Interne und externe Konflikte:
Indien wird zunehmend von internen Konflikten erschüttert. 1967 brach im Dorf Naxalbari (daher Spitzname Naxaliten) ein maoistischer Aufstand aus, der sich zu einem Steppenbrand auszuweiten droht. Obwohl das Ursprungsland des Aufstandes, Westbengalen wohl auch aufgrund seiner langjährigen über dreißig Jahre hin aktiven kommunistischen Bundesstaatsregierung keine optimalen Bedingungen bot, breitete sich der maoistische Aufstand im Osten und den Südosten des Subkontinentsim vor allem im ländlichen Hinterland zwischen den Bundesstaaten Bihar, Jharkand, Chhattisgarh und Andhra Pradesh aus. Innerhalb von 6 Jahren hat sich das von der straff organisierten Untergrundarmee beherrschte Gebiet verdreifacht. Mindestens ein Drittel aller rund 625 indischen Distrikte ist betroffen. Hier erstreckt sich der indische Urwald über vier Bundesstaaten und über 90.000 Quadratkilometer. Geschürt von der Ausbeutung der Ureinwohner, der Adivasi, die durch Minenkonzerne verdrängt werden, ist ein weitgehend unabhängiges Gemeinwesen entstanden. Die Stämme der Dorla, Koya und Maria mit ihrer eigenen Sprache, dem Gondi, sind Analphabeten geblieben, denen der indische Urwald die Lebensgrundlage bietet. Jeder Eingriff in den Urwald beeinträchtigt diese Stämme in ihrer Lebensform. Aus einer Revoltoe gegen die indische Staatsforstverwaltunng und von den Provinzregierungen angeordneten Umsiedlungen ist eine Revolution geworden, die auch die von der Bergbau-Industrie gesponsorten traditionellen Stammesführer entmachtet hat. Den offiziellen Staatsorganen ist die Herrschaft entlang der Verkehrsadern und in den größeren Städten geblieben. Die Staatsmacht endet z.T. schon vor den Toren der Kasernen und an den Grenzen der Städte. Die wenigen und oft schlecht bezahlten Staatsbeamten — Ärzte, Polizisten und Lehrer — können gegen die entschlossenen Aufständischen kein Gegengewicht bilden. 200.000 bewaffnete Soldaten und Offiziere (Stand 2010) setzt Indien ein — trotzdem zu wenig, wenn man bedenkt, dass sich teilweise die doppelte Anzahl von hochgerüsteten Guerilla-Kämpfern und die 50fache Anzahl von “Volksmilizen” auf der Gegenseite befindet. Diese sind neben der üblichen Kalaschnikow und selbst gebastelten oder museumsreifen Schießprügeln auch mit leichten Maschinengewehren ausgerüstet, die mit ihrer Reichweite von bis zu einem Kilometer sogar den Verbindungshubschraubern der indischen Armee gefährlich werden. Zentrum der Naxaliten ist das Bailadila-Bergmassiv mit seinen gewaltigen Rohstoffvorkommen, insbesondere begehrtem Eisenerz. Milliarden Euro wurden zur Erzförderung und zur Errichtun eines Stahlwerks des Tata-Konzerns ausgegeben. Vergeblich? Die knap 270 km klange Erzschlamm-Pipeline des internationalen Essar-Konzerns ist gesprengt, Straßen und Bahnlinien sind Ziel von Sabotageakten. Die Investitionen der Konzerne erweisen sich als Danaer-Geschenke, die auch den Investoren nur Verluste bringen. Um den Kern der “befreiten Gebiete” mit einem Staat im Staat — eigenen “Volksregierungen”, “Volksgerichen” und “Volkskämpfern in Uniform” legt sich ein wechselnder Gürtel von umkämpften Dörfern. Den Rand des Naxaliten-Staates bilden die Ortschaften, in denen der Staat noch durch Ärzte, Lehrer und Polizisten vertreten sind — die aber in ständiger Gefahr stehen, ermordert zu werden. Seit dem am 6. Arpil 2010 eine Kompanie Polizisten bei Chintalnar in einen mit Minen vorbereiteten Hinterhalt geriet haben die offiziellen Staatsvertreter immer mehr Angst, sich auf so exponierte Posten zu begeben.
Im Kaschmir hat Indien circa 600.000 Mann an Armeetruppen (mit besonderen Rechten) und Paramilitärs stationiert, die der Unabhängigkeitsbewegung kräftig entgegen wirken. Allerdings flaut der Konflikt inzwischen ab. Pakistan hat “mit sich selbst” genug zu tun und reduziert daher zwangsläufig seine Unterstützung für die Gegner Indiens. Die Kaschmiri sind kriegsmüde geworden — und Indien hat im Juni 2009 begonnen, aus seiner “Position der Stärke” heraus einen Dialog mit den Seperatisten anzubieten.
Konflikte mit Nachbarn:
Die Geburtswehen Indiens spiegeln sich in seinem Verhältnis zu den unmittelbaren Nachbarn. Obwohl Indien und Pakistan gleiche Wurzeln haben – die Sprachen Hindi und Urdu unterscheiden sich vor allem in der gebräuchlichen Schrift – sind diese beiden Staaten wie verfeindete Geschwister. Der Dauerkonflikt mit Pakistan gehört bis heute zu Indiens Geschichte.
Indiens “Entkolonialisierung” endete im Dezember 1961, als das portugiesische Goa im Handstreich genommen wurde.
Im Überschwang dieses Erfolges legte sich Indien auch mit China an. Streitpunkt war (und ist) das Gebiet von “Aksai Chin”, das ursprünglich zur autonomen, nominell den Chinesen unterstehenden Klostendiktatur Tibet gehörte. 1897 wurde vom britischen General John Charles Ardagh das Gebiet mit einer Fläche von rund 90.000 qkm zum indischen Kaschmir zugeschlagen. Im Kampf um die Unabhängigkeit von China wurde diese Grenzregelung von Tibet mehr oder wengier als Gegengeschäft für die britische Unterstützung der Unabhängigkeitsbemühungen akzeptiert — nie aber von China. Die von Indien kaum erreichbare Region stellt aber für China eine wichtige strategische Verbindung zwischen Tibet und Sinkiang dar. Nach dem Ende des Koreakrieges widmeten sich Maos Strategen der Sicherung ihrer Ansprüche am anderen — westlichen — Teil des traditionell als chinesisch beanspruchten Gebietes. 1956 errichteten tausende Chinesen — von Indien wohl unbemerkt — eine Militärstraße, über die dann bei der gewaltsamen Niederschlagung der von der CIA unterstützten Unabhängigkeitsbewegung Tibets 1959/1960 auch chinesische Militärs nach Tibet vordrangen.
Als indische Grenzsoldaten dann — trotz mehrerer Treffen zwischen Chinas Aussenminister Chou und Indiens Präsident Nehru — auf die chinesischen Grenzposten vordrangen (für den Kampf im Hochgebirge denkbar schlecht gerüstet) nutzte China dies, um den Indern “eine Lektion zu erteilen”. Am 20. Oktober 1962 traten die Chinesen mit vier Divisionen zum Gegenangriff an und stießen bis in die Vorgebirgsgegend von Assam vor. Nach einem Monat — als das indische Tiefland offen vor den angreifenden Chinesen lag — verkündete China einseitig einen Waffenstillstand und zog sich auf die Ausgangsstellungen zurück.
Indien sieht sich seither von China bedroht, das 1962 eine Demonstration seiner Macht abgab und Indiens Streitkräfte längere Zeit traumatisierte. Seither beherrscht der nördliche Nachbar die Bedarfsplanungen, die Indiens Streitkräfte den eigenen Anforderungen zugrunde legen. Als Folge des Krieges wurden nicht nur die indischen Gebirgsdivisionen (neu) aufgestellt, sondern auch die Forderung nach strategischen Abschreckungswaffen (A‑Bomben) erhoben. Erst Im Dezember 1991 erfolgte die Öffnung der Grenzen zu China für einen grenzüberschreitenden Handel.
Dazu kommen befristete Einsätze indischer Truppen in Bangladesch und Sri Lanka (1987 als Friedenstruppe, Operation Tasha, Patrouillen gegen die Seeverbindungen tamilischer Rebellen) sowie auf den Malediven (LL-Operationen 1988), die auf Grund von Bürgerkriegen in diesen Staaten erfolgten – und damit letztendlich wohl auch auf koloniale Erblasten zurückgehen.
Indien bezeichnet sich betont als blockfrei. Es sucht gute Kontakte zu Russland, das als Gegengewicht zu den USA und dem Rivalen China verstanden wurde, versucht nach der Anerkennung der indischen Atompolitik durch die USA eine Wiederannäherung an die westliche Führungsmacht (auch um westliche Waffensysteme erwerben zu können), vermeidet aber jedes wirkliche Militärbündnis.
Annäherung zwischen Indien und China:
Die Beziehungen der beiden asiatischen Zukunftsmächte, die zusammen 40 % der Weltbevölkerung beherbergen, gestalten nicht nur die Verhältnisse auf dem größten Kontinent, sondern haben globale Auswirkungen. Kooperation oder Konfrontation — das ist die Frage, vor der die beiden erwachenden Mächte, der Drache und der Elefant, stehen. Die gegenseitigen territorialen Ansprüche haben bisher sogar den Abschluss eines formalen Waffenstillstandsvertrages verhindert — dennoch wächst der Handel zwischen beiden asiatischen Mächten mit atemberaubender Geschwindigkeit. Das Handelsvolumen wuchs alleine vom Jahr 2000 (3 Mrd. $) bis 2006 auf über 20 Mrd. $ — und es wird weiter wachsen. Dafür sorgen schon die Investitions- und Handelsabkommen zwischen den beiden Staaten. Zwischen 1996 und 2005 investierten indische Unternehmen — insbesondere Softwarekonzerne — mehr als 160 Mio. $ in China. Bis 2010 soll sich das Handelsvolumen erneut verdoppeln und 40 Mrd. $ erreichen — etwa so viel, wie im Jahr 2005 der Warenaustausch zwischen Deutschland und Japan ausgefallen ist (43 Mrd. $). Indien liefert dabei insbesondere Rohstoffe, während China den indischen Markt mit seinen preiswerten Waren versorgt. Zudem wurden einige, über Jahrzehnte geschlossene Pässe zwischen Indien und Tibet wieder eröffnet. Das erleichtert nicht nur den Grenzhandel der lokalen Bevölkerung, sondern erspart den langen und zeitraubenden Umweg über den Seehandel, der durch die enge Straße von Malakka und damit ein potentiell von der Sperrung bedrohtes Seegebiet führt. China hat damit neben Myanmar und Pakistan eine dritte Landverbindung zum indischen Ozean gewonnen, der die sensible Schifffahrtsroute durch diese s gefährdete Gewässer entlasten kann.Die Tibet-Eisenbahn — im Jahr 2006 von China bis Lhasa vorangetrieben — soll bis Indien verlängert werden. Damit würde China über eine strategisch wichtige Bahnverbindung zur wachsenden Regionalmacht Südasiens verfügen. Dies erleichtert die Versorgung mit Rohstoffen aus Afrika und dem Nahen Osten, wenn im Falle eines Konfliktes um Taiwan die eigenen Häfen gefährdet sind. Öltanker, die den wertvollen Rohstoff in indischen Häfen ausladen, wären von einem solchen Konflikt nicht betroffen.
Indien und China haben ein gemeinsames Problem: die Energieversorgung hält kaum mit den ständig wachsenden Bedarf Schritt. Indien und China haben daher eine Vereinbarung über die Zusammenarbeit im Bereich der Energieversorgung abgeschlossen. Die aus den Gebirgsketten zwischen beiden Ländern fließenden Ströme bieten ein großes Potential zur Erzeugung von Wasserkraft. Indien hat zudem großes Interesse am Ausbau der Atomenergie, der in China seit Jahren intensiv vorangetrieben wird.Damit wird aber auch die gemeinsame Sicherung von Öl- und Gasreserven in Afrika oder Asien ermöglicht.
Chinas Gegengewicht in Südostasien:
Die USA ermuntern Indien, für die Sicherheit in Südostasien “mehr Verantwortung” zu übernehmen. Zu Indien gehören Inseln (Nikobaren und Andamenen) am nördlichen Ende der Straße von Malakka, die direkt der Küste Burmas — und den vermuteten chinesischen Stützpunkten — vorgelagert sind. Indien befindet sich also in einer geographisch ausgezeichneten Position, um diese wichtige Handelsstraße zu kontrollieren. Auf den Inseln wurde mit hohem Aufwand militärische Infrastruktur errichtet. Indische Kriegsschiffe gewährten US-Nachschubtransportern 2002 während des Afghanistan-Krieges Geleit durch die Malakkastraße. Indien nahm seit April 2000 an den von Japan organisierten Anti-Piracy-Challenges teil und führt seit 2004 mit Indonesien und seit 2005 mit Thailand gemeinsame Patrouillen in der Andamanensee durch. Das Operationsgebiet der indischen Marine wird zusehends nach Osten ausgeweitet. Spätestens seit April 2007, als drei indische Kriegsschiffe an einem japanisch-amerikanischen Seemanöver vor der Küste Japans teilnahmen„ ist das maritime Interesse Indiens auch vor den chinesischen Küsten erkennbar. Im September 2007 hielten die USA und Indien unter der Bezeichnung “Malabar 07–02” gemeinsame Luft- und Seemanöver vor den Küsten Thailands, Malaysias und Burmas ab. 26 Kriegsschiffe — darutner der indische Flugzeugträger INS Viraat und zwei atomgetriebenen US-Träger — nahmen daran teil.
Indien könnte auch für die ASEAN-Staaten als Partner interessant werden. China hat sich durch seine Besitzansprüche im Südchinesischen Meer und den Versuch, diese mit militärischen Pressionen durchzusetzen, nicht unbedingt “beliebt gemacht”. Andererseits erschweren territoriale Streitigkeiten untereinander (so im südchinesischen Meer) sowie religiöse Spannungen zwischen Christen und Muslimen sowohl in Indonesien wie auf den Philippinen — bzw. zwischen Buddhisten und Muslimen in Malaysia — die vertrauensvolle Zusammenarbeit untereinander. Die Gefahren der Piraterie und ihre mögliche Verknüpfung mit lokalen Aufstandsbewegungen und Terroristen schaffeb für Indien und die ASEAN-Staaten zudem genug aktuelle Kooperationsbasis.
Mit Vietnam bestehen schon seit dem Vietnamkrieg sicherheitspolitische Beziehungen. Die Kooperation umfasst indische Waffenlieferungen und Wartung vietnamesischer Waffensysteme aus russischer Produktion sowie Zusammenarbeit bei der Seeüberwachung im sensiblen Südchinesischen Meer.
Mit den Philippinen wurde im Februar 2006 ein Abkommen über militärische Zusammenarbeit abgeschlossen, in dessen Rahmen auch die Ausbildung militärischer Fachkräfte durch Indien vereinbart wurde.
Im Oktober 2007 wurde eine weitere Vereinbarung zur militärischen Kooperation mit Singapur geschlossen, mit dem Indien schon seit 1993 gemeinsame Marineübungen abhält. Im Rahmen dieser Vereinbarung kooperieren die Luftstreitkräfte beider Staaten, was für die Republic of Singapore Air Force (RSAF) ermöglicht, Übungen aus dem eigenen überfüllten Ballungsraum auf indische Luftbasen auszulagern — wodurch Indien einen Blick auf die Leistungsfähigkeit der modernen Waffensysteme Singapurs werfen kann.
Indien bietet sich auch aus einem weiteren Grunde als Partner an: die Waffensysteme Indiens und der ASEAN-Staaten (von russische Luftüberlegenheitsjägern bis zu deutschen U‑Booten) stammen vielfach aus den gleichen Waffenschmieden. Diese Systeme gefechtsbereit zu halten kostet Geld, das gerade die ASEAN-Staaten lieber in den Ausbau der eigenen Streitkräfte stecken. Solange eigenes — nationales — know how nicht zur Verfügung steht, bietet sich die Inanspruchnahme der indischen Flug- und Schiffswerften für Überholungen und Erneuerungen dieses Systeme an.
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