Terrorprobleme in Saudi Arabien:
Inzwischen richtet sich der Terror der Al Qaida auch gegen die Saudische Herrschaftsfamilie selbst. Bombenanschläge (Anfang November 2003) auf die Wohnviertel ausländischer — vor allem arabisch stämmiger — “Gastarbeiter” und Glaubensgenossen (Muhadscha in Riad), noch dazu im Fastenmonat Ramadan, wirken wie ein Fanal auf ein Beben, dass die Arabische Halbinsel und gesamte arabische Welt erschüttern könnte. “Was die Terroristen machen, zeigt eine neue Entwicklung, sie versuchen, die Macht zu übernehmen” kommentierte die halboffizielle Tageszeitung “ar-Riad” den Anschlag, also als einen Angriff auf die Stabilität des Staates und auf die Herrscherfamilie selbst. Während die saudische Herrscherfamilie noch hadert, wie dieser Bedrohung entgegnet werden kann — der Saudi Araber Osama Bin Laden war lange Zeit sogar zuerst als Wahhabitischer Eiferer, dann möglicherweise in der Hoffnung auf ein Stillhalten gefördert worden — beginnt sich eine Behandlung nach dem Motto “Reform” und “Unterdrückung” abzuzeichnen.
König Fahd — schwer erkrankt — stützte noch Vermittlungsgespräche, er suchte den Dialog “mit jenen, die hinter diesen Gewaltakten stehen”, und politische Führer wie der einflussreiche Scheich Safir al-Hawalli wie auch dem Herrscherhaus nahestehende religiöse Führer haben sich als Unterhändler für Gespräche mit den Fundamentalisten angeboten. Die Terrororganisationen sollen “ruhig gestellt” werden — und ansonsten alles möglichst “beim alten” bleiben.
Der seinerzeit regierende saudische Kronprinz und seit August 2005 neuem König Abdullah propagierte die Zulassung von Menschenrechtsorganisationen, und die “weitere Öffnung” des Berufslebens für Frauen (was die Konkurrenz zum gelangweilten männlichen Nachwuchs um die raren Arbeitsplätze noch mehr verstärken könnte). Beginnend mit Kommunalwahlen im Jahre 2004 soll auch mehr demokratische Legitimation im Ölreich einkehren — bis im Jahr 2006 zumindest ein Teil des Stämmerates, der Schura, aus frei gewählten Volksvertretern bestehen wird. Die Fundamentalisten der wahhabitischen Geistlichkeit sollen dagegen durch Bücher- und Redeverbote, neue Lehrpläne an den Schulen und Universiäten neutralisiert werden.
Gleichzeitig zeigt Prinz Natif (“Wir werden auch das letzte Versteck der Verschwörer ausräuchern”) — als Innenminister auch Dienstherr einer Anti-Terror-Elitetruppe “Qawat Chassa” — verstärkt Härte. Am 11. November 2003 drang die Elitetruppe noch vor dem Morgengrauen in einer Blitzaktion in eine angeblich von Extremisten genutzte Wohnung (Batha-Viertel) ein, tötete fünf vermeintliche Terroristen und nahm zwei weitere fest. Natif hält angeblich wenig von den Reformvorhaben des Kronprinzen. Während er den fundamental-religiösen Eiferern die “Freiheit des Wortes” gewähren will, sollen terroristische Auswüchse durch die Sicherheitsdienste unter Kontrolle gehalten und ggf. vernichtet werden.
Im Wettlauf um die Macht nach dem Tode König Fahds in der Herrschaft über Saudi Arabien wird nicht nur die Zukunft der arabischen Halbinsel, sondern wahrscheinlich auch die künftige Entwicklung der gesamten arabischen Welt — zwischen religiösem Fundamentalismus, Demokratie und modernern Industrialisierung — entschieden werden.
Die Zukunft Saudi-Arabiens?
Als Voraussetzung für eine moderne, im globalen Maßstab wettbewerbsfähige Gesellschaft in der “Nach-Öl-Ära” muss eine völlige Umstrukturierung des saudi-arabischen Bildungssystems erfolgen, mehr Universitäten mit westlichem Standard für die Ausbildung von Wirtschaftswissenschaftlern, Managern und Ingenieuren, Chemikern, Physikern und Medizinern wären zu fordern. Dieses universitäre Wissenschafts- und Hochschulkonzept wird immense Summen verschlingen, die Saudi-Arabien aus seinen Erdölerträgen immer weniger bereitstellen kann.
Dennoch leistet sich Saudi-Arabien einen gigantomanischen Wettlauf mit den arabischen Fürstentümern am Golf. In Riad wurde im Frühjahr 2003 mit dem “Al Malage-Tower” (Turm des Königreichs) ein 300 m Hochhaus errichtet, das sich — fast einem Flaschenöffner vergleichbar — ab dem 30. Stockwerk in Zwillingstürme teilt, deren oberste Etagen wieder durch eine Stahlbrücke verbunden sind.
Wenn mit diesen Projekten die Zukunft des Landes gesichert wird, und Wissen und Können zur Errichtung und zum Betrieb durch einheimische — arabische — Kräfte in die saudischen Wüsten übertragen werden, ist gegen solche Projekte nichts einzuwenden. Problematisch würde es aber, wenn es sich hierbei um pharaonische Großprojekte handelt, um aufgepfropfte, nicht verwurzelnde Projekte, um gigantische Grabmale einer aus dem Ölreichtum vorübergehend erstarkten Monarchie, die nach dem Ende der Ölförderung wieder in die staubige Bedeutungslosigkeit eines provinziellen Wüstenstaates mit wenigen Handelsstädten zurückfällt.