Die “Linke” Südamerikas ist aber kein monolithischer Block:
Lateinamerika ist trotz sprachlicher und kultureller Gemeinsamkeit keine politisch wirtschaftliche Gemeinschaft wie die EU. Während insbesondere Argentinien, Brasilien und Chile zu linksliberalen Regierungen zählen, deren Bestreben auf eine Unterstützung der Wirtschaft auch mit internationalem Kapital gerichtet ist, werden von Boliviens und Venezuelas Präsidenten, Morales und Chavez (die enge persönliche Beziehungen zu Kubas “Maximo Leader” Castro pflegen), eher linkspopulistische Werte vertreten. Das ist kein Wunder: Die Hälfte der 500 Millionen Einwohner Lateinamerikas lebt in Armut. Begriffe wie Globalisierung, IWF (Währungsfonds) wecken bei über 60 Prozent der Menschen südlich des Rio Grande nur negative Assoziationen. Die von den USA und dem IWF geforderte und geförderte neoliberale Wirtschaftspolitik der letzten Jahre mit Privatisierung und Freihandel werden als gescheitert empfunden. Auf der “Welle des Protests” stürmen vor allem Evo Morales aus Bolivien und Hugo Chavez aus Venezuela die Schlagzeilen der Presse. Neben Verbalattacken auf die USA und die Bush-Regierung wird mit handfesten populistischen Aktionen, so der Verstaatlichung der ausländischen Unternehmen in Boliviens Erdgasbranche, auch die Solidarität der “Linksliberalen” arg strapaziert.
a) Linkspopulisten und Sozialisten (Bolivien, Kuba, Venezuela)
Nach Jahren der von den USA getriebenen Isolation findet Fidel Castro neue Freunde. Das von Morales geführte Bolivien und Venzuela mit Chavez bilden mit Kuba die “Bolivarische Alternative für Amerika”, kurz ” Alba” (Morgendämmerung) genannt.
Chavez sieht Südamerika als das “natürliche Hinterland” Venezuelas an. “Wir haben 100 Jahre lang alles nach Norden geschickt, jetzt ist es Zeit, sich nach Süden zu orientieren” war seine klare Botschaft auf dem Treffen Anfang 2005, die mit zwei konkreten Vorschlägen untermauert wurde: der Bildung einer multinationalen lateinamerikanischen Ölgesellschaft “Petrosur” und eines gemeinsamen Nachrichtensenders “Telesur”, der nach dem Vorbild von Arabsat und dem Sender al-Jazira zu einem Gegengewicht des US-Senders CNN ausgebaut werden soll. Telesur wird entscheidend vom nationalen brasilianischen Raketen- und Raumfahrtprogramm profitieren — und daher wohl auch in der Programmgestaltung von diesem Staat geprägt werden.
Der erste Schritt zum südamerikanischen Petrosur ist eine Vereinbarung, wonach venezolanisches Öl gegen Lebensmittel aus Uruguay (und wohl bald auch Argentinien) getauscht werden soll. Der natürliche Reichtum der einzelnen Staaten soll so dazu dienen, teure Devisen zu sparen und dafür Programme zur Bekämpfung der Armut zu finanzieren, die in allen Staaten evident ist. Im klimatisch gesegneten Uruguay, des einst als “Schweiz Südamerikas” mit mitteleuropäischen Verhältnissen bezeichneten Staates zwischen Brasilien und Argentinien sind etwa 30 % der Bevölkerung in das Elend abgerutscht, das seit jeher die Städte und den Nordosten Brasiliens prägt und nach der Wirtschaftskrise zur Zeit der Militärdiktatur auch Argentinien erfasst hat.
Nachdem der Verkauf der staatlichen Ölgesellschaft Uruguays — Ancap — durch ein Referendum gestoppt wurde, bietet dieser Zusammenschluss auch die Möglichkeit, die Kassen der Staaten mit einem gezielten Verkauf von “Volksaktien” in den Ländern selbst zu füllen, ohne einen Ausverkauf an — vor allem US-amerikanische — Ölmultis befürchten zu müssen.
Chavez setzt auf den Austausch der lateinamerikanischen Länder selbst. Dazu dienen “Tauschverträge”, die Venezuela mit anderen Ländern wie Argentinien, der Dominikanischen Republik, Jamaika, Kuba und Uruguay geschlossen hat. Venezuela beliefert etwa Kuba direkt auf Basis eines Regierungsabkommens , während Kuba mit Gütern und Dienstleistungen, Medikamenten, Ärzten und Ausbildung bezahlt. Auch Uruguay wird mit Öl und Investitionen versorgt — während Venezuela im Gegenzug Agrarlabore, medizinische Ausrüstung wie Brutkästen für Babys, Rinder mit hoher Milchproduktion oder Software erhält. Über eine “Internationale Humanitäre Bank” soll eine Alternative im Handel aufgebaut werden. “Wir wollen mit dem neoliberalen Wirtschaftsmodell brechen, mit den Gesetzesmäßigkeiten, die uns der Norden im Namen des Freihandels aufoktroyiert hat.” (Chavez im Interview mit der Wirtschaftswoche Nr. 21 v. 22.05.2006). An die Stelle des Wettbewerbs soll — so Chavez — der faire Handel, die Kooperation, treten.
Diese sicher diskussionswürdige Idee hat im lateinamerikanischen Konzert durch die Verstaatlichung der bolivianischen Erdgasanlagen am 1. Mai 2006 einen merklichen Dämpfer erhalten. Da damit auch argentinische (Repsol-YPF) und brasilianische (Petrobras) Konzerne betroffen waren, wurde nicht nur die ideelle Freundschaft der südamerikanischen Länder sondern auch das Projekt einer gemeinsamen südamerikanischen Erdölgesellschaft “Petrosur” erheblich belastet. In einem Krisengespräch wenige Tage nach der Entscheidung Boliviens haben sich die südamerikanischen Regierungen — zum Teil zähneknirschend — auf “Verständnis für Bolivien” geeinigt, solange eine sichere Versorgung gewährleistet ist. Dazu soll auch eine 9000 km lange Gaspipeline beitragen, die von Venezuela bis Brasilien und ggf. sogar Argentinien führen soll. Es wird interesant, wie die internationale Staatengemeinschaft — vor allem auch die ehemaligen Kolonialherren — auf die Entwicklung Südamerikas reagieren werden.
“Die Fälle Bolivien und Venezuela illustrieren Dilemma und Doppelmoral der Beziehungen zwischen den ehemaligen Kolonien und dem Kontinent der Mutterländer. Tatsächlich dürfen Morales und Chavez ihre Ressourcen verwenden, wie sie es für richtig halten. Beide sind demokratisch gewählt. Für die stets auf Ausgleich bedachte EU allerdings entsteht aus der linksnationalen Wende ein doppeltes Problem. Erstens gefährden die neuen Spielregeln in Bolivien und Venezuela die sagenhafte Gewinne europäischer Konzerne wie Repsol-YPF und BP, der modernen Konquistadoren. Das ist in Zeiten schwindelerregender Ölpreise besonders heikel. Zweites erschwert die zunehmend selbstbewusste Achse Castro-Chavez-Morales generell den politischen Umgang der EU mit dem Gebiet zwischen Rio Grande und Feuerland.….Mag sein, dass die Entwicklung in den Anden — wie die Verstaatlichung — die Armut noch verschlimmern. Aber wer Demokratie predigt, muss auch mit den Folgen leben” (Peter Burghardt, Kommentar in der Süddeutschen Zeitung vom 12.05.2006).
Externer Link: Weltspiegel 09.04.2006 Venezuela, Öl fürs Volk — (http://daserste.ndr.de)
b) Argentinien, Brasilien, Chile, Peru und Uruguay:
Die linksliberalen und sozialdemokratischen Präsidenten sehen sich der Anforderung ausgesetzt, einen Spagat zwischen den Erwartungen der Wähler und den Vorgaben von Weltbank und Internationalem Währungsfonds zu finden. Während die Bevölkerung — durchaus auch unterstützt von den in Südamerika mächtigen Bischöfen der katholischen Kirche, wie der brasilianischen Bischofskonferenz — die immer stärkere Kluft zwischen Arm und Reich beklagen fördern diese internationalen Finanzinstitute mit ihren Vorgaben (Unterstützung der “wirtschaftlichen Leistungsträger”) gerade die Unternehmen, die ohnehin bereits massive Gewinne erwirtschaften. Da eine wirtschaftliche Prosperität nur mit den “global playern” erreicht werden kann wollen sich alle Präsidenten daher zugleich als verlässliche Partner präsentieren, die den privaten Sektor fördern und unterstützen. Dazu wird vor allem auf das Engagement Europas — als Ausgleich zu den USA — gehofft, zumal die südamerikanischen Staaten über traditionell gute Beziehungen zu den ehemaligen europäischen Kolonialmächten — Portugal und Spanien — verfügen.
In einem — zeitlich zum FTAA-Vertrag parallelen — Zusammentreffen von Verhandlungsdelegationen der EU und der Mercosur wurde Ende Mai 2004 in Cartagena de Indioas (Kolumbien) und einem Gipfeltreffen in Mexiko intensiv über die Annäherung der beiden Wirtschaftsblöcke verhandelt.
Die Verhandlungen der dynamisch wachsenden Mercosur-Gruppe mit der (erweiterten) EU sind aus europäischer Sicht darauf ausgerichtet, im Herbst 2004 einen neuen Freihandelsraum zu bilden, der europäischen Unternehmen weitere Exportchancen vor allem im Bereich von Stahl und Pharmazeutischen Produkten, Dienstleistungen und öffentliche Aufträge eröffnet. Der Merosur leidet unter Differnzen zwischen Argentinien und Uruguay um die Errichtung von Industriegebieten (Papierfabriken) im gemeinsamen Grenzgebiet des La Plata.
Die Wunschvorstellungen der südamerikanischen Staaten, im Gegenzug deren Exportmöglichkeiten vor allem für Agrarprodukte wie Zucker und Rindfleisch zu erleichtern, stoßen dagegen auf Widerstand der europäischen Agrar-Lobby.
Während sich Brasilien vor allem Exportchancen für den aus Zuckerrohr gewonnenen “Bio-Kraftstoff” Ethanol erhofft fürchten die europäischen Anbauer von Zuckerrüben, die einheimischen Märkte würden mit billigem Rohrzucker überschwemmt werden.
Wettbewerb um Einfluss:
Wie bereits angesprochen finden sich die USA und die EU in Südamerika in zunehmender Konkurrenz um wirtschaftlichen Einfluss.
Während sich Europa vor allem auf die traditionellen Bindungen nach Spanien und Portugal stützt, sehen die USA den ganzen Kontinent bis Feuerland als “natürliche US-amerikanische Interessenzone” an.
Die USA drängen darauf, die Verhandlungen zum panamerikanischen Freihandelsvertrag FTAA (Free Trade Area of the Americas) zum Abschluss zu bringen. Ab Januar 2005 sollen von Alaska bis Feuerland mehr als 800 Millionen Verbraucher den weltweit größten Handelsblock bilden. Die Europäer wollen aber nicht außen vor bleiben. Und Lateinamerika, traditionell der Hinterhof der USA, will die Abhängigkeit zur nordamerikanischen Wirtschaftsmacht verringern.
(www.tagesschau.de)
Inzwischen hat sich ein weiterer “Globalplayer” im Spiel um Südamerika eingeschaltet. China interessiert sich zunehmend für die Erdöl- und Erdgasvorkommen sowie die Rohstoffe (Eisenerz) und landwirtschaftlichen (Soya) und industriellen Produkte (Stahl) des Kontinents, die Stärken der chinesischen und lateinamerikanischen Volkswirtschaften ergänzen sich — und China findet gerade in den linkspopulistischen Präsidenten von Bolivien bis Kuba bereitwillige Ansprechpartner.
Externe Links:
- Offizielle Seite des Mercosur im Internet www.mercosur.int
- Tagesschau 22.01.2006 — Südamerika drängt nach links: www.tagesschau.de
- Ila Bonn http://www.ila-bonn.de:
- EU und Lateinamerika
- Die Wirtschaftsbeziehungen Chinas zu Brasilien, Argentinien und Chile