Innere Unruhen:
Nur wenig dringt über innere Unruhen nach außen. Immer wieder wird berichtet, dass sich Chinas Machthaber mit harter Gewalt in Tibet und Sinkiang wie „Besatzer im eigenen Land“ bewegen.
In beiden Provinzen bilden kulturell völlig eigenständige Völker eine starke einheimische Bevölkerung, die mit den Han-Chinesen kaum Verbindungen eingeht.
Tibet wurde erst nach dem II. Weltkrieg gegen den Willen des tibetanischen „Gottkönigs“, des Dalai-Lama, besetzt, der seit Jahrzehnten (von Tibetern hochverehrt) im indischen Exil lebt. Tibetanische Stämme lieferten den chinesischen Truppen über lange Zeit hinweg einen hinhaltenden Kleinkrieg.
Sinkiang weist dagegen eine türkischsprachige, islamische Bevölkerung auf; die Uiguren haben starke Gemeinsamkeiten mit den Turkvölkern der ehemaligen Sowjetunion – Sinkiang wurde daher in der Vergangenheit auch oft als „Ost-Turkestan“ bezeichnet. Auch hier gibt es Gruppierungen, die eine Unabhängigkeit von China anstreben.
Die wenigen Mongolen in der Inneren Mongolei, die Mandschu und koreanische Bevölkerungsteile an der Grenze zu Nordkorea können keine eigenständigen Befreiungsbewegungen bilden. Han-Chinesen bilden inzwischen in diesen Gebieten die absolute Mehrheit der Bevölkerung.
In der Zeit Maos wurde das Riesenreich immer wieder von selbst provozierten Unruhen erschüttert, die jede ökonomische und ökologische Entwicklung hemmten (“Großer Sprung nach vorn”, “Kulturrevolution”). Heute ist bekannt, dass gegensätzliche Strömungen innerhalb der kommunistischen Partei Chinas auf diesem Wege (über die Manipulation der Massen) um die Macht im Staate rangen und dabei ganz China ins Chaos stürzten. Trotzdem gelang es, wichtige Schlüsselindustrien (Kohle- und Stahlkombinate in der Mandschurei, Stahlwerke in Wuhan, Werften in Shanghai oder Erdölproduktionen) zu erhalten und auszubauen, und sogar den Grundstein für eigene moderne Waffensysteme zu legen – von der Raubkopie der MiG 21 bis hin zu A‑Waffen und Interkontinentalraketen gelang es Chinas Militärindustrie, ehrgeizige Projekte trotz verheerender Randbedingungen zu verwirklichen.
Das Massaker auf dem Tienanmen-Platz in Peking, mit der eine gewaltige Demonstration der studentischen Jugend für mehr Demokratie zerschlagen wurde, ist gerade vor dem Hintergrund der nur wenige Jahrzehnte zurückliegenden Kulturrevolution zu verstehen. Die politischen Kader befürchteten eine Wiederholung der seinerzeit von Mao, seiner Ehefrau und anderen durchgeführten “Kulturrevolution”, die in Peking ebenfalls mit Studentenprotesten geschürt worden war.
Erst nach Mao – vor allem unter Deng Hsiao Ping – erfolgte der wirkliche „Sprung nach vorn“. In den Küstenregionen wurde der Sprung ins neue Jahrtausend vollzogen. Die Stadtlandschaften um Hongkong und Kanton, Shanghai und Peking entwickelten sich zu enormer Prosperität, die eine Welle der Modernisierung und Industrialisierung im ganzen Land auslösten. Das Motto, einige dürften schneller reich werden als andere, führte aber auch zu erheblichen sozialen Spannungen. Riesige, defizitäre Staatskombinate mussten geschlossen werden, ein Heer von Wanderarbeitern versuchte, in den boomenden Küstenstädten zu überleben und sogar zu wirtschaftlichem Wohlstand zu kommen.
Es gelang Chinas Führung nur schwer, die Probleme, die mit einer solch rasanten Entwicklung verbunden sind, im Griff zu behalten. Die Unzufriedenheit – auch politisch – wuchs.
Die Demonstration von Tausenden von Studenten auf dem Tien-an-men-Platz in Peking war wohl der Höhepunkt und das vorläufige Ende einer Opposition außerhalb der Partei, ein herausragendes Ereignis, das in Chinas Gegenwart keine Parallele findet.
Allerdings wächst die Zahl der öffentlichen Proteste auch in China — und zwar nicht nur in Tibet oder Ostturkestan, was dann im Westen als Ausdruck des Potestes gegen ethnische Diskriminierungen auf reges öffentliches Interesse stößt.
1993 waren nach Angaben unabhängiger Beobachter 8.700 öffentliche Proteste zu verzeichen, 1994 schon 10.000, dann 11.000 (1995), 12.000 (1996), 15.000 (1997) und 25.000 (1998). Diese Zahl hat über 50.400 Proteste (2003) bis 87.000 (2005) ein enormes “Wachstum” gezeigt. Erst 2006 war ein Rückgang auf 39.000 öffentliche Proteste zu verzeichnen (Quelle: EDITION LE MONDE diplomatique, Ausgabe 2007 Nr. 1). Das ist nicht unbedingt ein Zeichen der Verschlechterung der Lebensbedingungen, sondern vielmehr eines gewachsenen Protest- und Demokratiebewusstseins einerseits und einer wachsenden Toleranz staatlicher Stellen andererseits. Der Protest von Anliegern in Shanghai gegen die Verlängerung der Transrapid-Strecke (MAGLEV) wurde hingenommen, gewalttätige Exzesse wie Plünderungen aber werden (wie in jedem anderen Staat auch) mit Gewalt beendet. China, so scheint es, akzeptiert inzwischen öffentliche Protestkundgebungen, solange damit nicht der Herrschaftsanspruch der Partei insgesamt in Frage gestellt wird.
Öffnung nach Aussen:
Nach dem II. Weltkrieg war die Sowjetunion der „geborene Partner“ des kommunistischen Chinas, das sich immer noch im Konflikt mit der (von den USA unterstützten) Kuomingtang-Regierung auf Taiwan befindet.
Der Wunsch Maos, in den Besitz sowjetischer Atomwaffen zu gelangen, führte aber zu einer langen und massiven Unterkühlung der beiden kommunistischen Mächte, die – jede für sich – eine Führungsposition beanspruchten. Binnen kürzester Zeit wurden sowjetische Techniker aus militärischen und zivilen Entwicklungsprojekten abgezogen. Die Beziehungen erkalteten soweit, dass es zu militärischen Auseinandersetzungen an Amur und Ussuri kam, im Streit um Flussinseln, die jede der beiden Seiten für sich beanspruchte.
In der Entwicklung um Jahre zurückgeworfen und gehemmt sah sich Peking in der Not, neue Partner zu finden.
Eine deutliche wirtschaftliche Entwicklung ist – so sehen es auch die Pragmatiker in Chinas KP – nur mit westlichem know-how, mit großen privaten Investitionen und einem freien Markt möglich.
China hat daher nach Jahrzehnten der Isolierung eine breite Öffnung vollzogen, die in einer „strategischen Partnerschaft“ der USA mit der VR-China endeten.
Heute sind die Beziehungen zur Bush-Regierung wieder abgekühlt, während sich gleichzeitig die Erben der Sowjetunion als Partner anbieten. Insbesondere die russische Rüstungsindustrie ist auf Exportgeschäfte dringend angewiesen.
Eine 1993 für den internen Gebrauch hochrangiger Funktionäre entstandene Studie sieht die USA als potentiellen Gegner im chinesisch beanspruchten Einflussbereich des östlichen Pazifik. Diese Position wurde 1993 auf einer Tagung chinesischer Außen- und Sicherheitsexperten bekräftigt. Die daraus resultierende Forderung, eine strategische Partnerschaft mit Moskau einzugehen, wurde zunehmend umgesetzt.
Der auch in diesem Kontext eher “passive Zug” der chinesischen Politik zeigt sich auch heute noch. Konrad Seitz, bis 1999 deutscher Botschafter in Peking und Buchautor beschreibt die derzeitige “Bedrohung durch China” mit wenigen, prägnanten Worten: “China hat alles andere im Kopf als militärische Abenteuer.” und er liefert gleich eine zutreffende Begründung: “Die Regierung hat genug damit zu tun, das Land zu modernisieren und zu stabilisieren.”