Im Schatten des Aufschwungs - Randprovinzen:
Die westlichen Investoren bevorzugen als Standorte die großen Städte der südlichen und mittleren Küstenzone — vom Perlflussdelta über Shanghai bis Tianjin, Peking und Dalian; zurück geblieben sind dagegen die ehemaligen Zentren der staatlichen Schwerindustrie in der Mandschurei und im “Industrierevier”, den Kohlezechen der Inneren Mongolei.
Aber auch die an den Grenzen zu Russland und Zentralasien gelegenen Randprovinzen profitieren inzwischen vom wirtschaftlichen Aufschwung Chinas. Gerade der Handel mit Konsumwaren, die in die zurückgebliebenen Staaten der ehemals sowjetisch gesteuerten Planwirtschaft exportiert werden, lässt die im Inneren gelegenen Randprovinzen Chinas ebenfalls am Aufschwung partizipieren. Seit Jahren wird dazu die Industrie angehalten, im unterentwickelten Westen zu investieren. Darüber hinaus versucht Peking die “Hilfe zur Selbsthilfe” zu finanzieren. Der Fünfjahresplan von 2006 umfasste auch die Bildung einer „neuen sozialistischen Landwirtschaft“, in der Bauern dazu befähigt werden sollten, als kapitalistische Unternehmer zu agieren; vermehrte Anreize zum privaten Unternehmertum gehören ebenso dazu wie Infrastrukturmaßnahmen. Gleichzeitig gab es massive steuerliche Entlastungen für das Land.
Diese Provinzen sind die Heimat der Millionen Wanderarbeiter, die als Tagelöhner und Hilfsarbeiter die schmutzigsten Jobs des Aufschwungs der Küstenstädte übernommen haben. Der Staat will nun mehr investieren, um Ausbildungsprogramme zu finanzieren und Arbeitsplätze zu schaffen. Kreditaufnahmen sollen erleichtert werden, damit sich mehr Bauern in eigenen Unternehmen selbständig machen können. Agrarprodukte werden bezuschusst; im Jahr 2009 sollen alleine zwölf Milliarden Euro Subventionen allein zur Stabilisierung der Getreidepreise verwendet werden.
Die Zentralregierung fördert seit der Jahrtausendwende die Entwicklung und hat die Finanzkrise ab dem Jahr 2008 genutzt, um die westlichen Provinzen zoch intensiver zu fördern. Das Konjunkturprogramm von rund 400 Mrd. Euro soll vor allem den zurückgebliebenen Provinzen zu Gute kommen. Dazu kommen besondere Förderugnen für die Westprovinzen, die 2009 rund 470 Mrd. Euro betrugen und für 2010 mit weiteren 78 Mrd. Euro angekündigt sind. Infrastrukturmaßnahmen, Steuererleichterungen, günstige Grundstückspreise, eine bevorzugte Betreuung und die vielen billigen Arbeitskräfte, die nicht mehr als “Wanderarbeiter” in die Küstenprovinzen ziehen sondern direkt Arbeitsplätze finden sollen, wirken als Magnet. China möchte vor allem in “grünen Technologien” investieren. So ist im Juli 2010 der Bau von 13 Solarkraftwerken mit einer Kapazität von 280 Megawatt verkündet worden. Investoren für erneuerbare Energien und Bahntechnik werden gesucht.Diese Förderung hat Erfolg. Während das Industriewachstum in den Küstenprovinzen im Süden und Osten durchschnittlich (2009) “nur” 97 % erreichte, konnten die Westprovinzen eine Wachstumsrate von 15,5 % (2009) erreichen.
Die FAZ beurteilt im Februar 2009 die sozialen Auswirkungen der angestoßenen Refomen wie folgt: “Wenn diese Reformen tatsächlich durchgesetzt würden, stünde China eine Umgestaltung von nicht geringerem Ausmaß bevor, als sie in den neunziger Jahren die Privatisierung der meisten Staatsbetriebe mit sich brachte. Das Niveau der gesamten Wirtschaft würde auf einen Schlag gehoben: Die höheren Sozialleistungen und die bessere Ausbildung erfordern höhere Steuern und ein höheres Lohnniveau — und bedeuten für die ausländischen Abnehmer höhere Preise für höherwertige Produkte.”
Mandschurei:
Die Nordostregion — das alte chinesische Ruhrgebiet — war die Heimat der ursprünglich nicht chinesischen Mandschu-Kaiser, die China eroberten und die letzte Kaiser-Dynastie, die Quing-Dynastie begründeten (1644 — 1911). Die “große Mauer”, die das Reich der Mitte vom barbarischen Norden trennte — begann nördlich von Tianjin an der Bohai-Bucht.
Nach der Abschaffung des chinesischen Kaisertums wurde unter japanischer Führung ein Marionettenstaat der Mandschu-Kaiser (Mandschuko, 1932 — 1945) eingerichtet. Hier hatten die Japaner einst — während des zweiten Weltkriegs — auf Grundlage der enormen Kohlenvorkommen eine Stahl- und Verhüttungsindustrie errichtet, um Kriegsmaterial zu produzieren. Russische und japanische Interessen haben sich hier gekreuzt — und nach dem zweiten Weltkrieg zum Aufbau einer nationalen Schwerindustrie nach sowjetischem Muster geführt. Nach der Niederlage und dem Abzug der Japaner hat der chinesische Staat die Kombinate übernommen, so daß bald 16 % des chinesischen BIP aus Chinas Nordosten kamen, der nur 8 % der chinesischen Bevölkerung stellte. Mit seinen Öl‑, Gas- und Kohlevorkommen war die Mandschurei nicht nur das “Energiezentrum” Chinas. Eisen- und Stahlerzeugung sowie die Weiterverarbeitung in Autaos, Lastwagen, Schiffen, Panzern und Granaten liesen ein “chinesisches Ruhgebiet “entstehen. Mit dem Zusammenbruch der maoistischen Wirtschaft gerieten auch die alten Dinosaurier sowjetischen Musters “ausser Tritt”. Diese Staatsbetriebe mit ihrer von der Kollektivwirtschaft überzeugten Belegschaft sind offenbar dem Druck der in der Marktwirtschaft “gestählten” freien Betriebe aus den östlichen und südlichen Küstenprovinzen nicht mehr gewachsen. Im Kohle- und Stahlrevier der Mandschurei wiederholt sich im Großen, was den Bewohnern des Ruhrgebietes vor Jahren wiederfahren ist. Der Anteil der Region am BIP ist bis 2006 mit weniger als 150 Mrd. Euro auf < 9 % gesunken. Von den über 30 Mio. Arbeitsplätzen, die zwischen 1998 und 2003 gestrichen wurden, entfällt knapp 1/4 auf das Gebiet der Mandschurei.
Ein immer unruhigeres “Industrieproletariat” war die Folge. So kam es im Februar 2000 in Folge von Privatisierungen der Zechen einer Bergarbeiterstadt etwa 400 km nordöstlich von Peking über drei Tage hinweg zu erbitterten Straßenschlachten zwischen Bergarbeitern und der Polizei.
Die Regierung muss nunmehr bemüht sein, auch in den Stahl- und Zechengebieten der Mandschurei und in den zurück gebliebenen ländlich strukturierten Provinzen des Inneren alternative Industrien aufzubauen und Arbeitsplätze zu schaffen, um den durch Schließungen bedrohten Belegschaften der staatlichen Kombinate und die hinter dem Aufschwung zurück gebliebenen landwirtschaftlich geprägten Provinzen den “Anschluss” an die allgemeine Entwicklung zu ermöglichen. Die Arbeitslosen (xiagang) der Städte sollen durch Umschulungen für moderne Dienstleistungsbetriebe “fit gemacht” werden — soweit sie sich nicht wie z.B. mit den typisch chinesischen Garküchen selbstständig machen.
Seit 2003 wird unter der Leitung von Ministerpräsident Wen Jiabao ein Konzept der chinesischen Regierung zur Wiederbelebung der Industriestandorte im Nordosten Chinas umgesetzt, das nach nunmehr 4 Jahren überprüft werden soll. Anscheinend geht der Aufbau oder die Restrukturierung nicht rasch genug voran. Das mag auch an der Bevorzugung der Küstenregionen im Süden durch ausländische Investoren liegen, obwohl vom Nordosten aufgrund der guten Bahnanschlüsse nach Russland (und damit nach Europa wie zum Hafen Wladiwostok) ein schnellerer Gütertransport nach Europa ermöglicht wird als von den (notorisch überlasteteten) Häfen in den Küstenstädten.
Chinas Zentralregierung hat ein Milliarden-€ Programm aufgelegt, um den ländlichen Provinzen den Anschluss an die wirtschaftliche Entwicklung zu ermöglichen. Bis 2006 wurden über 6 Mrd. Euro in die Sanierung der Staatsbetriebe investiert. Der “5‑Jahresplan” von 2006 bis 2010 sieht Investitionen von 21,5 Mrd.€ in die Schulen und Universitäten, 20 Mrd.€ in die Infrastruktur und 2 Mrd. € in die ärztliche Versorgung vor. Auch ausländische Investoren werden geworben. Besonders japanische Firmen (bis 2006 über 2.000 Unternehmen) kehren in das ehemals japanische Protektorat zurück.
Inzwischend sind Millionen von Chinesen die Region bis hin zur russischen Grenze neu zu beleben. Wer von Russland aus über die Grenzflüsse nach China blickt sieht eine boomende Wirtschaftsregion — die den russischen Nachbarn armselig und zurück geblieben erscheinen lässt.
Die Provinz Jilin mit der Hauptstadt Changchun kann als “typisch” für das ehemalige Schwerindustriegebiet im Nordosten Chinas gelten. Mit 1200 km Grenzlinie zu Nordkorea — und 232 km zu Russland — liegt die Provinz im Brennpunkt der Weltpolitik, der zugleich eine für längere Zeit wirtschaftlich im Abseits gelegene Region markiert. Changchun zählt 2,5 Mio. Einwohner und ist die Heimat von Chinas “First Automobile Works” (FAW), dem ältesten der etwa 80 chinesischen Autofabrikanten. Seit 1953 werden — inzwischen (Stand 2008) in mehr als hundert Niederlassungen mit etwa 100.000 Beschäftigten — diverse Fahrzeugtypen gefertigt. Etwa 200.000 Einheiten und damit 2/3 der Produktion sind Busse und Lastkraftwagen. Die rotchinesische Staatslimousine “Rote Fahne” (Hong Qui) entstammt den Fabriken des Konzerns. Seit 1988 ist FAW Partner von Audi, und der Audi 100 ist das erste in Lizenz produzierte Westfahrzeug des Unternehmens. Seit 1996 wird in einem eigens errichteten Joint-Venture und einem neuen, gemeinsamen Autowerk mit 17.000 Beschäftigten mit modernsten Fertigungsmethoden ein Audi nach dem anderen für China hergestellt — etwas über drei Minuten dauert es, bis ein neu zusammen geschraubter Audi die Fertigungsstraßen verlässt. Nach dem Audi A 6 wird seit 2003 auch der A 4 produziert — und auf dem Gelände entsteht eine völlig neue Fabrikanlage, auf der künftig — unter alleiniger Regie von Audi — unter anderem der kleine Geländewagen Q 5 vom Band laufen wird.
Die alte russische Hafenstadt Dalian im Norden des “Gelben Meeres” an der Koreabucht im Nordosten Chinas ist China-Beobachtern vor allem durch eines bekannt: die chinesische Werftindustrie, in der nicht nur riesige Tanker und moderne Zerstörer und Landungsschiffe für die PLAN gebaut werden, sondern sogar der alte ex-sowjetische, halbfertige Flugzeugträger “Varjag” offenbar seiner Vollendeung entgegen schreitet.
Dalian- Sitz der wichtigen Dalian Maritime University (DMU), die u.a. über ein Schulschiff verfügt — dient auch als Ausbildungsort für die Offiziere der PLAN, der chinesischen Marine, und die Piloten der PLANAF — der Marineluftwaffe. Dalian — die alte russische Hafenstadt an der “Koreabucht” spürt diesen Aufschwung besonders. In den Jahren, in denen die es-ukrainische “Varjag” (möglicherweise als Schulschiff für die Marineakademie) “aufgepeppt”, d.h. von Grund auf erneuert wurde, sind alleine zwei große Trockendocks mit angegliederten Werften neu entstanden, die beide in der Lage sind, Riesenschiffe wie die ex-Varjag aufzunehmen. Dieser industrielle Aufschwung hat auch noch weitere Auswirkungen. An der Hauptstraße sind moderne 5‑Sterne-Hotels mit allem erdenklichen Komfort entstanden. Der historische Stadtkern ist restauriert, in der Nähe des Hafens schießen die Bürohochhäuser aus dem Boden und in Küstennähe entstehen neue Hotels — die BIP der heimischen Bevölkerung entspricht in der Höhe dem, was die Bewohner von Peking oder Shanghai erwirtschaften, aber die Grundstückspreise sind weitaus niedriger. Der nächste Immobilienboom scheint angesagt.
Dabei hat diese strategisch wichtige 5,5 Millionen Einwohner zählende Stadt zwischen den Standorten der chinesischen Schwerindustrie in der Mandschurei und Nordkorea sehr viel mehr interessante Industrien zu beiten. Eine dieser Sparten ist die Dieselproduktion, die von kleinen Fahrzeugmotoren bis hin zu riesigen Schiffsantrieben reicht.
Der Motorenhersteller Deutz AG hat seit 2006 ein Joint-Venture mit dem chinesichen Fahrzeugbauer FAW Jieafang, und mit Investitionen von 60 Mio. Euro werden seit August 2007 anfänglich 50.000 Motoren für Traktoren, Lastwagen, Busse und Baumaschinen zu produziert. Die Kapazität des Gemeinschaftsunternehmens soll durchaus die doppelte Produktionsrate erreichen können.
Etwas länger ist MAN “im Geschäft” — so wurden MAN’s 16 Zylinder RK 215T Diesel für den chinesische Lokomotivenhersteller CNR Dalian Locomotive geliefert, und in Lizenz werden langsam laufende Sulzer- und MAN-Dieselmotoren für die staatliche Schiffswerft produziert.
Der US-Chip-Hersteller Intel wird ab 2007 für 2,5 Mrd. $ ein Chip-Werk in Dalian errichten, in dem ab 2010 so genannte “300-Millimeter-Wafer” (52.000 Einheiten monatlich) hergestellt werden sollen. Intel — das bereits seit 1985 mit inzwischen (Anfang 2007) über 6.000 Angestellten in China tätig ist, bemüht sich dabei, jeweils die modernte von der US-Regierung freigegebene Fertigungsart anzuwenden. Derzeit werde daher allerdings “nur” die “90-Nanometer-Technologie” zur Anwendung kommen, während in den USA bereits 65 Nanometer Strukturbreiten produziert werden. Aber auch Dell, General Electric, Hewlett Packard und IBM haben sich in Dalian niedergelassen, wo in einem 2001 angelegten IT-Center tausende von Studenten ausgebildet werden — und sogar indische Softwareunternehmen aus Bangalore haben Betriebsteile in die Manschurei verlagert. Dazu kommen enorme Investitionen aus Japan — und Indien. Dalian entwickelt sich auch zum IT‑, Software- und Callcenter speziell für den nahe gelegenen japanischen Markt.
Auf der Insel Changxing in der Nähe des Hafens wurde im Jahr 2005 ein “Industriepark” errichtet, in dem sich bis Juli 2007 mehr als zehn ausländischen Investoren mit einer gesamten Investitionssumme von drei Milliarden US-Dollar “eingekauft” haben.
Wo so viel Industrieentwicklung herrscht, sind internationale Geschäftsreisende nicht weit. Fünf-Sterne-Hotels wie Nikko oder Shangri-La säumen die Hauptstraße. Und nahe der Küste entstehen neue Wohnanlagen und Hotels. Das Bruttoinlandsprodukt der Stadt liegt pro Kopf inzwischen bei knapp 10.000 Dollar (Stand Sommer 2010).
Innere Mongolei und Shanxi:
Peking liegt historisch gesehen eigentlich am Rande des Riesenreiches. Unmittlbar nödlich der Hauptstadt befindet sich die chinesische Mauer, die über Jahrhunderte hin die wilden Barbaren — insbesondere die Mongolen — vor Einfällen in das Reich der Mitte abhalten sollte. Jenseits der Mauer also das Land der Barbaren — der Mandschu im Nordosten und der Mongolen im Nordwesten Pekings. Tatsächlich wird die Region westlich von Peking noch heute als “Innere Mongolei” bezeichnet — obwohl die Mongolen schon längst eine Minderheit unter den Bewohnern sind.
In die ca. 300 km westlich von Peking gelegene öde Kohlestadt Datong (im Herzen der Kohleprovinz Shanxi) mit ihren ca. 1,41 Millionen Einwohnern (2003) im urbanen Stadtzentrum und weiteren 1,57 Millionen Einwohnern in den umliegenden Kreisen und ihrer buchstäblich atemberaubenden Luftverschmutzung verirren sich nur selten Touristen. Dabei locken hier kunsthistorische Schätze ersten Ranges. Die Stadt wurde als Píngchéng (平城) während der Han-Dynastie gegründet. Von 398 bis 494 beherrschten die Könige des Toba-Volks bzw. der Nördlichen Wei-Dynastie von hier aus halb China. 1048 wurde die Stadt in Datong (= Große Einheit) umbenannt und diente vom 10. bis 13. Jh. den Kitan und den Dschurdschen als Nebenhauptstadt. Unter den Ming wurde Datong wieder chinesische Grenzstadt — und hat im letzten Jahrhundert wegen seiner Kohlenvorkommen enorme Bedeutung für Chinas Energieversorgung erhalten. Problematisch sind die gewaltigen unterirdischen Brände, die Tausende und Millionen Tonnen von Kohle vernichten — und deren Rauch die Luft extrem belastet.
Unter Mao wurde in Wuda und Wuhai am Gelben Strom vor allem die Schwerindustrie und Rüstungsfabrikation ausgebaut.
In Ordos haben chinesische Prospektoren etwa 15 % der chinesischen Kohle- und 33 % der chinesischen Erdgasvorkommen lokalisiert. Hochmoderne Förderanlagen und private desolate Stollenanlagen liegen dicht nebeneinander. Der Ertrag aus der Ausbeute der Minen wird für das Jahr 2010 mit 35 Mrd. Dollar geschätzt — was die Errichtung eines eigenen Stadtteile “Kangbashi” mit einer Universität für 8.000 Studierende und eines neuen Armeehauptquartierts ermöglichte.
Auch diese Region “baut um”. Die MTU-Tochter Tognum wird in Datong mit der China North Industries Group ab 2009 Hochleistungsdieselmotoren für Bergbaulastwagen, Notstromaggregate für Atomkraftwerke und Schiffe bauen.
Gansu:
Der Gelbe Fluß durchquert die Hauptstadt der Provinz, Lanzhou, die zugleich am Schnittpunkt der alten Handelswege zwischen dem Reich der Mitte und Zentralasien, der Seidenstraße, mit dem Fluß liegt. Anfang des letzten Jahrhunderts wurde hier die erste Eisenbrücke über den Fluß geschlagen. 3,5 Mio. Einwohner hat die Stadt, die sich zu einem Zentrum für die Öl- und Chemieindustrie entwickelt hat. Im Westen der Provinz hat sich nicht nur Chinas Atomindustrie etabliert. Dort hat China auch eines seiner (vier) Satellitenstartanlagen errichtet.
Xinjiang — Hsinkiang:
Der “Wilde Westen Chinas” wird mit zunehmendem Interesse Chinas an den zentralasiatischen Staaten aus seinem “Dornröschenschlaf” geweckt. „Das hohe Wachstum verlagert sich von der Küste ins Hinterland“, — so zitiert die Wirtschaftswoche die Analysten der Deutschen Bank in einer Studie zum Wachstum in Chinas Provinzen. Die Zahl der Uighuren ist in der Autonomen Region Xinjiang (chinesisch: “Neue Grenze”) von 92 % (1949) auf 50 % Jahrtausendwende) gesunken. Immer mehr Chinesen strömen in die Städte. Ürümqi — die 3 Mio. Einwohner zählende Verwaltungshauptstadt — wird zu 80 % von ethnischen Chinesen bewohnt, und steht mit ihren Hochhäusern den Boomstädten an der Küste nichts nach. Bereits heute verbinden Straßen, eine Eisenbahnlinie und eine Ölpipeline Kasachstan mit den Küstenprovinzen Chinas — und die Hochgebirgsstraße von Kashgar nach Pakistan stellt eine strategische Alternative zum Nadelöhr an der Straße von Malakka dar. Kashgar wird zu einem Verkehrsknotenpunkt ausgebaut — mit Verbindungen zur Hafenstadt Gwadar am Persisch-Arabischen Golf und nach Zentralasien (“neue Seidenstraße”). Die Shanghai Cooperation Organisation (SCO) bildet die politische Plattform für einen immer engeren Verbund der Staaten entlang der alten Seidenstraße, die durch weitere Infrastrukturprojekte massiv erneuert und modernisiert wird.
Die jüngsten Unruhen der muslimischen Bevölkerung haben Chinas Zentralregierung möglicherweise “wach gerüttelt”. Im Juli 2010 wurde eine bessere Entwicklung von Westchina angemahnt und ein Investitionsprogramm von 80 Milliarden Euro “für Westchina” angekündigt. Damit sollen 23 neue Infrastrukturprojekte angeschoben werden, um die Binnennachfrage zu steigern. Diese Investition wird unterschiedlich beurteilt. Vertreter der heimischen muslimischen Bevölkerung beargwöhnen, dass die Investitionen vorwiegend den (zugewanderten) Han-Chinesen zugute kommen und die Unterschiede zwischen den Ethnien noch verstärken. Han-Chinesen bemängeln, die Investitionen seien “ein Tropfen auf den heißen Stein” und nicht ausreichend, um die Unterschiede zu den boomenden Küstenprovinzen aufzuholen. Wirtschaftswissenschaftler bemängeln wiederum eine “fehlende Nachhaltigkeit”. Investitionen in der Infrastruktur würden zwar kurzfristig entsprechendes Wachstum generieren, ohne ergänzende Niederlassung von Unternehmen der Fertigungs‑, Verarbeitungs- und Dienstleistungsindustrie würden diese Investitionen aber “in den Sand gesetzt”.
Dabei hat die Provinz durchaus selbst “eigene Reichtümer” zu bieten. Im Jahre 2007 wurden 15 Mrd. cbm Naturgas im Tarim-Becken gefördert. Etwa 1/10 des chinesischen Erdölbedarfs und 1/5 des eigenen Erdgasverbrauchs (Stand 2006) werden aus den Vorkommen in der Provinz gedeckt, die seit 2004 über eine mehr als 4.000 km lange Pipeline Shanghai mit Energie versorgen kann. Dazu kommt der Anschluss der Kasachischen Ölfelder von Atasu (seit 2006), der eine Verbindung zu den westsibirischen Feldern ermöglicht und bis zu den reichen Vorkommen am Kaspischen Meer erweitert werden soll. 14 Mrd. cbm Gas haben 2007 diese Leitung nach Westchina durchflossen. Xinjiang — das frühere Hsinkiang — entwickelt sich zur Drehscheibe für die immer wichtigere Versorgung der chinesischen Wirtschaft mit Energie. Neben der bereits vereinbarten Errichtung einer Pipelin durch Kasachstan bis zum Kaspischen Meer könnte bald auch eine “Südpipeline” die Gas- und Ölvorkommen von Turkmenistan und dem Iran für China erschließen. Seit Anfang 2006 ist der Bau einer Gas-Pipeline von Tadschikistan nach Kashgar mit einer Jahreskapazität von 30 Mrd. cbm vereinbart. Nach der Fertigstellung (2009 vorgesehen) lässt sich eine Verlängerung nach Turkmenistan recht leicht realisieren — und dem Anschluss der iranischen Felder am Kaspischen Meer steht dann auch keine technische Hürde mehr im Wege. China, das etwa die Hälfte seines Ölbedarfs über Tankschiffe aus dem Persischen Golf abdecken muss (Stand 2006), wäre damit weniger abhängig von der in Krisenzeiten störanfälligen Schiffspassage durch den Indischen Ozean, die Straße von Malakka und das südchinesische Meer.
Im Gegenzug werden preiswerte chinesische Waren auf die Basare der zentralasiatischen Staaten gepumpt. Die zu hunderttausenden in die Region strömenden Han-Chinesen nützen diese Nachfrage (und die im Gegensatz zu den Küstenprovinzen noch geringen Löhne), um in der Provinz eine preiswerte Konsumgüterindustrie für die zentralasiatischen Märkte aufzubauen. Mit zunehmender Kaufkraft der Bevölkerung Zentralasiens werden auch die dort feil gebotenen chineischen Waren immer komplexer — und teurer. China, so scheint es, holt sich zumindest einen Teil der Investitionen in den Erdölfeldern Kasachstans wieder zurück.
Xi’an — die alte Kaiserstadt der Tang-Dynastie am östlichen Ende der Seidenstraße — ist offenbar von Chinas Zentralregierung als Drehscheibe für die Erschließung des “wilden Westens” ausersehen worden. Siemens ist in Xi’an bereits mit einer Fertigungsanlage für HGV-Signalanlagen (Hochgeschwindigkeitszüge) vertreten.
Ein weiterer Schlüssel für Westchina ist Chonqing. BASF plant gemeinsam mit Zulieferern und Kunden Investitionen von 4 Mrd. Dollar in einen Chemipark — für die Fertigung von Kunststoffvorprodukten, die ab 2013 produziert werden sollen.
Externer Link:
Wirtschaftsförderung in Westchina
Tibet:
“Die tibetanischen Gebiete Westchinas verzeichnen nach einer Studie von A.M. Fisher mit die höcshte Armutsrate Chinas, das größte Gefälle zwischen Stadt und Land und mit Astand die schlechtesten Bildungskennzahlen. … Bis heue sind fast die Hälfte aller Tibeter Analphabeten, 60 % aller Frauen. Die Vereinen Nationen bescheinigen Tibet die schlechteste Bildungssituation aller 31 chinesischen Provinzen. Die chinesische Sprache und Schrift, die in der Schule gelehrt wird, ist nicht die ihre” (FAZ 17.03.2008)
Seit dem Ende der neunziger Jahre versucht Peking, den Aufschwung der Küstenprovinzen auch auf die im Hinterland gelegenen Autonomen Regionen auszudehnen. “Tibet darf nicht für immer rückständig bleiben” war die Losung, die der damalige Parteichef Jiang Zemin ausgegeben hat. Rund 40.000 km Straßen wurden — zunächst wohl durchaus auch aus strategischem Interesse — von den Chinesen gebaut, Elektritzitätswerke errichtet (inzwischen verfügen 60 % der tibetischen Haushalte über einen Stromanschluss), der Flughafen von Lhasa erweitert, Milliarden investiert, um die rückständigste Region der Volksrepublik zu modernisieren. Zwischen 2000 und 2009 ist des BIP Tibets (stärker als im Durchschnitt Chinas) um durchschnittlich jährlich knapp 12 % gewachsen — das BIP von 6,45 Mrd. $ auf das Dreifache gestiegen. Damit ist auch das durchschnittliche Einkommen der Einzelnen von 177 $ auf 516 $ angewachsen. Weit hinter dem Landesdurchschnitt liegt aber auch das BIP/Persom, das (2009) in Tibet nur 2.100 $ gegenüber einem Stand von 3.700,- $ im chinesischen Landesdurchschnitt beträgt.
Die gerade fertiggestellte Bahnstrecke von Quinghai nach Lhasa ist der Höhepunkt der Bemühungen, zunächst die Infrastruktur zu verbessern und die Region zu erschließen. Die Bahnlinie ermöglicht den industriellen Abbau von Tibets Bodenschätzen wie Eisenerz. Diese Investitionen sind bisher allerdings hauptsächlich den Städten und den dort angesiedelten Han-Chinesen zu Gute gekommen. In den nächsten fünf Jahren sollen die Stromversorgung flächendeckend für alle Tibeter gesichert werden. Optisches Zeichen für die weitestgehend erfolgte Umsetzung dieses Projekts sind die Hochspannungsleitungen, die gut ausgebaute Straßen säumen. Und nahezu jede größere Ortschaft verfügt inzwischen über eine Schule und ein Krankenhaus — Bildung ist nicht mehr auf die theologischen Studien in den unzähligen Klöstern beschränkt. Daneben haben in den Jahren zwischen 200o und 2009 rund 1/3 der Bevölkerung Anschluss an Trinkwasserversorgungsanlagen erhalten. Tibet wird “verwestlicht” — und mit der wirtschaftlichen Entwicklung verliert die Religion und damit auch die Symbolfigur des Dalai Lama an Bedeutung. Alleine 2009 wurden rund 3 Milliarden Dollar in die Provinz mit ihren knapp 3 Millionen Einwohnern investiert.
Im Januar 2010 hat Peking weitere Schritte zur Fortschreibung der Entwicklung beschlossen. Mit Milliardeninvestitionen sollen Infrastruktur (zur Ausbeutung der Bodenschätze), aber auch Frendverkehr und Landwirtschaft weiter angekurbelt werden. Zu den Infrastrukturmaßnahmen gehört etwa der Ausbau des Flughafens in Nagqu (auf knapp 4.500 m Höhe), die Erweiterung der Tibet-Bahn bis ins gut 250 km entfernte Xigaze (mit einer Kapazität von bis zu 8,3 Mio. Jahrstonnen Fracht), daneben werden tibetanische Sehenswürdigkeiten restauriert und weitere Hotels gebaut.
Die Investitionen kommen aber — wie es scheint — überwiegend den HAN-Chinesen zugute, die inzwischen vor allem in den großen Städten wie Lhase und Shigatse zunehmend die Mehrheit der Bevölkerung bilden. Die Rebellionen der Tibeter, die sich immer wieder (wie im März 2008) gewaltsam erheben, werden aber durch die schiere Übermacht der omnipräsenten chinesischen Volksbefreiungsarmee und der bewaffneten Polizeikräfte erstickt. Die alte tibetische Bildungselite — die Mönche der Klöster — stirbt dagegen aus.
=> siehe auch unser Dossier: Tibet — Vierzig Jahre autonome Region und umstrittene Provinz Chinas — oder besetztes Land?
Interner Link: China Volksrepublik Teil 2