POLITIK — Muammar el-Gadhafi:
Libyens Präsident Muammar el-Gaddafi trat sein Präsidentenamt mit großen Hoffnungen an. Als Verehrer von Ägyptens Präsident Nasser wollte er sein Land zur Keimzelle einer arabischen Wiedervereinigung machen.
Die ganz unislamische „säkuläre Intention“ Gaddafis, der mit seinem „Grünen Buch“ eine „arabische Revolution“ auslösen wollte, hat allerdings tatsächlich zur Isolierung des Staates von seinen arabischen Bruderstaaten geführt.
1977 kam es sogar zu militärischen Auseinandersetzungen mit Ägypten wegen dessen Friedensbereitschaft mit Israel. Dadurch wuchs die Isolation Libyens in der arabischen Welt. Muamar al-Gaddafi konzentrierte sich nach dem Scheitern seiner panarabischen Politik nun mehr und mehr auf schwarzafrikanische Nationen mit überwiegend moslemischer Bevölkerung, die er sowohl militärisch als auch finanziell unterstützte (z.B. Uganda, Burundi, Niger, Somalia). Von 1980 bis 1983 leistete sich Libyen die Entsendung von Truppen in die Nachbarstaaten Tschad (und auch den Sudan), um dort Rebellenbewegungen zu unterstützen – was zu Konflikten mit den USA und französischen Truppen führte, welche die Libyschen Einheiten wieder zurückdrängen konnten. Als dann der Internationale Gerichtshof in Den Haag den Gebietsanspruch Libyens auf den Norden des Tschad (Provinz Aouzou) im Februar 1994 endgültig abwies, zogen sich die letzten libyschen Truppen unter UN-Aufsicht endgültig aus der seit 1973 besetzten 115.000 Quadratkilometer großen Region zurück. Eine weitere Konfrontation mit den USA ergab sich, als im April 1986 33 US-Flugzeuge einen nächtlichen Angriff auf die Städte Tripolis und Bengasi flogen, als Vergeltung für mehrere von Libyen forcierte Terroraktionen (u.a. auf die hauptsächlich von US-amerikanischen Militärs besuchte Diskothek „La Belle“ in Berlin, wo bei einem Sprengstoffanschlag am 5. April drei Menschen getötet und über 200 verletzt wurden).
Gleichzeitig verstärkte Libyen die Unterstützung der radikalen Palästinenser sowie anderer terroristischer und separatistischer Bewegungen in der ganzen Welt (z.B. Irland, Oman, Philippinen). Die revolutionäre Rhetorik des libyschen Präsidenten – gepaart mit der aktiven Unterstützung von terroristischen Gruppierungen (Lockerbie – 1988 Bombenanschlag auf ein Pan-Am-Flugzeug mit 270 getöteten Passagieren und Besatzungsmitgliedern) – führte dazu auch zu einer jahrelangen Isolation des Staates in der westlichen Welt. Erst als Libyen die Verantwortung für das Attentat übernahm und den Angehörigen der Opfer Entschädigungsleistungen in Milliardenhöhe in Aussicht stellte hoben die Vereinten Nationen im September 2003 das gegen Libyen verhängte Embargo auf. Lediglich die Vereinigten Staaten wollen den Staat weiterhin mit Sanktionen belegen.
Inzwischen versucht Libyen möglichst schnell in die internationale Wirtschaftswelt zurück zu kehren. Nur 8 Wochen nach dem UN-Entscheid bemühte sich der Libysche Premierminister Ghanem bei einem Londonbesuch um das Engagement westlicher Ölfirmen. Libyen braucht das know how der westlichen Ölkonzerne, braucht Ersatzteile und modernste Förderanlagen, um seinen Reichtum zu nutzen.
Die westliche Welt braucht aber auch Libyen – als „säkulares arabisches Gegenmodell“ gegen islamischen Fundamentalismus, als einen Staat, in dem Frauen z.B. ganz selbstverständlich der Schulpflicht unterliegen und sogar mit der unverschleierten Präsidialgarde eine Elitetruppe der Streitkräfte bilden. Die Menschen auf den Straßen sind auch modisch und in ihrem Denken durchaus nach Europa orientiert.
An einer Normalisierung der Beziehungen sind dazu vor allem auch deutsche Unternehmen interessiert: Nach dem ehemaligen Kolonialherren Italien ist Deutschland der wichtigste Handelspartner des öl- und gasreichen Wüstenstaats.
Arabellion 2011:
Ist es ein Wunder, dass die “ARABELLION” 2011 nach den friedlichen Umstürzen in den Nachbarländern Tunesien und Ägypten auch in Libyien zu einem Regimewechsel führte? Aus meiner Sicht nicht, denn die im Großen und Ganzen gut ausgebildete Jugend im “Hinterland der Städte” musste miterleben, dass Teile des Landes wirtschaftlich prosperierten, während in anderen Teilen eine gut ausgebildete Generation — aber kein Arbeitsplatz vorhanden war. Gerade der Osten um die “Rebellenhochburg” Bengasi (die Heimat des letzten libyschen Königs, der insbeosndere dem Sufi- (Derwisch-) Orden der “Senussi” verbunden war) und die von Berberstämmen besiedelten Berggebiete im Hinterland von Tripolis wurden unter Gaddafi gezielt vernachlässigt.
Gerade der Gaddafi-Clan um Syrte wurde von dem schillernden Präsidenten, der Milliarden an Staatsvermögen beiseite geschafft haben soll, gefördert und unterstützt. Andere Regionen — insbesondere der Osten um die “Rebellenhauptstadt Bengasi”, und die südlich von Tripolis gelgenen Berbergebiete — blieben dagegen im Schatten der Entwicklung. Korrupte Behörden und eine brutal auftretende Polizei waren die “Kontakte”, mit denen der Staat seinen Bürgern gegenüber trat. Wobei der Staat selbst seinen höheren Chargen nur karge Verdienste ermöglichte. Auch die Generäle der Gaddafi-Streitkräfte wurden mit einem “Hungerlohn” von monatlich 700 Dinar (350,- Euro) abgespeist, während die Löweneinnahmen aus dem Öl- und Gasgeschäft offenbar in den privaten Schatullen Gaddafis und seiner Familie landeten.
Aus dem Gemisch — Gewaltherrschaft und relative Chancenlosigkeit einerseits und gute Ausbildung andererseits — entstand die Protestbewegung, die von den Jugendlichen und jungen Erwachsenen mittels moderner Medien wie “Twitter” und “Facebook”, mit Handy-SMS u.a. weiter getragen wurde und die MAcht einer Lawine annahm, die den bisherigen Alleinherrscher in einem monatelangen Bürgerkrieg (begonnen am 17. Februar im ostlibyschen Bengasi und beendet am 23. Oktober nach der Festnahme und Hinrichtung Gaddafis) mit Unterstützung der NATO hinweg fegte.
Nun erhebt sich die Frage, wie sich Libyen weiter entwickelt. Wird ein radikaler Islamismus in Libyien die Vorherrschaft erlangen? Gerade die ägyptischen “Muslimbrüder” und deren Einflüsse im Nachbarland werden vielfach als Gefahr für ein demokratisches Libyien gesehen. Dazu kommt, dass mit Ismael Sallabi, einem bekannten islamischen Gelehrten und Fundamentalisten, das 17. Bataillon der Rebellen in Bengasi — der “Hauptstadt des Widerstandes gegen Gaddafi” — anführt. Sallabi fordert offen einen islamischen Staat. Und von Abdel Hakim Belhadsch, dem Kommandeur des Militärrates von Tripolis ist bekannt, dass er ehemals Emir der al.Quaida nahestenden “Libysch Islamistischen Kampffront” (LIFG)war und als Kämfer in Afghanistan und dem Irak tätig war.
Drei Jahre nach dem Sturz Gaddafis haben Separatisten immer noch Öl- und Gasterminals im Osten des Landes besetzt. Bengasi wird von Revierkämpfen zwischen Islamisten, Anhängern des alten Regimes und Kriminellen zerrissen. In Dernaa und Sirte beherrschen die fundamentalistischen Islamkämpfer das öffentliche Leben. Unter dem Eindruck der ägyptischen Entwicklung halten sich radikale Kräfte aber zurück. Das fördert die Kompromissbereitschaft — und führt zu Verhandlungen über die Verteilung der Öl-Erlöse sowie die Räumung der lange blockierten Häfen.
Nach meiner Überzeugung schließen sich gute Ausbildung und wirtschaftliche Zukunft einerseits und ein radikaler Islamismus andererseits aus. “Das ideologische Angebot Al Qaidas wirkt auf die heutige Generation der zornigen jungen Leute schlicht schal. Die Macht des “Volkes”, das “Veränderung will”, ist attraktiver als terroristische Gewalt.” — so schrieb Volker Perthes, Nahostexperte und Direktor der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik, im “Eurasischen Magazin”. Eine demokratisch-säkulare islamische Partei nach dem Vorbild der Türkei, ja, durchaus, aber diese Partei würde zugleich religiöse Menschen an sich binden und radikal-islamistische Verbindungen “austrocknen”.
Noch viel mehr aber wird wohl in Libyen der Einfluss der 140 Stämme zunehmen. Die lange Dauer des Bürgerkriegs zeigt, dass es Gaddafi lange Zeit gelang, wichtige Stämme — bis zuletzt auch seinen eigenen Klan — auf seiner Seite zu behalten. Die Stämme, die nun ihre Pfründe sichern wollen, in das neue Libyen einzubinden, wird auch die schwierigste Aufgabe einer neuen Regierung sein. Und diese Stämme dürften eine der Garanten dafür werden, dass radikal-islamistische Eiferer nicht die Übermacht erhalten. In dieser Gemengelage liegt aber auch die Gefahr — Libyen ist ein umfassend bewaffnetes Pulverfass, das leicht explodieren kann, und dann in Terror und Chaos versinkt. Und nur auf dieser Grundlage hätten radikale Kräfte die Chance, selbst die Macht zu ergreifen.
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