China Volksrepublik Teil 1

 

China

Die wichtig­sten Infor­ma­tio­nen im Überblick:

Regierungs­form (Gov­ern­ment Type):Sozial­is­tis­che Volk­sre­pub­lik (Com­mu­nist State)

Karte China

Haupt­stadt (Cap­i­tal):Bei­jing (Peking)
Ein­wohn­er (Pop­u­la­tion):1,29566 Mrd.
Fläche (qkm) (Area (sq.km):9.572.419

Wehre­tat (Defence Bugdet):

 

29,9 Mrd. US-$ (2005)

inof­fz. bedeu­tend höher (über 60 Mrd. US-$)

BSP/Einwohner (GNP/Capita):1.100,- US-$

zum Ver­größern anklick­en (jpg-Datei, 264 kB)

Dat­en außer Wehre­tat oder ander­weit­ige Angaben dem Fis­ch­er Weltal­manach 2005 entnommen

 

 

Chi­na — Super­ma­cht im Wartestand?

Welt­macht des „Asi­atis­chen Jahrhunderts“

Es wird eine Ver­schiebung des wirtschaftlichen, poli­tis­chen und kul­turellen Epizen­trums von Europa und Ameri­ka nach Asien geben. Die uni­lat­eralen Zeit­en für die USA sind vor­bei. Chi­na wird in Kürze eine eben­bür­tige Welt­macht sein. Ob Wash­ing­ton dies akzep­tiert, ist die Schlüs­sel­frage des 21. Jahrhun­derts. Bleiben die USA ler­nun­fähig, ist der Welt­frieden in Gefahr.”

 

Zitat: Eura­sis­ches Mag­a­zin 07/08 — 2007, Inter­view mit dem Wirtschaft­sjuris­ten Dr. Karl H. Pilny

Bevölkerung: 1,3 Mil­liar­den, davon ca. 900 Mio. Bauern
Staatsvolk: Han-Chi­ne­sen und diverse Min­der­heit­en
Lan­des­fläche: 9.572.909,00 km² (Wel­trang 4), davon 15% Wald und Busch­land, 10% Ack­er­land, 30% Wiesen und Wei­den (zum Ver­gle­ich: USA 9.809.155 km²)
Aus­dehnung: W‑O 4500 km, N‑S 4200 km
Lan­des­gren­zen: 22 146 60 km (Afghanistan 76 km, Bhutan 470 km, Bur­ma 2 185 km, India 3 380 km, Kasach­stan 1 533 km, Nord­ko­rea 1 416 km, Kir­gis­tan 858 km, Laos 423 km, Mon­golei 4 676 km, Nepal 1 236 km, Pak­istan 523 km, Rus­s­land 3 645 km, Tad­schik­istan 414 km, Viet­nam 1 281 km)
Küste: 14 500 km
Haupt­stadt: Peking (Bejing)

Brut­toin­land­spro­dukt (BIP): 2006 > 20 Bil­lio­nen Yuan (1,9 Bil­lio­nen Euro)
BIP pro Kopf: 1.100 US-$ (2002) 2.010 US-$ (2006)
BIP Wach­s­tum 1999 — 2003: 7,9 Prozent
BIP Wach­s­tum 2004 — 2007: > 10 Prozent
BIP Wach­s­tum 2007: 11,9 %
BIP Wach­s­tum 2008: 10,7 % (Prog­nose)

BIP Wach­s­tum 2011: 9,3 %
BIP Wach­s­tum 2012: 7.8 %
BIP Wach­s­tum 2013: 7,7 % (Arbeit­slosen­quote: 4,1 %)

Infla­tion­srate: 1995: 17,1 %; 1996: 8,3 %; 1997: 2,8 %; 1998 bis 2003: um 0 %; 2004: 3,9%

Exportwach­s­tum 1999 — 2003: 18,6 Prozent
Fremd­währungsre­ser­ven (2003): 470 Mil­liar­den Dol­lar;
Nov. 2006: 1 Bil­lion Dol­lar (ca. 60 % US-$ , ca. 30 % €)
Juni 2007: 1,2 Bil­lio­nen Dol­lar;
Juli 2007: 1,4 Bio. $;
März 2008: 1,68 Bil­lio­nen US-Dol­lar;
Okto­ber 2010: 2,65 Bil­lio­nen US-Dollar

Haushalts­de­fiz­it 2003: 2,3 Prozent
Staatsver­schul­dung: 12,2 Prozent des BIP
Mobil­funk­teil­nehmer: > 460 Mil­lio­nen (2007)
Inter­net­zu­gang: 1997: 620.000, 2003: 80.000.000 und stark zunehmend (Zuwachs 2000 — 2005: > 390 %); 2007 (Juli): 162 Mil­lio­nen;
(im Olympia­jahr 2008 benutzten 17 % der Bevölkerung das Inter­net — und 17 % der Bevölkerung lebten von einem Dol­lar Tageseinkommen)

Mil­itärhaushalt 2005: (offiziell) 247 Mil­liar­den Yuan (heute 22,7 Mil­liar­den Euro) + 12,5 %
Mil­itärhaushalt 2004: offiziell ca. 20 Mil­liar­den Euro
US-Experten schätzen den tat­säch­lichen Mil­itärhaushalt auf die dop­pelte Größe

Energiev­er­sorgung:
Atom­kraftwerke im Bestand 11 Reak­toren, 8.700 MW; davon 2 in 2005 fer­tig gestellt
geplant:
5 Reak­toren (3 in der östlichen Prov­inz Shan­dong, 1 in der nordöstlichen Prov­inz Jilin und 1 in der nordöstlichen Prov­inz Liaon­ing nahe Dalian) in Bau
bis 2020 ca. 30–35 neue Reak­toren mit rund 30.000 MW und Kauf eines “Schnellen Brüters” aus Deutsch­land (Kalkar) beabsichtigt.

EINFÜHRUNG:
Kaum ein Staat dieser Erde hat einen so ras­an­ten Wan­del hin­ter sich gebracht wie Chi­na. Kaum ein Staat wirkt zugle­ich so geheimnisvoll und fremd, so bedrohlich und zugle­ich antiquiert, so frem­dar­tig und doch irgend­wie ver­traut, Wolkenkratzer und Wüsten, Yak – Her­den und Reit­er­nomaden – Chi­na, Reich der Mitte, regionaler Macht­fak­tor, Atom­waf­fenbe­sitzer, Wel­traumpro­gramm, überquel­lende boomende Mil­lio­nen­städte im Osten – Super­ma­cht im Warte­s­tand?
Chi­na ist ein Land, ach was, ein Kon­ti­nent der Gegen­sätze. Von den nördlichen Gren­zen der Mand­schurei, vom Amur an der Gren­ze zu Sibirien bis zu Koral­lena­tollen im süd­chi­ne­sis­chen Meer, von Wüstenoasen bis zur Paz­i­fikküste, von den Hochebe­nen und Gebir­gen Tibets bis kurz vor Wladi­wos­tok reicht der Macht­bere­ich der Pekinger Regierung.
Macht­bere­ich? Vieles spielt sich weit weg von Peking ab; solche großen Ent­fer­nun­gen führen zu lokalen Tra­di­tio­nen und Eigen­ständigkeit­en. Das von etwa 1 Mil­liarde Men­schen als „Mut­ter­sprache“ gesproch­ene Chi­ne­sisch etwa umfasst 7 Haupt­sprachen und eine Vielzahl von Dialek­ten, die eben­falls bere­its als eigen­ständi­ge Sprachen beze­ich­net wer­den müssten. Die größte dieser Sprach­grup­pen ist das „Man­darin-Chi­ne­sisch“, das sich auch als „Hochsprache“ in ganz Chi­na durchge­set­zt hat.
Ein “Kan­ton-Chi­nese” wird von einem Man­darin sprechen­den Nord­chi­ne­sen nicht ver­standen. Sprachen / Copyright: Westermann

Ein­heitlich ist lediglich die „Schrift­sprache“, eine in ganz Ostasien ver­bre­it­ete Bilder- und Sym­bol­schrift, die keine Laut­sprache wiedergibt und daher auch über Sprach­gren­zen hin­weg über­all geschrieben und gele­sen wer­den kann. 

Zu diesen – im eigentlichen Sinn chi­ne­sis­chen – Sprachen des Staatsvolkes der Han kom­men viele Min­der­heit­en­völk­er, vom Süden Chi­nas über Tibet, Sinkiang und die Mon­golei bis hin zur (seit dem zweit­en Weltkrieg sin­isierten) Mand­schurei, die vor allem in den Rand­bere­ichen des Riesen­staates eigen­ständi­ge Kul­turen bilden. 

Der Gang der vieltausend­jähri­gen chi­ne­sis­chen Geschichte lässt sich in weni­gen Sätzen zusammenfassen: 

1. Die Träger der chi­ne­sis­chen Kul­tur — begin­nend am ursprünglichen Zen­trum am Unter­lauf des Gel­ben Flusses — waren Acker­bauern, deren Expan­sion sich über alle erre­ich­baren Gebi­ete erstreck­te, in denen Acker­bau möglich war.
So vol­l­zog sich die Aus­dehnung des chi­ne­sis­chen Reich­es nach Nor­den und West­en bis zum Rande der Steppe und des tibetanis­chen Hochge­birges, er endete dort, wo man­gel­nde Nieder­schläge den Acker­bau ver­hin­derten. Acker­bauer sind defen­siv eingestellt. Es geht ihnen nicht um die Eroberung eines Reich­es, son­dern um die Bewahrung der Scholle als Lebens­grund­lage. Die Völk­er außer­halb dieses land­wirtschaftlich genutzten Bere­ich­es waren und blieben Bar­baren. Noma­disierende Hirten, die nicht zur Kul­tur des Acker­baues fähig waren. Sinnbildlich spiegelt sich diese Ein­stel­lung in der “chi­ne­sis­chen Mauer” wieder. Eine Mauer stellt psy­chol­o­gisch eine Vertei­di­gungslin­ie dar. Es wird gegenüber allen Bewohn­ern demon­stri­ert: bis hier­her reicht unsere Macht. Wir gehen nicht weit­er — aber ab hier begin­nt unsere Vertei­di­gung. Bis zu dieser Grenz­markierung erstreck­te sich das Reich des Acker­baues. Mil­itärisch offen­siv zeigte sich das chi­ne­sis­che Reich in der Ver­gan­gen­heit immer nur, wenn die Bar­baren den “Drachen­thron” bestiegen hat­ten. So fand unter der mon­golis­chen Herrschaft (im West­en durch Mar­co Polo genau­so ide­al­isiert wie durch die Namen Dschings Khans oder Tam­ler­ans mit Schreck­en behaftet) eine mil­itärische Expan­sion nach Süden wie auch der — verge­bliche — Ver­such ein­er Inva­sion Japans mit ein­er riesi­gen Dschun­ken­flotte statt.
In südlich­er Rich­tung ergab sich keine “natür­liche Expan­sion­s­gren­ze”, und so ist es in der gesamten Geschichte Chi­nas zu ein­er nie enden­den Expan­sion nach Süden gekom­men. Die chi­ne­sis­chen Bauern über­schwemmten die Ebe­nen, die Täler, und die Urbevölkerung wurde entwed­er assim­i­liert, in unwirtliche Gegen­den auf Berge und Hügel oder — wie das Volk der Viet oder der Thai — weit­er nach Süden ver­drängt. Hier liegen die his­torischen Wurzeln ein­er Urangst südostasi­atis­ch­er Völk­er wie der Viet­name­sen vor einem starken China. 

2. Ein zweit­er Wesen­szug der Geschichte ist das Streben nach poli­tis­ch­er Eini­gung dieser gemein­samen, auf der Land­wirtschaft beruhen­den chi­ne­sis­chen Kul­tur. Die über Jahrtausende hin kon­tinuier­liche Geschichte des chi­ne­sis­chen Reich­es und die damit ver­bun­dene Aus­dehnung führte ein­er­seits zu ein­er Dezen­tral­isierung in geo­graphisch geson­derte Gebi­ete, zur Entwick­lung eigen­er sep­a­rater Sprachen und ein­er Vielzahl von Dialek­ten aus dem “Han-Chi­ne­sis­chen”, und den­noch ist es den Chi­ne­sen gelun­gen — über alle Gren­zen hin­weg — ein ein­heitlich­es “Volks­be­wusst­sein” zu erhal­ten. Chi­ne­sisch — das ist die Zuge­hörigkeit zum Volk der Han, das ist vor allem die ein­heitliche Schrift, die keine Laut­sprache son­dern eine fast seit Urzeit­en unverän­derte Bilder­schrift darstellt. Diese Schrift ist das “eini­gende Kon­tin­u­um” bei allen dynamis­chen Entwick­lun­gen, der vor allem die Sprache unter­wor­fen war. Auf europäis­che Ver­hält­nisse umge­wan­delt würde es bedeuten, dass sich etwa die ange­höri­gen aller roman­is­chen Sprachen — von Por­tu­gal über Spanien, Frankre­ich und Ital­ien bis nach Rumänien — auch heute noch als “Römer” ver­ste­hen wür­den, und — das ist der Unter­schied zum Ver­ständ­nis Chi­nas — auch heute noch jede Regierung danach tra­cht­en würde, dieses eine Reich zu einen. Chi­ne­sisch sein heisst, einem ein­heitlichen Kul­tur­volk anzuge­hören — geeint durch eine sehr spezielle Aus­prä­gung von Bud­dhis­mus und Ahnenkult, durch ein Berufs­beam­ten­tum (Kon­fut­seanis­mus), die seit Jahrtausenden eine chro­nol­o­gis­che Geschichtss­chrei­bung des chi­ne­sis­chen Reich­es fort­führt. Die “Intellek­tuellen” der chi­ne­sis­chen Geschichte sind keine Philosophen im west­lichen Sinne, wie dies etwa seit Sokrates im Abend­land ide­al­isiert wird. Im Vorder­grund der Chi­ne­sen ste­ht die men­schliche Gesellschaft und die Prob­lematik des Zusam­men­lebens, die “ide­ale Ord­nung” in der Ebene des men­schlichen Geschehens, das zu einem Ide­al­bild der men­schlichen Gesellschaft entwick­elt wurde — ohne Demokratie, son­dern in einem har­monis­chen Kos­mos zwis­chen Bauern, Adel, dem Kaiser­haus und dem “Him­mel”. Men­schlich­es Ver­hal­ten kann nach dieser Denkweise entschei­dend auf das Naturgeschehen ein­wirken. Dieser Denkweise entspricht, dass Bauern und Regen­ten um ein har­monis­ches Miteinan­der bemüht sein müssen. Die Auf­gabe der Herrsch­er ist, den Wohl­stand der Bevölkerung zu sich­ern.
Chi­nas Geschichte spiegelt die Dynamik zwis­chen auseinan­der­streben­den Prov­inzen (bis hin zu den “war lords” der jüng­sten Geschichte) und ein­er mehr oder weniger starken Zen­tral­macht wieder, deren Bemühung auf Har­monie und die Ein­heit des Reich­es gerichtet ist. Solange es der Zen­tral­regierung gelang, den Wohl­stand des Volkes zu sich­ern, befand sich die herrschende Dynas­tie unter dem “Man­dat des Him­mels”. Naturkatas­tro­phen, Hunger­snöte, Eroberun­gen durch die Bar­baren — das war ein Zeichen, dass die Dynas­tie dieses “Man­dat des Him­mels” ver­loren hat­te, und Hunger­re­volten (heute als Rev­o­lu­tio­nen ide­ol­o­gisch ver­brämt) wie auch die Verselb­ständi­gung einzel­ner Prov­inzen führten dazu, dass eine zunehmend schwächere Zen­tral­regierung durch eine neue Dynas­tie abgelöst wurde — wobei das Haup­tau­gen­merk der Nach­fol­ger­dy­nas­tie wieder darauf gerichtet war, die Ein­heit des Reich­es unter der eige­nen Führung wieder herzustellen.
Dies ist der his­torische Hin­ter­grund des Stre­ites zwis­chen der Repub­lik Chi­na auf Tai­wan und der Volk­sre­pub­lik auf dem Fes­t­land. Bei­de Staat­en sehen sich als die legit­i­men Vertreter des gemein­samen Chi­nas — und bei­de chi­ne­sis­che Staat­en wis­sen, dass eine Verselb­ständi­gung der chi­ne­sis­chen Geschichte entsprechend dazu führen würde, dass eine gewalt­same Wiedervere­ini­gung sehr wahrschein­lich wer­den würde. 

3. Ein drit­ter Wesen­szug sei hier kurz angeschnit­ten: die auf Kon­fuz­ius beruhende, jahrtausende alte chi­ne­sis­che Staats­bürokratie mit ihrem Streben nach Har­monie, die mit der Rev­o­lu­tion 1911 einem Scher­ben­haufen, Chaos und Anar­chie Platz machte. Die chi­ne­sis­che Lern- und Lehrmeth­ode — über­spitzt in den Prü­fun­gen des kaiser­lichen Beam­ten­tums bis in die Neuzeit vorhan­den — geht nicht vom selb­ständi­gen Forschen aus, son­dern (man nehme sich nur die Unzahl der Schriftze­ichen vor) vom mech­a­nis­chen “Auswenig ler­nen” eines unendlichen Wis­sens. Dieses Wis­sen zu kopieren und behar­rlich anzuwen­den ver­schafft Ord­nung und Sicher­heit. Die Kopie ein­er guten Leis­tung ist höch­ste Anerken­nung, das indi­vidu­elle Schöp­fungswerk tritt demge­genüber zurück, indi­vidu­elle Leis­tung zer­stört die Har­monie, die sich in den typ­is­chen chi­ne­sis­chen Hof- und Fam­i­lien­häusern in den alten Stadtvierteln (Hutongs — chi­ne­sisch “Sihe Yuan” = Vier-Har­monien-Hof) auch städte­baulich niedergeschla­gen hat.
Für Kon­fuz­ius ist die har­monis­che Beziehung zwis­chen Men­schen die Grund­lage der Gesellschaft. Diese beruht wieder auf der Grund­lage der Har­monie in der Fam­i­lie und der “Ein­heit” (Dan­wei), ein­er struk­turellen Ebene der Clans in der vor­maois­tis­chen Gesellschaft. Die chi­ne­sis­chen Sprachenken­nen kein Wort für “Indi­vid­u­al­is­mus”. Der Begriff, der dem am näch­sten kommt, muss mit “Ego­is­mus” über­set­zt wer­den. Auch das völ­lig andere “Ver­tragsver­ständ­nis” rührt von diesem Hin­ter­grund. Ein Ver­trag besiegelt lediglich, dass bei­de seit­en koop­er­a­tiv zusam­men arbeit­en wollen, und har­monisch gemein­sam arbeit­en wollen, um dasvere­in­barte Ziel zu erre­ichen. Verträge kön­nten daher auch mit einem “mem­o­ran­dum of under­stand­ing” ver­gle­ichen wer­den. Es wäre unsozial, dem Ver­tragspart­ner das Fes­thal­ten an ein­er Vere­in­barung aufzuzwin­gen, wenn dieser aus unvorherge­se­henen Grün­den eine Ver­tragsän­derung benötigt. Das auf dem römis­chen Rechtssatz “pacta sunt ser­van­da” resul­tierende Ver­tragsver­ständ­nis des West­ens, das den Ver­trag und seine Erfül­lung über den Bedürfnis­sen des Ver­tragspart­ners stellt, ist dem chi­ne­sis­chen Gedankenkreis zunächst fremd. Es erscheint unsozial. Nicht der (abstrak­te) Ver­trag, son­dern die per­sön­liche Beziehungs- und Ver­trauens­ba­sis ist in Chi­na die Grund­lage für wirtschaftlich­es Han­deln. Diese Ver­trauens­ba­sis beste­ht zunächst inner­halb der eige­nen Fam­i­lie, dem eige­nen Clan, der Prov­inz und dann auch inner­halb der eige­nen Eth­nie. Auf dieser Basis haben sich die Fam­i­lienun­ternehmen Chi­nas gebildet, die große Teil der Wirtschaft z.B. in SO-Asien beherrschen. Dieses “Mod­ell” ist nicht uneffektiv.

4. Zurück zur alten Stärke: Chi­nas Geschichte ist von Zyklen geprägt — nach Zeit­en des Auf­schwungs gab es immer wieder Phasen der Erschöp­fung, der Wiren und des Zer­falls — bis das Reich unter neuen, starken Dynas­tien wieder geeinigt wurde. Wir erleben ger­ade das Ende ein­er solchen Unruhep­hase. Noch bis zum 18. Jahrhun­dert war der asatis­che Raum — ins­beson­dere Chi­na — das Zen­trum der weltweit­en Güter­pro­duk­tion. Erst die Schwäche der durch Palastin­tri­gen gelähmten Quing-(Mandschu-)Dynastie führte dazu, dass die mil­itärisch über­lege­nen europäis­chen Kolo­nial­staat­en das chi­ne­sis­che Reich unter sich “aufteilen” kon­nten (Opi­umkriege). Die Europäer prof­i­tierten dabei auch von inneren Auf­stän­den, etwa dem Taip­ing-Auf­s­tand (1850–1863) im südlichen Chi­na und dem Gebi­et der britis­chen Ein­flusssphäre, den islamis­chen Auf­stän­den (1855 — 1873) in Ost­turkestan und im West­en der inneren Mon­golei (rus­sis­che Ein­flusssphäre) sowie dem Boder­auf­s­tand (1900 — 1901), der Deutsch­land die Gele­gen­heit gab, seine Kolo­nial­ba­sis Tsing­tau zu ver­stärken. Am Ende hat­te Chi­na nicht nur Ein­flusssphären und Kolo­nial­ge­beite der Russen, Deutschen, Briten und Fran­zosen (nördlich von Indochi­na) zu dulden, son­dern Rus­s­lands Zaren hat­ten in Zen­tralasian, der Mon­golei und bis zum Amur-Gebi­et und der Insel Sachalin erhe­bliche Gebi­ets­gewinne zu Las­ten Chi­nas zu verze­ich­nen (“ungle­iche Verträge”). Auch Tibet wurde sein­erzeit unter britis­chem Mil­itärschutz aus dem chi­ne­sis­chen Staats­ge­bi­et her­aus­ge­tren­nt, allerd­ings ohne dass dies jemals durch völk­er­rechtlich verbindliche Verträge abgesichert wor­den wäre.

Mit dem Sturz der 2000 jähri­gen chi­ne­sis­chen Staat­saris­torkratie und dem Kaiser­tum stürzte das Land für eine Gen­er­a­tion bis zur “Kul­tur­rev­o­lu­tion” in Chaos, Bürg­erkrieg, Anar­chie mit rival­isieren­den regionalen Mil­itärdik­taturen, Gang­ster­ban­den, Parteien und ein­er japanis­chen Inva­sion, die den Krieg der “frem­den Lang­nasen” auf Zen­tral-Chi­na aus­dehnte. Erst mit der Etablierung der kom­mu­nis­tis­chen Macht unter Mao gelang es ein­er Zen­tral­regierung, die “Kriegsh­er­ren” und fremde Besatzungstrup­pen aus dem verbliebe­nen Staats­ge­bi­et zurück­zu­drän­gen — größ­ten­teils, denn auf Tai­wan (For­mosa) behauptete sich die von den Kom­mu­nis­ten unab­hängie “Repub­lik Chi­na” unter der vom Fes­t­land geflüchteten Kuom­intang, und mit Macao und Hongkong blieben zwei Kolo­nial­städte noch für Jahrzehnte erhal­ten. Damit war der Ter­ror auf dem Fes­t­land aber noch nicht been­det. Von Mao angezettelte Kam­pag­nen, die auch in Chi­na (und nicht nur in Tibet) Mil­lio­nen von Todes­opfern forderten, erschüt­terten das Land. Maos “Steinzeitkomm­nis­mus” stand im Ter­ror bru­tal­en Dik­ta­toren Afrikas nicht nach.

Es gibt kaum eine Fam­i­lie, die nicht von diesen Wirren erfasst wurde, kaum eine Fam­i­lie, die nicht unter diesem ent­fes­sel­ten Chaos lei­den musste. Selb­st höch­ste Parteikad­er, ja ger­ade auch die intellek­tuelle Elite des Lan­des wurde von dieser Anar­chie erfasst. Umso höher ist nun in bre­it­en Bevölkerungss­chicht­en das Streben nach Ord­nung. Erst langsam bildet sich eine kul­turell eigen­ständi­ge “Mit­telschicht” her­aus, in der sich das Bewusst­sein von “Indi­vidu­um” und “Per­sön­lichkeit”, von “per­sön­lichen Men­schen­recht­en” bildet.