne Gerüst des herrschenden Systems zu zerbrechen: den bewaffneten Aufstand.” Er sieht die Christen und die Kirche in diesem Zusammenhang vor eine unausweichliche Entscheidung gestellt, entweder die bestehende Ungerechtigkeit weiter zu stützen oder aber sich für revolutionäre Veränderungen einzusetzen. In diesem Zusammenhang verweist er unter anderem auf den katholischen Priester Camilo Torres, der sich nach dem Scheitern seiner politischen Bemühungen im Jahr 1967 dem bewaffneten Kampf der Guerilla in Kolumbien angeschlossen hatte und getötet worden war, was Beweis seiner Nächstenliebe und seiner Sehnsucht nach Gerechtigkeit sei.
Die Beschlüsse von Medellín stellten eindeutig in den Vordergrund, daß der Glaube die Forderung und das Engagement nach Gerechtigkeit umfasse, daß ohne Gerechtigkeit christlicher Glaube nicht möglich sei. Dies löste zunächst eine Krise, dann massive Konflikte innerhalb der Kirche aus: Das Verständnis von pastoraler Praxis als die Versorgung der Bevölkerung mit Sakramenten geriet ins Wanken und mit ihm die Rolle und damit das Selbstverständnis von den Priestern und Bischöfen. Ihre Tätigkeit im Rahmen von Sakristei und Kirchenraum reichte nicht mehr aus. Im Bereich der neuen Aufgaben, der sozialen Gerechtigkeit kannten sie sich zu wenig aus, fühlten sie sich unsicher. Bald aber entstanden neue pastorale Strategien und Konzepte: Es wurden — zunächst vor allem in ländlichen Bereichen — kleine Pastoralteams gebildet, Laien in die Arbeit einbezogen, der Bewußtseinsbildung, Alphabetisierung und Gesundheitsversorgung eine vorrangige Bedeutung beigemessen und eine “Gute Nachricht” als Hoffnung für die von materieller Not und sozialer Ausgrenzung betroffenen Menschen verkündet. Zudem wurde die Selbstorganisation der Menschen gestärkt: in der Bildung von Basisgemeinden und in der Betonung der darin liegenden Möglichkeiten gegenseitiger Hilfe. Gleichzeitig wurden aber vielerorts auch Gründung und Arbeit von gewerkschaftlichen Initiativen zur Durchsetzung von Interessen wie Landverteilung und Kreditbewilligungen unterstützt. Die Reaktion darauf ließ nicht lange auf sich warten: Zivile und militärische Machthaber sowie die Oligarchie begannen zunächst mit Vorwürfen und Beschuldigungen (“Kommunisten”, “Subversive”), gingen bald aber zur offenen Verfolgung ihrer Gegner über: Viele Priester, Laien, Engagierte, aber auch Bischöfe wurden vertrieben, verschleppt, gefoltert oder getötet, wie Bischof Oscar Arnulfo Romero aus El Salvador. Heute sind zwar die “revolutionären Zeiten” vorbei und der “Geist von Medellín”, der in den Texten deutlich wird, hat es schwer, sich durchzusetzten. Trotzdem bleibt die dort formulierte Herausforderung als Aufgabe bestehen: Die ungerechte Verteilung der Güter dieser Welt anzuklagen und die Sünde, die diese Ungerechtigkeit hervorbringt, aufzudecken.”
Aus dieser Eigendarstellung einer “linken Kirche” ergibt sich ein theologisches Fundament, in der Auseinandersetzung mit marxistischem Gedankengut einerseits (was auch aus der Wortwahl ersichtlich ist) und den Reichen andererseits, verkörpert vor allem durch global auftretende Konzerne aus Nordamerika, entstand unter den Stichworten “Nächstenliebe” und “Solidarität” eine christlich motivierte, engagierte Befreiungsbewegung, die auch im Gegensatz zur protestantischen Gedankenwelt der USA (“hilft Dir selbst dann hilft Dir Gott” — “wen Gott liebt, dem schenkt er Erfolg”) steht. Durch aktive Einflussnahme soll das Elend, das einen großen Teil der Bevölkerung erfasst hat, gelindert werden — um marodierende städtische (Jugend-)Banden, gewissenlose Großgrundbesitzer und verarmte Kleinbauern gleichermaßen in einem System des sozialen Ausgleichs zu vereinigen.
In diesem “Richtungskampf” um Einfluss stoßen die verschiedensten, konkurrierenden Interessen aufeinander, die mit anderen Problemen verwoben zu einer nahezu unentwirrbaren Gemengelage führen.
Die 1964 gegründete “linke FARC” ist Kolumbiens größte Guerilla-Organisation. Neben der FARC und einer weiteren linken Rebellengruppe sind rechte Paramilitärs und kriminelle Banden in den Konflikt verwickelt. Alle Gruppen sind mehr oder weniger umfangreich im Drogenhandel engagiert.