Willkürliche Grenzziehungen:
Überhaupt:
Diese stalinistischen Grenzziehungen im zentralasiatischen Kerngebiet: es erscheint fast so, als ob der große Diktator zwar jedem der größeren zentralasiatischen Völker einen eigenen Staat zugeordnet hat, aber dabei peinlich genau darauf achtete, dass sich auch starke nationale Minderheiten in diesem Staatsgebiet befanden.
Bei dieser Neuordnung der Grenzen wurde auch keine Rücksicht auf ein funktionierendes Staatsgebiet gelegt – wieso auch, waren doch alle Nationen in der UdSSR sozialistisch vereint.
Tadschikistan wurde aus Gebieten zusammengefügt, die dem Emirat von Buchara und Turkestan herausgeschnitten worden waren.
Die Auswirkungen spürt der heutige tadschikische Nationalstaat, der wie von einer Garotte von usbekischem Nationalgebiet eingeschnürt ist.
Schwierige Erschließung:
Im Osten bilden über 5.000 m hohe Gebirgsmassiv eine fast unüberwindliche Barriere nach China, Lediglich schmale Gebirgspfade können im Sommer von Pferde- und Maultierkarawanen genutzt werden. Dort führt – vom Afghanischen Grenzgebiet um den „Wakhan-Zipfel“ – über Murghab eine einsame, ganzjährig befahrbare Piste an der chinesischen Grenze entlang bis nach Osch im Ferghana-Tal (das ehemals griechische Baktrien)
Im Norden – nach Kirgisistan – bildet ansonsten eine ebenso gewaltige Bergkette – das Trans-Alai-Gebirge und dessen Ausläufer — ein schier unüberwindliches Hindernis.
Das von kirgisischen Bergen umgebene Ferghana-Tal selbst ist über Usbekistan gut erschlossen – von Samarkand aus führt eine gut ausgebaute Straße zum Syr Daria, durchquert den westlichen, zu Taschikistan gehörenden Teil des Tales um Chodschand und führt weiter nach Kokand und Ferghana.
Wer aber von der relativ wohlhabenden Region um Chodschand im Norden zur Hauptstadt der Tadschiken will, der muss entweder auf den Sommer warten, um zwei Gebirgsriegel – nach Ajui und dann die 3 ½ Tausend Meter hohen Gebirgspässe nach Duschanbe zu überwinden – oder aber den Umweg über Usbekistan nehmen; ein Umweg, den die Usbeken gerne nützen, um Transitgebühren in harter Währung zu erheben oder auch einmal die infrastrukturelle Würgeschlinge zum Nachbarn etwas enger zu ziehen.
Schließlich erheben die Usbeken durchaus selbstbewusst Gebietsforderungen an Tadschikistan – vor allem im südöstlichen Grenzgebiet vor Duschanbe, wo eine usbekische Bevölkerungsgruppe lebt.
Vor der südlichen Gebirgskette — dem Ansob-Paß (3.327 m) auf dem Aufstieg hinter Ajni wird das Sarafschan-Tal passiert, das symptomatisch für die Lage des Landes ist.
Eine einzige, von Geröllrutschen, Erdbeben und Überschwemmungen bedrohte Schotterpiste durchzieht das Tal mit seinen 260.000 Menschen. In der Sowjetzeit wurde in den beiden Bergwerken Sarafschan 1 und 2 verschiedene Edelmetalle gefördert, während die Dörfer in landwirtschaftlichen Kolchosen organisert waren. Die Bergwerke sind geschlossen, die Kolchosen aufgelöst, der Maschinenpark ist verschollen. Das Vieh wurde traditionell in Weidegebieten in Usbekistan überwintert, was heute nicht mehr möglich ist. Usbekistan hat die Grenzen geschlossen, die Hänge sind überweidet und errodieren.
Mit Unterstützung der Deutschen Welthungerhilfe sollen jetzt die Hänge terrassiert und mit Walnußbäumen bepflanzt werden — als Katastrophenschutz und zur Erzielung von Einkommen, denn die Nüsse könnten auf dem Markt verkauft werden.
Wirtschaftliche Lage:
Die wirtschaftliche Lage war seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion für lange Zeit desolat. Tadschikistan verweist zwar stolz auf seine Industrien, aber die meisten Fabrikanlagen stehen still.
In der Nähe von Duschanbe befindet sich eine noch zu Sowjetzeiten aus Frankreich gelieferte Aluminiumfabrik, allerdings muss das zur Verhüttung benötigte Bauxit aus Kasachstan importiert werden, und das Transitland Usbekistan weiß, wie es diese Transporte behindern und blockieren kann.
Wasser ist in den zentralasiatischen Staaten ein knappes Gut. Knapp 90 % stammen aus den Gebirgsgegenden und sogar aus Gletschern zwischen Afghanistan und Kirgistan — und der Amurdarja (Oxus), der auf lange Strecken hin die Grenze zwischen Turkmenistan und Usbekistan markiert, wird im Wesentlichen aus Quellzuflüssen aus Afghanistan und Tadschikistan gespeist. Und die Tadschiken brauchen Energie. Der Nurek-Staudamm aus den siebziger Jahren, die fast fertig gestellten Staudämme Sangtuda I und II und der gigantische (geplante) Staudamm von Rogun sowie ein kleiner Staudamm am Serafschan (einem Buchara passierenden Seitenfluss des Amurdarja) liefern Energie — und erlauben den Tadschiken auch, den Wasserzufluss zu den Unterläufen der Flüsse zu regulieren. 4/5 des Wasserverbrauches erfolgen aber an den Unterläufen der Flüsse — insbesondere im Sommer auf den Baumwollfeldern der Turkmenen, Usbeken und Kasachen. Der Sommer wird aber benötigt, um die Staudämme zu füllen — denn das Wasser soll vor allem im Winter die Turbinen antreiben.
Dabei verfügt Tadschikistan gewaltige Bodenschätze, Uran, Gold und fossile Brennstoffe (Erdöl und Erdgas), die noch nicht erschlossen sind.
Familienbande sind anstelle eines geordneten Wirtschaftslebens getreten. Durch den Zusammenhalt der Sippen wurde der völlig Zusammenbruch des Landes, das Zigtausende von Flüchtlingen betreuen musste, vermieden – freilich für den Preis einer – wie Scholl-Latour schreibt – „Atomisierung der Gesellschaft“ und unter Inanspruchnahme von „geächteten Wirtschaftszweigen“ wie etwa dem Opiumanbau und Schmuggel.
Erst mit dem Ende des Bürgerkrieges und der Taliban-Herrschaft in Afghanistan hat wieder ein ökonomischer Aufschwung eingesetzt, der mit einem Wachstum von 9 % (im Jahre 2002) zwar gewaltig anmutet – aber vor dem Hintergrund des vorhergehenden wirtschaftlichen Zusammenbruches und der niedrigen Ausgangswerte zu relativieren ist.
Wirtschaftsstruktur in Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP)
1991 | 1999 | |
Industrie | 31,6 | 18,1 |
Land- und Forstwirtschaft | 26,1 | 19,8 |
Bauwirtschaft | 9,5 | 1,8 |
Dienstleistungen | 33,5 | 17,3 |
Investitionsquote zum BIP | 31,6 % | 18,1 % |
Inflationsrate | (43,4 % 1998) | 22,5 % |
Arbeitslosigkeit | 2,7 % |
Quelle: Osteuropa-Institut München, Working Papers, Nr. 225 April 2000