Energiedrehscheibe für Europa?
Die Türkei liegt geographisch genau im Zentrum zwischen dem energiehungrigen Europa und den an Öl- und Gas reichen Staaten des Nahen Ostens, Zentralasiens und Russlands. “Blue Stream” — eine Gasleitung - durchquert von Russland her kommend das Schwarze Meer und endet am türkischen Schwarzmeerhafen und Badeort Samsun am Schwarzen Meer. Die Leitung soll nach Ceyhan am Mittelmeer verlängert werden, um den sensiblen Bosporus zu entlasten und die Tanker direkt am Mittelmeer befüllen zu können. Russland hat vorgeschlagen, im Schwarzen Meer eine weitere Blue-Stream-Abzweigung zu bauen und noch mehr Gas durchzupumpen, was den Status der Türkei als Energiedrehscheibe weiter erhöhen würde.
In Ceyhan endet auch die Erdölleitung aus dem Irak, die derzeit (noch) still liegt, aber nach der Einigung der irakischen Zentralregierung mit der kurdischen Provinz über die Aufteilung der Erlöse des im kurdischen Norden gewonnenen Öls bald wieder in Betrieb gehen könnte. Die Türken bereitet inzwischen (Stand Januar 2009) den Bau der großen Samsun-Ceyhan-Ölpipeline mit einer Kapazität von 50 bis 70 Millionen Tonnen Erdöl vor. Die 550 Kilometer lange Abzweigung soll Samsun mit Kirikkale (15 Kilometer von Istanbul entfernt) verbinden und an die bereits existierende Ceyhan-Kirikkale-Ölleitung angeschlossen werden.
Mit der Eröffnung einer gigantischen, fast 1.800 km langen Pipeline, die “schwarzes Gold” — Erdöl — von Baku am kaspischen Meer über Georgien und Erzurum bis nach Ceyhan ans Mittelmeer pumpt, ist der Osten des Landes und das “zentralasiatische Hinterland” der verwandten Turkvölker Zentralasiens in das Bewusstsein der Öffentlichkeit gerückt. Der 4. Juni 2006 — an dem der erste 600.000 Barrel-Tanker beladen wurde — kann vielleicht als Wendepunkt in der Orientierung des Landes verstanden werden.
Die Pipeline ist zum einen ein strategisches Objekt, das die zentralasiatischen Staaten von russischen Transferleistungen unabhängig macht und einen direkten Absatz der gigantischen Ölreserven in den Westen ermöglicht. Über 100 Mrd. Barrel Erdöl und 600 Mrd. Kubikmeter Gas werden im Einzugsgebiet der Pipeline unter dem Kaspischen Meer vermutet, und ab 2007 sollen die Ölfelder Kaschagan (Kasachstan, 40 Mrd. Barrel) und Tengis an die Leitung angeschlossen werden. Über die Pipeline können täglich bis zu 1 Mio. Barrel Erdöl — an Russland und am Nadelöhr Bosporus vorbei — in den Westen gepumpt werden.
Dazu kommt eine parallel verlaufende Gasröhre, mit der ab September 2006 auch Gas transportiert werden kann.
Zudem wird ab 2010 mit dem Bau einer neuen Gasleitung “Nabucco” gerechnet, deren Errichtung 2013 abgeschlossen sein soll. Für den Pipelinebau wurde das Konsortium Nabucco Gas Pipeline International GmbH gegründet. Mit Anteilen von je 16,67 Prozent nehmen daran die Unternehmen OMV Gas & Power GmbH (Österreich), MOL (Ungarn), Bulgargaz (Bulgarien), Transgaz (Rumänien), Botas (Türkei) und RWE Supply & Trading GmbH (Deutschland) teil. Die über 3 300 Kilometer lange Erdgasleitung sollte ursprünglich eine Kapazität von bis zu 31 Milliarden Kubikmeter im Jahr haben. Alleine das Gasvorkommen des Shah-Deniz-Feldes in Aserbaidschan wird auf bis zu 100 Mrd. cbm Gas geschätzt — genug, um nicht nur die Lieferverträge mit Russland zu erfüllen. Das Projekt, an dem insgesamt 15 Länder teilnehmen, sieht die Verlegung einer Erdgasleitung über Aserbaidschan, Georgien und die Türkei und dann über Bulgarien, Ungarn, Rumänien und Österreich vor. Die geplante Pipeline soll an die bereits fertig gebaute Strecke Baku-Tiflis-Erzurum angeschlossen werden, um das mittelasiatische und kaspische Erdgas an Europa zu liefern. Über den Anschluss an die bestehende Gasleitung in Erzurum, die über Ankara bis in den Norden Griechenlands führt, kann auch Europa von den Gasvorkommen in Aserbaidschan profitieren. Ursprünglich gerade für iranisches Gas gedacht, hat die Blockade zwischen den USA und Iran inzwischen zu einer Umorientierung geführt. Derzeit wird zunächst auf Erdgas gehofft, das aus Zentralasien und Aserbaidschan über die Route Türkei-Bulgarien-Rumänien-Ungarn-Österreich geliefert werden — und so die Abhängigkeit von russischen Lieferungen reduzieren — soll. Vor allem auch die USA bemühen sich, diese Anbindung umzusetzen — wohl auch um über Verflüssigungsanlagen in türkischen Häfen selbst Zugriff zu den zentralasiatischen Gasfeldern zu erhalten. Die Pipeline schafft neue Wirtschaftsbeziehungen — und neue politische Allianzen.
War es vorübergehend “ruhig” geworden, so hat der Streit zwischen der Ukraine und Russland und Gas- und Transitpreise — der im Januar 2009 zum wiederholten Mal zur Schließung der ukrainischen Transitpipelines für russisches Gas geführt hat- das Interesse an Nabucco wieder belebt. Vor allem Österreich und die Balkanstaaten haben großes Interesse an der Fertigstellung dieser Alternativroute, mit der die Ukraine umgangen wird. Als potentieller “Lieferant” wurde der turkmenische Präsident Gurbanguly Berdymuchamedow für den 7. Mai 2009 zum Gipfel der Teilnehmerländer am Bauprojekt eingeladen. Allerdings werden zunehmend “kleinere Brötchen gebacken”. Nachdem die Türkei und Aserbaidschan für etwa 5,6 Milliarden Euro eine gemeinsame Gasleitung (Tanap) errichten wollen, wird die eigentliche “Nabucco-Pipeleine” kürzt von knapp 4.000 Kilometern auf 1.300 Kilometer verkürzt. Die türkisch-aserbaidschanie Gasleitung soll jährlich 16 Milliarden Kubikmeter Gas durch die Türkei transportieren, wovon 6 Milliarden Kubikmeter für die Türkei selbst bestimmt werden. An der türkisch-bulgarische Grenze wird dann die Übergabe an die “Nabucco-Leitung” erfolgen, und so die Verbindung über den Balkan bis Österreich und an das mitteleuropäische Erdgasnetz geschlossen werden.
Eine zweite (alternative?) Route sieht eine Verlängerung der bestehenden Gaspipeline von Nordgriechenland bis nach Italien vor. Ein knapp 300 Kilometer lange Pipeline-Abschnitt von Bursa in der Türkei nach Komotini in Griechenland, der zu zwei Dritteln durch türkisches Gebiet führt, ist seit November 2007 eingeweiht. Die Leitung wird zunächst 250 Millionen Kubikmeter Gas pro Jahr transportieren. Bis 2010 soll das Gas vom Kaspischen Meer durch die Türkei und Griechenland durch eine neue 220 Kilometer lange Unterwasserleitung nach Italien weitergeleitet werden. Einen entsprechenden Vertrag haben Italien, Griechenland und die Türkei bereits unterzeichnet. Die Türkei hat eine “Trumpfkarte” in den Beitrittsverhandlungen mit der EU in der Hand. Die türkische Regierung verlangt dann auch, dass in den Beitrittsverhandlungen das Kapitel über die Energiefragen vorgezogen verhandelt wird.
Der Handel zwischen Aserbaidschan und der Türkei ist bereits von 2003 bis 2004 um 20 Prozent auf rund 500 Mio. US-Dollar im Jahr gestiegen und wird durch den Erdöl- und Gastransport — an dem die Türkei kräftig verdienen möchte — noch weit deutlicher steigen. Die Verlängerung der Pipeline über das kaspische Meer wird auch Turkmenistand und Kasachstan in diese Reihe aufnehmen. Die Türkei entwickelt sich (neben China) zum wichtigsten Handelspartner der türkischen Staaten Zentralasiens.
Die Türkei, Georgien und Aserbaidschan haben sich in einer durch Stahlröhren verbundenen Allianz zusammen getan, die sich am Westen und nicht mehr am russischen Nachbarn orientiert. Georgien und Aserbaidschan arbeiten — zum Ärger Russlands — zunehmend mit NATO-Organisationen zusammen. Über Aserbaidschan hinaus engagieren sich mehrere hundert türkische Firmen inzwischen zunehmend in Turkmenistan, vor allem im Bereich der Energieindustrie. Die Türkei ist dort größter Investor — und zugleich größter Auftragnehmer für staatliche Aufträge. Von Kraftwerken über Öl- und Gasraffinerien bis zur Regierungsgebäuden wird vieles von türkischen Firmen gebaut. Mit einer Verlängerung der Pipeline bis nach Kasachstan wird auch dieser zentralsiatische Staat unabhängiger von russischer Transfermöglichkeit — und neben China wird der Westen zu einem der wichtigsten Abnehmer der zentralasiatischen Öl- und Gasvorräte werden. Der Weg in den Westen führt für die zentralasiatischen Turkstaaten über die Türkei — die somit zu einem natürlichen Verbindungsglied zwischen Europa und Zentralasien wird.
Ceyhan entlastet Istanbul — im Jahre 2005 wurden (vor allem auf russischen Tankern) rund 150 Mio. t. Rohöl durch die schwierige Wasserstraße transportiert. Fast im Viertelstundentakt schlängeln sich die behäbigen Tanker bisher an Istanbul vorbei. Mit jedem Tanker, der sein Öl oder Gas aus Ceyhan holt, wird das Risiko eines katastrophalen Unfalls in Istanbul gemildert. Gleichzeitig entstehen im unterentwickelten Osten des Landes neue Wirtschaftsanlagen. Die Türkei — selbst ohne entsprechende Vorkommen — kann nun als Energiekorridor dienen und an der Pipeline die Industrien ansiedeln, die einen hohen Energieverbrauch haben. Ceyhan wird zu einem zentralen Umschlagplatz, ein “zweites Rotterdam”, wie der türkische Energieminister Hilmi Gülmer schwärmt.
Ceyhan entwickelt sich zu einem “Energiedrehkreuz” der Osttürkei.
Die volle Wiederinbetriebnahme der beiden Ölpipelines nach Kirkuk und Mossul im (kuridschen) Irak wird eine weitere Energiequelle sein, eine zusätzliche Pipeline, die vom russischen Noworissisk über den türkischen Schwarzmeerhafen Samsun nach Ceyhan führen soll, ist inzwischen projektiert — genauso wie die Verlängerung über das Mittelmeer zum israelischen Aschkelon. Gaslieferungen aus dem Irak und anderen arabischen Staaten sind inzwischen ebenfalls vereinbart.
Aber trotz aller Beziehungen zu Aserbaidschan: nach Russland ist der Iran der zweitwichtigste Gaslieferant der Türkei (Stand Sommer 2007). Dementsprechend lässt sich die Türkei auch nicht von amerikanischen Boykott-Aufrufen gegen den Staat der Mullahs beeindrucken. Türkische Firmen wollen im Südiran neue Gasfelder erschließen und mehr als 30 Mrd. Kubikmeter des wertvollen Rohstoffes direkt — über eine mehr als dreieinhalbtausend Kilometer lange Pipeline — von der Quelle beziehen — also doch iranisches Gas für Nabucco und Europa? Irans Außenminister Manuchehr Mottaki bezeichnete, so RIA Novosti, noch im Frühjahr 2008 die Beteiligung am Nabucco-Projekt als „einen der möglichen Bereiche der Zusammenarbeit zwischen Iran und der EU“. Schließlich wollte der österreichische Energiekonzern OMV das weltgrößte Gasvorkommen Süd-Pars in Iran erschließen, und übe Nabucco für Europa nutzbar machen. Ein Abzweig der Leitung soll auch turkmenisches Gas in die Türkei leiten. Und auch der Irak kann von Nabucco profitieren. Nuri al-Maliki, der irakische Ministerpräsident, hat im April 2008 in Brüssel die bevorstehende Unterzeichnung eines Gaslieferungsabkommens zwischen der EU und dem Irak angekündigt. Ab 2011 sollten rund 5 Mrd. cbm Erdgas geliefert werden. Dazu allerdings muss es der Türkei gelingen, mit den Kurden — und dem kurdischen Nordirak, aus dem das Gas kommen wird — eine friedliche Form des Zusammenlebens und der Kooperation zu entwickeln. Auch Ägypten hat zugesagt, ab Ende 2009 — nach Fertigstellung der “Arabischen Gaspipeline”, die mit der Nabucco-Leitung verbunden werden soll — jährlich 2 Mrd. cbm Erdgas zu liefern.
Mit der zunehmenden Enttäuschung über eine zögerliche Aufnahme der Türkei in die EU geht also eine Stärkung der Verbindungen zu den türkischen Staaten Zentralasiens einher. Der Fokus der Türkei richtet sich zunehmend nach Osten. Hier werden zunehmend die natürlichen Verbündeten, die natürlichen Allianzen gesehen — der Ruf nach Turan, der Koalition aller türkisch sprachigen Staaten Asiens, wird lauter.
Die Türkei bezieht seit Jahren Erdgas aus dem aserbaidschanieschen Feld Sha Deniz 1. Die Erschließung des zweiten Feldes — Sha Denzi 2 mit erwarteten 25 Mrd. Investitionsvolumen — wird erfolgen, sobald Aserbaidschan dauerhaft höhere Erlöse erzielt. Mit einer Vereinbarung vom Sommer 2010 hat die Türkei diese Abnahmegarantie erfüllt. Damit wird auch der Bau von Nabucco — der Gaspipeline nach Europa — immer wahrscheinlicher. Rund 10 Mrd. Kubikmeter Gas sollen über die Leitung schon in den ersten Jahren nach Europa gepumpt werden. Weitere — nun (2010) aktuell rund 14 Mrd. Kubikmeter — sollen aus dem Nordirak und 10 Md. Kubikmeter aus Turkmenistan kommen. Die Türkei entwickelt sich zunehmend zum Bindeglied zwischen Europa und der islamischen Welt.
Verbindungen nach Zentralasien:
In Zentralasien stellen sich die Interessen der Türkei und der USA zunehmend gegensätzlich dar.
Die Türkei sieht sich als Förderer einer panturanischen, großtürkischen Idee. In der Konsequenz müssten die Wirtschaftsbeziehungen untereinander gestärkt und die Wertschöpfung für die Produkte der Region auch auf regionaler Ebene gewonnen werden. Die USA dagegen versuchen (nach dem Motto „divide et impera“), den US-Konzernen und damit sich den Zugriff auf die reichen Erdöl- und Erdgasvorkommen in Zentralasien zu sichern. Die zentralasiatischen Staaten sind dabei, dem Weg der Türkei zu folgen. Sie haben erkannt, dass die bisherige Abhängigkeit von Russland nur über China im Osten — oder die Türkei im Westen — beendet werden kann, denn nur dort befindet sich ein Markt für die Produkte der zentralasiatischen Staaten, für Erdöl und Erdgas.
Die Pipeline über Georgien nach Ceyhan ist nur der erste Schritt einer wesentlich intensiveren Erneuerung der uralten Seidenstraße. Eine Transeurasische Bahn soll auf der Route China – Kasachstan – Türkei – Europa (mit einem Tunnel unter dem Bosporus) die beiden historischen Endpunkte der Seidenstraße verbinden. Die Strecke zwischen Istanbul und Ankara soll dabei zu einer Hochgeschwindigkeitstrasse ausgebaut werden. Das Eurasische Magazin hat darüber bereits ausführlich berichtet. In Xinjiang (oder Ostturkistan) — der künftigen Verkehrsdrehschreibe in Chinas Westen — sind die Arbeiten bereits weit fortgeschritten. Nur Der Westen hängt etwas hinterher.
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Kasachstan und zentralasiatisch-türkische Staaten — (www.defence-forum.net)
Verbindungen nach Arabien:
Die Erdölpipeline zwischen Irak und Ceyhan wartet auf das Ende eines Dornröschenschlafes. Die mehrere tausend Kilometer legendäre Bagdad-Bahn, die Istanbul mit Bagdad und Basra am persischen Golf verband — ist seit Jahren nur mehr in Teilstrecken befahrbar, soll aber nach einem Abkommen zwischen der Türkei und dem Irak aus dem Jahre 2002 wieder hergestellt werden. Inwieweit dann auch die Zweigstrecke nach Syrien und Jordanien (Hedschas-Bahn), einst bis Saudi-Arabien führend) erneuert wird, bleibt abzuwarten.
Von dieser fragilen Stabilität profitieren vor allem die (kurdischen) Transportunternehmer Ostanatoliens, deren Lastwagenflotte sich in langen Schlangen an den Grenzen zum kurdischen Nordirak stauen.
Die politische Lage am Südrand der Türkei lässt eher die Stationierung von Streitkräften als die Wiederaufnahme des Bahnverkehrs erwarten.
Verbindung in den Iran:
Eine weitere Bahnstrecke gilt es noch zu nennen: von Ankara führt ein regelmäßiger Zugverkehr (nur durch eine Fährverbindung über den Van-See unterbrochen) nach Teheran. Der Iran ist einer der wichtigsten Handelspartner der Türkei — und von kurdischen Autonomiebestrebungen genauso betroffen wie die Türkei selbst.
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