Gesamtwirtschaft — Resümee:
Ausgehend von Sonderwirtschaftszonen (z.B. Shenzhen bei Hongkong, Schanghai) — entwickelte Chinas Wirtschaft in den letzten Jahren eine einzigartige Boomzeit. Wo vor Jahren noch Wasserbüffel in Reisfeldern gemächlich einherzogen, stehen heute Hochhäuser, die den prosperierenden Küstenstädten einen Vergleich mit New York, Tokio oder jeder anderen Weltstadt erlauben. Und diese Entwicklung blieb nicht auf die Küstenzonen beschränkt. Auch die Städte im entlegenen Westen — wie etwa Urumchi — legen sich eine “Hochhauskulisse” zu.
Ein jährliches Wirtschaftswachstum um die 8 %, ein Exportwachstum, der von über 225 Milliarden US-Doller im Jahre 2000 auf knapp 360 Milliarden (nach der Wirtschaftswoche Nr. 10 v. 27.02.2003 für 2003 prognostiziert) steigen wird und Auslandsinvestitionen, die im selben Zeitraum von knapp 40 Milliarden US-Dollar auf knapp 60 Milliarden US-Dollar steigen werden — China scheint das neue Land der unbegrenzten Möglichkeiten zu sein.
Die boomende chinesische Wirtschaft — und vor allem die erfolgsorientierte junge Generation — bringen China immer weiter weg von der altbackenen zentral gelenkten Planwirtschaft marxistisch-leninistisch-maoistischer Ideologen.
Unterstützt wird die Expansion der chinesischen Industrie von der engen Koppelung, mit der die chinesische Währung mit dem US-Doller verbunden ist. Seit 1994 ist der Renminbi Yuan an den US-Dollar gekoppelt und unterliegt praktisch keinen Kursschwankungen. Die schwache US-Währung stützt daher die Exportbemühungen von Chinas junger Industrie, weil die Exportgüter Chinas damit auf dem Weltmarkt zu günstigen Preisen angeboten werden können. China unterstützt die Exportwirtschaft zudem mit erheblichen Steuererleichterungen, die Mitte 2003 bei etwa 15 % lagen.
Auch die Amerikaner haben 2002 für rund 102 Milliarden Dollar mehr Güter aus China gekauft, als sie selbst nach China lieferten — und für 2003 wird ein chinesischer Handelsbilanzüberschuss von 120 Milliarden Dollar erwartet. 2005 klaffte in der Handelsbilanz zwischen China und den USA bereits eine Lücke von 725 Mrd. Dollar zu Lasten der USA.
Damit erreichen die Währungsreserven Chinas immer neue Rekordwerte — sie betrugen Ende Mai 2003 bereits 240 Milliarden Dollar, und waren damit um knapp 55 Milliarden Dollar höher als zum vorhergehenden Jahreswechsel.Ende Februar 2006 beliefen sich die chinesischen Währungsreserven schon auf 853,7 Mrd. US-Dollar, und im November 2006 wurde die runde Summe von 1.000 Mrd. — oder einer Billion $ erreicht.China verfügt damit vor Japan über die größten Währungsreserven der Welt.
Kein Wunder, dass die — in Nachfolge des Irakkrieges in zunehmenden finanziellen Problemen steckende US-Regierung — immer deutlicher eine Wechselkursfreigabe fordert. Auch der IWF hat in seiner Jahrestagung mit der Weltbank im September 2003 „den Druck auf China erhöht“ (Süddeutsche Zeitung vom 24. September 03) und gefordert, „dass die Flexibilität der Wechselkurse dort erhöht wird, wo dies angemessen ist.“
Vor allem asiatische Volkswirtschaftler und Ökonomen sehen aber auch die Probleme, die mit einer Wechselkursfreigabe verbunden sind. Sie erinnern an das Beispiel Japans, das nach der erzwungenen Freigabe der Wechselkurse in eine Depression geriet, von der sich Japan bis heute nicht erholt habe. Eine Aufwertung des Dollar würde die Exportchancen der heimischen Wirtschaft verschlechtern. Die asiatischen Volkswirtschaften seien im Umbruch — und noch viel zu schwach, um einen solchen Schritt verkraften zu können, wobei sich China seit dem Jahr 2005 anscheinend bemüht, neben dem Dollar auch den Euro in seinen “Währungstopf” zu horten. “Es sieht so aus, als ob China seine Devisenreserven schon umschichtet”, zitiert die FTD am 26.07.2006 Tod Lee, den China-Experten von Global Insight. Zwar seien keine Dollarreserven verkauft worden. “Neue Zuflüsse werden aber in Euro und zum geringeren Teil in Yen angelegt.”
Der Aufbau von Sonderwirtschaftszonen, die auf die umgebenden Provinzen ausstrahlen, der Aufbau von High-tech Produktionszentren und internationalen Kooperationen ist vorangekommen.
Dennoch — wer näher hinschaut, wird auch die Schattenseiten des Wachstums erkennen:
In absoluten Zahlen hat China noch einige große Schritte zu bewältigen, um tatsächlich zu den wichtigsten Industrienationen der Welt aufzurücken.
Die Wirtschaftsleistung der Nation lag Anfang des Jahres 2003 nur knapp unter der Italiens, und der Wert der Güter- und Dienstleistungsproduktion erreichte gerade mal ¼ des von einer Deflation gebeutelten Japans.
Dazu kommt ein erhebliches Risiko des chinesischen Finanzwesens; so soll die chinesische Staatsbank auf einem Berg von „faulen Krediten“ gesessen sein, die in den Anfangsjahren der Boomzeiten zu leichtfertig und unerfahren oder aus politischen Gründen vergeben wurden. Lediglich mit gewaltigen Zuschüssen aus dem Devisentopf des Landes — rund 60 Milliarden $ soll Chinas Regierung dafür “locker gemacht” haben — wurden die drei größten Staatsbanken soweit saniert, dass die Börsengänge in Hongkong (und damit der Einstieg von Fachwissen in den Führungsetagen der Banken) erfolgreich absolviert werden konnten. Inzwischen gehören diese Aktiengesellschaften zu den weltgrößten Finanzinstituten — und erwirtschaften satte Gewinne. Nur zwei Beispiele:
- die China Construction Bank — Chinas zweitgrößte Kreditbank — hat im 3. Quartal 2007 einen Gewinn von etwas über 2 Mrd. Euro gemeldet und für die ersten drei Quartale Gewinne von 5,3 Mrd. Euro genannt
- die Industrial & Commercial Bank of China hat für das 3. Quartal 2007 ebenfalls einen Gewinn von etwas über 2 Mrd. Euro angekündigt — 76 % mehr als im Vergleichszeitraum 2006.
Wirtschaftswachstum hat deshalb Priorität im 1,3 Milliarden-Reich. Dazu braucht man den Westen — als Lieferant von Know How und als Absatzmarkt, um harte Devisen zu erwirtschaften
seit China vor fast drei Jahrzehnten seine Öffnungspolitik begonnen hat spielen technische und systematische Innovationen bei der Förderung des Wirtschaftswachstums eine zunehmende und ab 2007 eine entscheidende Rolle.
Die alten, bürokratisch geführten gigantischen Staatsbetriebe können mit den neuen Konkurrenten nicht mithalten, sie müssen sich entweder — auch mit westlichen Partnern — dem neuen Markt anpassen, oder untergehen; ein zunehmendes Heer von Arbeitslosen kann hier entstehen.
Große Verlierer aber sind die Landbewohner: rund 800 Millionen stehen im Schatten des Wachstums. Der “Gini-Index”, mit dem die Einkommensgefälle gemessen werden, verschlechtert sich seit Jahren zu Lasten der Landbevölkerung.
Die rasante Entwicklung ist an den chinesischen Bauern vorbeigegangen. Wohl wahr, die Genossenschaftsbetriebe kommunistischen Zuschnitts sind größtenteils aufgelöst, das Land wird wieder privat bewirtschaftet, aber die Bauern benutzen völlig veraltete Anbaumethoden (weil sich auf den kleinen Parzellen oft kein maschineller Einsatz lohnt); 60 Prozent der arbeitsfähigen Bevölkerung lebt auf dem Land, aber nach einer OECD-Studie kann etwa die Hälfte der rund 500 Millionen Landarbeiter eingespart werden. Während der Landwirtschaftssektor in China noch 50 % der Arbeitskräfte bindet sind in den entwickelten Ländern wenigerals 10 % der Beschäftigten in der Landwirtschaft tätig. Etwa 150- bis 200 Millionen Menschensind ohne Beschäftigung und drängen auf der Suche nach Arbeit in die prosperierenden Städte.
Hier bildet sich sozialer Sprengstoff, der die Entwicklung Chinas zunehmend belasten kann, der Wechsel bietet aber auch die Chance für zunehmend stärkeres Wachstum.
Diesem Problem will China in den nächsten Jahren mehr Augenmerk widmen.
Externer Link:
Die Volksrepublik China als Risikofaktor — (www.sueddeutsche.de)
Neue Fördermodelle:
Günstige Kredite, erhöhte Subventionen — wenn sie denn ankommen — und bessere Schulbedingungen sollen die Modernisierung der ländlichen Gebiete beschleunigen.
Dazu dient auch eine neue Fördermethode, die Chinas Behörden in Europa abgeschaut haben.
Statt landesweit die Preise zu drücken, sollen die Bauern vermehrt direkte Einkommenshilfen — Subventionen — erhalten, damit das Geld direkt bei den Landwirten ankommt, die damit auch die entsprechenden Mittel zum Überleben und vielleicht sogar zur Modernisierung ihrer Betriebe erhalten.
Zumindest die “Binnenwanderung in die Stadt” kann damit — so rechnen die Initiatoren des Förderprogramms — gebremst werden, möglicherweise gelingt es aber sogar, damit auch auf dem Lande einen Strukturwandel anzustoßen und die ländlichen Bereiche am Wirtschaftsboom teilhaben zu lassen.
Alleine in der Ostprovinz Shandong wurden auf diese Weise im Jahr 2002 Hilfsgelder in Höhe von 22 Millionen Euro verteilt.
Andere Abgabenstrukturen:
Die Förderung verpufft aber, wenn die einzelnen Provinzen und Lokalbehörden mit Steuern, Abgaben und Gebühren diese Einkommenshilfe abschöpfen, um selbst wieder die eigenen Ausgaben finanzieren zu können.
Ein weiterer Schritt ist daher eine Überarbeitung der Abgabenstrukturen. Künftig sollen die Steuern von der Zentralregierung zentral erhoben und dann an die Lokalbehörden verteilt werden. Bei einem Pilotprojekt konnte so die Abgabenlast der Bauern in der Provinz Anhui um ein Drittel gesenkt werden — was bei den Lokalbehörden zu mehr Phantasie bei der Erfindung neuer Gebühren und Abgaben geführt hat.
Das neue System hat für Peking aber eine weitere gewaltige Auswirkung: die Provinzen, die mit zunehmendem wirtschaftlichen Wohlstand immer unabhängiger agierten, werden wieder von den Finanzmitteln abhängig, die aus der Zentralregierung per “Finanzausgleich” verteilt werden.
Externer Link:
Wirtschaftswoche 2006 — special: www.wiwo.de
Ausgleich mit Taiwan:
Die boomende Wirtschaft hat auch eine weitere wichtige Auswirkung: immer mehr nähern sich China und Taiwan wirtschaftlich an — das Gefälle zwischen den beiden Volkswirtschaften wird kleiner und die wirtschaftliche Verbindung stärkt auch politische Beziehungen.
Im Januar 2003 ist — erstmals seit dem Ende des Bürgerkriegs 1949 — ein taiwanesisches Flugzeug (wenn auch auf dem Umweg über Hongkong) auf chinesischem Boden gelandet.
Etwa 15.000 Taiwanesen studieren derzeit im “Mainland”, im “Mutterland”, etwa eine Million Taiwanesen leben — etwa als Geschäftsleute — in China, und das von Taiwans Regierung ausgesprochene Verbot der Annäherung wird durch die Wirklichkeit immer mehr überholt.
Inzwischen sollen Taiwans Industrielle rund 100 Milliarden Dollar in China investiert haben, so wird der taiwanesische Chip-Hersteller TSCM künftig mit einer Chip-Produktion auf dem Billiglohn-Festland beginnen, seit 2002 ist China — vor den USA — wichtigster Abnehmer taiwanesischer Produkte.
China wird wirtschaftlich zum Rettungsanker der taiwanesischen Wirtschaft, an der die weltweite Rezession besonders nagt.