Eigene Erdölreserven:
Ursache für das schon unter der Militärregierung des Landes forcierte „Ölersatzprogramm“ warem die gering eingeschätzten Erdölreserven des Landes, das bisher im Wesentlichen nur über erschlossene Vorkommen im Südatlantik verfügt. Die bewiesenen Vorräte in Brasilien beliefen sich 2006 auf geschätzt 1,5 Milliarden Tonnen Öl und 326 Milliarden Kubikmeter Gas. Schätzungen gehen aber von Reservenvon 80 Mrd. Fass Rohöl aus, die Basilien zu den größten Ölförderstaaten der Welt machen könnten.
Ein großer Teil der Reserven lagert in tiefliegenden Offshore-Feldern unter eienr dicken Salzschicht (Pre-Salt). Im November 2007 wurde 250 km vor der Bucht von Santos (zwischen Rio de Janeiro und Sao Paulo) das große Ölfeld “Tupi” mit Reserven von 5 bis 8 Mrd. Fass qualitativ hochwertiges Rohöl entdeckt. Die in 5.000 bis 7.000 m Tiefe unter dem Meeresspiegel lagernden Funde verteilen sich auf eine Fläche von 800 x 200 km. Dadurch vergrößern sich die Reserven Brasiliens auf mehr als 30 Mrd. Barrel Öl. Je intensiver die Brasilianer bohren, desto mehr Erdöl versprechen sich die Prospektoren. Insgesamt könnten mehr als 50 Milliarden Barrel in Tupi und den Nachbarfeldern Jupiter, Carioca und Libra in 7000 Meter Tiefe lagern.
Die im Oktober 2008 von Brasiliens Staatspräsident Lula persönlich eingeweihte Plattform P‑51 fördert ab dem Jahresbeginn 2009 täglich bis zu 180.000 Barrel Öl — was die tägliche Förderleistung Brasiliens auf etwa 2 Mio. Barrel erweiternte. Bis 2017 soll die tägliche Förderung aus dem Tupi-Ölfeld auf gut 1,3 Millionen Barrel ansteigen. Die “zu 100 Prozent aus brasilianischer Fertigung” stammende Plattform hat alleine für den Bau und Betrieb 4.000 Arbeitsplätze generiert — und weitere 12.000 Arbeitsplätze, die indirekt zu Bau und Betrieb beitragen. 2010 verkündete Brasiliens staatlicher Ölkonzern Petrobras, dass er bis 2014 knapp 225 Mrd. Dollar in die Tiefesseförderung stecken wolle. Die Produkion von soll von 2,3 Mio. Barrel (2010) bis 2015 auf 4,1 Mio. Barrel (1 Barrel = 159 Liter) täglich erhöht werden. Damit entwickeln sich die Ölquellen vor den Küsten nicht nur zu einem Energieträger, sondern auch zu einer enormen Stimulanz für die brasilanische Werftindustrie. Aufgrund der Lage der Ölvorräte — bis zu 7.000 Meter unter dem Meeresspiegel und unter einer gewaltigen Salzschicht — sind Umweltschützer von der Förderung der “Pré-sal” genannten Lager entsetzt.
Es geht aber noch weiter: in ähnlichen geologischen Formationen entlang der Küste wurden noch erhebliche weitere Mengen an Erdöl und Gas gefunden. Im Januar 2008 wurden neue Gas- und Ölfelder rund 3000 km vor den Küsten von Santos und Rio de Janeiro entdeckt. 5000 m unter dem Meeresspiegel — überdeckt von mächtigen Fels- und Salzablagerungen — liegt ein weiteres Lager fossiler Brennstoffe mit 5 bis 8 Mrd. Barrel Öl in einem Radius von rund 400 km. Beide Felder zusammen werden — nach Schätzungen — eine tägliche Förderung von 30 Mio. cbm Gas erlauben. Brasilien kann damit die bisher aus Bolivien importierten Gasmengen durch eigene Förderungen ersetzen. 2006 wurden in Brasilien 11,5 Milliarden Kubikmeter Gas gewonnen. Die geförderten Gasmengen reichen nicht für die Deckung des eigenen Bedarfs aus, der 2006 bei mehr als 19 Milliarden Kubikmetern lag. Die fehlenden Mengen wurden aus Bolivien und Argentinien importiert. Dazu ist im Rahmen des MERCOSUR eine Gaspipeline vorgesehen, die von Venezuela aus die Mitgliedsländer bis Argentinien mit venzolanischem Gas versorgen soll.
Im Sommer 2012 wurden die gesicherten Ölreserven von Petrobras mit rund 13 Mrd. Barrel angegeben — und weitere Reserven von über 40 Mrd. Barrel vermutet — bei einer täglichen Förderung von etwa 2,7 Mio. Barrel Öl, die bis 2015 auf knapp 4 Mio. Barrel gesteigert werden soll. Das Parlament des Landes hat inzwischen beschlossen, dass 3/4 der Fördererlöse für Infrastrukturprogramme verwendet werden sollen.
Seit einer gewaltigen Kapitalerhöhung 2010 ist Brasiliens “Petrobras” nach Exxon Mobil und Petrochina mit 166 Mrd. Euro Börsenwert (Stand 23.09.2010) der drittgrößte Ölkonzern der Welt. Rund 48 % des Kapitalanteils gehören dem brasilianischen Staat. Für Förderrechte in Höhe von fünf Milliarden Barrel Öl hat die Regierung Aktien im Wert von 42,5 Mrd. Dollar erworben. Der Stimmrechtsanteil hat sich damit nach Berechnungen des Infrastruktur-Instituts Pires auf 65 Prozent erhöht. Zuvor hatte Brasilia 32 Prozent aller Anteile inne und kontrollierte 55,6 Prozent aller Stimmrechte. Darüber hinaus legt Petrobras immer neue Anleihen auf, führt Kapitalerhöhungen durch und investiert die Erlöse aus der Vermarktung der Förderung. Brasilien will mit dem aufgestockten Kapital nicht nur die Offshore-Ölreserven ausbeuten sondern auch neue Raffinierien bauen — alles zusammen sollen alleine wischen 2010 und 2014 rund 225 Mrd. Dollar investiert (und danach weitere Investitionen vorgenommen) werden, um letztendlich die Ölproduktion bis 2020 zu verdoppeln. Rund 45 Mrd. Dollar sind für die Entwicklung der Pres-Salt-Lagerstätten vorgesehen.
Brasilien verbraucht (Stand 2005) täglich knapp 1,8 Mio. Barrel Öl – gerade einmal soviel, wie (seit der Einweihung der Förderinsel P‑50) aus den eigenen Quellen des Landes gefördert werden kann. Dabei hat sich Petrobras — der staatliche brasilianische Ölkonzern — zu einem führenden Unternehmen bei der Erkundung und Förderung von Vorkommen tief unter dem Meeresspiegel entwickelt. Anfang 2007 kontrollierte Petrobras mehr als 95 Prozent der Rohölvorräte und 90 Prozent der Gasreserven des Landes. Ergänzend betrieb Petrobras elf Ölraffinerien sowie das landesweite Öl- und Gas-Transportnetz. Das waren 6400 Kilometer Öl- und 2500 Kilometer Gasleitungen sowie Küstenterminals und Speicher.
Auch die Wertindustrie profitiert von den Vorkommen vor den Küsten des Landes. In der Bucht von Angra dos Reis — keine 200 km von Rio entfernt — werden die Explorations- und Förderplattformen für die neu entdeckten Vorkommen zusammen geschweißt. Das ist zwar teurer, und es dauert länger als der Kauf entsprechender Plattformen bei den ostasiatischen Werften — aber es schafft auch Arbeitsplätze. Die heutige Präsidentin Brasiliens, Dilma Rousseff, hat in ihrer Zeit als Energieministerin der Bundesregierung und danach als Kabinettschefin entscheidend daran mitgewirkt, dass eine eigene Werft- und Zulieferindustrie mit tausenden von Arbeitsplätzen in Brasilien geschaffen wurde. Die eigenen Ressourcen selbst zu fördern und zu verarbeiten — das ist der Weg, den Brasilien geht, und der dem Land eine breit gefächerte und stabile Wachstumsphase beschert hat. Brasilien ist mit seinem pro Kopf Einkommen heute da, wo China — und erst recht Indien — erst noch hinwollen.
Ölersatz: Zuckerrohr statt Benzin
Brasilien ist weltweit Marktführer bei der Produktion von Bio-Treibstoff zur Energieversorgung. Bio-Treibstoff aus Brasiliens Zuckerrohr-Plantagen ist inzwischen an fast allen Tankstellen des Landes zu haben – zur Hälfte des Preises, der für die üblichen Destillate aus Erdöl gefordert wird. Darüber hinaus werden auch den petrochemischen Treibstoffen etwa 25 % Alkohol beigemischt, und nirgends kann der alkoholische Benzinersatz so günstig hergestellt werden wie in Brasilien — das ehemalige “Zuckerrohr-Paradies” Kuba vielleicht ausgenommen. Etwa die Hälfte der Zuckerrohrproduktion des Landes wird inzwischen zu Ethanol verarbeitet.Brasilien betreibt seit dem weltweiten Erdölschock der siebziger Jahre das weltweit größte Modellvorhaben mit Bio-Treibstoff, der aus nachwachsenden Ressourcen gewonnen wird. Die Militärs begannen seinerzeit, mit dem Programm “Poalcool” eine Alternative zum fossilen Treibstoff zu suchen. Was in Europa (an einzelnen Tanksäulen) aus Raps zu haben ist, das ist in Brasilien inzwischen flächendeckend aus Zuckerrohr gewonnen. Das süße Gras diente traditionell der Herstellung von Zucker und einem alkoholischen Getränk, vor allem aber — und zunehmend — der Produktionvon Benzinersatz. Ethanol, oder Bio-Alkohol ersetzt zunehmend den üblichen Verbrennungsmotor. Aus der Rekordernte von 2006 (mit 475 Mio. t.) wurden nur 30 Mio. t Zucker, aber schon 17,8 Mrd. Liter Ethanol gewonnen, von denen 3,5 Mrd. Liter ins Ausland exportiert wurden. Brasilien ist damit eines der „Schwellenländer“, die die Forderungen des Kyoto-Protokolls zur Reduzierung der Umweltbelastungen durch Treibhausgase erfüllen. Bereits die Zuckerrohrplantagen absorbieren erhebliche Mengen von Kohlendioxid, mehr, als bei der späteren Produktion von Treibstoff und der Verbrennung freigesetzt wird. Die rund sechs Mio. Hektar (Stand 2006, bis zu 100 Mio. Hektar sollen für den Anbau geeignet sein) Anbaufläche tragen also gezielt zum Abbau der CO² Belastungen bei. Allerdings — während die Zuckerbarone gemeinsam mit der Holzmafia die Amazonasregion ins Visier nehmen (80 Mio. Hektar potentielles Anbaugebiet) schlagen die ersten Umweltschützer Alarm. Exzessive Zuckerrohrwirtschaft könne nicht das Ziel der Entwicklung sein. 3/4 der Millionen Tonnen Giftstoffe, die von Brasilien aus in die Luft gelangen, sollen von Brandrodungen stammen — die sich wie in Indonesien als Geschwüre in den unberührten Tropenwald auswuchern. In den 35 Jahren seit 1970 wurde am Amazonas ein Gebiet von der Größe Frankreichs kahlgeschlagen, und auch wenn sich nationale Interessenten um eine Reduzierung des Raubbaus bemühen: 2006 verschwanden nach offiziellen Angaben immer noch 16.700 km² Regenwald — während Naturschutzverbände den Verlust sogar mit jährlich 23.000 km² angeben.
Brasiliens nationaler Ölmulti „Petrobras“ baut inzwischen die erste „Alkoholpipeline“ der Welt, die die beiden Wirtschaftszentren Rio de Janeiro und Sao Paulo verbinden soll.
Den Durchbruch erzielte 2003 der Autobauer VW mit seinem Modell „Fox“, und einem Motor, der Bio-Alkohol, normales Benzin oder jede Mischung dieser beiden Treibstoffsorten anstandslos schluckt. Dieser „Mischmotor“ begeisterte die Brasilianer, die mit der Abhängigkeit von einer Treibstoffsorte schlechte Erfahrungen gemacht hatten. Inzwischen bietet fast jeder der Anbieter auf dem brasilianischen Fahrzeugmarkt entsprechende Modelle an, deren Gesamtabsatz inzwischen die Zahl der „Normalfahrzeuge“ übersteigt. Bis 2010 wird erwartet, dass nahezu alle neu zugelassenen Fahrzeuge den flexiblen Zugang zu beiden Treibstoffsorten ermöglichen – und dass rund 90 % aller Fahrzeuge mit dem „Flex-Fuel-Motor“ (derzeit — 2006 75 % der Neuwagen, bei VW do Brasil sogar sämtliche Neufahrzeuge) tatsächlich auch Treibstoffersatz aus dem nachwachsenden Rohstoff verwenden werden. Über 20 % aller Autos fahren derzeit (Stand April 20008) mit Biotreibstoff, der ca. 1 Mio. direkte und 6 Mio. indirekte Arbeitsplätze schafft. Im wichtigsten Zuckerrohranbaugebiet — im Westen der Millionenstadt Sao Paulo und damit “nahe am Markt” wachsen hunderte neuer Zuckermühlen und Destillier-Anlagen aus dem Boden. Experten schätzen bereits jetzt (2006) das Investitionsvolumen, das beinahe ausschließlich von brasilianischen Unternehmern wie dem Konzern Cosan getragen wird, auf knapp 20 Mrd. $. Nach Mitteilung des US-Landwirtschaftsministeriums werden alleine im Rechnungsjahr 2007/08 insgesamt 16 neue Destillierraffinerien eröffnet werden — gefolgt von weiteren 32 Anlagen im Jahr 2008/2009 — und ein Ende des Booms ist nicht absehbar.Steigende Erdölpreise – und der Hunger der weiterhin verschwenderischen USA und der süd- und ostasiatischen Boomländer (insbesondere Indiens und Chinas) lassen längerfristig zumindest stabil hohe Preise erwarten – werden zu einem weiteren Wachstum der Bio-Treibstoffumsätze führen.
Inzwischen interessieren sich auch andere Staaten für das „brasilianische Modell“. So verhandelt das dicht besiedelte Japan (Stand 2005) über Alkohol-Lieferungen aus Brasilien, um die Abhängigkeit von immer teureren Ölexporten zu reduzieren. Im März 2007 hat Brasilien — gemeinsam mit den USA, dem weltweit größten Ethanol-Produzenten — ein internationales Forum für Biotreibstofe gegründet, dem auch die EU, China, Indien und Südafrika angehören. Die USA und Brasilien produzieren derzeit gemeinsam etwa 70 % des weltweiten Angebots. Argentinien, Kolumbien, Ecuador — und vielleicht auch Kuba — wollen als Produzenten einsteigen. Brasilien will bis zum Jahr 2017 die Produktion auf 30 Mrd. Liter steigen und dann auch in großem Maßstab von einem weltweiten Bedarf profitieren, der nach Berechnungen der Internationalen Energie-Agentur bis 2020 von derzeit 40 auf 120 Milliarden Liter jährlich steigen soll.
Umweltschützer haben inzwischen erste Proteste organisiert — weil viele der Zuckerrohrfelder in den Amazonas-Urwald gebrannt werden und nach der Erschöpfung der Böden nur noch eine trockene Steppe bleibt. Dabei verfügt Brasilien über 50 bis 200 Millionen Hektar ungenütztes, für Landwirtschaft geeignetes Brachland. Dieses Brachland in die Produktion einzubinden, würde den Druck auf die Urwälder mindern und gleichzeitig zur Wiederbelebung der verarmten Bundesstaaten beitragen.
Externer Link:
Wirtschaftswoche 03.10.2006 — Bioethanol ganz ohne Subventionen: Neue Scheichs — (www.wiwo.de)
Wirtschaftswoche 27.03.2006 — Schnaps Renner gegen Benziner — (www.wiwo.de)
Eine weitere Innovation wird ebenfalls in Brasilien voran getrieben. Biodiesel soll aus Soja, Palmöl oder Rizinus gewonnen werden. Auch hier geht Brasiliens Staatskonzern Petrobras voran. Im Nordosten Brasiliens — in Candélas nahe von Salvador — eröffnete der Konzern unter Beisein von Präsident Lula eine Raffinerie, in der die von Kleinbauern produzierten Rizinussamen zu Biodiesel verarbeitet werden. Es ist vielleicht diese Raffinerie, die ein Schlaglicht auf die brasilianische Erfolgsgeschichte wirft. Die Unternehmen versuchen, möglichst viel Gewinn für ihre Aktionäre zu erwirtschaften. Aufgrund früherer Inflationserfahrungen werden dabei sehr kurzfristigie Renditeziele gesetzt. Brasilianische Unternehmen rechnen in Jahresintervallen. Die Regierung braucht aber Arbeitsplätze und höhere Steuereinnahmen durch steigende Arbeitseinkommen. Hinter den Kulissen wird ständig gerungen — zwischen Aktionären und Staatsvertretern, die über direkte Beteiligungen, staatliche Entwicklungsbanken und Pensionsfonds an den Entscheidungsprozessen beteiligt sind. Die Vorstände versuchen den Spagat, sie versuchen allen Interessen gerecht zu werden und die den Regierungen klar machen, dass Wirtschaft nur funktioniert, wenn die Wirtschaftsteilnehmer auch Gewinne machen. Die entsprechenden Kompromisse können auf solide Mehrheiten bauen, auf stabile Rahmenbedingungen und auf die Unterstützung auch durch linke Regierungen. Das schafft Vertrauen — auch für Investoren und Investmentbanker.
Durch den Ersatz von fossilen Brennstoffen mit Bio-Treibstoffen wird gehofft, ab 2010 von der täglichen Fördermenge etwa 300.000 bis 500.000 Barrel exportieren zu können. Damit wird Brasilien ein weiterer Lieferant, der seine Wirtschaft durch Exporterlöse auf dem Hochpreismark „Erdöl“ fördern kann.
Einsatz von Kleinkraftwerken (bis 30 MW)
· 2500 MW