A) Iranische Sprachen
Iranische – also dem Persischen verwandte – Sprachen werden von der Mehrheit der Völker Afghanistans gesprochen. Noch im 12. Jahrhundert waren diese Sprachen einheitlich von Persien bis Tadjikistan in Gebrauch. Erst danach entwickelte sich über Dialekte mit unterschiedlichen Betonungen und die Aufnahme von Fremdwörtern eigenständige lokale Sprachtraditionen, die sich in entsprechenden Stammesbezeichnungen wiederfinden. Dennoch wäre es verfehlt, alleine von der Sprachzugehörigkeit auf eine ethnische Stammeszugehörigkeit zu schließen. Die gesprochene Sprache korrespondiert nur grob mit der ethnischen Struktur und kaum mit religiöser und konfessioneller Zugehörigkeit.
„In Afghanistan lebt eine Vielzahl von ethischen, religiösen, sprachlichen und nationalen Gruppierungen und Minderheiten. Eigene Familie und Sippe höchstens der eigene Stamm war von Interesse, da hier die gleiche Mundart der selben Sprache gesprochen, der von dem anderen Stamm anders artikuliert wurde.“ (Zitat aus u.a. verlinkter Seite „Sprachen und Literatur (Völker) in Afghanistan“)
aa) Paschtunen
Die Paschtunen bilden nicht nur die stärkste ethnische Gruppe Afghanistans, sondern – wenn es denn ein solches gibt — auch das dominierende Staatsvolk. Sie leben zu etwa gleichen Teilen im Süden Afghanistans und in Pakistan. Ein bedeutender Teil ist noch nomadisch. Paschtunisch ist – nach Dari – zur zweiten Staatssprache Afghanistans erklärt worden. Die Paschtunen bildeten den Kern der „Taliban“, deren Kämpfer (aus pakistanischen Koranschulen indoktriniert) einen vormittelalterlichen „Steinzeitislam“ nach Afghanistan brachten.
Korrespondierend hat dieser „Steinzeitislam“ mit dem „Paschtunwali“ – dem Ehrenkodex der Paschtunen und dem Grundprinzip des paschtunischen Stammesrechts – letztendlich zur Invasion Afghanistans durch die USA mit beigetragen. Zu den traditionell höchsten Normen des „Paschtunwali“ gehören Gastfreundschaft und Asyl, die auch einem Osama bin Laden gewährt wurden; ein Entzug des Asylsrechts, der Gastfreundschaft, wäre nur über die „Djirga“, einer Streitversammlung mit Diskussion und Gespräch möglich gewesen, ohne gegen den eigenen „Ehrenkodex“ zu verstoßen. Das Ultimatum der USA und deren Weigerung, den Taliban entsprechende Beweise für die Urheberschaft am Attentat vorzulegen, ließen für diese traditionelle und zeitaufwendige Form der Konfliktlösung keine Möglichkeit. Das afghanische Angebot, Osama bin Laden einer internationalen Gerichtsbarkeit zu überstellen, wenn in dieser mindestens zwei islamische Staaten vertreten sind, wurde von den USA nicht akzeptiert. Damit waren weitere emotionale Hürden aufgebaut — die Auslieferung islamischer Kämpfer an christliche Kreuzritter hätte eine erhebliche Belastung für die paschtunische Herrschaft bedeutet.
Dazu kam der traditionelle Stolz der Paschtunen, die sich als Volk von Kriegern begreifen – und einer Drohung nicht nachgeben können.
ab) Farsiwan
Die Farsiwan (in deren Eigennamen das Wort Farsi für Parsi / Perser enthalten ist) sprechen die persische Sprache Dari und sind weniger einheitlich als die Paschtunen. Sie haben ein lokales Zugehörigkeitsbewusstsein statt einer ausgeprägten Stammeszugehörigkeit.
Bis ins 12. Jahrhundert war ihre Sprache Farsi oder Dari eine Sprache der Literatur, der Dichter und Denker, die bis zuletzt auch im Afghanischen Königshaus gepflegt wurde und heute auch von den meisten anderen Völkern Afghanistans mit eigenständigen Ausprägungen gesprochen und verstanden wird.
In den Städten sind die Farsiwan zahlreich als Handwerker und Händler vertreten. Auf dem Land leben sie als Bauern. Herat – das wirtschaftliche Zentrum der Farsiwan oder Herati – war noch im 15. Jahrhundert das Zentrum der persischen Welt.
Heute betrachten die Herati sich als ganz anders als die Iraner. Nur etwa 10% der Bevölkerung ist schiitisch (in Gegensatz zur Mehrheit der Iraner).
Zu den Volksgruppen, die „Dari“ als eigene Sprache übernommen haben, gehören viele ehemalige Kleingruppen (wie die „Tausendschaft“ Hazara, die ethnisch als Reste der mongolischen Invasionstruppen Dschingis Khans im Lande blieben) wie auch größere Völker wie die Usbeken, deren türkische Sprache in Afghanistan zunehmend durch Dari ersetzt wird.
ac) Belutschen
In den trockenen Wüsten Gebieten von Afghanistan sowie in Südwestpakistan und im Südostiran siedeln Stammesgruppen der Belutschen. Auch die Belutschen sprechen eine dem Iranischen verwandte Sprache.
ad) Tadjiken
Die Tadjiken – ausserhalb der eigentlichen Repubilk Tadjikistan gibt es etwa 5 Millionen Tadjiken im Nordosten Afghanistans – sprechen eine altpersische Sprache, haben aber über lange Jahre hinweg in friedlichem kulturellen Austausch mit den benachbarten Turkvölkern, insbesondere den Usbeken gelebt. Sie sind mit etwa einem knappen Drittel der Bevölkerung die zweitgrößte Volksgruppe Afghanistans.
Die Tadjiken bildeten mit den Turkvölkern den Kern der „Nordallianz“, die sich gegen den Herrschaftsanspruch der paschtunisch geprägten Taliban richtete.