2006 — Drei Jahre nach der Invasion:
“Am Rande des Bürgerkriegs — Der befreite Irak solle ds Schmuckstück in Bushs neuem Nahen Osten werden. Poliitsche Fortschitte gab es in der Tat. Aber die Gewalt nimmt ständi zu: Allein im Juli wurden täglich 100 Iraker getötet.” Mit diesen Wort leitet die FAZ am 9. September 2006 einen Artikel ein, der nichts anderes als das Scheitern der amerikanischen Invasion im Irak belegen soll.
Nur wenige Tage zuvor war bekannt geworden, dass auch der letzte US-Vorwand zur Invasion — eine angebliche Verbindung zwischen dem Baath-Regime von Saddam Hussein und Al-Quaida nur ein Vorwand war. Bereits die angeblichen Massenvernichtungsmittel konnten nie gefunden werden. Fragt sich, ob das “schwächste” der Invasionsargumente, die “Demokratisierung des Irak” nachträglich den Tod tausender Soldaten und noch viel mehr Zivilpersonen rechtfertigt — seit dem Kriegsbeginn bis zum Sommer mussten 50000 Zivilisten ihr Leben lassen.
Wohl nicht — der Irak entwickelte sich in den drei Jahren seit dem Sturz Husseins zu einem “Spielplatz für den Dschihad”. Die gewählten Politiker sind nicht in der Lage, die zunehmenden Gewalttaten zwischen sunnitischen und schiitischen Arabern zu beenden. Die arabischen Provinzen des Irak schliddern zunehmend in einen Bürgerkrieg.
Lediglich in den kurdischen Siedlungsgebieten im Norden ist Ruhe eingekehrt. Dank der dortigen Ölvorkommen — die über die Türkei exportiert werden können — ist ein wirtschaftlicher Aufschwung eingekehrt, der die kurdischen Autonomiebestrebungen stärkt. Während im Süden die Ordnungskräfte der irakischen Regierung — Polizisten genauso wie die neu aufgestellten nationalen Streitkräfte — und erst recht die Invasionstruppen ständigen Anschlägen ausgesetzt sind, schätzt die kurdische Bevölkerung die Sicherheit, die seit dem Sturz Saddams in den Nordprovinzen herrscht.
Die FAZ zeichnet in einem Kommentar vom 01.12.2006 unter dem Titel “Der große Fehlschlag” folgendes Bild von der Lage des Landes:
“Der Irak steht am Abgrund, da gibt es nichts zu beschönigen. Das tägliche Blutbad hat ein Ausmaß angenommen, das weit über einen Aufstand gegen fremde Besatzer hinausgeht. .…. So etwas nennt man Bürgerkrieg, auch wenn Präsident Busch dieses Wort nicht mag. Sein treuester Verbündeter ist da ehrlicher: Blair hat die Lage im Irak kürzlich als Desaster bezeichent. .… Hoffnung macht im Augenblick eigentluch nur, daß es unter den führenden irakischen Politikern immer noch etlichge gibt, die für die Einheit des Landes eintreten. Das ist die bittere Bilanz eines Feldzugs, der dem gesamten Nahen und Mittleren Osten eine neue, eine bessere politische Ordnung bringen sollte. Dreieinhalb Jahr nach dem Einmarsch kann sich Busch nicht mehr zugute halten, als daß er einen Diktator gestürzt hat. Alle anderen Kriegsziele wurden verfehlt, in manchen Fällen ist sogar das Gegenteil eingetreten.….”
Wer kann verlässt das Land — und es ist gerade die Elite des Landes, die das kann. Inzwischen (Frühjahr 2007) finden sich etwa 10 % der Irakischen Bevölkerung auf der Flucht vor den Bürgerkriegswirren. Gut 2 Millionen haben in den westlichen Nachbarländern — in Jordanien und Syrien — Zuflucht gefunden. Alleine die syrische Hauptstadt Damaskus beherbergt rund 1 Million irakischer Gäste. Eine 3/4 Million Iraker befindet sich in Jordanien, zumeist in der Hauptstadt Amman, die inzwischen von irakischen Restaurants übreschwemmt ist. Die boomenden Golf-Staaten haben 200.000 Iraker aufgenommen, Ägypten rund 100.000, der kleine Libanon — selbst von einem Bürgerkrieg erschüttert — gab 40.000 Irakern eine neue Heimat, 10.000 fanden Zuflucht in der Türkei und 54.000 im östlichen Nachbarland Iran. Im Irak selbst sind weitere 2 Mio. auf der Flucht — auf dem Weg zu sicheren Gebieten der eigenen Ethnie — eine Säuberung, eine ethnische Bereinigung wie wir sie ähnlich auch auf dem Balkan gesehen haben. Das Engagement der westlichen Invasoren mutet dagegen mager an. Gerade einmal 115 Personen von mehr als 14.000 Bewerbern gewährte Großbritannien in den ersten drei Jahren nach dem Krieg die begehrte Aufenthaltserlaubnis, und die USA, die im Jahr 2007 “großzügig” 3.000 Flüchtlingen eine neue Heimat bieten wollten, haben in dieser Zeit mageren 500 Irakis die begehrte Aufenthaltserlaubnis verschafft. Die Alliierten verweigern sich, wenn es um die Linderung der Not derer geht, die in Folge der Invasion heimatlos wurden.
Seit November 2006 zeichnet sich eine Annäherung der über Jahrzehnte hin verfeindeten Nachbarn Syrien und Irak ab. Auf Einladung des Iran trafen sich Politiker aus Syrien, Irak und Iran um die Entwicklung des zerbrechenden Landes gemeinsam zu beraten — unter Ausschluss der USA.
Durchaus denkbar, dass Iran seinen gefestigten Einfluss auf die schiitischen Glaubensbrüder konsolidiert, während gleichzeitig Syrien — Irans traditioneller Verbündeter im Nahen Osten — mit seiner Baath-Partei im Bereich der sunnitschen Araber Einfluss gewinnt. Das Zusammenspiel der beiden Nachbarn könnte dem Irak wieder zu einer Konsolidierungsphase verhelfen.
Allerdings:
inzwischen mischt auch ein regionaler Rivale Irans immer aktiver in dem undurchsichtigen Gemengelage mit. Es ist ein offenes Geheimnis, dass Saudi Arabien die sunnitischen Aufständischen massiv unterstützt. Etwa die Hälfte der in den Irak einsickernden sunnitischen Untergrundkämpfer stammt aus dem wahabischen Königreich. König Abdallah hatte dazu bereits im Herbst 2006 eine offizielle Warnung an US-Vizepräsident Dick Cheney gerichtet, dass die Saudis die Partei der Sunniten ergreifen würden, wenn es im Irak zu einem Bürgerkrieg käme. Die von den USA unterstützte Regierung von Nuri al-Maliki wird in Riad als Vasall Teherans betrachtet.