Wirtschaft:
Taiwans Wirtschaft ist trotz der politischen Isolierung eng in globale Strukturen eingebunden. Obwohl die Insel nur etwa so groß wie Bayern ist, gehört das Land zu einer der fünf Wirtschaftsmächte Asiens. In den zwei Jahrzehnten von 1985 bis 2005 — nahezu zeitgleich mit dem zunehmenden Engagement taiwanesischer Firmen auf dem Festland — versechsfachte sich das Pro-Kopf-Einkommen, und aus dem Land brachen Konzerne wie Acer, BenQ und Quanta in den Weltmarkt ein.
Ein Beispiel ist der um 1970 gegründete Schuhhersteller Yue Yuen, der 1988 in Hongkong und bereits kurz darauf in Südchina (Sonderwirtschaftszone Zhuhai, später auch Dongguan und Zhongshan) seine ersten Fabrikationsfilialen im Einflussbereich Pekings errichtete. Im südchinesischen Dongguan liegt inzwischen der größte Produktionsstandort mit mehr als zehn seperaten Fabriken, gut ausgestatteten Wohnheimen, einem eigenen Krankenhaus, Betriebskindergarten und Vergnügungszentrum — und das bei (für chinesische Verhäältnisse) überdurchschnittlichen Löhnen. Aus dem einfachen Zusammennähen von Segeltuchschuhen und Gummisandalen entstand “der Turnschuhhersteller” mit einem Weltmarktanteil von 17 Prozent. Addidas (seit 1979), Asics, Clarks, Converse, Nike, New Balance, Puma, Reebok oder Rockport lassen in einer der 342 Fabriken mit fast 270 0000 Mitarbeitern, die in Südchina, Taiwan, aber auch Vietnam, Indonesien und Thailand verteilt sind, arbeiten. Dies ermöglicht eine strikte Trennung der Produktionsanlagen — für jeden Markenabnehmer wird in einer eigenen Fabrik gearbeitet. Yue Yuen ist zudem an den wichtigsten Zulieferern direkt beteiligt — und ermöglicht den Auftraggebern, die Herstellung und die Produktionsbedingungen zu überwachen. Von 1995 bis 2005 wurde der Absatz auf 186 Mio. Paar Schuhe verdreifacht und der Umsatz verdoppelte sich von 1999 bis 2005 auf 3,2 Mrd. US-$ — bei einem Gewinn von 310 Mio. Dollar. Der Börsenwert des (seit 1992 in Hongkong notierten) Unternehmens liegt bei 4,5 Mrd. US-Dollar.
Zwischen dem Ende des Kalten Krieges und dem Jahr 2006 investierten taiwanesische Unternehmen rund 100 Mrd. Euro in China. Während aber die boomende Wirtschaft des Festlandes mit den hohen Ansiedlungssubventionen auf die Geschäftswelt Taiwans immer attraktiver wirkt, dient die politische Entwicklung als “Abschreckungsargument” gegen eine Wiedervereinigung. Einer zunehmend offeneren, demokratischeren Politik Taiwans steht eine eher restriktive Haltung der “politischen Selbstverwaltungsorgane” in Hongkong gegenüber.
Dies wirft die Frage auf, inwieweit die Entwicklung einer Demokratie westlichen Verständnisses in der Kultur Ostasiens verwurzelt ist, oder ob sich damit eine “Verwestlichung” und “Entfremdung” Taiwans von seinen eigenen Traditionen abzeichnet, die von anderen Staaten Ostasiens nicht nachvollzogen werden könnte, und daher zugleich zu einem immer größeren politischen Hindernis für eine Wiedervereinigung und damit die friedliche Entwicklung Ostasiens werden kann.
Taiwan ist Mitglied in einigen internationalen Organisationen wie der APEC, WTO, Asienbank und Weltbank. Das Gebiet, das Taiwans vertritt, ist — wie man bei der WTO sehen kann — auf die Inseln Taiwan, Kinmen, Matsu und Penghu beschränkt. Daneben gibt es noch weitere kleine Inseln (vgl. den Bericht unter “Brennpunkte — Spratley umstrittene Inselgruppe im südchinesischen Meer) die von Truppen der “Republik China” besetzt sind. Die Insel Tungsha Tao, 260 km südöstlich von Hong Kong, und Itu Aba im Zentrum dürften denn auch nach Meinung westlicher Experten die ersten “Opfer” einer chinesischen Militäraktion sein, die für den Fall einer Unabhängigkeitserklärung erwartet wird.
Dennoch ist inzwischen die Volksrepublik China zum größen Handelspartner Taiwans geworden. Im Jahr 2009 belief sich das Handelsvolumen zwischen dem Festland und der Insel auf 110 Mrd. US-$, wobei alleine 80 Mrd. auf taiwanesische Exporte entfielen. Von 1990 bis 2010 haben etwa 40.000 taiwanesische Unternehmen eigene Niederlassungen auf dem Festland eröffnet — und mit offiziell angegebenen 83 Mrd. Dollar Investitionsvolumen (nicht gezählt die inoffiziellen Investitionen über Drittländer) erheblich zum Wirtschaftsaufschwung Cinas beigetragen. Inzwischen investieren auch Investoren vom Festland auf der Insel vor der Festlandsküste. Im ersten Jahr nach der Zulassung (vom Juli 2009 bis Juni 2010) haben bereits 52 Festlandsunternehmen rund 77 Mio. Dollar auf taiwanesischen Boden investiert. Mit einem “Freihandelsabkommen” wurde im Juni 2010 ein weiterer Schritt gemacht, um den Handel zwischen den beiden Teilen Chinas zu erleichtern. Danach werden die Zölle auf 539 Handelsgüter Taiwans und 267 Handelswaren des Festlands abgebaut — was Taiwan künftig Zollvorteile von rund 15 % oder knapp 14 Mrd. US-Dollar bringt. Chinas Exporteure erwarten sich dagegen Handelsentlastungen in Höhe von 2,8 Mrd. $. Rund 23.000 Unternehmen sind im “zwischenstaatlichen Handel” zwischen den “beiden Chinas” aktiv, die — jeder für sich — den Anspruch erheben, ganz China vertreten zu wollen. Taiwan ist nach chinesicher Lesart eine “abtrünnige Provinz”, während sich Taiwans Regierung als rechtmäßige, von den Kommunisten nur auf die Insel geflüchtete Regierung des gesamten Landes verstand. Für Taiwans Wirtschaft war (und ist) dieses Abkommen “überlebenswichtig”, denn seit 1. Januar 2010 hat China ein wirliches Freihandelsabkommen mit den ASEAN-Staaten, deren Lieferungen ohne die Vereinbarung “zwischen beiden Seiten der Straße” einen hohen Kosten- und damit Konkurrenzvorteil gegenüber Lieferanten aus Taiwan gehabt hätten. Gleichzeitig wird damit ein politischer Anachronismus beseitigt: beide Seiten beanspruchen, Teil eines gemeinsamen Landes zu sein — die Erhebung von Zöllen ist damit politisch kaum zu begründen.
Zugleich mit dem Abkommen wurde Taiwans Wirtschaft der unmittelbare Zugang zu elf bisher gesperrten Dienstleistungsbereichen auf dem Festland eröffnet. So können sich nun Taiwans Banken auf dem Festland niederlassen und ihre Geschäfte in China in einheimischer Währung abwickeln.
Insgesamt bestehen nun (Juli 2010) zwölf Abkommen zwischen Taiwan und der Volksrepublik, unter anderem auch zur Aufnahme von Direktflügen (ohne den Umweg über Hongkong), und Schiffahrtsverbindungen sowie beiderseitigem Tourismus. Die Volkswirtschaften beider Seiten wachsen zunehmen zusammen, was vor allem von der Unabhängigkeitsbewegung Taiwans massiv kritisiert wird.