Chinas Wirtschaft:
In der Zeit Maos war das chinesische Wirtschaftssystem nach dem Vorbild der Sowjetunion ausgerichtet. Große staatliche Kombinate und landwirtschaftliche Gemeinschaftsbetriebe sollten die ökonomische Grundlage für ein starkes China sein, das immer wieder von “revolutionären Massenbewegungen” (Kulturrevolution) erschüttert wurde.
In den Wirren nach Maos Tod (1976) setzte sich eine pragmatische Linie innerhalb der Partei (Deng Xiaoping) gegen Maos Witwe und die mit ihr verbündeten Parteibonzen (Viererbande) durch.
Zur Sicherstellung der Lebensmittelversorgung wurde zunächst den Bauern gestattet, die Felder privat zu bewirtschaften, was die Eigeninitative und Produktivität stärkte; zugleich wurden die Bauern verpflichtet, eine gewisse Grundmenge an Lebensmitteln an die Städte zu liefern was zugleich die Möglichkeit bot, darüber hinaus erzeugte eigenen Produkte direkt in den Städten zu vermarkten (“Bauernmärkte”), wobei sich aus den gesteigerten Einkommen der Bauern sehr schnell auch ein bescheidenes Konsumbedürfnis regte. Da die staatliche Planwirtschaft mit ihren Großkombinaten nicht in der Lage war, diesen Bedürfnissen nachzukommen entwickelte sich im Umfeld der Städte eine bäuerliche Klein‑, Konsumgüter- und Leichtindustrie (Dorf- und Gemeinschaftsunternehmen, von 29,1 in 1979 bis 1989 über 95 Mio. Unternehmen), die bereits 1998 etwa 80 % der Kleidung herstellte und zu einem zweiten industriellen Sektor neben den staatlichen Großkombinaten wurde.
Durch diesen Erfolg gestärkt öffnete Deng die städtischen Industrien für ausländische Investoren. China sollte sich im Weltmarkt integrieren. Dafür wurden spezielle “Sonderwirtschaftszonen” geschaffen, die nach den Regeln des Weltmarktes arbeiten sollten — während gleichzeitig die staatlichen Großkombinate für eine Übergangszeit von der Konkurrenz des Auslandes abgeschottet wurden. Die Devise von Deng “Lasst einige zuerst reich werden” hat bis etwa 2005 die Wirtschaftspolitik Chinas bestimmt und dem Land einen ungeheuren Aufschwung und die Entwicklung zu einer der Weltwirtschaftsmächte beschert. Damit einher geht eine wachsende Mittelschicht. Im Juli 2006 veröffentlichte das (offiziöse) Wochenmagazin “Outlook” eine Statistik, wonach 150 Millionen Privatunternehmer und Selbstständige, Ärzte, Rechtsanwälte und Manager “alle gut ausgebildet und motiviert” als “anerkannte Säule … den wirtschaftlichen Fortschritt tragen”. Diese neue Mitteilschicht sei für über 50 % des Wirtschaftspotentials China verantwortlich und verfüge über ein Kapital von 10 Billionen Yuan — etwa 1 Billion Euro. Der Privatsektor würde jährlich 3/4 aller neuen Arbeitsplätze schaffen und in einigen Provinzen bereits die Hälfte des Steueraufkommens erwirtschaften. Vor allem die “Prinzlinge”, die Söhne und Töchter der alten Parteifunktionäre haben (wohl auch aufgrund der Nähe zur Partei entsprechend geschützt) die Chance genutzt, wirtschaftlichen Wohlstand zu erwerben. Die logische Konsequenz war, dass die KP Chinas ihre Reihen auch den so zu Reichtum gekommenen Kindern öffnen musste — inzwischen sind auch reich geworden Chinesen in der KP Chinas willkommen. Auch das trägt zu einer immer mehr der Wirtschaft dienenden Politik bei.
Inzwischen hat China einen gigantischen Wirtschaftsboom erlebt und zählt — nach Aussage der US-Investmentbank Goldman Sachs — auch zukünftig zu den wachstumsstärksten Regionen der Welt. In den 30 Jahren, seit der Einführung der Reform- und Öffnungspolitik, ist die chinesische Wirtschaft jährlich um mehr als 9 Prozent gewachsen. Nach Angabe der Zeitschrift FINANZEN (April 2004) hat alleine das Telekommunikationsunternehmen CHINA MOBILE mit 200 Millionen Kunden eine Wachstumsrate von mindestens 20 Prozent. Tatsächlich hat China in knapp 20 Jahren seit dem Tode Maos eine gigantische Aufholjagd veranstaltet — und ist bis zum Jahr 2006 zur viertgrößten Volkswirtschaft der Welt aufgerückt, hinter den USA, Europa und Japan. Damit ist China zu einem erbitterten Rivalen um die weltweiten Rohstoffe geworden. Im Jahre 2006 war China weltweit der zweitgrößte Ölverbraucher — nach den USA und deren verschwenderischem Umgang mit diesen endlichen Ressourcen. Davon profitieren Unternehmen wie PetroChina(2004 nach Reserven der viertgrößte Ölkonzern der Welt), der über eine 4.000 km lange Gaspipeline nach Shanghai über eine exclusive Liefermöglichkeit für die Millionenstadt im boomenden Jangtse-Delta verfügt. China ist inzwischen der größte Markt für Werkzeugmaschinen — vor allem aber für Rohstoffe wie Eisen, Stahl und fossile Brennstoffe wie Petroleum geworden. Für 2004 wurde ein Rohölimport von 100 Mio. Tonnen erwartet — was ein zunehmendes Interesse an der Sicherung der maritimen Handelswege nach sich zieht.
China verarbeite mehr Stahl, Zement und Kupfer und ist in vielen Sektionen bereits jetzt schon eine mächtigere Volkswirtschaft als die USA. Mit einer Rohstahlproduktion von 420 Mio. t. (2004) bzw. 347 Mio. t. (2005) lag China deutlich vor den in der Größenordnung verglichbaren USA (93 Mio. t., 2005), Russland (65 Mio. t. ‚2005) und Indien (38 Mio. t., 2005). Rund 1/3 der weltweiten Stahlproduktion wird von China verbraucht — und Analysten rechnen bis 2007 mit weiter steigendem Bedarf auf bis zu 400 Mio. t. Dieser Bedarf treibt die Rohstoffpreise für Erz und Kohle in die Höhe. Der Bauboom, der “output” der Werftindustrie aber auch die zunehmende Motorisierung sind Hauptantriebe dieser Nachfrageentwicklung, und wenn nach den Olympischen Sommerspielen (2008 in Peking) und der Weltausstellung (2010) die Nachfrage in den beiden Millionstädten abflauen sollte, dann ist damit zu rechnen, dass das von der Regierung zunehmend geförderte Hinterland abseits der Küsten in die Fußstapfen der jetzigen Wirtschaftszentren tritt. Dazu kommt, dass uralte Anlagen mit einer Kapazität von 100 Mio. Jahrestonnen aus wirtschaftlichen- und Umweltschutzgründen stillgelegt werden sollen. Statistiken chinesischer Kommissionen zeigen, dass von den 420 Millionen Tonnen Stahl die 2004 in China produziert wurden rund 100 Millionen in Schmelzöfen mit niedriger Produktivität hergestellt wurden, ein Viertel der gesamten Produktion. Rund 13 Prozent der Produktion, etwa 55 Millionen Tonnen, wurde in kleinen Elektroschmelzöfen von unter 20 Tonnen Gewicht hergestellt (China.org.cn, Xinhua, 7. Juli 2006).Der größte Teil der veralteten Anlagen zur Stahl und Eisenherstellung befindet sich in den nördlichen und östlichen Regionen des Landes, wobei 68,7 Prozent der Anlagen von niedriger Produktivität in den nordchinesischen Provinzen Hebei und Shanxi stehen. China baut daher seine Kapazitäten um — veraltete Anlagen werden stillgelegt (und an diesen Standorten neue Industrien angesiedelt), die Kapazitäten mit modernen Anlagen ausgebaut. Besonders einprägsames Beispiel — eine im Ruhrgebiet auf verschiedene Standorte verteilte Anlage wurde komplett demontiert und bei Shanghai in einem neuen Industriestandort mit kürzesten Transportwegen wieder errichtet. Caofeidian, eine Insel 80 Kilometer südlich von Tangshan in der benachbarten Provinz Hebei, soll zu einem Zentrum der Stahlproduktion ausgebaut werden. Nach der von Xinhua wiedergegeben Bekanntmachung sollen in China zusätzlich zu der großen Zahl von Stahlwerken mit einer Produktion von über 10 Millionen Tonnen pro Jahr zwei Stahlunternehmen mit einer Kapazität von 30 Millionen Tonnen geschaffen werden.
Auch Indien tritt zunehmend als “Nachfrager” auf dem chinesischen Markt auf. Schon heute exportiert China an einfachdem Stahl — wie Baustahl — mehr, als es einführt, und über die neue Tibet-Bahn und neu eröffnete Grenzübergänge im Himalaya wird der Wirtschaftsaustausch zwischen den beiden asiatischen Ländern — im Jahre 2005 auf ein Volumen von 18,73 Mrd. $ gestiegen — noch mehr gefördert.
externer Link: China, India Reopen Historic Trade Route — (http://en.chinabroadcast.cn)
Die Wirtschaftsentwicklung Chinas wird vor allem durch das Ausland getragen. Ausländische Investitionen und ausländische Abnehmer für chinesische Produkte befeuern die “Wirtschaftslokomotive China”. Dementsprechend trägt auch der Export wesentlich zum BIP des Landes bei. Die Exporte Chinas stiegen von 325,5 Mrd. US-$ (2002) auf 1.435,9 Mrd. US-$ (2008) steil an. In Zeiten globaler Abatzkrisen führt dies aber zu einer massiven Belastung der Wirtschaft. Prognosen zufolge wird das Exportvolumen 2009 bei 1.341 Mrd. US-$ und 2010 bei 1.360 Mrd. US-$ liegen.
Externer Link:
SPIEGEL-Dossier: China — Der Sprung des Drachen