2.4. „und zerstreut sie über alle Völker der Welt“
Als nach dem Aufstand der „Juden“ (mit verursacht durch eine religiöse Intoleranz der römischen Staatsmacht, in der die Kaiser mit göttlichem Status verklärt wurden) der Tempel in Jerusalem zerstört und ein großer Teil der aufständischen Bevölkerung in die Sklaverei getrieben wurde, war dies nicht die erste, aber wohl die einschneidendste Vertreibung.
Dass bis in die Zeit der Apostel die Zugehörigkeit zum „Volk Israel“ nicht ethnisch sondern überwiegend religiös verstanden wurde, zeigt die überlieferte Auseinandersetzung zwischen Petrus und Paulus über die Frage, ob „Heiden“ erst zum jüdischen Glauben übertreten müßten, um Christen werden zu können. Das Judentum war also als religiöse Gemeinschaft offen für Fremde, und das Christentum wurde als Teil der jüdischen Religionsgemeinschaft verstanden.
Erst mit der Verneinung der Frage über die Aufnahme von Heiden in die christliche Gemeinschaft wurden Juden und Christen nachhaltig separiert — mit der Folge, dass sich die jüdischen Gemeinden — die in der ganzen Welt verstreut waren — in Abgrenzung zu der zunehmend aufblühenden zweiten monotheistischen Religion betont als „das eigentliche Volk Gottes“ verstanden. Dieser Begriff entwickelte sich zunehmend zu einer auch ethnischen Bedeutung.
Die Christen nahmen die Sprache des Volkes und des antiken Staates an, in dem sie lebten, zunächst das Koine-Griechisch, die damalige Weltsprache, und dann — mit zunehmender Popularisierung — Latein als Sprache des Römischen Reiches. Latein war bis zum zweiten vatikanischen Konzil die Liturgiesprache der römisch-katholischen Kirche. Die jüdischen Gemeinden blieben dagegen bei der alten Liturgie- und Kirchensprache „Hebräisch“, die schon Jahrhunderte vor der Vertreibung als „Volkssprache“ durch Aramäisch abgelöst worden war.
Viele Aramäer blieben auch „nach der Vertreibung“ im alten Siedlungsgebiet des Nahen Ostens sesshaft. Die Angehörigen der aramäischen Sprache blieben bis zum 7. Jahrhundert u.Z. die Mehrheit der Bevölkerung im heutigen Israel und Palästina. Erst mit der Verbreitung des Islam wurden die Aramäer islamisiert, aber nicht vertrieben. Aramäisch wird heute noch in einigen — wenigen — Dörfern Syriens und der Türkei gesprochen. Diese Aramäer — und arabisierten Palästinenser — sind historisch und ethnisch als Nachfahren der antiken Judengemeinden zu sehen
Dem gegenüber ist mit Sicherheit anzunehmen, dass die jüdischen Gemeinden der damaligen Welt ethnisch nicht (nur) aus „heimatvertriebenen Aramäern“ bestanden, sondern — wie die christlichen Gemeinden auch — einen mehr oder weniger großen Anteil der heimischen Bevölkerung umfassten. Die Beibehaltung der alten hebräischen Liturgiesprache führte aber zu einem „Wettbewerbsnachteil“ gegenüber den christlichen Missionaren, die ihre Lehre in der Sprache der Einheimischen Bevölkerung übersetzten und damit sehr schnell — in wenigen Jahrhunderten — die Mehrheit der Bewohner zum Christentum bekehrten. Die jüdischen Gemeinden (die bereits mit Hunderten von Angehörigen bestanden, als zwölf einsame christliche Apostel ihre Missionstätigkeit begannen) gerieten in eine zunehmende religiöse Isolation gegenüber der nun christlich geprägten Umgebung, sie blieben „unter sich“.
Aus dem religiösen Begriff des „Volkes Gottes“ entstand die Überzeugung, tatsächlich einem ethnisch einheitlichen Volk anzugehören.
Wenn also die alten Juden damals – nach der Zerstörung des Tempels unter den Römern – in ihrem angestammten Heimatgebiet geblieben wären, dann wäre Israel ein gewachsenes Bindeglied zwischen den semitischen Stämmen im Osten und den vorsemitisch-hamitischen Ägyptern, dann…
Aber „wenn“ und „dann“ – so einfach ist die Weltgeschichte nicht zu lösen.
Mit dem gescheiterten Aufstand der Juden und der anschließenden Zerstreuung „unter alle Völker“ erlebte das jüdische Volk eine einzigartige Cäsur, die von Dauer und Folgen weit über die Zeit der „babylonischen Gefangenschaft“ hinausgeht.
In dieser Zeit „vermischten“ sich die Angehörigen des Volkes Israel. Sie nahmen nicht nur „fremdes Blut“ auf – sie wurden ethnisch und vor allem auch kulturell von ihrer Umgebung geprägt.
Die europäischen Juden des Mittelalters waren genauso Bestandteil der mittelalterlichen Gesellschaft wie Mitbürger jüdischen Glaubens heute im Wirtschafts- und Kulturleben der westlichen Welt nicht mehr wegzudenken sind.
Allerdings waren die Juden in Europa – im Gegensatz zu den Juden in arabischen Ländern – immer wieder heftigen Verfolgungen und Progromen ausgesetzt, die in der Zeit des „Dritten Reiches“ einen neuerlichen Höhepunkt erreichten. Nach dem Grauen der „Shoah“ – dem Völkermord an Bürgern jüdischen Glaubens durch die Nationalsozialisten in Europa – suchten die Überlebenden, aber auch nationale Zionisten eine neue staatliche Heimat für Juden im „gelobten Land“, das nach der Interpretation jüdischer Propagandisten einen großen Teil des heutigen Israels, aber auch des Libanon und Syriens umfassen sollte.
Externe Links:
deutschsprachiges internetportal zum thema shoah und holocaust — (www.shoah.de)
Israel heute — (www.nai-israel.com)