Die schiitischen Araber, die gut 50 Prozent der Bevölkerung stellen und vor allem im Süden des Libanons und im Süden Beiruts in Armenvierteln leben, haben in der Hisbollah (Partei Gottes) eine politische Heimat gefunden.
Infografik der Tagesschau:
Die Hisbollah im Libanon — (www.tagesschau.de)
Anlass für die Gründung der Hisbolah (1982) war die israelische Besetzung des Südlibanon, der die im bisherigen Staatsleben völlig unterrepräsentierten Schiiten — obwohl bereits damals größte und ärmste Volksgruppe des Libanon — ausgeliefert waren. Nachdem anfänglich die Israelischen Truppen jubelnd begrüßt worden waren — die Schiiten erwarteten, dass Israel die dominierenden Palästinenser indie Schranken weisen würde — verstand es Israel sehr rasch, sich mit rücksichtlsoer Besatzungsmacht die einheimische schiitische Bevölkerung “zum Feind zu machen”. Mit maßgeblicher Unterstützung Irans — mehrere hundert Mitglieder der iranischen Revolutionsgarden wurden in den Libanon entstandt, mehr als 3000 Hisbollah-Aktivisten sollen bei den Pasdaran, den iranischen Revolutionswächtern, eine intensive Ausbildung erhalten haben — wurde diese schiitische Miliz “aus dem Boden gestampft.” Die ersten Generalsekretäre der 1985 offiziell auftretenden Organisation, Musawi (1991 — 1995, dann von Israelischen Truppen ermordert) und Scheich Hassan Narallah (seit 1992) sind auf Drängen und Weisung Irans in ihre Positionen gekommen. Auch heute noch sollen jährlich 50 Millionen Dollar aus dem Iranan die Hisbollah gehen, um deren vielfältige Aktivitäten zu finanzieren.
Die Hisbollah ist keine der üblichen Milizen, sondern eine politische Partei und zugleich eine straff organisierte halbmilitärische Organisation unter der Führung von Scheich Hassan Nasrallah, dieüber 10.000 physisch und ideologisch — unter anderem von iranischen Eliteeinheiten ‑hoch trainierte Kämpfer unter Waffen haben soll.
Der “politische Arm” derHisbollah betreibt ein weit verzweigtes soziales Netz mit Kindergärten, Schulen und Wohlfahrtseinrichtungen.
Die Miliz der Hisbollah ist in der Lage, komplexe Einsätze auszuführen.Sie verfügt über weit verstreute, große Waffenarsenale, unter anderem mit bis zu 12.000 “Katjuscha-” Raketen (vulgo: “Stalin Orgeln”) verschiedener Reichweiten bestückt, die im Iran und Syrien unter sowjetischer Lizenz produziert werden. Nach neuesten Berichten aus Israel (Haaratz, 14.07.2006) soll die Hisbollah inzwischen über Raketen verfügen, die sogar die 100 km südlich von Tel Aviv liegende Wüstenstadt Beer Schewa erreichen.
Die Süddeutsche Zeitung berichtet am 22. Juli 2006 unter Bezug auf verschiedene renomierte Forschungsinstitute, die Hisbollah verfüge neben Tausenden von Katjuscha-Raketen (18 kg Nutzlast, 2,80 m Länge, 20 km Reichweite) auch über ein- bis zweihundert relativ ungenaue Raketen vom Typ Faschr‑3 (40 kg Traglast, 5,20 m Länge und 45 km Reichweite), und Fadschr‑5 (90 kg Nutzlast, 6,50 m Länge, 75 km Reichweite), mit denen wohl Angriffe auf Haifa und Nazareth möglich sind, sowie über Raketen von denTypen Selsal 1 (8,30 m Länge, 700 kg Nutzlast bei einer Reichweite bis 150 km), Selsal 2 (bei gleicher Länge und Nutzlast ist die Reichweite bis 300 km verdoppelt), mit denen sogar Jerusalem und Tel Aviv erreicht werden könnten sowie eine unbestimmte Anzahl von “Raad”-Raketen. Hierbei handelt es sich um eine Sammelbezeichnung iranischer Raketen (Raad = Donner), die sowohl kleine Panzerabwehrraketen mit 3 km Reichweite wie eine Kurzstreckenrakete mit einer Reichweite von 350 km umfasst.
Der (erfolgreiche) Angriff auf ein 16 km vor der libanesischen Küste patroullierendes israelisches Kriegsschiff im Juli 2006 lässt zudem den Verdacht aufkommen, dass die Hisbollah über chinesische Raketen vom TypC-801 oder C‑802 verfügt, die wohl über Iran in die Hände der schiitischen Miliz gelangt sein dürften. In den Medien wird zudem über Raketen vom Typ “Fadschr” spekuliert, die bei einer Sprengladung von 40 kg rund 45 km (Fadschr 3″ bz.w 75 km (Fadschr 5) Reichweite haben. Ob sich auch der iranische Flugkörper Salsal (Erdbeben) mit einer Reichweite von 200 km in den Arsenalen der Hisbollah verfügt, ist nicht bekannt. Dazu kommen tragbare Luftabwehrraketen und moderne Anti-Panzer-Waffen.
Die Stärke der Hisbollah-Miliz liegt aber nicht im offenen militärischen Konflikt sondern im “asymetrischen Kampf” in einer anhaltenden Besatzungssituation. Der hohe Blutzoll, den israelische Streitkräfte bei der Besatzung des Südlibanon entrichten mussten, war Auslöser für den im Jahre 2000 erfolgten vollständigen Rückzug Israels aus den besetzten libanesischen Gebieten. Die Hisbollah verstand es, diese politische Entscheidung in Israel als selbst erkämpften militärischen Sieg zu “verkaufen”. Die von den Israelis geräumten Stellungen wurden nicht von der libanesischen Armee sondern von Angehörigen der Hisbollah-Miliz besetzt. Diese gilt seither als “die erste arabische Streitmacht, die Israel geschlagen und das (libanesische) Heimatland befreit” hat.
Die Hisbollah — die den Süden Libanons beherrscht — versucht nun offenbar mit der Entführung von zwei israelischen Soldaten, die isrealische Armee erneut in eine Besatzungssituation inmitten einer feindlichen Umwelt zudrängen. Als Reaktion auf die Bombardierung der libanesischen Infrastruktur mit entsprechenden Todesopfern von unbeteiligten Zivilisten wurden Raketen vom Südlibanon aus tief ins israelische Kernland — bis Haifa — abgefeuert. Israel kann diese Angriffe nur unterbinden, wenn es eine Verständigung mit der Hisbollah sucht oder — was wesentlich wahrscheinlicher ist und den israelischen Doktrin entspricht — im Südlibanon einmarschiert. Dann aber — so scheint die Hisbollahzu spekulieren — befinden sich Israels Truppen “in der Mausefalle” und “auf dem Präsentierteller” für eine im Besatzungskampf trainierte Miliz, die im Südlibanon ein von der Zentralregierung unabhängiges Herrschaftsgebiet aufgebaut hat.
Die mit der Entführung von zwei israelischen Soldaten durch Hisbollah-Milizen ausgelösten Angriffe auf den Libanon (der Generalstabschef Israels, Dan Halutz, sprach davon “man werde Libanon um 20 bis 50 Jahre zurückbomen”) vernichteten dagegen gerade die Strukturen, die zur Stärkung des von der Hisbollah nicht kontrollierten Libanon — und damit zur politschen Schwächung der Hisbollah — beigetragen hatten.
Ein wesentliches Ziel scheint die mit Syrien und dem Iran kooperierende Hisbollah-Miliz allerdings bereits erreicht zu haben. Zunächst wurde der Libanon nach dem Abzug der syrischen Truppen von Massendemonstrationen erschüttert, die nur mit der Aufnahme von Hisbollah-Ministern in die Regierung beendet werden konnte. Der Hisbollah gelang es aber nicht, die Regierung auf diesem Weg zu übernehmen — im Gegenteil: die Hisbollah geriet immer mehr unter Druck. Die Hizbollah wird inzwischen nämlich auch von der schiitischen Bevölkerung für Stromausfälle, Arbeitslosigkeit und Wirtschaftsprobleme verantwortlich gemacht. Die libanesische Regierung und Wirtschaft, die sich nach dem Abzug der Syrer immer mehr stabilisierten, wurden zusehends zu einer Bedrohung der Autonomie der Hamas-Gebiete. Der wirtschaftliche Erfolg der von der Zentralregierung beherrschten Gebiete des Libanon führte auch zur politischen Stärkung der libanesischen Regierung, die nach dem Abzug der Syrer wieder begonnen hatte, eigene Streitkräfte aufzubauen. Dies verstärkte den Druck auf die Hisbollah, die Waffenarsenale aufzugeben und sich immer mehr der zentralen Regierung zu öffnen. So wurde am 25. Juni 2012 durch den schiitischen Vertreter am “runden Tisch des nationalen Dialogs” erstmals die Bereitschaft erklärt, über das Thema “Nationale Verteidigung” zu sprechen — und damit über die Waffen der Hisbollah.
Tatsächlich ist der schiitische Südlibanon aber dank der massiven finanziellen Unterstützung und Wiederaufbauhilfe des Iran sowie der Untersützung reicher schiitischer Händler inzwischen auch die “libanesische Boomregion”, hinter der die sunnitischen Regionen im Norden zurück bleiben. Darüber können auch die potemkinschen Fassaden der wieder aufgebauten, leeren Innenstadthäuser in Beirut nicht hinweg täuschen. Die Schiiten stellen immer mehr Studenten — und damit die künftige Führungselite des Landes. Die Hizbollah ist die Partei der Aufsteiger, die diesen Aufschwung und den damit verbundenen relativen Wohlstand immer weniger durch einen neuen Krieg gefährden wollen.