Lateinamerika (Einführungsdossier)

 

 

Die Staat­en am Atlantik haben sich seit 1991 in der Mer­co­sur-Gruppe zusam­men geschlossen. Der Name dieses Wirtschafts­blocks ist sein Pro­gramm: “Gemein­samer Markt des Südens” — auf spanisch abgekürzt “Mer­co­sur” — so heisst die Wirtschafts­gruppe, die sich die EWG als Vor­bild für die eigene wirtschaftliche Zusam­me­nar­beit genom­men hat.
Kern des Bünd­niss­es sind die “Wirtschaftsmächte” des Kon­ti­nents, Brasilien und Argen­tinien, und deren “Puffer­staat­en”, Paraguay und Uruguay. Chile, Bolivien und Peru — also die west­lich anschließen­den “Paz­i­fik-Staat­en” haben sich später als “assozi­ierte Län­der” angeschlossen, so dass dieses Wirtschafts­bünd­nis zwis­chen­zeitlich eine Bevölkerung von 250 Mil­lio­nen Men­schen und ein gemein­sames Brut­toin­land­spro­dukt von 800 Mil­liar­den Dol­lar repräsen­tierte. Venezuela wurde 2012 Mit­glied des Staaten­bun­des. 
Damit ist die Mer­co­sur-Gruppe nach der EU und dem nor­damerikanis­chen Naf­ta-Wirtschaft­sraum die drittgrößte Wirtschaft­szone der Welt, deren interne Zoll­gren­zen — mit Aus­nahme von Zuck­er und Kraft­fahrzeu­gen — inzwis­chen aufge­hoben wur­den. Vor allem unter der Führung Brasiliens wird eine von den USA unab­hängige Bünd­nis­poli­tik gesucht, die sich vor allem auf Europa und “kom­mende Wirtschaftsmächte” wie Chi­na, Indi­en und Südameri­ka hin ori­en­tiert, während die Bestre­bun­gen der USA auf eine “panamerikanis­che Frei­han­del­szone” (FTAA) eher skep­tisch betra­chtet wer­den. Der Han­del zwis­chen den Mit­gliedsstaat­en schwankt zis­chen 9 % (1991), 25 % (1998), 11 % (2002) und 16 % (2010).
Nach dem Vor­bild der EWG wurde ein MER­CO­SUR-Par­la­ment gebildet, ein Aus­gle­ichs- und Struk­tur­fonds und ein ständi­ges Büro mit einem “ober­sten Repräsen­tan­ten” geschaf­fen sowie ein Schieds­gericht eingerichtet.

Das Bünd­nis geht aus der Südamerikanis­chen Staatenge­mein­schaft (CSN) her­vor und soll zunächst zur Annäherung der Andenge­mein­schaft (CAN) mit dem gemein­samen Markt des Südens (Mer­co­sur) führen. Die Grün­dungsmit­glieder Argen­tinien, Bolivien, Brasilien, Chile, Kolumbi­en, Ecuador, Franzö­sisch-Guayana, Paraguay, Peru, Suri­nam, Uruguay und Venezuela arbeit­en inzwis­chen an einem weit­eren Pro­jekt, dem sich lediglich Kolumbi­en noch etwas versper­rt. Die Mehrheit der Mit­gliedsstaat­en will mit der Union neben ein­er wirtschaftlichen Inte­gra­tion eine gemein­same Außen- und Sicher­heit­spoli­tik etablieren.

Die 2010 gebildete “Gemein­schaft der Lateinamerikanis­chen und Karibis­chen Staat­en” (CELAC) bildet einen weit­eren Baustein der lateinamerikanis­chen Koop­er­a­tion. Mit Mex­i­co, den zen­tralamerikanis­chen und karibis­chen Staat­en ist ein neuer “Koop­er­a­tions­block” der Staat­en Mit­te­lamerikas ent­standen, die sich — soweit bish­er erkennbar — zumin­d­est organ­isatorisch von den USA und der EU distanzieren. 

Eine neue Stufe der Inte­gra­tion wurde 2008 durch die Grün­dung der “Union der Südamerikanis­chen Natio­nen”, kurz UNASUR, in Angriff genom­men. Mit Una­sur soll bis zum Jahr 2025 eine der Europäis­chen Union ver­gle­ich­bare Inte­gra­tion von Südameri­ka erre­icht wer­den. Geplant sind gemein­same Währung, Par­la­ment und Reisepässe. Beschlossene Sache ist nun ein gemein­sames Par­la­ment mit Sitz in Cochabam­ba, Bolivien, während der Ständi­ger Sitz der Organ­i­sa­tion ist Quito, die Haupt­stadt Ecuadors liegen wird. Die Grund­char­ta sieht daneben weit­ere gemein­same Insti­tu­tio­nen vor. So sollen zunächst drei Räte ein­gerichtet wer­den: einen Rat der Staatschefs, der ein­mal im Jahr zusam­men komme soll, einen der Außen­min­is­ter, sowie einen Rat von Delegierten aus den einzel­nen Län­dern. Brasilien und Venezuela drän­gen unter dem Dach von UNASUR sog­ar zunehmend auf die Grün­dung eines südamerikanis­chen Mil­itär­bünd­niss­es. Ein Gespräch­skreis der Vertei­di­gungsmin­is­ter des Bünd­niss­es, der “lateinamerikanis­che Vertei­di­gungsrat”, wurde 2009 gebildet.

Den Wert des Bünd­niss­es zeigte die Koop­er­a­tion bei dro­hen­den Putschen (Bolivien 2008, Ecuador 2010) und die Ablehnung von vol­l­zo­ge­nen Putschen (Hon­duras 2009, Paraguay 2012) sowie das Jahr 2014 — dort begann unter der Ver­mit­tlung von UNASUR der Ver­such, die Unruhen in Venezuela zu been­den und den Dia­log zwis­chen der Regierung Maduro und der Oppo­si­tion des Lan­des zu ini­ti­ieren. UNASUR stellt sich dabei gemein­sam gegen die Ein­mis­chung von Staat­en außer­halb der Region und beansprucht, die regionalen Prob­leme selb­st zu regeln. 

Kern und Motor der lateinamerikanis­chen Inte­gra­tion bildet aber zunehmend das ALBA-Bünd­nis, die “Boli­varischen Alter­na­tive für die Völk­er Unseres Ameri­ka”, beste­hend aus Cuba, Venezuela, Nicaragua, Bolivien, Hon­duras und Domini­ca — sowie Ecuador, das sich zu einem offiziellen Beitritt aber noch zurück­hält. Im März 2013 fol­gte Uruguay.  
Beson­der­er Ansatz dieser Ini­tia­tive ist die zwis­chen­staatliche Koop­er­a­tion, vor allem im Energiesek­tor. Die von Venezuela ini­ti­ierte karibis­che Erdölal­lianz “Petro­caribe” ver­sorgt 13 der 15 karibis­chen Län­der seit 2005 mit einem Grundbe­darf von täglich über 185.000 Bar­rel Erdöl zu gün­stig­sten Preisen. So prof­i­tiert Kuba von vene­zolanis­chem Erdöl — und entsendet gle­ichzeit­ig Ärzte in die Armen­vier­tel Venezue­las.  Eine Erweiterung um “Pet­ro­sur” und “Petroan­d­i­na” zu einem Ver­bund “Petroamer­i­ca” wird diskutiert.

In den Koop­er­a­tionspro­jek­ten ins­beson­dere der staatlichen Unternehmensgrup­pen sollen Güter- und Dien­stleis­tun­gen ohne Beanspruchung von Devisen aus­ge­tauscht wer­den. Dazu gehören “Joint-Ven­ture” Unternehmen (z.B. Edel­stahl und Nick­el) und vor allem die 2008 gegrün­dete gemein­same ALBA-Bank, die seit 2010 mit der “Ver­rech­nungswährung” SUCRE. Auf ihrem 3. Gipfel­haben die Mit­gliedsstaat­en im Novem­be 2008 die Schaf­fung ein­er gemein­samen Währung beschlossen — des “Sucre”, der bis Ende 2012 schon einen Jahre­sum­satz von umgerech­net 1,7 Mrd. US-$ abwick­eln kon­nte. Sollte diese gemein­same Währung auch für die großen lateinamerikanis­chen Staat­en attrak­tiv wer­den — also ins­beson­dere für Brasilien und Argen­tinien — dann wird ein südamerikanis­ch­er Bin­nen­markt entste­hen, der den Ver­gle­ich mit der Europäis­chen Union nicht zu scheuen braucht.

Unter Beteili­gung von Argen­tinien, Brasilien, Bolivien, Ecuador, Paraguay, Uruguay und Venezuela wurde 2007 die Ban­co del Sur (Bank des Südens) gegrün­det, die für die Entwick­lungslän­der eine soziale Alter­na­tive zum IW wer­den sollte. Vom Grund­kap­i­tal von 20 Mrd. US-$ tru­gen Argen­tinien, Brasilien und Venezuela jew­eils 4 Mrd. $. Nach eini­gen Anlauf­prob­le­men hat die Bank seit 2013 volle Funk­tions­fähigkeit erre­icht. Und die Über­nahme des SUCRE als Ver­rech­nungswährung zeich­net sich ab.

Im Bere­ich der Telekom­mu­nika­tion bildet die 2005 von Argen­tinien, Bolivien, Kuba, Uruguay und Venezuela gegrün­dete TELESUR eine gemein­same Basis mit dem Ziel, die “lateinamerikanis­che Iden­tität” zu fördern. TELESUR ist damit das lateinamerikanis­che Gegen­stück zu Al-Dschasira, mit (Stand 2013) inzwis­chen über 700 Mitar­beit­ern und Kor­re­spon­den­ten und über 400 Mio. Zuschauern. TELESUR bietet unab­hängige Berichter­stat­tung auch über nationale Ereignisse wie den Putsch in Hon­duras (2009) oder Ecuador (2010).   

Die lateinamerikanis­che Koop­er­a­tion trägt Früchte: die USA wer­den als Han­delspart­ner zunehmend durch die Region und andere Erdteile erset­zt (2000: 60 % Exporte in die USA, 2010 40%; 2000: 50 % Importe aus den USA, 2010 unter 40 %). Dazu trägt auch die Umori­en­tierung nach Chi­na (und Indi­en) bei. 2013 wur­den über 20 % der Exporte und über 33 % der Importe mit Asien abgewick­elt. Der “Süd-Süd-Han­del” ist inzwis­chen bedeu­ten­der als der Han­del mit den USA und Europa (UN-ECLAC 2011). Die Region wird also von der Wirtschaft­skon­junk­tur und der Wirtschaft­spoli­tik ins­beson­dere der USA zunehmend unabhängiger.

 

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Alba, Mer­co­sur, UNASUR, Telesur u.a. — gegen US-Dominanz