China Volksrepublik Teil 1


China

 

 

 

Im Schat­ten des Auf­schwungs - Rand­prov­inzen:
Die west­lichen Inve­storen bevorzu­gen als Stan­dorte die großen Städte der südlichen und mit­tleren Küsten­zone — vom Perlfluss­delta über Shang­hai bis Tian­jin, Peking und Dalian; zurück geblieben sind dage­gen die ehe­ma­li­gen Zen­tren der staatlichen Schw­erindus­trie in der Mand­schurei und im “Indus­tri­ere­vi­er”, den Kohlezechen der Inneren Mon­golei.
Aber auch die an den Gren­zen zu Rus­s­land und Zen­tralasien gele­ge­nen Rand­prov­inzen prof­i­tieren inzwis­chen vom wirtschaftlichen Auf­schwung Chi­nas. Ger­ade der Han­del mit Kon­sumwaren, die in die zurück­ge­bliebe­nen Staat­en der ehe­mals sow­jetisch ges­teuerten Plan­wirtschaft exportiert wer­den, lässt die im Inneren gele­ge­nen Rand­prov­inzen Chi­nas eben­falls am Auf­schwung par­tizip­ieren. Seit Jahren wird dazu die Indus­trie ange­hal­ten, im unter­en­twick­el­ten West­en zu investieren. Darüber hin­aus ver­sucht Peking die “Hil­fe zur Selb­sthil­fe” zu finanzieren. Der Fün­f­jahre­s­plan von 2006 umfasste auch die Bil­dung ein­er „neuen sozial­is­tis­chen Land­wirtschaft“, in der Bauern dazu befähigt wer­den soll­ten, als kap­i­tal­is­tis­che Unternehmer zu agieren; ver­mehrte Anreize zum pri­vat­en Unternehmer­tum gehören eben­so dazu wie Infra­struk­tur­maß­nah­men. Gle­ichzeit­ig gab es mas­sive steuer­liche Ent­las­tun­gen für das Land.

Diese Prov­inzen sind die Heimat der Mil­lio­nen Wan­der­ar­beit­er, die als Tagelöh­n­er und Hil­f­sar­beit­er die schmutzig­sten Jobs des Auf­schwungs der Küsten­städte über­nom­men haben. Der Staat will nun mehr investieren, um Aus­bil­dung­spro­gramme zu finanzieren und Arbeit­splätze zu schaf­fen. Kred­i­tauf­nah­men sollen erle­ichtert wer­den, damit sich mehr Bauern in eige­nen Unternehmen selb­ständig machen kön­nen. Agrarpro­duk­te wer­den bezuschusst; im Jahr 2009 sollen alleine zwölf Mil­liar­den Euro Sub­ven­tio­nen allein zur Sta­bil­isierung der Getrei­de­preise ver­wen­det werden.

Die Zen­tral­regierung fördert seit der Jahrtausendwende die Entwick­lung und hat die Finanzkrise ab dem Jahr 2008 genutzt, um die west­lichen Prov­inzen zoch inten­siv­er zu fördern. Das Kon­junk­tur­pro­gramm von rund 400 Mrd. Euro soll vor allem den zurück­ge­bliebe­nen Prov­inzen zu Gute kom­men. Dazu kom­men beson­dere Förderug­nen für die West­prov­inzen, die 2009 rund 470 Mrd. Euro betru­gen und für 2010 mit weit­eren 78 Mrd. Euro angekündigt sind. Infra­struk­tur­maß­nah­men, Steuer­erle­ichterun­gen, gün­stige Grund­stück­spreise, eine bevorzugte Betreu­ung und die vie­len bil­li­gen Arbeit­skräfte, die nicht mehr als “Wan­der­ar­beit­er” in die Küsten­prov­inzen ziehen son­dern direkt Arbeit­splätze find­en sollen, wirken als Mag­net. Chi­na möchte vor allem in “grü­nen Tech­nolo­gien” investieren. So ist im Juli 2010 der Bau von 13 Solarkraftwerken mit ein­er Kapaz­ität von 280 Megawatt verkün­det wor­den. Inve­storen für erneuer­bare Energien und Bah­n­tech­nik wer­den gesucht.Diese Förderung hat Erfolg. Während das Indus­triewach­s­tum in den Küsten­prov­inzen im Süden und Osten durch­schnit­tlich (2009) “nur” 97 % erre­ichte, kon­nten die West­prov­inzen eine Wach­s­tum­srate von 15,5 % (2009) erreichen.

Die FAZ beurteilt im Feb­ru­ar 2009 die sozialen Auswirkun­gen der angestoße­nen Refomen wie fol­gt: “Wenn diese Refor­men tat­säch­lich durchge­set­zt wür­den, stünde Chi­na eine Umgestal­tung von nicht gerin­gerem Aus­maß bevor, als sie in den neun­ziger Jahren die Pri­vatisierung der meis­ten Staats­be­triebe mit sich brachte. Das Niveau der gesamten Wirtschaft würde auf einen Schlag gehoben: Die höheren Sozialleis­tun­gen und die bessere Aus­bil­dung erfordern höhere Steuern und ein höheres Lohn­niveau — und bedeuten für die aus­ländis­chen Abnehmer höhere Preise für höher­w­er­tige Produkte.”

Mand­schurei:
Die Nor­dostre­gion — das alte chi­ne­sis­che Ruhrge­bi­et — war die Heimat der ursprünglich nicht chi­ne­sis­chen Mand­schu-Kaiser, die Chi­na eroberten und die let­zte Kaiser-Dynas­tie, die Quing-Dynas­tie begrün­de­ten (1644 — 1911). Die “große Mauer”, die das Reich der Mitte vom bar­barischen Nor­den tren­nte — begann nördlich von Tian­jin an der Bohai-Bucht.

Nach der Abschaf­fung des chi­ne­sis­chen Kaiser­tums wurde unter japanis­ch­er Führung ein Mar­i­onet­ten­staat der Mand­schu-Kaiser (Mand­schuko, 1932 — 1945) ein­gerichtet.  Hier hat­ten die Japan­er einst — während des zweit­en Weltkriegs — auf Grund­lage der enor­men Kohlen­vorkom­men eine Stahl- und Ver­hüt­tungsin­dus­trie errichtet, um Kriegs­ma­te­r­i­al zu pro­duzieren. Rus­sis­che und japanis­che Inter­essen haben sich hier gekreuzt — und nach dem zweit­en Weltkrieg zum Auf­bau ein­er nationalen Schw­erindus­trie nach sow­jetis­chem Muster geführt. Nach der Nieder­lage und dem Abzug der Japan­er hat der chi­ne­sis­che Staat die Kom­bi­nate über­nom­men, so daß bald 16 % des chi­ne­sis­chen BIP aus Chi­nas Nor­dosten kamen, der nur 8 % der chi­ne­sis­chen Bevölkerung stellte. Mit seinen Öl‑, Gas- und Kohlevorkom­men war die Mand­schurei  nicht nur das “Energiezen­trum” Chi­nas. Eisen- und Stahlerzeu­gung sowie die Weit­er­ver­ar­beitung in Autaos, Last­wa­gen, Schif­f­en, Panz­ern und Granat­en liesen ein “chi­ne­sis­ches Ruhge­bi­et “entste­hen. Mit dem Zusam­men­bruch der maois­tis­chen Wirtschaft geri­eten auch die alten Dinosauri­er sow­jetis­chen Musters “auss­er Tritt”. Diese Staats­be­triebe mit ihrer von der Kollek­tivwirtschaft überzeugten Belegschaft sind offen­bar dem Druck der in der Mark­twirtschaft “gestählten” freien Betriebe aus den östlichen und südlichen Küsten­prov­inzen nicht mehr gewach­sen. Im Kohle- und Stahlre­vi­er der Mand­schurei wieder­holt sich im Großen, was den Bewohn­ern des Ruhrge­bi­etes vor Jahren wieder­fahren ist. Der Anteil der Region am BIP ist bis 2006 mit weniger als 150 Mrd. Euro auf < 9 % gesunken. Von den über 30 Mio. Arbeit­splätzen, die zwis­chen 1998 und 2003 gestrichen wur­den, ent­fällt knapp 1/4 auf das Gebi­et der Mandschurei.

Ein immer unruhigeres “Indus­triepro­le­tari­at” war die Folge. So kam es im Feb­ru­ar 2000 in Folge von Pri­vatisierun­gen der Zechen ein­er Bergar­beit­er­stadt etwa 400 km nordöstlich von Peking über drei Tage hin­weg zu erbit­terten Straßen­schlacht­en zwis­chen Bergar­beit­ern und der Polizei.
Die Regierung muss nun­mehr bemüht sein, auch in den Stahl- und Zechenge­bi­eten der Mand­schurei und in den zurück gebliebe­nen ländlich struk­turi­erten Prov­inzen des Inneren alter­na­tive Indus­trien aufzubauen und Arbeit­splätze zu schaf­fen, um den durch Schließun­gen bedro­ht­en Belegschaften der staatlichen Kom­bi­nate und die hin­ter dem Auf­schwung zurück gebliebe­nen land­wirtschaftlich geprägten Prov­inzen den “Anschluss” an die all­ge­meine Entwick­lung zu ermöglichen. Die Arbeit­slosen (xia­gang) der Städte sollen durch Umschu­lun­gen für mod­erne Dien­stleis­tungs­be­triebe “fit gemacht” wer­den — soweit sie sich nicht  wie z.B. mit den typ­isch chi­ne­sis­chen Garküchen selb­st­ständig machen.

Seit 2003 wird unter der Leitung von Min­is­ter­präsi­dent Wen Jiabao ein Konzept der chi­ne­sis­chen Regierung zur Wieder­bele­bung der Indus­tri­e­s­tandorte im Nor­dosten Chi­nas umge­set­zt, das nach nun­mehr 4 Jahren über­prüft wer­den soll. Anscheinend geht der Auf­bau oder die Restruk­turierung nicht rasch genug voran. Das mag auch an der Bevorzu­gung der Küsten­re­gio­nen im Süden durch aus­ländis­che Inve­storen liegen, obwohl vom Nor­dosten auf­grund der guten Bah­nan­schlüsse nach Rus­s­land (und damit nach Europa wie zum Hafen Wladi­wos­tok) ein schnellerer Güter­trans­port nach Europa ermöglicht wird als von den (notorisch über­lasteteten) Häfen in den Küstenstädten.

Chi­nas Zen­tral­regierung hat ein Mil­liar­den-€ Pro­gramm aufgelegt, um den ländlichen Prov­inzen den Anschluss an die wirtschaftliche Entwick­lung zu ermöglichen. Bis 2006 wur­den über 6 Mrd. Euro in die Sanierung der Staats­be­triebe investiert. Der “5‑Jahresplan” von 2006 bis 2010 sieht Investi­tio­nen von 21,5 Mrd.€ in die Schulen und Uni­ver­sitäten, 20 Mrd.€ in die Infra­struk­tur und 2 Mrd. € in die ärztliche Ver­sorgung vor. Auch aus­ländis­che Inve­storen wer­den gewor­ben. Beson­ders japanis­che Fir­men  (bis 2006 über 2.000 Unternehmen) kehren in das ehe­mals japanis­che Pro­tek­torat zurück.

Inzwis­chend sind Mil­lio­nen von Chi­ne­sen die Region bis hin zur rus­sis­chen Gren­ze neu zu beleben. Wer von Rus­s­land aus über die Gren­zflüsse nach Chi­na blickt sieht eine boomende Wirtschaft­sre­gion — die den rus­sis­chen Nach­barn arm­selig und zurück geblieben erscheinen lässt.

Die Prov­inz Jilin mit der Haupt­stadt Changchun kann als “typ­isch” für das ehe­ma­lige Schw­erindus­triege­bi­et im Nor­dosten Chi­nas gel­ten. Mit 1200 km Gren­zlin­ie zu Nord­ko­rea — und 232 km zu Rus­s­land — liegt die Prov­inz im Bren­npunkt der Welt­poli­tik, der zugle­ich eine für län­gere Zeit wirtschaftlich im Abseits gele­gene Region markiert. Changchun zählt 2,5 Mio. Ein­wohn­er und ist die Heimat von Chi­nas “First Auto­mo­bile Works” (FAW), dem ältesten der etwa 80 chi­ne­sis­chen Aut­o­fab­rikan­ten. Seit 1953 wer­den — inzwis­chen (Stand 2008) in mehr als hun­dert Nieder­las­sun­gen mit etwa 100.000 Beschäftigten — diverse Fahrzeug­typen gefer­tigt. Etwa 200.000 Ein­heit­en und damit 2/3 der Pro­duk­tion sind Busse und Lastkraft­wa­gen. Die rotchi­ne­sis­che Staat­slim­ou­sine “Rote Fahne” (Hong Qui) entstammt den Fab­riken des Konz­erns. Seit 1988 ist FAW Part­ner von Audi, und der Audi 100 ist das erste in Lizenz pro­duzierte West­fahrzeug des Unternehmens. Seit 1996 wird in einem eigens errichteten Joint-Ven­ture und einem neuen, gemein­samen Autow­erk mit 17.000 Beschäftigten mit mod­ern­sten Fer­ti­gungsmeth­o­d­en ein Audi nach dem anderen für Chi­na hergestellt — etwas über drei Minuten dauert es, bis ein neu zusam­men geschraubter Audi die Fer­ti­gungsstraßen ver­lässt. Nach dem Audi A 6 wird seit 2003 auch der A 4 pro­duziert — und auf dem Gelände entste­ht eine völ­lig neue Fab­rikan­lage, auf der kün­ftig — unter alleiniger Regie von Audi — unter anderem der kleine Gelän­dewa­gen Q 5 vom Band laufen wird.

Die alte rus­sis­che Hafen­stadt Dalian im Nor­den des “Gel­ben Meeres” an der Kore­abucht im Nor­dosten Chi­nas ist Chi­na-Beobachtern vor allem durch eines bekan­nt: die chi­ne­sis­che Werftin­dus­trie, in der nicht nur riesige Tanker und mod­erne Zer­stör­er und Lan­dungss­chiffe für die PLAN gebaut wer­den, son­dern sog­ar der alte ex-sow­jetis­che, halbfer­tige Flugzeugträger “Var­jag” offen­bar sein­er Vol­len­de­ung ent­ge­gen schreitet. 

Dalian- Sitz der wichti­gen Dalian Mar­itime Uni­ver­si­ty (DMU), die u.a. über ein Schulschiff ver­fügt — dient auch als Aus­bil­dung­sort für die Offiziere der PLAN, der chi­ne­sis­chen Marine, und die Piloten der PLANAF — der Marineluft­waffe. Dalian — die alte rus­sis­che Hafen­stadt an der “Kore­abucht” spürt diesen Auf­schwung beson­ders. In den Jahren, in denen die es-ukrainis­che “Var­jag” (möglicher­weise als Schulschiff für die Marineakademie) “aufgepeppt”, d.h. von Grund auf erneuert wurde, sind alleine zwei große Trock­endocks mit angegliederten Werften neu ent­standen, die bei­de in der Lage sind, Riesen­schiffe wie die ex-Var­jag aufzunehmen. Dieser indus­trielle Auf­schwung hat auch noch weit­ere Auswirkun­gen. An der Haupt­straße sind mod­erne 5‑Sterne-Hotels mit allem erden­klichen Kom­fort ent­standen. Der his­torische Stadtk­ern ist restau­ri­ert, in der Nähe des Hafens schießen die Büro­hochhäuser aus dem Boden und in Küsten­nähe entste­hen neue Hotels — die BIP der heimis­chen Bevölkerung entspricht in der Höhe dem, was die Bewohn­er von Peking oder Shang­hai erwirtschaften, aber die Grund­stück­spreise sind weitaus niedriger. Der näch­ste Immo­bilien­boom scheint angesagt.

Dabei hat diese strate­gisch wichtige 5,5 Mil­lio­nen Ein­wohn­er zäh­lende Stadt zwis­chen den Stan­dorten der chi­ne­sis­chen Schw­erindus­trie in der Mand­schurei und Nord­ko­rea sehr viel mehr inter­es­sante Indus­trien zu beit­en. Eine dieser Sparten ist die Diesel­pro­duk­tion, die von kleinen Fahrzeug­mo­toren bis hin zu riesi­gen Schiff­santrieben reicht.

Der Motoren­her­steller Deutz AG hat seit 2006 ein Joint-Ven­ture mit dem chi­nesichen Fahrzeug­bauer FAW Jieafang, und mit Investi­tio­nen von 60 Mio. Euro wer­den seit August 2007 anfänglich 50.000 Motoren für Trak­toren, Last­wa­gen, Busse und Bau­maschi­nen zu pro­duziert. Die Kapaz­ität des Gemein­schaft­sun­ternehmens soll dur­chaus die dop­pelte Pro­duk­tion­srate erre­ichen können. 

Etwas länger ist MAN “im Geschäft” — so wur­den MAN’s 16 Zylin­der RK 215T Diesel für den chi­ne­sis­che Loko­mo­tiven­her­steller CNR Dalian Loco­mo­tive geliefert, und in Lizenz wer­den langsam laufende Sulz­er- und MAN-Diesel­mo­toren für die staatliche Schiff­swerft produziert. 

Der US-Chip-Her­steller Intel wird ab 2007 für 2,5 Mrd. $ ein Chip-Werk in Dalian erricht­en, in dem ab 2010 so genan­nte “300-Mil­lime­ter-Wafer” (52.000 Ein­heit­en monatlich) hergestellt wer­den sollen. Intel — das bere­its seit 1985 mit inzwis­chen (Anfang 2007) über 6.000 Angestell­ten in Chi­na tätig ist, bemüht sich dabei, jew­eils die mod­ernte von der US-Regierung freigegebene Fer­ti­gungsart anzuwen­den. Derzeit werde daher allerd­ings “nur” die “90-Nanome­ter-Tech­nolo­gie” zur Anwen­dung kom­men, während in den USA bere­its 65 Nanome­ter Struk­tur­bre­it­en pro­duziert wer­den. Aber auch Dell, Gen­er­al Elec­tric, Hewlett Packard und IBM haben sich in Dalian niederge­lassen, wo in einem 2001 angelegten IT-Cen­ter tausende von Stu­den­ten aus­ge­bildet wer­den — und sog­ar indis­che Soft­ware­un­ternehmen aus Ban­ga­lore haben Betrieb­steile in die Man­schurei ver­lagert. Dazu kom­men enorme Investi­tio­nen aus Japan — und Indi­en. Dalian entwick­elt sich auch zum IT‑, Soft­ware- und Call­cen­ter speziell für den nahe gele­ge­nen japanis­chen Markt.

Auf der Insel Changx­ing in der Nähe des Hafens wurde im Jahr 2005 ein “Indus­triepark” errichtet, in dem sich bis Juli 2007 mehr als zehn aus­ländis­chen Inve­storen mit ein­er gesamten Investi­tion­ssumme von drei Mil­liar­den US-Dol­lar “eingekauft” haben.

Wo so viel Indus­trieen­twick­lung herrscht, sind inter­na­tionale Geschäft­sreisende nicht weit. Fünf-Sterne-Hotels wie Nikko oder Shangri-La säu­men die Haupt­straße. Und nahe der Küste entste­hen neue Wohnan­la­gen und Hotels. Das Brut­toin­land­spro­dukt der Stadt liegt pro Kopf inzwis­chen bei knapp 10.000 Dol­lar (Stand Som­mer 2010).

 

Innere Mon­golei und Shanxi:
Peking liegt his­torisch gese­hen eigentlich am Rande des Riesen­re­ich­es. Unmit­tl­bar nödlich der Haupt­stadt befind­et sich die chi­ne­sis­che Mauer, die über Jahrhun­derte hin die wilden Bar­baren — ins­beson­dere die Mon­golen — vor Ein­fällen in das Reich der Mitte abhal­ten sollte. Jen­seits der Mauer also das Land der Bar­baren — der Mand­schu im Nor­dosten und der Mon­golen im Nord­west­en Pekings. Tat­säch­lich wird die Region west­lich von Peking noch heute als “Innere Mon­golei” beze­ich­net — obwohl die Mon­golen schon längst eine Min­der­heit unter den Bewohn­ern sind.

In die ca. 300 km west­lich von Peking gele­gene öde Kohlestadt Datong (im Herzen der Kohleprov­inz Shanxi) mit ihren ca. 1,41 Mil­lio­nen Ein­wohn­ern (2003) im urba­nen Stadtzen­trum und weit­eren 1,57 Mil­lio­nen Ein­wohn­ern in den umliegen­den Kreisen und ihrer buch­stäblich atem­ber­auben­den Luftver­schmutzung verir­ren sich nur sel­ten Touris­ten. Dabei lock­en hier kun­sthis­torische Schätze ersten Ranges. Die Stadt wurde als Píngchéng (平城) während der Han-Dynas­tie gegrün­det. Von 398 bis 494 beherrscht­en die Könige des Toba-Volks bzw. der Nördlichen Wei-Dynas­tie von hier aus halb Chi­na. 1048 wurde die Stadt in Datong (= Große Ein­heit) umbe­nan­nt und diente vom 10. bis 13. Jh. den Kitan und den Dschurd­schen als Neben­haupt­stadt. Unter den Ming wurde Datong wieder chi­ne­sis­che Gren­zs­tadt — und hat im let­zten Jahrhun­dert wegen sein­er Kohlen­vorkom­men enorme Bedeu­tung für Chi­nas Energiev­er­sorgung erhal­ten. Prob­lema­tisch sind die gewalti­gen unterirdis­chen Brände, die Tausende und Mil­lio­nen Ton­nen von Kohle ver­nicht­en — und deren Rauch die Luft extrem belastet.

Unter Mao wurde in Wuda und Wuhai am Gel­ben Strom vor allem die Schw­erindus­trie und Rüs­tungs­fab­rika­tion ausgebaut.

In Ordos haben chi­ne­sis­che Prospek­toren etwa 15 % der chi­ne­sis­chen Kohle- und 33 % der chi­ne­sis­chen Erdgasvorkom­men lokalisiert. Hochmod­erne Förder­an­la­gen und pri­vate des­o­late Stol­lenan­la­gen liegen dicht nebeneinan­der.  Der Ertrag aus der Aus­beute der Minen wird für das Jahr 2010 mit 35 Mrd. Dol­lar geschätzt — was die Errich­tung eines eige­nen Stadt­teile “Kang­bashi” mit ein­er Uni­ver­sität für 8.000 Studierende und eines neuen Armee­haup­tquartierts ermöglichte.

Auch diese Region “baut um”. Die MTU-Tochter Tognum wird in Datong mit der Chi­na North Indus­tries Group ab 2009 Hochleis­tungs­diesel­mo­toren für Berg­baulast­wa­gen, Not­stro­mag­gre­gate für Atom­kraftwerke und Schiffe bauen.

 

Gan­su:
Der Gelbe Fluß durch­quert die Haupt­stadt der Prov­inz, Lanzhou, die zugle­ich am Schnittpunkt der alten Han­del­swege zwis­chen dem Reich der Mitte und Zen­tralasien, der Sei­den­straße, mit dem Fluß liegt. Anfang des let­zten Jahrhun­derts wurde hier die erste Eisen­brücke über den Fluß geschla­gen. 3,5 Mio. Ein­wohn­er hat die Stadt, die sich zu einem Zen­trum für die Öl- und Chemiein­dus­trie entwick­elt hat. Im West­en der Prov­inz hat sich nicht nur Chi­nas Ato­m­in­dus­trie etabliert. Dort hat Chi­na auch eines sein­er (vier) Satel­liten­star­tan­la­gen errichtet.

Xin­jiang — Hsinkiang:
Der “Wilde West­en Chi­nas” wird mit zunehmen­dem Inter­esse Chi­nas an den zen­tralasi­atis­chen Staat­en aus seinem “Dorn­röschen­schlaf” geweckt. „Das hohe Wach­s­tum ver­lagert sich von der Küste ins Hin­ter­land“, — so zitiert die Wirtschaftswoche die Ana­lysten der Deutschen Bank in ein­er Studie zum Wach­s­tum in Chi­nas Prov­inzen. Die Zahl der Uighuren ist in der Autonomen Region Xin­jiang (chi­ne­sisch: “Neue Gren­ze”) von 92 % (1949) auf 50 % Jahrtausendwende) gesunken. Immer mehr Chi­ne­sen strö­men in die Städte. Ürümqi — die 3 Mio. Ein­wohn­er zäh­lende Ver­wal­tung­shaupt­stadt — wird zu 80 % von eth­nis­chen Chi­ne­sen bewohnt, und ste­ht mit ihren Hochhäusern den Boom­städten an der Küste nichts nach. Bere­its heute verbinden Straßen, eine Eisen­bahn­lin­ie und eine Ölpipeline Kasach­stan mit den Küsten­prov­inzen Chi­nas — und die Hochge­birgsstraße von Kash­gar nach Pak­istan stellt eine strate­gis­che Alter­na­tive zum Nadelöhr an der Straße von Malak­ka dar. Kash­gar wird zu einem Verkehrsknoten­punkt aus­ge­baut — mit Verbindun­gen zur Hafen­stadt Gwadar am Per­sisch-Ara­bis­chen Golf und nach Zen­tralasien (“neue Sei­den­straße”). Die Shang­hai Coop­er­a­tion Organ­i­sa­tion (SCO) bildet die poli­tis­che Plat­tform für einen immer engeren Ver­bund der Staat­en ent­lang der alten Sei­den­straße, die durch weit­ere Infra­struk­tur­pro­jek­te mas­siv erneuert und mod­ernisiert wird.

Die jüng­sten Unruhen der mus­lim­is­chen Bevölkerung haben Chi­nas Zen­tral­regierung möglicher­weise “wach gerüt­telt”. Im Juli 2010 wurde eine bessere Entwick­lung von Westchi­na angemah­nt und ein Investi­tion­spro­gramm von 80 Mil­liar­den Euro “für Westchi­na” angekündigt. Damit sollen 23 neue Infra­struk­tur­pro­jek­te angeschoben wer­den, um die Bin­nen­nach­frage zu steigern. Diese Investi­tion wird unter­schiedlich beurteilt. Vertreter der heimis­chen mus­lim­is­chen Bevölkerung bearg­wöh­nen, dass die Investi­tio­nen vor­wiegend den (zuge­wan­derten) Han-Chi­ne­sen zugute kom­men und die Unter­schiede zwis­chen den Eth­nien noch ver­stärken. Han-Chi­ne­sen bemän­geln, die Investi­tio­nen seien “ein Tropfen auf den heißen Stein” und nicht aus­re­ichend, um die Unter­schiede zu den boomenden Küsten­prov­inzen aufzu­holen. Wirtschaftswis­senschaftler bemän­geln wiederum eine “fehlende Nach­haltigkeit”. Investi­tio­nen in der Infra­struk­tur wür­den zwar kurzfristig entsprechen­des Wach­s­tum gener­ieren, ohne ergänzende Nieder­las­sung von Unternehmen der Fertigungs‑, Ver­ar­beitungs- und Dien­stleis­tungsin­dus­trie wür­den diese Investi­tio­nen aber “in den Sand gesetzt”. 

Dabei hat die Prov­inz dur­chaus selb­st “eigene Reichtümer” zu bieten. Im Jahre 2007 wur­den 15 Mrd. cbm Natur­gas im Tarim-Beck­en gefördert. Etwa 1/10 des chi­ne­sis­chen Erdölbe­darfs und 1/5 des eige­nen Erdgasver­brauchs (Stand 2006) wer­den aus den Vorkom­men in der Prov­inz gedeckt, die seit 2004 über eine mehr als 4.000 km lange Pipeline Shang­hai mit Energie ver­sor­gen kann. Dazu kommt der Anschluss der Kasachis­chen Ölfelder von Ata­su (seit 2006), der eine Verbindung zu den west­si­birischen Feldern ermöglicht und bis zu den reichen Vorkom­men am Kaspis­chen Meer erweit­ert wer­den soll.  14 Mrd. cbm Gas haben 2007 diese Leitung nach Westchi­na durch­flossen. Xin­jiang — das frühere Hsinkiang — entwick­elt sich zur Drehscheibe für die immer wichtigere Ver­sorgung der chi­ne­sis­chen Wirtschaft mit Energie. Neben der bere­its vere­in­barten Errich­tung ein­er Pipelin durch Kasach­stan bis zum Kaspis­chen Meer kön­nte bald auch eine “Süd­pipeline” die Gas- und Ölvorkom­men von Turk­menistan und dem Iran für Chi­na erschließen. Seit Anfang 2006 ist der Bau ein­er Gas-Pipeline von Tad­schik­istan nach Kash­gar mit ein­er Jahreska­paz­ität von 30 Mrd. cbm vere­in­bart. Nach der Fer­tig­stel­lung (2009 vorge­se­hen) lässt sich eine Ver­längerung nach Turk­menistan recht leicht real­isieren — und dem Anschluss der iranis­chen Felder am Kaspis­chen Meer ste­ht dann auch keine tech­nis­che Hürde mehr im Wege. Chi­na, das etwa die Hälfte seines Ölbe­darfs über Tankschiffe aus dem Per­sis­chen Golf abdeck­en muss (Stand 2006), wäre damit weniger abhängig von der in Krisen­zeit­en störan­fäl­li­gen Schiff­s­pas­sage durch den Indis­chen Ozean, die Straße von Malak­ka und das süd­chi­ne­sis­che Meer. 

Im Gegen­zug wer­den preiswerte chi­ne­sis­che Waren auf die Basare der zen­tralasi­atis­chen Staat­en gepumpt. Die zu hun­dert­tausenden in die Region strö­menden Han-Chi­ne­sen nützen diese Nach­frage (und die im Gegen­satz zu den Küsten­prov­inzen noch gerin­gen Löhne), um in der Prov­inz eine preiswerte Kon­sumgü­terindus­trie für die zen­tralasi­atis­chen Märk­te aufzubauen. Mit zunehmender Kaufkraft der Bevölkerung Zen­tralasiens wer­den auch die dort feil gebote­nen chineis­chen Waren immer kom­plex­er — und teur­er. Chi­na, so scheint es, holt sich zumin­d­est einen Teil der Investi­tio­nen in den Erdölfeldern Kasach­stans wieder zurück.

Xi’an — die alte Kaiser­stadt der Tang-Dynas­tie am östlichen Ende der Sei­den­straße — ist offen­bar von Chi­nas Zen­tral­regierung als Drehscheibe für die Erschließung des “wilden West­ens” auserse­hen wor­den. Siemens ist in Xi’an bere­its mit ein­er Fer­ti­gungsan­lage für HGV-Sig­nalan­la­gen (Hochgeschwindigkeit­szüge) vertreten.

Ein weit­er­er Schlüs­sel für Westchi­na ist Chon­qing. BASF plant gemein­sam mit Zulief­er­ern und Kun­den Investi­tio­nen von 4 Mrd. Dol­lar in einen Chemi­park — für die Fer­ti­gung von Kun­st­stof­fvor­pro­duk­ten, die ab 2013 pro­duziert wer­den sollen.

Extern­er Link:
Wirtschafts­förderung in Westchina

Tibet:
“Die tibetanis­chen Gebi­ete Westchi­nas verze­ich­nen nach ein­er Studie von A.M. Fish­er mit die höc­shte Armut­srate Chi­nas, das größte Gefälle zwis­chen Stadt und Land und mit Astand die schlecht­esten Bil­dungskenn­zahlen. … Bis heue sind fast die Hälfte aller Tibeter Anal­pha­beten, 60 % aller Frauen. Die Vere­inen Natio­nen bescheini­gen Tibet die schlecht­este Bil­dungssi­t­u­a­tion aller 31 chi­ne­sis­chen Prov­inzen. Die chi­ne­sis­che Sprache und Schrift, die in der Schule gelehrt wird, ist nicht die ihre” (FAZ 17.03.2008)

Seit dem Ende der neun­ziger Jahre ver­sucht Peking, den Auf­schwung der Küsten­prov­inzen auch auf die im Hin­ter­land gele­ge­nen Autonomen Regio­nen auszudehnen. “Tibet darf nicht für immer rück­ständig bleiben” war die Losung, die der dama­lige Parte­ichef Jiang Zemin aus­gegeben hat. Rund 40.000 km Straßen wur­den — zunächst wohl dur­chaus auch aus strate­gis­chem Inter­esse — von den Chi­ne­sen gebaut, Elek­tritz­itätswerke errichtet (inzwis­chen ver­fü­gen 60 % der tibetis­chen Haushalte über einen Stro­man­schluss), der Flughafen von Lhasa erweit­ert, Mil­liar­den investiert, um die rück­ständig­ste Region der Volk­sre­pub­lik zu mod­ernisieren. Zwis­chen 2000 und 2009 ist des BIP Tibets (stärk­er als im Durch­schnitt Chi­nas) um durch­schnit­tlich jährlich knapp 12 % gewach­sen —  das BIP von 6,45 Mrd. $ auf das Dreifache gestiegen. Damit ist auch das durch­schnit­tliche Einkom­men der Einzel­nen von 177 $ auf 516 $ angewach­sen. Weit hin­ter dem Lan­des­durch­schnitt liegt aber auch das BIP/Persom, das (2009) in Tibet nur 2.100 $ gegenüber einem Stand von 3.700,- $ im chi­ne­sis­chen Lan­des­durch­schnitt beträgt.
Die ger­ade fer­tiggestellte Bahn­strecke von Quing­hai nach Lhasa ist der Höhep­unkt der Bemühun­gen, zunächst die Infra­struk­tur zu verbessern und die Region zu erschließen. Die Bahn­lin­ie ermöglicht den indus­triellen Abbau von Tibets Boden­schätzen wie Eisen­erz. Diese Investi­tio­nen sind bish­er allerd­ings haupt­säch­lich den Städten und den dort ange­siedel­ten Han-Chi­ne­sen zu Gute gekom­men. In den näch­sten fünf Jahren sollen die Stromver­sorgung flächen­deck­end für alle Tibeter gesichert wer­den.  Optis­ches Zeichen für die weitest­ge­hend erfol­gte Umset­zung dieses Pro­jek­ts sind die Hochspan­nungsleitun­gen, die gut aus­ge­baute Straßen säu­men. Und nahezu jede größere Ortschaft ver­fügt inzwis­chen über eine Schule und ein Kranken­haus — Bil­dung ist nicht mehr auf die the­ol­o­gis­chen Stu­di­en in den unzäh­li­gen Klöstern beschränkt. Daneben haben in den Jahren zwis­chen 200o und 2009 rund 1/3 der Bevölkerung Anschluss an Trinkwasserver­sorgungsan­la­gen erhal­ten. Tibet wird “ver­west­licht” — und mit der wirtschaftlichen Entwick­lung ver­liert die Reli­gion und damit auch die Sym­bol­fig­ur des Dalai Lama an Bedeu­tung. Alleine 2009 wur­den rund 3 Mil­liar­den Dol­lar in die Prov­inz mit ihren knapp 3 Mil­lio­nen Ein­wohn­ern investiert.
Im Jan­u­ar 2010 hat Peking weit­ere Schritte zur Fortschrei­bung der Entwick­lung beschlossen. Mit Mil­liar­den­in­vesti­tio­nen sollen Infra­struk­tur (zur Aus­beu­tung der Boden­schätze), aber auch Frend­verkehr und Land­wirtschaft weit­er angekurbelt wer­den. Zu den Infra­struk­tur­maß­nah­men gehört etwa der Aus­bau des Flughafens in Nagqu (auf knapp 4.500 m Höhe), die Erweiterung der Tibet-Bahn bis ins gut 250 km ent­fer­nte Xigaze (mit ein­er Kapaz­ität von bis zu 8,3 Mio. Jahrston­nen Fracht), daneben wer­den tibetanis­che Sehenswürdigkeit­en restau­ri­ert und weit­ere Hotels gebaut.

Die Investi­tio­nen kom­men aber — wie es scheint — über­wiegend den HAN-Chi­ne­sen zugute, die inzwis­chen vor allem in den großen Städten wie Lhase und Shi­gatse zunehmend die Mehrheit der Bevölkerung bilden. Die Rebel­lio­nen der Tibeter, die sich immer wieder (wie im März 2008) gewalt­sam erheben, wer­den aber durch die schiere Über­ma­cht der omnipräsen­ten chi­ne­sis­chen Volks­be­freiungsarmee und der bewaffneten Polizeikräfte erstickt. Die alte tibetis­che Bil­dungselite — die Mönche der Klöster — stirbt dage­gen aus. 

=> siehe auch unser Dossier: Tibet — Vierzig Jahre autonome Region und umstrit­tene Prov­inz Chi­nas — oder beset­ztes Land?

Intern­er Link: Chi­na Volk­sre­pub­lik Teil 2