Iraks Unabhängigkeit im Kampf gegen das Osmanische Reich und die Einheit der Araber
Noch vor dem ersten Weltkrieg stand die ganze arabische Halbinsel unter der (nicht nur nominellen) Oberherrschaft des osmanischen Reiches.
Als sich das türkische Reich den Achsenmächten Österreich-Ungarn und Deutschland hinzugesellte, gelang es einem jungen, archäologisch bewanderten Engländer die arabischen Stämme gegen die türkische Oberherrschaft aufzuwiegeln und gegen diese Oberherrschaft einen siegreichen Guerillakampf zu führen.
Anfänglich hatte Großbritannien die Angebote arabischer Nationalisten zurückgewiesen, sie würden im Gegenzug für die Anerkennung eines unabhängigen Arabiens durch Großbritannien Krieg gegen das osmanisch-türkische Reich führen. Aber nach der katastrophalen Niederlage der alliierten Landung bei Gallipolli im Jahre 1915 akzeptierte Großbritannien in einem Brief an die Haschemiten — einem Wüstenstamm aus der Hijaz, wo die muslimischen heiligen Stätten Mekka und Medina stehen — deren Bedingungen.
Daraufhin riefen der von den Osmanen ernannte Scharif von Mekka, Hussein ibn Ali und seine Söhne Abdullah und Faisal 1916 die “arabische Revolte” aus, die durch die populären Berichte über die Abenteuer des britischen Agenten T. E. Lawrence, besser bekannt als “Lawrence von Arabien”, zu Berühmtheit gelangte. Faisal führte die Alliierten nach Damaskus, heute Hauptstadt Syriens, und errichtete im Oktober 1918 vorübergehend seine eigene Herrschaft.
Interner Link: Arabien — Felix Arabia
“Lawrence von Arabien” ist heute noch ein Held des Westens — aber zugleich in arabischen Augen ein Verräter; denn aus den Versprechen einer eigenen nationalen Unabhängigkeit wurde nichts — im Gegenteil:
die Briten hatten nicht die Absicht, ihre Versprechen einzuhalten. Im Sykes-Picot-Abkommen, das sie 1916 mit den Franzosen abschlossen, wurde das Osmanische Reich zwischen beiden Mächten aufgeteilt und die Kontrolle über Syrien dem französischen Imperialismus, die über den Irak den Briten zugesprochen.
Nachdem es die Haschemiten während des Kriegs getäuscht hatte, ging Großbritannien nun dazu über, sie als willfährige Lakaien seiner Vorherrschaft über die Region zu benutzen. Faisal und sein Gefolge wurden unter britischem “Schutz” nach Irak geführt. Dort hatten im I. Weltkrieg britisch-indische Truppen die Stadt Basra und danach die gesamte gleichnamige Provinz am persischen Golf besetzt und nach verschiedenen Rückschlägen im Spätsommer 1918 die osmanischen Truppen bei Kirkuk überwunden und bis November 1918 die Provinz Mosul besetzt. Nach dem Vorbild der ägyptischen Revolte von 1919 begannen Anfang des Jahres 1920 Demonstrationen gegen die britische Vorherrschaft, die von den Briten mit Gewalt niedergeschlagen wurden. Dies führte im Sommer des gleichen Jahres zu einem nationalen Aufstand, der mit massiven Militärschlägen niedergerungen wurde.
Der Traum vom arabischen Großreich endete in einer britischen Kolonialherrschaft.
Erst nach dem zweiten Weltkrieg gelang es den arabischen Staaten, die ersehnte staatliche Unabhängigkeit zu erlangen — freilich nicht in einem einheitlichen Reich der “arabischen Nation”, sondern aufgesplittert in verschiedene Königs- und Fürstenhäuser.
Die einstige osmanische, zum Irak gehörende Provinz von Kuwait wurde ein unabhängiges arabisches Fürstentum. Syrien, Jordanien und Saudi-Arabien bildeten eigenständige Staaten.
Die Haschemiten, die arabische Herrscherdynastie, die wesentlich am Unabhängigkeitskampf mitgewirkt hatte, wurden von den Saudi vertrieben.
Im Irak (hier wurden die Haschimiden 1958 entthront), und Jordanien (wo die Familie immer noch regiert) erhielten sie “als Trost von britischen Gnaden” eigenständige Königreiche.
“Divide et impera”, teile und herrsche, diesen altrömischen Grundsatz hatten sich die Kolonialmächte zur Maxime ihres Handelns gemacht.
In Syrien und Irak gelang es der sozialistischen “Baath-Partei”, zur Herrschaft zu gelangen — freilich mit der schon seit Jahrtausenden im arabischen Raum bekannten Rivalität der Führer, die dem jeweils anderen die Qualifikation und Legitimität absprachen.
Im Irak folgte eine sehr säkulare Herrschaft.
Iraks “goldenes Zeitalter” — Wirtschaftserfolg dank reicher Ölvorkommen:
Der Irak hat nachgewiesene Erdölreserven von 112 Milliarden Barrel, jeder Barrel mit knapp 160 Litern Erdöl anzusetzen — und es ist billiges Öl, das nur wenige Meter unter der Erdoberfläche darauf wartet, gefördert zu werden. Die Förderung des irakischen Erdöls kostet etwa 1 US-$ pro Barrel. In der Nordsee wird das 15-fache, in Texas noch immer das 10-fache dieser Förderpreise gerechnet. Dennoch wird auch irakisches Öl zum Weltmarktpreis vermarktet, der etwa das 30-fache der irakischen Förderkosten beträgt. Dazu kommen weitere, erhoffte Öllagerstätten, die — so erwarten Experten — den Irak zum Besitzer der weltweit größten Erdöllager machen können. Ein “Schatz”, der nicht nur dem irakischen Volk Gesundheit und Wohlstand bringen könnte.
Von 1970 bis 1980 konnte die irakische Baath-Partei, die nach dem Sturz der von den Briten eingesetzten Haschemiten-Dynastie (1963) die Regierung übernommen hatten, die Ölförderung auf rund 3,5 Mio. Tonnen verdoppeln. Die hierdurch erzielten Staatseinnahmen — über 25 Millionen Dollar jährlich — wurden genutzt, um den Irak bei Bildung und Gesundheitsschutz zum “arabischen Musterland” zu machen. Schulen, Krankenhäuser und Fabriken wurden durch die reich fließenden Öleinnahmen finanziert. Bis zum “ersten Golfkrieg” war der Irak das am Weitesten entwickelte arabische Land. Der Lebensstandard der Bevölkerung war gerade in den Städten höher als in den arabischen Nachbarländern Syrien und Jordanien oder dem Nilstaat Ägypten. Der säkuläre Irak hatte eine breite, wohlhabende Bürgerschicht.
Dank reicher Ölvorkommen wurde der Irak zum wirtschaftlichen Musterstaat, allerdings mit einem “Schönheitsfehler”: Schiitische Araber, Sunnitische Araber und sunnitische Kurden haben keine gemeinsame Vergangenheit und gegensätzliche Interessen. Sogar noch unter osmanischer Herrschaft in verschiedene Provinzen aufgeteilt wurde das Gebiet des heutigen Irak in der Zeit nach dem 1. Weltkrieg durch die Siegermacht — das britische Empire — in einem neuen Staatsgebilde zwangsweise zusammen gefügt.
Die immer wieder aufbrechenden Differenzen zwischen den Volksgruppen, die auf eine jahrtausendelange Tradition und Entwicklung zurückgehen, konnten nur mit “harter Hand” begrenzt werden.
Despotische Herrschaft im Inneren:
Ein Nachgeben, ein “weich werden” — gar “Demokratie im westlichen Sinn” — barg in den Augen der Regierenden des Irak die Gefahr, dass der “Kunststaat Irak” auseinanderbricht, dass sich die drei großen Bevölkerungsgruppen in gegenseitigen Rivalitäten verstricken und der so mühsam zur Unabhängigkeit gelangte Staat zum Spielball fremder Mächte würde.
Nachdem sich Persien unter dem Schah und die Türkei den westlichen Mächten zuwandten, suchte sich der rivalisierende Araberstaat einen anderen Schutzpatron — die Sowjetunion, die ebenfalls eine säkulare, “unislamische”, zumindest “areligiöse” Staatsform pflegte.
Denn: auch im Irak wurde den latenten religiösen Spannungen zwischen sunnitischen und schiitischen Bevölkerungsteilen durch eine streng säkulare Staatsregierung begegnet.
In diesem betont säkularen, unislamischen Staat konnten auch die Anhänger anderer Religionen — wie etwa Christen — ungestört ein eigenes ungestörtes religiöses Leben führen.
Die irakische Regierung unter Saddam Hussein war (und ist) daher über lange Jahre bis heute in den Augen islamischer Fundamentalisten ein “satanisches Übel”.