“Unter den arabischen Staaten wächst Ägypten mit am schnellsten. Die Politik brachte die Wirtschaft auf Trab, doch die Inflation schürt Angst vor Unruhen.”
(Aus der FTD vom 15.01.2008)
Wirtschaft:
Ägyptens Wirtschaft hat sich nach Jahren der Agonie erholt. Auch im Jahr 2006 hat das Wirtschaftswachstum mit über 7 % durchaus positiv abgeschlossen. 2007 wurde sogar ein Wachstum von 7,1 % erreicht. Selbst in den Jahren der Finanzkrise 2008/09 wurde ein Wachstum von 4,7 % und 2010 von knapp 5,5 % erreicht.
Obwohl der Suez-Kanal heutigen Anforderungen nicht mehr genügt und weder Supertanker noch die großen Containerfrachter passieren können steigen die Einnahmen aus dem Transit. Die Tourismusindustrie zu den antiken Stätten am Nil und in die Baderessorts am Roten Meer boomt und bringt mit jährlich etwa 9 Mrd. € die größten Einnahmen des Landes. Ägypten konnte seine Exporte — unberücksichtigt sind die Erdölprodukte — um 40 % und die Devisenreserven um 50 % steigen. Rund 11 Mrd. $ wurden von Ausländern investiert. Dazu hat Ägypten eine Reihe von Standortvorteilen, die das Land attraktiv und lukrativ für ausländische Unternehmer macht. Dazu gehören niedrige Löhne, zum Teil gut ausgebildete Arbeitskräfte — sowie große Potentiale in Bezug auf Infrastrukturentwicklung, Raum, Anlagenbau, Verkehr, Transportwesen und Kommunikation.
Allerdings: Ägypten leidet auch zunehmend unter sozialen Spannungen. Das Wirtschaftswachstum von 7 % kann mit dem Wachstum der Bevölkerung kaum Schritt halten. Jährlich müssen mehr als 600.000 Arbeitsplätze geschaffen werden. Damit wird das Wirtschaftswachstum von der Bevölkerungszunahme aufgefressen. Auf den Einzelnen gerechnet kommt vom Wirtschaftswachstum kaum etwas bei der Bevölkerung an. Die Masse der knapp 80 Mio. Ägypter bleibt daher ohne nennenswerte wirtschaftliche Entwicklung. Duch Ägyptens Gesellschaft zieht sich ein Riss. Die Oberschicht und eine gehobene Mittelklasse profitieren von der wirtschaftlichen Entwicklung. Die breite Masse der Mittel- und Unterklasse kann dagegen keine steigenden Einkommen verbuchen. Im Jahre 2010 wurden mehr als 80,4 Mio. Einwohner gezählt — für 2011 wird ein Einwohnerstand von 82 Mio. erwartet.
Etwa 1/5 der Bevölkerung muss als absolut arm bezeichnet werden. Deshalb möchte Ägypten Wachstumsraten mit 8 bis 9 % jährlich erzielen und mit dem Abbau der enthemmten Bürokratie — etwa ein Viertel der Beschäftigten ist im Staatsdienst tätig — einige Investitionshindernisse beseitigen. Denn es droht die Gefahr sozialer Spannungen. Kurz vor den Kommunalwahlen im April 2008 fanden im größten Textilwerk des Lande, in Malhalla, Streiks für Mindestlöhne von 140 Euro statt. Im Staatsdienst verdienen Ärzte m gleichen Monat rund 40,- Euro monatlich — und eine Erhöhung ist erst für 2011 vorgesehen. Dann aber soll der Mindestlohn von derzeit 35 auf künftig 1200 ägyptische Pfund kräftig angehoben werden.
Während aufgrund der vielen bereit stehenden Arbeitskräfte extrem niedrige Löhne gezahlt werden steigen die Preise für die immer knapper werdenden Waren. So wird die Subventionierung von Benzin reduziert, das wird also teurer — und zugleich hat der trockene Sommer 2007 zu Wasserknappheit geführt, die durch die fehlenden Nilüberschwemmungen (Assuan-Staudamm) und die dadurch absinkenden Grundwasserspiegel und partiell auftretenden Versalzungen noch verstärkt werden. Seit Anfang 2008 gibt es Versorgungsengpässe bei Grundnahrungsmitteln wie Brot, Bohnen, Nudeln und Reis. Ägypten muss die Hälfte seines Bedarfs importieren — und die weltweit steigendenen Getreidepreise führen zu massiven Teuerungsraten. Subventionierte Ware in den staatlichen Bäckereien landet oft auf dem Schwarzmarkt, auf dem ein mehrfaches der staatlichen Preise erzielt werden kann. Auf diesem Nährboden der sozialen Spannungen gedeiht die Saat der Muslimbrüder (siehe unten), die vor allem von medizinischen Berufen getragen werden und insbesondere durch ihre sozialen Einrichtungen bei der Masse der Bevölkerung Anklang finden. Ägyptens Regierung möchte durch eine Verbesserung der Gesundheits- und Bildungssysteme wenigstens die Mittelschicht für sich gewinnnen.
Industriealisierung:
Um für die wachsende Bevölkerung (ca. 1 Mio. Einwohner pro Jahr) Arbeitsplätze, Einkommen — und damit Zukunft — zu haben benötigt Ägypten mehr als nur den Suezkanal und einige Touristenunterkünfte am Roten Meer sowie die Arbeitsplätze in Landwirtschaft, Handel und Handwerk sowie einer breit gestreuten Kleinindustrie. Ägypten müsste sich — nach dem Vorbild Chinas — zu einer Werkbank zumindest für die arabische Welt entwickeln. Die relativ gut ausgebildeten Ägypter und die niedrigen Löhne (monatlich durchschnittlich 70 Euro) lassen Ägypten für ausländische Investoren auch attraktiv genug erscheinen.
In den vergangenen 15 Jahren (Stand 1996) war die Industrie der führende Bereich für inländische und ausländische Investitionen. Von 1981 bis 1996 wurden ungefähr 5 Mrd. US-$ investiert, davon allein 63, 2 % zwischen 1994 und 1996. Dies führte zu einem deutlich erkennbaren Wirtschaftlichen Aufschwung. Die ausländischen Direktinvestitionen stiegen weiter von 500 Mio. $ (2004) auf 12 Mrd. $ (2008) und auch das Katastrophenjahr 2009 hat noch beachtliche 8 Mrd. $ Investitionsleistungen nach Ägypten gespült.
Ägypten gilt bei internationalen Investoren und Lieferanten inzwischen als einer der attraktivsten und zukunftsträchtigsten Märkte des Nahen Ostens und der arabischen Welt. Mit einer Bevölkerung von ca. 65 Mio. Einwohnern, relativ stabilen politischen Rahmenbedingungen und mit einer Politik der marktwirtschaftlichen Erneuerung bietet das aufstrebende Land am Nil grundsätzlich gute Perspektiven für ausländische Engagements. Seit 2004 ist die Wirtschaft auf “Liberalisierungskurs”. Staatskonzerne sollen privatisiert werden. Inzwischen sind vor allem die ölreichen Golfstaaten ais Investoren in Ägypten aktiv. Zunehmend verdrängen auch chinesische Unternehmen die etablierten Investoren, die vor allem aus Amerika, England und Frankreich kommen.
Fortschreitende Privatisierung unproduktiver Staatsbetriebe und die Verabschiedung exportfördernder Gesetze — also eine Wirtschaftspolitik nach westlichem Muster — gaben dem ägyptischen Außenhandel ebenso wie den Binnenmarkt einen Schub. Mitte 2002 war eine deutliche Verbesserung der Wirtschaftslage erkennbar. Einheimische und ausländische Investoren investierten über eine Milliarde Euro in die Ausweitung der Infrastruktur und touristischer Langzeitprojekte, auch verstanden als Element des Kampfes gegen extreme islamistische Terrorzellen.
Der Industriesektor erwirtschaftete 1995/96 ca. 17,2 % des Bruttoinlandsprodukts, was eine Steigerungsrate von etwa 7,5 % gegenüber 1994/95 bedeutet.
Die Ägyptische Industrie produziert eine breite Palette von Erzeugnissen, die von Textilien und Bekleidung über Nahrungsmittelverarbeitung, Baumaterial, Dünger, chemische und elektrotechnische Produkte bis zur Automobilproduktion reicht. In dem Sektor arbeiten etwa 2,142 Mio. Arbeitskräfte, die ca 14 % der Gesamtbeschäftigten bilden. Wichtigster Industriezweig hinsichtlich Export und Beschäftigung ist die Textilindustrie mit ca 1 Mio. Arbeitskräften. Gut entwickeln konnten sich auch die klein- und mittelständischen Unternehmen aufgrund des wachsenden Bedarfs der Industrie und Bevölkerung. Ihre weitere Förderung gehört zu den aktuellen entwicklungspolitischen Zielen. Es gibt etwa 211.000 industrielle Unternehmen mit weniger als 50 Mitarbeitern.
Mit dem Tourismus und dem Suezkanal als ständig sprudelnder Einnahmequelle könnte Ägypten in seinen großen Städten den Aufbau einer aktiven, modernen Industrie fördern. Gerade so ein volkreiches Land wie Ägypten könnte etwa mit einer eigenen Kraftfahrzeugindustrie — auch mit Luxusfahrzeugen für die arabische Welt — ein wichtiges industrielles Standbein erlangen, und damit — so wie die Fahrzeugindustrie nach dem letzten Weltkrieg ein Motor des Aufschwungs in Deutschland war — die eigene Volkswirtschaft erheblich stärken. Günstige Arbeitslöhne und gleichzeitig Handels- und Zollerleichterungen innerhalb der arabischen Welt würden eine gute Ausgangsbasis für ein solches Projekt bilden.
Ägypten strebt nun den Übergang von den arbeitsintensiven zu den kapital- und technologieintensiven Industrien an, deshalb werden folgende Bereiche besonders gefördert:
- Petrochemie und synthetische Fasern
- Elektronische Industrie
- Kfz- Teile und — Zubehör
Mit dem größten russischen Autohersteller AvtoVaz, der seit dem Jahre 2002 Pkw LADA 2107 montieren und ab Sommer 2008 im ägyptischen Montagewerk Lada-Egypt den Geländewagen LADA 4x4 zusammenschrauben lässt, ist ein namhafter russischer Hersteller in Ägypten vertreten. Westliche Kraftfahrzeugkonzerne haben dieses Potential inzwischen auch erkannt: So hat unter anderem die Errichtung von Montagefabriken ausländischer Automobilhersteller, darunter Mercedes-Benz und BMW, einen großen Markt für die ägyptische KFZ-Zulieferindustrie geschaffen. Die Vereinbarung mit VW über den Export von ägyptischen Autozubehörteilen in die weltweiten Produktionsstätten des deutschen KFZ-Produzenten hat weiter dazu beigetragen, die ägyptisch-arabische Automobilindustrie zu stärken.
Auch die Informations- und Kommunikationsbranche hat große Fortschritte gemacht. So verzeichneten die Hersteller von Software-Programmen und ‑systemen zwischen 1993 und 1996 Zuwachsraten von durchschnittlich 35 % pro Jahr, während die Computerindustrien auf 12 bis 15 % kamen.
Vor allem Callcenter-Unternehmen, aber auch anspruchsvollere IT-Unternehmen profitieren von den sprachgewandten Ägyptern mit vergleichsweise geringen Gehaltsansprüchen. Das hat zum Aufbau eines großen “Smart Village” nur wenige Kilometer außerhalb von Kairo geführt.
Eines der nationalen Industriealisierungsprogramme ist der Aufbau einer nationalen Stahlindustrie. Einige ägptische Oasen, die als Siedlungsgebiet für hundertausende von Ägyptern vorgesehen sind (Toschka-Projekt), wie Al Kharga, verfügen schon heute über eine bedeutende Bergbau- und Stahlindustrie und Eisenbahnverbindungen zum Niltal und nach Port Safaga am Roten Meer.
Im Gewerbegebiet Burg al-Arab 30 Kilometer westlich des Hafens Alexandria am Mittelmeer entsteht (Stand März 2008) auf einer Million Quadratmetern eine russischen Industriezone mit Betrieben für den Automobil- und Flugzeugbau, und zur Herstellung von Ausrüstungen für Kraftwerke und die Erdölindustrie. Ägypten sei — so eine Meldung von RIA Novosti vom März 2008 auch “an der Eröffnung von Unternehmen für die Herstellung von Computertechnik, Ausrüstungen für die Entsalzung von Meerwasser und von Medizinprodukten interessiert.”
Auch in Ägypten gibt es Wohlstand:
Die Familie Sawaris — inzwischen eines der reichsten Familienclans mit einem Vermögen von gut 4,5 Mrd. € — gehört zu den ägyptischen “Vorzeigeunternehmern”. Aus einer in den fünfziger Jahren gegründeten kleinen Baufirmen wurden nach zwei Enteignungen (unter Nasser 1961 und dann unter Gaddafi, wo die Familie vor Nassers Zugriff Schutz gesucht hatte) wurde ein Konzern, der ein auf Ferienanlagen spezialisiertes Immobilienunternehmen (mit Ferienanlagen auch in den Nachbarländern wie Jordanien), ein Touristikunternehmen mit über 5000 Beschäftigten mit einem Reingewinn von 35 Mio. € (2006), eine Telekommunikationsfirma (Reingewinn von 800 Mio. € bei einem Umsatz von 5 Mrd. €- 2006) aufweist.
Es gibt aber einige Probleme, die eine rasche Entwicklung der ägyptschen Wirtschaft behindern:
Problem Ausbildung:
Das ägyptische Ausbildungssystem krankt an einem “konfuzeanischen Element”. Wie in China wird in Schulen und Hochschulen im Wesentlichen nur Auswendig lernen verlangt. Kreatives Denken, die Grundlage für Inovation und Entwicklung, findet dagegen kaum statt. Knapp 45 % der Ägypter über 14 Jahren waren 2005 noch Analphabeten — so die Unesco. Ägypten erreicht damit einen schlechten 18ten Platz bei den 21 Mitgliedsstaaten der arabischen Liga.
Ein erster Ansatz dies zu ändern war das zwischen Präsident Hosni Mubarak und Bundeskanzler Helmut Kohl ausgehandeltes Berufsbildungsprogramm. Inzwischen hat Ägypten den Wert einer guten Ausbildung erkannt. Ausländer haben inzwischen das Recht, im Land kleine Betriebe zu gründen — vroausgesetzt, dass darin entsprechend viele Ägypter Arbeitsplätze finden. Die Ausländer lassen sich aber nicht mit angelernten Hilfsarbeitern abspeisen. Wer die alten Peugeots, Fiats, Volkswagen oder (rumänischen) Dacias nach einem Unfall zusammen klopfen kann ist bei den elektronischen Bauteilen moderner Fahrzeuge und Motoren überfordert. Die ägyptische Regierung zahlt daher (Stand 2007) einen finanziellen Ausgleich für die Werkstattinhaber, die ihre Mitarbeiter auf entsprechende Schulungen und Kurse entsenden. Die deutsche “Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit” (GTZ), die bei entsprechenden Existenzgründungen hilft, fördert die Niederlassung von Handwerksmeistern etwa aus dem Elektro- und Sanitärbereich; diese Meister können — und sollen — einen guten Teil ihrer soliden Kenntnisse und Fähigkeiten, ihres “know hows” an die einheimischen Kräfte weiter geben.
Moloch Kairo:
Ein großer Teil der Ägypter wohnt und lebt in Kairo — einer der größten Städte der Erde, die mit ca. 16 Mio. Einwohner eher einem unregierbaren Moloch als einer Stadt gleicht. Um dieses wuchernde Krebsgeschwür einer Stadt zu entlasten, will die Regierung bis 2017 einige dutzend neue Vorstädte für die Mittelschicht der Bevölkerung fertig stellen.
Energieversorgung:
Ägypten ist fast eine Ausnahme unter den arabischen Staaten — es ist nicht mit großen fossilen Energiequellen gesegnet. Ägypten ist zwar (noch) weltweit an achter Stelle unter den Gas- und Ölförderländern, der größte Teil wird aber exportiert — und die bekannten Reserven reichen beim Öl gerade noch für 15 Jahre (Stand 2007), beim Gas noch etwa bis 2040. Was aber dann — zumal derzeit bereits 60 % der eigenen Gasproduktion zur Energieerzeugung verbrannt werden?
Ägyptens Regierung hat im Oktober 2007 angekündigt, bis 2020 den Anteil von Wind- und Sonnenenergieerzeugung am nationalen Energiemix auf 20 % zu erhöhen. Der Rest muss aus anderen Quellen gedeckt werden.
Eine der Alternativen ist die Windkraft. In Zafarana — am Ufer des Roten Meeres — stehen über 320 Winkraftanlagen, die mit Unterstützung der Weltbank und mit staatlichen Krediiten der Lieferländer von solchen Anlagen finanziert wurden. 71 Anlagen des deutschen Herstellers “Nordex AG” wurden von der KfW finanziert. Neben dem deutschen Sektor haben sich auch Japan, Dänemark und Spanien entsprechende Areale gesichert. Bis 2020 sollen die Anlagen nochmals verdoppelt werden, und zwei ähnlich große Anlagen sind in der Nähe von Kairo geplant. Mit einer Auslastung von 30 % (in Deutschland maximal 25 %) beschert der ständig wehende Wüstenwind eine gute Grundversorgung.
Ägypten verfügt über bedeutende Vorräte an Uranerz und hat von etwa 1960 ab über sechsundzwanzig Jahre — bis 1986 — an einem atomaren Forschungsprogramm gearbeitet, das aber nach einem Bericht der IAEA von 2005 eingestellt wurde. Grundlage war ein in den fünfziger Jahren von den USA gebautes Atomlabor und ein 1961 von der UdSSR gestifteter Forschungsreaktor. Ein weiterer Forschungsreaktor war in Argentinien gekauft worden. Die internationale Atomenergiebehörde IAEA überwacht Ägyptens Nuklearforschungen seit Anfang 2005. Gegenwärtig betreibt Agypten lediglich zwei Fotschungsreaktoren.
Nur wenige Tage nachdem sich der Generalsekretär des Golf-Kooperationsrats (GCC), Abdulrahman bin Hamad Al-Attiya, auf einer Sicherheitskonferenz in Bahrain für ein ziviles Atomprogramm der Golfstaaten ausgesprochen hat hat Gamal Mubarak, der Sohn des ägyptischen Präsidenten Hosni Mubarak und Generalsekretär der regierenden Nationaldemokratischen Partei (NDP), diesen “Ball aufgegriffen”. “Es ist Zeit, dass Ägypten seine Energiepolitik überdenkt.”, so Mubarak in seinem Plädoyer für den Einsatz alternativer Energiequellen wie der Kernenergie. Auch Präsident Hosni Mubarak hat im Oktober 2007 den Bau mehrerer Atomkraftwerke angekündigt, da die Energieknappheit entsprechende Alternativien zur Energievrsorgung verlange, zumal die Kombination von Atomkraftwerken und Meerwasserentsalzungsanlagen auch der steigenden Wasserknappheit begegnen könnte. Kabinettssprecher Magdi Radi erklärte gegenüber der staatlichen Nachrichtenagentur MENA, die Regierung habe beschlossen angesichts des jährlich um 7% steigenden Energiebedarfs die “nukleare Alternative” voranzutreiben. Nach Angaben von Energieminister Hassan Younis soll “innerhalb der nächsten 10 Jahre” (Stand 26. Sept. 2006) ein Atomkraftwerk in al-Dabaa an der Mittelmeerküste entstehen. Die Baukosten werden auf 1,5 bis zwei Milliarden US-Dollar veranschlagt. Für die Kosten sucht das Land auch nach ausländischen Investoren. Politische Beobachter erwarten, dass arabische Golfstaaten in Reaktion auf das iranische Atomprogramm einer Kooperation mit Ägypten nicht abgegeneigt sein könnten.
Nachdem Ägypten als Unterzeichner des Atomwaffensperrvertrages ausschließlich Anspruch auf eine zivile Nutzung der Kernenergie hat, und — im Gegensatz zum Iran — als treuer Verbündeter der USA in der Region gilt, beeilte sich der US-Botschafter in Kairo mit dem Angebot, die USA könnten Ägypten bei diesem Atomprogramm unterstützen (FTD, 22.09.2006). Frankreich hat sich Ende 2007 bereit erklärt, den Aufbau der ägyptischen Nuklearindustrie zu unterstützen. Russland ist nach einer Meldung vom Dezember 2007 ebenfalls in den Kreis der Staaten eingetreten, die Ägypten der Entwicklung der zivilen Atomenergie zur Seite stehen wollen. Auch China hat seine Hilfe bei der Umsetzung des diesbezüglichen Atomprogramms angeboten.
Die USA sind nach wie vor wichtigster Handelspartner Ägyptens und zudem enorme Geldgeber, die jährlich mer als eine halbe Mrd. $ als Finanz‑, Entwicklungs- und Militärhilfe in den Nilstaat pumpen.
Klüngelkapitalismus a’la Mubarak:
Ägyptisch-Israelische Wirtschaftsbeziehungen:
Es war ein relativ offenens Geheimnis: Präsident Mubarak hat in nahezu allen Sparten der Wirtschaft direkt oder indirekt von Investitionen und Gewinnen mit profitiert.
Ein Beispiel dafür ist die Erdgas-Leitung, die seit 2008 (unter Umgehung des Gaza-Streifens) aus dem Sinai nach Israel führt und mit mehr als 75 % (Stand 2010) den Löwenanteil der ägyptischen Exporte in das Nachbarland ausmacht. Der Bau dieser Pipeline war weder in Israel noch in Ägypten unumstritten.
In Israel konkurrierten der israelische Yam-Tethys-Konzern mit der Absicht zur Gasproduktion vor der eigenen Küsten, sowie der britische Konzern BG mit der Absicht zur Gasproduktion vor der Küsten von Gaza mit der ägyptsichen East Mediterranean Gas Company (EMG) um den Auftrag, den staatliche Stromkonzern Israel Electric Corporation (IEC) mit Erdgas zu versorgen. Der israelische Infrasturkturminister Josef Paritzky wurde 2004 durch eine undurchsichtige Bespitzelunsaffaere zum Rücktritt gezwungen. Paritzky hatte die “palästinensische Lösung” bevorzugt. Maßgeblicher Akteuer der Bespitzelungsaffaere war der ehemalige Geheimdienstmann Yosef Maimann. Maymann wiederum ist Partner des ersten israelischen-ägyptischen Joint-Ventures — einer Raffinerie bei Alexandria und mit dem gleichen Partner Hussein Salem auch an der EMG beteiligt.
Auch in Ägypten war das Projekt heftig umstritten. Ägypten habe selbst nicht genug Erdgas für den eigenen Bedarf, und nach dem Scheitern des israelisch-palästinensischen Friedensabkommens in Camp David (2000) war der ägyptischen Bevölkerung eine Kooperation mit Israel suspekt. Dennoch erhielt die EMG in kürzester Zeit die Lizenz durch die ägyptische Regierung. Nach dem Sturz Mubaraks aufgetauchte Dokumente sollen belegen, dass Salem (einer der wohlhabendsten Unternehmer Ägyptens mit einem geschätzten Vermögen von über 700 Mio. Dollar) dem Präsidenten Mubarak und seinen Söhnen einen Anteil von 5 % der laufenden Einkünfte aus der Erdgaspipeline versprochen habe.
Arabellion 2011:
Ist es ein Wunder, dass die “ARABELLION” 2011 in Ägypten zu einem Regimewechsel führte? Aus meiner Sicht nicht, denn die im Großen und Ganzen gut ausgebildete Jugend im “Hinterland der Touristenorte” musste miterleben, dass Teile des Landes wirtschaftlich prosperierten, während im Landesinneren eine gut ausgebildete Generation — aber kein Arbeitsplatz vorhanden war. Korrupte Behörden und eine brutal auftretende Polizei waren die “Kontakte”, mit denen der Staat seinen Bürgern gegenüber trat.
Aus dem Gemisch — Chancenlosigkeit einerseits und gute Ausbildung andererseits — entstand die Protestbewegung, die von den Jugendlichen und jungen Erwachsenen mittels moderner Medien wie “Twitter” und “Facebook”, mit Handy-SMS u.a. weiter getragen wurde und die MAcht einer Lawine annahm, die den bisherigen Alleinherrscher hinweg fegte.
Nun erhebt sich die Frage, wie sich Ägypten weiter entwickelt. Wird ein radikaler Islamismus in Ägypten die Vorherrschaft erlangen? Gerade die “Muslimbrüder” werden vielfach als Gefahr für ein demokratisches Ägypten gesehen.
Nach meiner Überzeugung schließen sich gute Ausbildung und wirtschaftliche Zukunft einerseits und ein radikaler Islamismus andererseits aus. “Das ideologische Angebot Al Qaidas wirkt auf die heutige Generation der zornigen jungen Leute schlicht schal. Die Macht des “Volkes”, das “Veränderung will”, ist attraktiver als terroristische Gewalt.” — so schrieb Volker Perthes, Nahostexperte und Direktor der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik, im “Eurasischen Magazin”. Eine demokratisch-sekuläre islamische Partei nach dem Vorbild der Türkei, ja, durchaus, aber diese Partei würde zugleich religiöse Menschen an sich binden und radikal-islamistische Verbindungen “austrocknen”.
Tatsächlich haben in den ersten freien — und wohl relativ fair abgelaufenen — Wahlen die Muslimbrüder sowohl im Parlament wie auch bei der nachfolgenden Präsidetenwahl die Mehrheit errungen. Dass der regierende säkulare Militärrat wie auch der von diesem unterstützte Kandidat die Präsidentenwahl akzeptierten ist ein ermutigendes Zeichen für die demokratische Entwicklung des Landes. Tatsächlich stehen die säkularen Kräfte um die Militärs und die überwiegend religiöse und kulturell konservative Mehrheit der Gesellschaft in einem Dialogprozess, der von der “ZEIT” am 28. Juni 2012als “Verhandlungsrevolution” bezeichnet wurde. Ob sich diese beiden Strömungen gegenseitig paralysieren wird die Zukunft zeigen — ich vermute, dass die Entwicklung den Weg der Türkei nehmen wird.
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