Die gute Wirtschaftslage — hohe Exportüberschüsse bei attraktiven Zinsen und steigenden Unternehmenserlösen — lockt auch Auslandskapital nach Brasilien. nach einer Umfrage der UN-Konferenz für Handel und Entwicklung (Unctad) unter multinationalen Konzernen wird Brasilien neben China, Indien, den USA und Rußland zu den fünf attraktivsten Investionsländern weltweit gezählt.
Seit Mitte 2008 verfügt Brasilien mi dme “Investment Grade” ein Gütesiegel der Ratingagenturen, deren Bewertung für viele Pensionsfonds ein wichtiges Kriterium zur Geldanlage ist. Die gloale Finanzkrise verstärkt den Geldfluss nach Brasilien. Alleine im ersten Quartal 2011 hatte Brasiliens Zahlunsbilanz einen Überschuss von 36 Milliarden Dollar zu vermelden — das knapp 1 1/2 fache des gesamten Überschusses aus dem Vorjahr 2010. Während in den etablierten Industrieländern niedrigste Zinsen gezahlt werden, um die Nachfrage zu erhöhen und die Konjunktur anzukurbeln, muss sich Brasilien mit zweistelligen Zinssätzen lgegen die von “zu viel Nachfrage” angeheizte Inflation stemmen. Die brasilianische Währung — der Real — hat sich von 2001 (1 US-$ entsprechend 4 Real) auf 1,50 Real für einen US-Doller (Sommer 2011) verteuert. Wer in Brasilien investiert, kann also nicht nur vom Binnenmarkt sondern auch noch von satten Währungsgewinnen profitieren.
Ein Beispiel für ausländische Investitionen ist die Kraftfahrzeugindustrie: Mit jährlich 2 1/2 Millionen neu gebauten Fahrzeugen gehört Brasilien zu den weltweit zehn größten Autonationen — mit einem Produtkionszuwachs von fast 15 % (2005 — 2006). Mitte 2008 konnte Brasilien — noch vor europäischen Staaten wie Frankreich, Großbritannien oder Italien — zum fünftgrößten Automarkt weltweit aufsteigen. Bis 2015 dürfte Brasilien — nach den USA und China — sogar der weltweit drittgrößte KFZ-Markt werden. Bis zum Jahr 2025 wird sogar ein jährlicher Absatz von über 7 Mio. Fahrzeugen prognostiziert. Etwa 80 % der neuen Wagen sind heute (2010) mit “Flexi-Fuel-Motoren” ausgestattet, die Benzin, Ethanol (Bio-Sprit) oder eine beliebige Mischung verarbeiten können. Selbst Motorräder können inzwischen mit diesem Energiemix betrieben werden.
VW do Brasil steht — mit seinem Produkt “Gol” — symptomatisch für die weltweit tätigen Automobilproduzenten, die auch in Brasilien riesige Werke zur lokalen Produktion errichteten und in die Höhen und Tiefen der brasilianischen Konjunkturwellen verwickelt wurden. Mehr als 15 Mio. Autos haben seit der Einweihung der ersten Fabrik bei Sao Paulo 1955 die Bänder von VW do Brasil verlassen. Dem raschen Profit in Hochzeiten steht eine gut organisierte Gewerkschaft gegenüber, die auch in Krisenzeiten die Interessen der Beschäftigten mit Härte vertritt.
Ende 2001 hatte sich die Firmenleitung nach einwöchigem Streik schriftlich auf eine Arbeitsplatzgarantie verpflichtet — bis November 2006 in São Bernardo, bis Februar 2004 in Taubaté. Im Gegenzug akzeptierte die Gewerkschaft die Reduzierung der Arbeitszeit bei 15-prozentigem Lohnverzicht bis hin zur Viertagewoche oder Kollektivurlaub in Krisenzeiten. Anfang August des Jahres 2003 wurde ein Abbau von rund 4.000 Stellen verkündet — was zu massiven Streiks der Arbeiterschaft führte. Die Arbeiter und Arbeiterinnen zweier VW-Werke im brasilianischen Bundesstaat São Paulo traten in einen ersten vierstündigen Warnstreik. Auf einer Betriebsversammlung am Montagnachmittag hatten 13.000 TeilnehmerInnen dem “Kampfplan” der Gewerkschaftsführung zugestimmt und Kopien der Entlassungsschreiben zerrissen. Die Originale wurden der Personalabteilung überreicht. Erst nach einem zehnwöchigen Arbeitskampf, bei dem Konzernchef Bernd Pieschetsrieder von Wolfsburg aus mit Kündigungsdrohungen Öl ins Feuer goss, lenkte VW ein.
Ende Oktober 2003 erfolgte der Beginn eines neuen Streiks in der brasilianischen Autoindustrie, an dem sich rund 25.000 Beschäftigte bei Ford, Mercedes-Benz und VW beteiligt hatten, hatten die Konkurrenzfirmen rasch eingelenkt — nur VW hatte sich weiterhin unnachgiebig gezeigt. Dies führte zu weiteren Arbeitskampfmaßnahmen, der erst durch den Schiedsspruch eines örtlichen Arbeitsgerichts beendet wurde, das eine Lohnerhöhung von 18 Prozent angeordnet hatte. Damit haben die 21.800 VW-Arbeiter in der Großregion São Paulo zum ersten Mal seit drei Jahren eine Reallohnerhöhung von zwei Prozent erstritten.
Als — verspätete — Reaktion wurde vom Mutterkonzern im Mai 2006 erneut die Streichung von 5.800 Stellen angekündigt, jeder vierte Arbeitsplatz — so die Südd.Zeitung in einem Bericht vom 5. Mai d.J. — sei in den fünf Werken des Konzerns gefährdet. Etwa die Hälfte der Produktion von VWdo Brasil — rund 260.000 Fahrzeuge — wurden im Jahre 2005 exportiert, in die Nachbarstaaten, aber auch nach Nordamerika und Europa. Die Firma leidet also am Verfall des US-Dollar, der mit einer Aufwertung des brasiliansichen Real verbunden ist.
VW do Brasil hat anteilig nur etwas über 20 % am brasilianischen Fahrzeugmarkt. Das größte Werk, in Anchieta, stellt die Modelle Fox, Gol, Polo, Santana und Saveiro und den T 2 Kombi her. Ergänzend wird dort eine Fertigungslinie für Motoren und eine Gießerei für Zylinderköpfe unterhalten. Weitere Werke in Curitiba (mit der Produktion von Audi A 3, Fox und Golf), Resende (Busse, LKW), Sao Carlos (Motoren) und Taubate (Gol, Parati) vervollständigen den brasilianischen Tochterkonzern von VW.
Ein — trotz aller Unkenrufe — reiches Programm, dass da von den brasiliansichen Werken gefertigt wird. Dazu kommen die Produktionsstätten der anderen Hersteller. Kein Wunder also, dass sich auch Zubehörhersteller für Produktionsstandorte in Brasilien interessieren. So investiert der Autozulieferer Robert Bosch — in Lateinamerika Marktführer in Antiblockiersystemen (ABS) — ab dem Jahre 2006 rund 10 Mio. Euro in ein Werk bei Sao Paulo, um dort Antiblockiersysteme herzustellen. Die 14000 Mitarbeiter der Firma haben dem Unternehmen bereits im Jahr 2005 zu einem Umsatz von einer Milliarde Euro verholfen.
Der “starke Real”, die durch Rohstoffexporte kraftige Landeswährung, erweist sich gerade für die Industrie als zunehmende Bürde. Verarbeitete Waren — die Hersteller von Autos und Maschinen, Schuhen und Textilien sind auf dem Weltmarkt immer weniger wettbewerbsfähig. Während China seine Währung in einem schmalen Kursband zum Dollar pendeln lässt, und damit immer günstiger wird, schwächelt Brasiliens Industrie. Obwohl die brasilianische Autoindustrie im Inland vom Boom profitiert, ist der Marktanteil von VW do Brazil zusätzlich auch in Brasilien selbst gefallen — bei PKWs und leichten Nutzfahrzeugen von 35 % (1995) auf 22 % (2005). VW hat bereits im Frühjar 2006 angekündigt, 6.000 von insgesamt 21.000 Stellen in Brasilen zu streichen. Die 12.000 Mitarbeiter des VW-Werkes Anchieta bei Sao Paulo, in dem alleine 3.600 Stellen wegfallen sollen, gingen wieder in einen “heißen Sommer”.
Ganz anders entwickelt sich die LKW-und Bus-Sparte des Herstellers. Gemeinsam mit dem brasilianischen Karrosserie-Hersteller Macopolo und einer weiteren Reihe von (insgeamt 8) Zulieferern hat VW ein Programm entwickelt, mit dem Bus- und LKW-Fahrzeuge maßgeschneidert hergestellt werden können.
VW ist bei Lastwagen mit über 5 Tonnen und einem Marktanteil von 1/3 (im sechstgrößten nationalen LKW-Markt) seit 2002 brasilianischer Marktführer. Vom Kleinlaster (Delivery) bis zum Schwersttransporter (Constellation) — VW hat sich darauf spezialisiert, robuste Fahrzeuge für den Einsatz mit schwierigen Straßenverhältnissen zu produzieren. So sind die Außentreppen zu den Fahrerkabinen einklappbar, um einen Schutz vor Überfällen zu bieten. Nach der Entwicklung durch VW erfolgt die Montage in einem gemeinsamen Werk aller Zulieferer in der Stadt Resende, wobei jeder der Zulieferer einen Abschnitt am Laufband zu bearbeiten hat. VW übernimmt dann wieder die Endabnahme — und die Vermarktung und Betreuung der verkauften Fahrzeuge.
Während die europäischen Hersteller im Busbereich auf “Niederflurfahrzeuge” setzen, die einen bequemen Einstieg auch für ältere Personen ermöglichen, liefert VW aus Resende hoch gelegte Fahrzeuge, um die Passage von Schlammpisten mit tiefen Schlaglöchern zu erleichtern. Diese — aus Amphibienfahrzeugen entnommene — Technik macht die Busse von VW auch in anderen tropischen Staaten attraktiv.
Neben VW sind auch andere Hersteller im brasilianischen Markt mit Fertigungsstandorten vertreten, so FIAT, das mit 9000 Mitarbeitern (von früher 20.000) den Konkurrenten aus Wolfsburg mit einem Marktanteil von 25 % (2005) sogar überholt hat. 5 Mrd. Real — rund 1,7 Mrd. Euro — will Fiat trotz des “Dämpfers“anlässlich der internationalen Finanzkrise 2008 investieren. FIAT konzentriert sich dabei auf Parnambuco im Nordosten ds Landes. MAN und PSA Peugeot Citroen haben sich dagegen für einen Standort ziwschen Rio und Sao Paulo (Resede) entschieden.
Mercedes Benz di Brasil ist mit dem Versuch, Fahrzeuge der A‑Klasse in Brasilien herzustellen, zwar 2005 gescheitert — der Hersteller produziert aber inzwischen in Brasilien mehr LKW als in Deutschland; eigentlich kein Wunder bei der zweieinhalbfachen Bevölkerungszahl Brasiliens, die sich etwa auf der 21fachen Fläche Deutschlandes verteilt. Das bei Sao Pailo gelegene LKW-Werk des Konzerns ist an seine Kapazitätsgrenzen gestoßen. In Juiz de Fora (Bundesstaat Minas Gerais), wo bisher Teile für die C‑Klasse montiert wurden, wird nun (2011) ein neues LKW-Werk aus dem Boden gestampft.
In Curtiba werden Lastwagen von Volvo und Scania gebaut, sowie PKWs von Renault und VW. Dabei ist Brasilien nicht nur durch die Automobilindustrie gekennzeichnet, und noch weiter südlich hat GM eine Produktionslinie bei Prto Alegre in Betrieb genommen.
Und kurz vor Pfingsten 2012 berichtete der Gouverneur des brasilianischen Bundesstaates Santa Catarina von weit fortgeschrittenen Verhandlungen mit BMW, eine lokale Fertigungsanlage für Fahrzeuge der gehobenen Klasse in dem Bundesstaat zu errichten. Bei einer Absatzsteigerung um 54 %, die von 2010 bis 2011 für den bayerischen Hersteller in Brasilien zu verzeichnen war, ist das durchaus erwägenswert — und der totale Fahrzeugabsatz (2011: 15.214 Fahrzeuge) lässt auch die Auslastung der Kapazität eines kleineren, ausbaufähigen Fahrzeugwerkes erwarten.
Die Größe des Landes hat auch einen weiteren Industriezweig befördert. Bereits nach dem ersten Weltkrieg begann Brasilien (Fábrica do Galeao) mit dem Lizenzbau von Flugzeugen (Focke-Wulf Fw 44‑J Stieglietz und Fw 58 Weihe), die auch der Ausbildung von Piloten für die junge brasilianische Luftfahrt dienten. 25 Exemplare der Fw 58 B‑2 wurden in Lizenz in Brasilien gebaut. Es verwundert aber, dass diese Ansätze nicht weiterentwickelt wurden. Erst mit Embraer — dem brasilianischen Flugzeugproduzenten - entstand ein Unternehmen, das weltweit konkurrenzfähig den Bereich der Klein- und Regionalflugzeugproduktion betreibt, zunehmend auch Martkanteile im Segment der größeren Verkehrsflugzeuge gewinnt und über die Kooperation mit einem italienischen Hersteller inzwischen auch in der Entwicklung und Fertigung leichter Militärjets aktiv ist.
Interner Link: Amerika - EMBRAER — Flugzeugherstelelr auf dem Weg zur Weltspitze
Der brasilianische, zu Eurocopter gehörende Hubschrauberhersteller Helibras steht im Schatten von Embraer. Helibras begann 1978 mit dem Zusammenbau von leichten Helikoptern des Typs SA 315 B “Lama”, der später in Lizenz produziert wurde, und stellt inzwischen Hubschrauber verschiedener Typen und Leistungsklassen für den zivilen, wie auch den militärischen Bereich her. Das größte Modell ist der mittlere Transporthubschrauber NH 90 (19,5 m Länge), der sich auch noch zivil vermarkten lässt. Der kleinste Hubschrauber ist der für private Nutzer gedachte EC 120 mit 9,60 m Länge. Als bekanntester Helikopter kann wohl der Helibras MH‑1 — eine Variante des Eurocopter Dauphin — gelten, der auch von China als Harbin Z‑9 Haitung produziert wird und dort mit einer Vielzahl unterschiedlichster Ausstattungen der Standardhubschrauber für Marine und Heeresflieger geworden ist. Sowohl im Hinterland wie auch in den großen Städten lassen sich Hubschrauber — gerade wegen der Möglichkeit, auch auf kleinsten Plätzen zu starten und zu landen — ideal einsetzen. Das “Hubschraber-Taxi” ist auch in den Städten wie in Sao Paulo inzwischen unersetzlich, um dem täglichen Chaos am Boden zu entfliehen.
Eine weitere Lizenzproduktion wurde mit dem “Super Puma” EC-725BR (bzw. UH-14) gestartet. Brasilien hat sich nicht nur die Lizenz für den Eigenbedarf, sondern auch exklsive Verkaufsrechte für Südamerika und einige Staaten Afrikas gesichert. Der UH-15 Super Cougar wird bei Helibras ebenfalls in Lizenz für die Marine gebaut. Die ersten Helikopter sind 2013 bei der Steffel HU‑2 “Pegasus” zur Ergänzung der UH-14 in Dienst gestellt worden. Die Variante UH-15 A, die ab 2015 in Produktion steht, wird dabei auch für die Seekriegsführung u.a. mit AM 39 Exocet ausgerüstet werden.
Interner Link: Lateinamerika — Brasiliens Hubschrauberproduktion
Externer Link: Helibras-Homepage: www.helibras.com.br
Ein weiteres ehrgeiziges Programm beschäftigt sich mit der Entwicklung von eigenen Trägerraketen zum Start von Satelliten. Die zwei ersten Abschussversuche einer VLS-Rakete auf dem Stützpunkt Alcantara waren 1997 und 1999 gescheitert. Ein erneuter Versuch endete im August 2003 in einer Tragödie. Über 20 Menschen kamen auf einem Luftwaffenstützpunkt ums Leben, als die Trägerrakete explodierte. Verteidigungsminister José Viegas erklärte, ein “ungewollter Zündungsprozess unbekannter Ursache” an einem der vier Motoren der Rakete VLS‑1 habe den Unfall ausgelöst. Das sei bei der Vorbereitung eines Abschusses der Rakete gegen 13.30 Uhr (Ortszeit) passiert. Die 19 Meter lange und 50 Tonnen schwere Rakete sollte mit zwei in Brasilien gebauten Satelliten ins All starten. Der Bau jeder Satelliten-Träger-Rakete kostete Brasilien nach offiziellen Angaben 6,5 Millionen US-Dollar. Zum Zeitpunkt der Explosion verhandelte das südamerikanische Land mit einer Delegation aus der Ukraine über eine Zusammenarbeit im Raumfahrtbereich.
Anfang September 2010 begann das brasilianisch-ukrainische Joint Venture “Alcantara Cyclon Space” mit dem Ausbau des brasilianischen Weltraumbahnhof Alcantara, um von dort aus ab 2012 mit der ukrainischen Trägerrakete Zxklon 4 in den gewerblichen Transport von Satelliten einzusteigen.
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