Lateinamerika — Brasilien (Brazil)


Brasilien Brazil

Brasiliens Nuk­learpro­gramm weckt inter­na­tionales Mis­strauen
Ein weit­eres — in der inter­na­tionalen Öffentlichkeit beson­ders heftig umstrittenes Pro­gramm — ist der Aus­bau von Atom­kraftwerken. Ins­beson­dere im Nor­dosten des Lan­des, in dem wenige Wasserkraft zur Ver­fü­gung ste­ht, sollen — bis zu drei — neue Atom­kraftwerke entstehen.

In einem Artikel für den SPIEGEL (“Flirt mit der Bombe — Entwick­elt Brasilien Nuk­lear­waf­fen”)  weist Dr. Hans Rüh­le, von 19982 bis 1988 Leit­er des Pla­nungsstabs im Bun­desvertei­di­gungsmin­is­teri­um, auf einige “ver­dachter­re­gende Umstände” des brasil­ian­is­chen Nuk­learpro­gramms hin. “Da Brasilien jedoch seine Pro­duk­tion­sstät­ten für den nuk­learen U‑Boot-Bau als mil­itärisches Sper­rge­bi­et qual­i­fiziert, ist den Inspek­teuren der IAEA der Zugang nicht mehr möglich. Mit anderen Worten: Wenn das legal gelieferte angere­icherte Uran erst ein­mal das Tor zur Pro­duk­tion­san­lage für nuk­leare U‑Boote passiert hat, kann es nach Belieben ver­wen­det wer­den — auch für den Bau von Nuk­lear­waf­fen. Und da fast alle nuk­learen U‑Boote mit — waf­fen­fähigem — hochan­g­ere­ichertem Uran betrieben wer­den, kann Brasilien damit auch prob­lem­los die Hochan­re­icherung rechtfertigen.”

1994 wurde von Brasilien allerd­ings zusam­men mit Argen­tinien der Ver­trag von Tlatelol­co zur Äch­tung von Atom­waf­fen in Lateinameri­ka unterze­ich­net — wodurch Lateinameri­ka zum atom­waf­fen­freien Kon­ti­nent erk­lärt wurde. Die demokratisch gewählten Regierun­gen Brasiliens hat­ten die geheimeinen Nuk­learpro­gramme des Lan­des fak­tisch eingestellt. Die zivile Regierung durchkreuzte damit die — zulet­zt wohl sog­ar ohne Wis­sen der Regierung vor­angetriebe­nen — Pläne der Mil­itärs, Brasilien zur Atom­macht zu machen. Das Land ist seit 1996 Mit­glied der Nuclear Sup­pli­ers Group (NSG). Überdies hat Brasilien den Atom­test­stop­pver­trag rat­i­fiziert (im Unter­schied zu Chi­na, Israel, dem Iran, Ägypten, Libyen, Indi­en, Pak­istan und den USA). 1997 trat es dem Atom­waf­fensper­rver­trag (NPT) und dem Atom­test­stop­pver­trag bei. Im Rah­men des NPT ist es erlaubt, den Brennstoff zur Energiegewin­nung in Form von Uranan­re­icherung oder durch das Recyceln benutzer Brennstäbe sel­ber herzustellen. Brasilien hat den Atom­waf­fensper­rver­trag 1998 rat­i­fiziert, nur das Zusatzpro­tokoll noch nicht, das Über­raschungs­be­suche der Inspek­toren erlaubt.
Zuvor hat­te das brasil­ian­is­che Mil­itär aber ein Atom­waf­fen­pro­gramm betrieben. Nach Angaben des früheren Präsi­den­ten der „Nationalen Kom­mis­sion für Nuk­lear-Energie“, José Luiz San­tana, stand das brasil­ian­is­che Mil­itär um das Jahr 1990 kurz vor dem Bau der Atom­bombe. einen 300 m tiefen Schacht für die erste Tes­t­ex­plo­sion hat­ten brasiliens Mil­itärs sog­ar schon gebohrt. Dem­nach hät­ten die Stre­itkräfte Anfang 1990 bere­its mehrere Teile der Atom­bombe gebaut und auch über importiertes angere­ichertes Uran ver­fügt. Mit der Hil­fe Deutsch­lands kon­nte Brasilien bere­its in den 70er Jahren Uran anre­ich­ern. Eben­falls mit deutsch­er Hil­fe wur­den in Brasilien die ersten Atom­kraftwerke gebaut. 

Extern­er Link:
Die deutsch-brasil­ian­is­chen Beziehun­gen am Beispiel der Nuk­lear­poli­tik — (http://tiss.zdv.uni-tuebingen.de)

In der etwa 130 km west­lich von Rio de Janeiro gele­ge­nen Bucht von Angra dos Reis, ein­er engen Bucht bei Rio in Brasiliens einziger erd­bebenge­fährde­ter Region ste­ht Angra I (657 Megawatt), ein von West­ing­house errichteter Atom­reak­tor. Im Jahre 2000 hat­te Siemens-KWU in der­sel­ben Bucht trotz viel­er Umweltschützer­proteste das AKW Angra II (1309-Megawatt-Reak­tor) fer­tig gestellt, doch die Vorar­beit­en für Angra III ruht­en seit langem — obwohl bere­its über 70 Prozent der Aus­rüs­tun­gen für Angra III eingekauft wur­den — das meiste davon lagert seit mehr als zehn Jahren eingeschweißt in Met­all­folie am Bau­platz, was Kosten von etwa zwanzig Mil­lio­nen Euro jährlich verur­sacht. Nun hat die brasil­ian­is­che Regierung entsch­ieden, Angra III fer­tig stellen zu lassen — von Siemens-KWU und dem staatlichen franzö­sis­chen Konz­ern Fram­atome. Ange­blich haben die Dres­d­ner Bank, die Kred­i­tanstalt für Wieder­auf­bau und franzö­sis­che Banken bere­its Gelder für Angra III bere­it­gestellt.
In Brasilien gibt es viel Uran, bis­lang muss das Land aber das Uran im Aus­land anre­ich­ern lassen, was viel Geld kostet. Man will jet­zt die selb­st die eige­nen Atom­kraftwerke ver­sor­gen kön­nen und zu dem angere­ichertes Uran exportieren. Brasilien baut eine Wieder­auf­bere­itungsan­lage, die aber nicht voll­ständig den UN-Inspek­toren offen ste­hen soll .

Ger­ade der Wun­sch, kün­ftig die Her­stel­lung der Bren­nele­mente selb­st in Resende — eben­falls bei Rio de Janeiro — herzustellen, weckt in Verbindung mit der man­gel­nden inter­na­tionalen Kon­trolle das Mis­strauen gegen Brasiliens Nuk­learpro­gramm. Brasilien hat die Anlage bere­its fer­tig gestellt und die Zus­tim­mung der IAEA beantragt, um mit Genehmi­gung dieser Behörde in Zen­trifu­gen die Anre­icherung von Bren­nele­menten aus Uran selb­st durch­führen zu kön­nen. In Brasilien befind­en sich die weltweit sech­st­größten Uran­vorkom­men. Das Land würde mit der eige­nen Anre­icherung also die Unab­hängigkeit von Drit­ten bei der Energiev­er­sorgung sich­ern.
Die Regierung Brasiliens behar­rt darauf, dass dem Staat durch die eige­nen Ver­fas­sung das Ver­bot von Atom­rüs­tung vorgegeben sei. Dies müsse aus­re­ichen, und inter­na­tionalen Kon­trollen der Zen­trifu­gen seien nicht erforder­lich, zumal Brasilien seit den Achtziger Jahren für rund eine Mil­liarde Dol­lar ($) eine beson­ders effiziente Tech­nik selb­st entwick­elt habe und diese nun vor Indus­tries­pi­onage geschützt wer­den müssen. Kri­tik­er meinen dage­gen, Brasilien wolle nur ver­ber­gen, dass es die Zen­trifu­gen­tech­nik (vielle­icht wie Pak­istan oder der Iran) ille­gal erwor­ben habe. Resende — so schreibt die US-Zeitschrift Sci­ence — könne genug bomben­tauglich­es Uran pro­duzieren, um jährlich 5 oder 6 Atom­bomben zusam­men zu bauen.
Während Uran für Atom­kraftwerke um bis zu 5 % angere­ichert wer­den muss ist bei Atom­bomben — mit im Prinzip gle­ich­er Anre­icherung­stech­nik — ein Anre­icherungs­grad von 95 % erforder­lich. Allerd­ings wer­den fast alle nuk­learen U‑Boote (und der Bau solch­er U‑Boote ist erk­lärtes Ziel auch der Regierung Lula) mit hoch angere­ichertem, waf­fen­fähi­gen Uran betrieben. Sobald das Uran die Anre­icherungsan­lage für den nuk­learen U‑Boot Treib­stoff erre­icht hat, sei es nicht mehr kon­trol­lier­bar und es bedürfe nur mehr eines for­maler Aktes (so befürcht­en Kri­tik­er), das dort hoch angere­icherte Uran für den Bomben­bau zu ver­wen­den.
Selb­st wenn sich Brasilien an die eigene (verän­der­bare) Ver­fas­sung halte, und dem Nach­barstaat Argen­tinien auch noch zusät­zliche Kon­trollen erlaubt — sei dann nicht wenig­stens zu fürcht­en, dass Brasiliens Brennstäbe in die Hände von anderen nuk­learen Schwellen­staat­en wie etwa des Iran ger­at­en kön­nten, deren Absicht­en nicht unbe­d­ingt alleine in der zivilien Nutzung der Nuk­leart­ech­nik liegen würden?

Ungeachtet dieser Fra­gen hat die Inter­na­tionale Atom­en­ergiekom­mis­sion IAEA Ende Novem­ber 2004 die Anre­ichung von Uran erlaubt. In ein­er Übereinkun­ft mit Brasilien wird der IAEA ermöglicht, im Rah­men ein­er “aus­gereiften Übereinkun­ft” die brasil­ian­is­chen Anre­ichungsan­la­gen zu kon­trol­lieren. Brasilien hofft, durch eigene Anre­icherun­gen ab 2008 jährlich etwa 12 Mio. $ sparen zu können.

Die neue, hochmod­erne Uranan­re­icherun­gan­lage Resende — 150 Kilo­me­ter west­lich von Rio de Janeiro gele­gen — nahm Anfang Mai 2006 den Betrieb auf. Brasilien, das ja wie angegeben selb­st über große Uran­vorkom­men ver­fügt, ist damit seinem Ziel, Unab­hängigkeit in der Energiev­er­sorgung zu erlan­gen, einen großen Schritt näher gekom­men. Ob damit auch der Weg für eine nuk­leare Bewaffnung der brasil­ian­is­chen Stre­itkräfte geeb­net ist, wird erst die Zukun­ft zeigen.