“Freiheit der Religion existiert nicht. Der Islam ist die offizielle Religion und alle Staatsangehörigen müssen Muslime sein. Die Regierung verbietet die Ausübung aller anderen Bekenntnisse.”
(königliches Regierungsdekret aus Saudi Arabien)
Einschub: Die Wahhabiten — eine extrem konservative islamische Richtung:
Mit dem Sieg der Saud wurde auch deren religiöse Erneuerung — die Koranauslegung des Mohammed bin Abd el-Wahhab — zur verbindlichen “Staatsreligion” in Saudi Arabien. Die islamische Richtung der “Wahhabiten” wurde nach der Gründung des Königreichs von Saudi Arabien (1932) durch Ibn Saud zur offiziell vom Staat unterstützten Staatsdoktrin. Zwar behauptet diese Doktrin auch, dass der muslimische Staat ausschließlich nach dem religiösen Gesetz (Scharia) funktionieren muss, vereinbart diese Voraussetzung aber mit diversen Verrenkungen mit der unislamischen Erbmonarchie der Familie Saud. Die saudische Monarchie hat ihre Existenz nahezu untrennbar mit ihrer islamischen Legitimation verbunden. Der Koran nimmt die Stellung einer inoffiziellen Verfassung des Landes ein. Obwohl der Koran die Christen als ahl al-kitāb, als „Schriftbesitzer“, anerkennt und als Dhimmi (ذمي) unter Schutz stellt, dürfen in Saudi-Arabien (das viele christliche Gastarbeiter beherbergt) keine christlichen Gottesdienste gehalten werden.
Das Haus “al-Saud” ist der “Hüter der beiden heiligen Stätten Mekka und Medina”.
Das “Neue” der Koranauslegung der Wahhabiten ist eigentlich etwas uraltes: der Koran sollte nicht mehr “zeitangepasst” interpretiert werden. Der Koran — immerhin im 7. Jahrhundert entstanden — und die Sunna sollten vielmehr Wort für Wort in seinem originalen Wortlaut, in der “ursprünglichen Form” die “reine Lehre” sein. Der Glaube an die unmittelbare göttliche Herkunft des Korans verbietet es, nach “Quellen” und “historischen Entwicklungen” des Textes oder einer zeitgemäßen Interpretation zu suchen. Bereits die Auffassung, die Umwelt der koranischen Offenbarung im Mekka des 7. Jahrhunderts sei zum besseren Verständnis des Koran zu berücksichtigen, gilt als Häresie. Der Koran ist demnach in seiner vorliegenden Form zeitlos und unverrückbar zementiert. Bereits die vorsichtig kritische Formulierung “Der Koran beansprucht, das Wort Gottes zu sein” gilt als feindselig und unwissenschaftlich — da zwischen Glaube, Religion und Thelogie (als Religionswissenschaft) kein Unterschied gemacht wird. Die in der abendländisch-christlichen Gesellschaft gereifte wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem überlieferten Texten der Bibel — insbesondere die historisch-kritische Analyse — gilt den Wahabisten als religionsfeindlich und gotteslästerlich. Die in der westlichen Theologie gewonnene Synthese von Wissenschaft und Religion, mit ihrer beeindruckenden Pluralität methodischer Ansätze wird im Wahabismus nicht akzeptiert, weil damit die Offenbahrung des Koran als Allahs Wort hinterfragt wird. Professort Muhammad Musafa al-Azami von der König-Saud-Universität in Riad bring diese Auffassung in seinem Buch “The History of the Qur’anic Text” (2003) auf den Punkt:
“Wenn sie (die nichtmuslimischen Forscher und westlichen Orientalisten) nicht darauf aus wären, Muhammads Unehrlichkeit oder die Unechtheit des Korans zu beweisen, was würde sie hindern, sich zum Islam zu bekehren?”.
Neuerungen wie Heiligenverehrung und Wallfahrten zu Grabmausoleen (besonders aus dem Schiismus bekannt) sollten ausgemerzt werden. Die Wahhabiten schließen u.a. den Besuch der Gräber aus, weshalb sie zahllose Gräber von gesegneten Gefährten des Propheten verfallen ließen, in dieser sehr strengen, monoton-puritansiche Form des Islam wurde das Weinverbot auf Tabak und Kaffe ausgedehnt, und das islamische Gesetz — die Scharia — eingeführt. Dieses aus dem frühen Mittelalter stammende Gesetzeswerk kann in vielerlei Hinsicht als Institutionalisierung des “vorstaatlichen” Rechts der Blutrache verstanden werden; die Vollstreckung eines wegen Mordes ergangenen Todesurteils wird allerdings nicht in die Hände der Verwandten des Ermordeten gelegt sondern dem staatlichen Henker überlassen — dieser “vollzieht” die Blutrache am Mörder, womit der Kreislauf von Mord und Gegenmord, der auch in südlichen Gefilden Europas noch zur Aufgabe der Familie zu gehören scheint, unterbrochen wird. Der Familie des Ermordeten ist es aber möglich, bis zuletzt Gnade zu gewähren und die Todesstrafe zu erlassen — und vernünftige religiöse Richter legen einen solchen Gnadenakt auch nahe, insistieren darauf, ohne ihn freilich gegen die Familie erzwingen zu können.
Darüber hinaus ist das Rechtssystem der Scharia auf die vorindustrialisierte Welt zurecht geschnitten und spiegelt vielfach die alttestatmentarlichen Regelungen (Auge um Auge, Zahn um Zahn) wieder. Die Frauen des Landes dürfen nicht unverschleiert in die Öffentlichkeit gehen, dürfen nicht Auto fahren, dürfen sich ohne männlichen Verwandten nur kurze Strecken vom Haus entfernen (was einen Wiederhall der auch im alten Judentum erkennbaren Regelung zeigt, wonach die Frau als Eigentum des Mannes verstanden wird) — und eine Religionspolizei wacht über die Einhaltung der strengen Vorschriften zumindest in der Öffentlichkeit. Die Wahhabiten distanzieren sich immer mehr zu den anderen (überlieferten) Rechtsschulen des Koran. So hat kürzlich der Scheikh ‘Abd al-‘Azîz bin Bâz, der Verantwortliche für “Rechtsgutachten und geistliche Belehrung” der Zeitschrift al-Majalla as-sa’udiyya in einem Interwiev erklärt, dass er sich weder an die hanbalitische Rechtsschule und die Rechtsauslegungen der Hanbaliten halte noch darauf verlasse >Ihr hieltet Euch alleine an “das Buch (Qur’ân) und die Sunna”
Nun gibt es auch zeitgenössische Fragen (darf eine Frau Auto fahren?), die nicht in den normativen Rechtstexten der islamischen Frühzeit aufgegriffen worden sind. Die Institution des Rechtsgutachtens (Fatwa) hat es ermöglicht, dass solche “modernen Fragestellungen” auf diese Weise beantwortet werden können. Daher ist es nicht verwunderlich, dass insbesondere Saudi-Arabien, dessen Theologen mit dem Wahabismus eine besonders rigide Form des Islam propagieren, mit zahlreichen Fatwas an die Öffentlichkeit treten. Die breite Verbreitung dieser Fatwas erhöht die Bekanntheit der die Fatwas erstellenden Rechtsgelehrten.
Aus Saudi Arabien kommen derzeit zwei der bedeutendsten Rechtsgelehrten (Muftis) des sunnitischen Islam:
Muhammad Bin Saleh al-‘Uthaimin: In Saudi-Arabien sehr einflußreicher sunnitischer Theologe, früherer Dozent und Imam, Autor des Buches »Fragen, die die islamische Frau interessieren« (2000 o.O.)
Sheich Abdul Aziz Bin Baz: Langjähriger saudischer Chef-Rechtsgutachter mit sehr großem Einfluß im sunnitischen Islam
Viele Wahhabitischen Prediger stehen in Verdacht, fundamentaltistische Thesen zu verbreiten und den Boden für extremistische Organisationen zu bereiten. So wird von Vertretern der USA in Riad beklagt, dass die Herrscherfamilie weiterhin Imame predigen lässt, die als Terror-Sympathisanten gelten und sich auf Video-Bändern von Al Quida zu Wort gemeldet haben.
Durch saudische Fördergelder “gesponsert” verbreiten Geistliche die Gedanken und Ideen der Wahhabiten nicht nur in den Moscheen Saudi Arabiens, sondern überall in der islamischen Welt, vor allem aber in den Zentralasiatischen Staaten, in denen im Wettlauf mit den Schiiten Irans und sunnitischen Geistlichen, die in der Türkei und Ägypten ausgebildet wurden, eine “islamische Re-missionierung” stattfindet.
Die Saudis finanzierten — mit Unterstützung der USA — in den achtziger Jahren den Widerstandskampf gegen die UdSSR in Afghanistan und verbreiteten mit den eifernden islamischen Kämpfern auch die extreme wahabitische Auslegung des Koran am Hindukusch. Nach dem Abzug der Sowjets entstand im Herrschaftsgebiet der Taliban die Terror-Organisation der al-Qaida.
Besondere Bedeutung hat dabei Osama bin Laden — Spross einer hoch angesehenen saudischen Familie mit Milliardenvermögen — erlangt. Er stammt aus der strengen Kultur des saudischen Wahabismus und hat in Verbindung mit der Deobandis-Schule aus Pakistan, die genauso radikal ist, eine mörderische, theologisch verbrämte Terrorschule begründet — einen radikalen, militanten, sunnitsich-wahabitischen Fundamentalismus. Immerhin 15 der 19 Attentäter, die unter dem Befehl bin Ladens am 11. September die Welt erschütterten, kamen aus Saudi-Arabien. Als aber auch das eigene Staatswesen in die Visiere terroristischer Attentäter kam und 2003 — 2004 eine Anschlagsserie Saudi Arabien erschütterte, griffen die Saudis hart durch. Von zwei- bis dreihundert verhafteten militanten Islamisten wurden über 1/5 durch vollstreckte Todesurteile “beseitigt”. Gleichzeitig wurde mit Amnestie-Angeboten und einem eigenen theologischen Bildungssender (“al-Fadschr”), der sich kritisch mit der Koranauslegung der Islamisten auseinander setzte, der harte Kern der islamischen Terroristen von den Mitläufern getrennt.
Externe Links: Bundeszentrale für politsche Bildung:
Islam und islamistische Bewegungen in Zentralasien — (www.bpb.de)
Wahhabiten — (www.theologie-links.de)