Türkische Republik Nordzypern
Ein Problem der Annäherung an Europa stellt Zypern dar.
Die 1915 von England annektierte (vorher unter türkischer Oberhoheit stehende) ursprünglich von Griechen und Türken gemischt besiedelte Insel, 1960 in eine unstabile Unabhängigkeit entlassen, war über Jahrzehnte von Übergriffen beider Bevölkerungsgruppen erschüttert.
Im Juli-August 1974 inszenierte die griechische Militärjunta, die damals an der Macht war, einen Putsch auf Zypern. Unter dem Eindruck eines drohenden Anschlusses der Insel an Griechenland landeten am 20. 7. türkische Truppen und besetzten in einer zweistufigen Militäroperation den Nordosten der Insel, rund 40% der Gesamtfläche. Es kam zu großen Bevölkerungsverschiebungen (Flucht, Vertreibung, Umsiedlung), wodurch nahezu geschlossene Siedlungsgebiete der Volksgruppen entstanden.
1975 erklärte sich der türkische Teil zum “Föderativen türkisch-zypriotischen Staat”, dessen Präsident R. Denktas wurde. Verhandlungen zwischen den Volksgruppen blieben ergebnislos, da die Griechen auf einem Einheitsstaat mit begrenzt autonomen Kantonen bestanden, während die Türken eine lose Föderation zweier weitgehend selbständiger Staaten forderten.
Der Norden der Insel erklärte sich daraufhin 1983 einseitig zur unabhängigen “Türkischen Republik Nordzypern”. 1985 wurde durch Volksabstimmung eine Verfassung eingeführt. Die Türkei trat als Garantiemacht dem neuen Staat zur Seite, der aber international nicht anerkannt wurde.
Erst im Zuge von Verhandlungen mit der Europäischen Union – die durch das ungelöste Zypern-Problem erheblich belastet werden – zeichnet sich eine Entspannung und vielleicht sogar eine Lösung ab. So wurden im Jahre 2003 die bis dahin hermetisch abgeriegelte „Grenz“-Linie zwischen beiden Inselteilen auch für die Bewohner der jeweils anderen Seite geöffnet.
Allerdings hat die Hoffnung auf Wiedervereinigung in der Volksabstimmung vom 24. April 2004 eine herbe Enttäuschung erfahren. Zu entscheiden war über den UN-Wiedervereinigungsplan, der zwei formal gleichberechtigte Teilrepubliken mit einer gemeinsamen Regierung vorsah. Die gemeinsame Zentralregierung sollte nur wenig Kompetenzen haben — schließlich war auch die Aufnahme beider Teilrepubliken in die EU beabsichtigt.
Während der türkische Norden überwiegend für eine Aufhebung der Trennung war hat sich der bevölkerungsreiche Süden mit großer Mehrheit gegen die Vereinigung ausgesprochen. Während der Süden seit Mai 2004 unter EU-Flagge segelt und im Januar 2008 sogar den Euro einführt, wurde damit dem Nordteil der Insel die Angliederung an die EU verwehrt.
“Für Zypern tickt die Uhr” betitelt Marina Zapf (Nikosia) im November 2007 einen Artikel in der FTD. Die sich immer länger hinziehenden Verhandlungen über eine Wiedervereinigung der Insel würden mit einer immer größeren Kluft zwischen Griechen und Türken einhergehen. Die Idee einer Wiedervereinigung sei scheinbar nur noch in der internationalen Gemeinschaft vorhanden. Auch im türkischen Norden seit die Stimmung gekippt — über 60 % der türkischen Bewohner im Norden seien nach Umfragen inzwischen für eine “Zweistaatenlösung”. 120.000 Inseltürken und 160.000 anatolische Siedler leben inzwischen im Norden — geschützt von 40.000 türkischen Soldaten. Die Türkei, so wird kolportiert, würde eine Wiedervereinigung nur erlauben, wenn damit das letzte Hindernis für die Aufnahme der Türkei in der EU bereinigt würde. Mit anderen Worten: solange es wahrscheinlicher wird, dass die Türkei den Beitritt in die EU schafft (der inzwischen auch von immer weniger Türken gewünscht wird), solange wird auch die Wiedervereinigung der Insel gleichlaufend immer unwahrscheinlicher. Und die Zyperngriechen, die sich bereits gegen die Vereinigung ausgesprochen hatten, nutzen die Position in der EU um den türkischen Beitrittsprozess zu hintergraben.
Wenn es Europa nicht gelingt, mit dem Norden zu einer eigenständigen Lösung zu kommen — was Verhandlungen mit der von der EU nicht anerkannten Republik Nordzypern voraussetzt — wird als Folge zwangsläufig die Bindung zwischen Nordzypern und der Türkei noch enger werden.
Eine weitere Chance zur Wiedervereinigung der Insel wird sich dann nur bieten, wenn der Türkei selbst der — seit Jahren angestrebte — Beitritt zur EU gelingt.
Den Keim für eine solche Aufnahme des ehemaligen osmanischen Reiches in den Kreis des westlichen Europas hat Atatürk mit seinen Reformen gelegt. Ein Hindernis bilden — auch — die griechischen Zyprioten, die nur einen “griechisch-zypriotischen Staat mit türkische-zypriotischen Bürgern und ohne Minderheitenrechte” akzeptieren. 80 % der 730.000 griechischen Zyprioten aus dem Süden sollen — so heißt es — gegen einen gemeinsamen Bundesstaat und damit gegen die Wiedervereinigung mit dem Norden sein. Das wiederum ist für die Türken nicht annehmbar. Die fordern etwas, was den Kurden in der Türkei verwehrt wird: umfassende Minderheitenrechte für den kleineren Teil einer ethnisch gemischten Bevölkerung.