Iranische Staaten — Pakistan

Eth­nis­che Gliederung: 
Pak­istan ist eth­nisch ent­lang ein­er para­lell zum Indus ver­laufend­en Sprach­gren­ze geteilt.

West­lich — in den Bergge­bi­eten nach Afghanistan — bilden Paschtunen und Belutschen die Mehrheit ein­er zunehmend fun­da­men­tal ori­en­tierten islamis­chen Bevölkerung, die iranis­che Sprachen spricht und sich vor allem auch nach Afghanistan ori­en­tiert, wo eben­falls Paschtunen und Belutschen leben — und die Mehrheit der Bevölkerung bilden. Inner­halb der Stammes­ge­bi­ete unter­liegen Ver­wal­tung und Recht­sprechung den jew­eili­gen Stamme­sober­häuptern. Man duldet keine Ein­mis­chung in innere Angele­gen­heit­en und wahrt gegenüber der pak­istanis­chen Regierung ein möglichst hohes Maß an Unabhängigkeit. 

Das Land der “Paschtunen” entzieht sich seit Jahrhun­derten der Kon­trolle ein­er außen­ste­hen­den Regierung. Bere­its die Briten hat­ten große Prob­leme, ihren Herrschaft­sanspruch auf die Gebirgsre­gion durchzuset­zen. Vom ersten Afghanistan­feldzug bis zum Abzug 1947 war der Khaiber-Pass zwis­chen Kab­ul, Jalal­abad in Afghanistan und Pesh­war, Islam­abad in Pak­isten ein Schau­platz ständi­ger Kämpfe.Ein strenger Moral- und Geset­zeskodex, Paschtun­wali, regelt seit Jahrhun­der­tendas Miteinan­der. Paschtun­wali ruht auf vier Grundpfeil­ern: Gast­fre­und­schaft, Rache, Verge­bung und Ehre. Es war eine Sache der Gast­fre­und­schaft und der Ehre, dass die Tal­iban-Herrsch­er von Afghanistan dem US-Druck auf Aus­liefer­ung von Bin-Laden nicht nachgeben kon­nten, solange die USA keine unwider­leg­baren Beweise für dessen Ver­ant­wor­tung am Atten­tat vom 11. Sep­tem­ber vor­legen konnten. 

Dabei ist auch bei den Paschtunen eine Tren­nung festzustellen. Der einst kriegerische Stamm der Afri­di  am Khaiber-Pass, der die “Free Tri­ble Aerea” (das nördliche Gren­zge­bi­et) beherrscht, duldet inzwis­chen die Anwe­sen­heit der pak­istanis­chen Sol­dat­en ent­lang der Haupt­straße. Hier hat der Fun­da­men­tal­is­mus (noch?) nicht Einzug gehal­ten. Die Afri­di — sun­ni­tis­che Moslems — gel­ten seit jeher nicht als beson­ders fromm, und haben sich als Gechäft­sleute ent­lang der uralat­en Karawa­nen­route und jet­zi­gen Straße etabliert. Fun­da­men­tal­is­mus schadet aber den Geschäften. Etwas anders ist die Sit­u­a­tion in “Waziris­tan”, dem südlich anschließen­den Gren­zge­bi­et, das bis Quet­ta reicht. Dort lebt der Stamm der Dur­rani, zu denen Mul­lah Omar gehört — und hier ist durch die “pak­istanis­chen Tal­iban” ein klein­er Gottesstaat errichtet, der dem Tal­iban-Regime Afghanistans in sein­er Aus­prä­gung entspricht 

Östlich  leben auch Mus­lime —  allerd­ings kul­turell und sprach­lich den indis­chen Mus­li­men nahe ste­hend. Sind­hi — die “Nation­al­sprache Pak­istans” unter­schei­det sich im Wesentlichen ledl­glich durch die Ver­wen­dung der ara­bis­chen Schrift von Hin­di, der Nation­al­sprache Indiens.

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Sprachen Pak­istans
Quelle der Karte: Wikipedia

Diese grobe “Zweit­eilung” — draw­idis­che Sprach­grup­pen sind die Über­reste der vor der indoarischen Inva­sion hier leben­den Haupt­bevölkerung, deren Ver­wandte sich auch noch im Süden Indi­ens find­en — beherrscht bis heute das innen­poli­tis­che Leben des Landes.

Pak­istan erbte mit dieser Bevölkerungsstruk­tur eine Belas­tung, die schon die britis­chen Kolo­nial­her­ren nicht lösen konnten:

  • Im Nord­west­en, der Prov­inz “Waziris­tan” gelang es die Briten bis zur Unab­hängigkeit (1947) nicht, die von Mir­sa Ali Chan (dem “Fakir von Ipi”) ange­führte Gueril­la der Paschtunis­chen Stämme unter Kon­trolle zu brin­gen — und das, obwohl bis zu 40.000 Mann im Ein­satz waren, um den Rebel­len­führer dingfest zu machen. 

  • Im Norosten im Tal von Swat an der Gren­ze zu Kaschmir ver­sucht­en die Briten dreißig Jahre lang, den Mys­tik­er Abdul Gha­fur (dem “Predi­ger” oder “Achund von Swat” — einen ide­ol­o­gis­chen Vor­läufer der heuti­gen Islamis­ten — zu bezwin­gen. Dieser hat­te nach der Eroberung Peschwars durch die Briten (1849) den “Heili­gen Krieg” aus­gerufen und über 60.000 Stammeskrieger mobil­isieren. 1869 bis auf Peschwar zurückge­drängt gelang es den Briten erst 1916, das Tal von Swat durch die Ein­set­zung eines Enkels von Gha­fur als lokalen “Mar­i­onet­ten­herrsch­er” zu befrieden — aber bere­its 30 Jahre später zog sich die Kolo­nial­regierung zurück. 

Mit dem Ende der Kolo­nial­herrschaft war auch das Ende der Zen­tral­regierung ver­bun­den und die Stammes­ge­bi­ete in den Gebir­gen began­nen wieder, sich selb­st zu regieren. 

Das Paschtunenge­bi­et zählt heute zu den Gegen­den, in denen die pak­istanis­che Armee müh­sam ver­sucht, eine Kon­trolle zu erlan­gen, auch über die Glauben­skrieger der Al Quai­da, die sich hier der Gast­fre­und­schaft paschtunis­ch­er Kom­man­deure erfreuen können.

Im Tal von Swat aber haben Milizen des radikalen Predi­gers Maulana Faslul­lah zur Rebel­lion ange­set­zt, eine Polizeis­ta­tion niederge­bran­nt und Hub­schrauber der Regierungstrup­pen beschossen (Okto­ber 2007). 

Die Elite des Staates ver­suchte bish­er, zwis­chen den radikalis­lamis­chen Strö­mungen und aussen­poli­tis­chen Inter­essen einen Aus­gle­ich zu find­en — oder bess­er: sie ignori­erte die radikalen Islamis­ten­führer in den Bergen und über­ließ diesen sozusagen “das Feld”. Die “Rote Moschee” — im Som­mer 2007 Sym­bol der Span­nun­gen zwis­chen Islamis­ten und Pak­istans Mil­itär­regierung — in unmit­tel­bar­er Nähe des Regierungsvier­tels von Islam­abad war jahrzehn­te­lang unter dem Patronat der pak­istanis­chen Elite, eine Schöp­fung der Regierung, in der Geheim­di­en­stler und Beamte des Staat­sap­pa­rates aus- und eingin­gen.  Die bei­den Leit­er der Moschee — die Brüder Ghazi — macht­en nie einen Hehl aus ihrer Sym­pa­thie für die Tal­iban, aus ihrer Abnei­gung gegen die zu säkuläre Staats­macht und dem Wun­sch, die Scharia zur Grund­lage der Islamis­chen Repub­lik Pak­istan zu machen. Mit immer offener­er, öffentlich zur Schau gestell­ten Agi­ta­tion forderten die zumeist aus dem armen Nord­west­en des Lan­des kom­menden Anhänger der bei­den Brüder Ghazi, die sich der Bekan­ntschaft Osama Bin Ladens rüh­men, die Staats­macht her­aus. Sie ließen es auf eine Kraft­probe ankom­men, die nach Tagen der Belagerung in einem Gemet­zel endete — und so Hun­derte von Mär­tyr­ern für die Sache des Islam schuf. 

Pak­istan befind­et sich in einem frag­ilen Bal­anceakt der Koe­ex­is­tenz zwis­chen fun­da­men­tal­is­lamis­chen Extrem­is­ten der iranis­chen Volks­gruppe und dem von Indoari­ern gestell­ten Mil­itär sowie der Mil­itär­regierung, deren Kader­schmieden wie bei den Indern auf den Tra­di­tio­nen der britis­chen Offizier­saus­bil­dung wurzeln. 

Pak­istan war von Anfang an ein sehr labiles Staats­ge­bilde, das seine eigene Iden­tität nicht im Völk­ergemisch des eige­nen Staat­ster­ri­to­ri­ums son­dern nur als Gegengewicht zum säku­laren Nach­barn Indi­en find­en kon­nte. 
Wer sich mit Pak­istan befasst, stößt zwangsläu­fig immer wieder auf das Ver­hält­nis zu Indi­en, das seit der Geburt der bei­den Staat­en deren Beziehun­gen nicht nur belastet, son­dern vielfach bestimmt.